BGH Beschluss v. - XII ZB 155/07

Leitsatz

[1] Eine Prozesspartei darf auch bei Nutzung eines privaten Kurierdienstes (hier: Kölner Anwaltverein-Kurierdienst GmbH) darauf vertrauen, dass werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag im regionalen Auslieferungsgebiet ausgeliefert werden. Anderes gilt nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Einzelfall mit längeren Postlaufzeiten zu rechnen ist (im Anschluss an - NJW-RR 2004, 1217).

Gesetze: ZPO § 233 B; ZPO § 233 Fc; ZPO § 520 Abs. 2

Instanzenzug: AG Köln, 318 F 55/05 vom OLG Köln, 25 UF 73/07 vom

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Trennungsunterhalt. Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger rückständigen Unterhalt in Höhe von 5.941,94 € nebst Zinsen zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt.

Mit einem am eingegangenen Schriftsatz legte der Kläger gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung ein. Die Berufungsbegründung des Klägers vom ging am (Dienstag) beim Oberlandesgericht ein. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Berufungsbegründung verspätet eingegangen sei, beantragte der Kläger mit einem am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung bereits am (Freitag) unterzeichnet und seiner Rechtsanwaltsfachangestellten mit der Weisung übergeben, den Schriftsatz in das Gerichtsfach für das Oberlandesgericht Köln der Postannahmestelle für Rechtsanwälte bei dem Amtsgericht Köln einzulegen. Dabei habe sein Rechtsanwalt die Angestellte darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründungsfrist am ablaufe und der Schriftsatz deswegen - sicherheitshalber - noch am gleichen Tag () bis spätestens 12.00 Uhr in das entsprechende Fach einzulegen sei. Entsprechend habe die Rechtsanwaltsfachangestellte die an das Oberlandesgericht Köln adressierte Berufungsbegründung noch vor 12.00 Uhr in dieses Fach eingelegt. Durch die Bediensteten der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln würden sämtliche Gerichtsfächer einschließlich des Gerichtsfaches für das Oberlandesgericht Köln letztmalig um 13.00 Uhr geleert; so sei auch am Freitag, dem verfahren worden. Die vorsortierten Schriftsätze würden dann am nächsten Werktag von den Mitarbeitern der Kölner Anwaltverein-Kurierdienst GmbH an die entsprechenden Gerichte angeliefert. So seien auch am (Montag) entsprechende Schriftsätze an das Oberlandesgericht Köln befördert worden. Sein Prozessbevollmächtigter habe sich dem Kurierdienst des Kölner Anwaltvereins angeschlossen. Ihm sei seit dem Jahre 1996 kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein bis mittags um 12.00 Uhr in eines der Gerichtsfächer der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln eingelegter Schriftsatz nicht am nächsten Werktag an das im Schriftstück ausgewiesene Gericht zugestellt worden sei. Diesen Vortrag hat der Kläger durch eidesstattliche Versicherungen seines Prozessbevollmächtigten und dessen Rechtsanwaltsfachangestellter glaubhaft gemacht.

Das Berufungsgericht hat dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Zwar könne sich ein Absender auf die Zuverlässigkeit der Postdienste verlassen, wenn er ein mit vollständiger und richtiger Anschrift versehenes und ausreichend frankiertes Schriftstück zur Post gebe. Für die Inanspruchnahme eines privaten Beförderungsdienstes gelte dies entsprechend. Die Partei müsse im Fall einer verzögerten Übermittlung die Organisationsstruktur für eine zeitgerechte Beförderung nicht darlegen, weil sie sich regelmäßig der Kenntnis des Postdienstnutzers entziehe. Hier sei der Prozessbevollmächtigte des Klägers durch die Mitteilungen der Kölner Anwaltverein-Kurierdienst GmbH jedoch darauf hingewiesen worden, dass bei Einlegung eines für das Oberlandesgericht Köln sowie für andere Gerichte außerhalb von Köln bestimmten Schriftstücks in das jeweilige Fach bei der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln keine Gewähr für einen fristgerechten Zugang der Anwaltspost übernommen werde. Außerdem befinde sich über dem für das Oberlandesgericht Köln bestimmten Fach ein Warnhinweisschild mit dem Aufdruck "keine Fristsachen einlegen". Wenn der Kläger gleichwohl zwei Tage vor Fristablauf einen Berufungsbegründungsschriftsatz in dieses Fach bei der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln eingelegt habe, habe er nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Schriftsatz fristgerecht beim Oberlandesgericht Köln eingehe. Unter diesen Umständen habe es ihm oblegen, sich jedenfalls am Tag des Fristablaufs durch Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts von einem fristgerechten Eingang zu überzeugen. Weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem nicht nachgekommen sei, habe er die Fristversäumung zu verschulden, was dem Kläger zuzurechnen sei.

Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschlüsse vom - XII ZR 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N. und vom - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 88, 118, 123 ff., BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.

2. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Denn der verspätete Zugang beim Oberlandesgericht ist nicht auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückzuführen, das dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden könnte.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 1999, 3701, 3702, 2000, 2657, 2658 und NJW-RR 2002, 1005 f.) und des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschluss vom - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722, 1723, BGH Beschlüsse vom - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217 f. m.w.N. und vom - I ZB 100/06 - zur Veröffentlichung bestimmt) dürfen einem Prozessbeteiligten Verzögerungen der Briefbeförderung oder Briefzustellung nicht als Verschulden angerechnet werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß abzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Anders liegt es nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Einzelfall mit längeren Postlaufzeiten zu rechnen ist (BVerfG NJW 1995, 1210; BGH Beschlüsse vom - VIII ZB 30/92 - NJW 1993, 1332 und vom - II ZB 18/92 - NJW 1993, 1333, 1334). Dies gilt auch für die Nutzung privater Kurierdienste (BVerfG NJW 2000, 2657, 2658; NJW-RR 2002, 1005).

Daran hat sich durch Erlass der Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLVO) vom (BGBl. I S. 2418) nichts geändert. Zwar können danach die Deutsche Post AG und andere Unternehmer, die Universaldienstleistungen im Briefverkehr anbieten, die Postlaufzeiten nicht mehr selbst frei festlegen. Sie sind ihnen vielmehr für den Normalfall verbindlich vorgegeben. Nach § 2 Ziff. 3 PUDLVO müssen die Unternehmen sicherstellen, dass sie an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80 % am ersten und zu 95 % bis zum zweiten auf die Einlieferung folgenden Werktag ausliefern. Zwar ist bei diesem Prozentsatz nicht auszuschließen, dass diese vorgeschriebenen Brieflaufzeiten im Einzelfall verfehlt werden. Für die Frage, ob der Rechtsanwalt sich auf eine rechtzeitige Zustellung des Schriftsatzes verlassen konnte, ist aber nicht auf solche unvorhersehbaren Ausnahmefälle, sondern darauf abzustellen, ob die Postlaufzeiten regelmäßig in einem Umfang eingehalten werden, der bei einzelnen Bürgern das berechtigte Vertrauen in die Einhaltung dieser Postlaufzeiten begründet. Das ist nach den jetzt gesetzlich vorgegebenen Quoten der Fall. Ohne konkrete Anhaltspunkte muss deswegen niemand mit längeren Postlaufzeiten rechnen, die eine ernste Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH Beschlüsse vom - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217, 1218 und vom - IX ZB 57/98 - NJW 1999, 2118).

b) Der Kläger hat vorgetragen und durch die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht, dass Briefsendungen, die - wie hier - bis mittags 12.00 Uhr in dem entsprechenden Gerichtsfach der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln eingelegt werden, stets am nächsten Werktag durch den Kurierdienst des Kölner Anwaltvereins bei dem im Schriftstück ausgewiesenen Gericht zugestellt werden. Er durfte deswegen darauf vertrauen, dass die an das Oberlandesgericht adressierte und bereits am (Freitag) in das entsprechende Fach des Oberlandesgerichts eingelegte Berufungsbegründung spätestens am (Montag) beim Berufungsgericht eingehen würde. Dafür bedurfte es auch keines weiteren Vortrags zu der Organisationsstruktur des Kurierdienstes, weil diese sich regelmäßig der Kenntnis des Nutzers entzieht. Die Organisation der Postverteilung obliegt allein dem Anwaltverein. Der einzelne Anwalt ist, selbst wenn er Mitglied des Anwaltvereins und vertraglich mit dessen Kurierdienst verbunden ist, gegenüber den Angestellten des Anwaltvereins weder weisungs- noch kontrollbefugt (BVerfG NJW-RR 2002, 1005, 1006). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte damit alles in seinem Verantwortungsbereich Liegende getan, nämlich das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufgegeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen des in Anspruch genommenen Kurierdienstes den Empfänger fristgerecht erreichen konnte (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722, 1723). Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts war er deswegen nicht gehalten, sich am Tag des Fristablaufs durch Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts von einem rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung zu überzeugen.

Einem schutzwürdigen Vertrauen des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung steht auch nicht entgegen, dass die von ihm in Anspruch genommene Kölner Anwaltverein-Kurierdienst GmbH in ihren Verträgen mit den Nutzern eine Zusicherung für die rechtzeitige Ablieferung bestimmter Schriftsätze beim Empfänger ablehnt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts ist nicht auf eine rechtlich verbindliche Zusicherung, sondern allein auf die nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei regelmäßigem Betriebsablauf anfallenden Beförderungszeiten abzustellen. In der Verantwortung des Absenders liegt es allein, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post zu geben, dass es bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen kann (BVerfG NJW-RR 2002, 1005). Wenn dem Prozessbevollmächtigten keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können, darf er darauf vertrauen, dass diese eingehalten werden (BGH Beschlüsse vom - VI ZB 60/02 - NJW 2003, 3712, 3713 und vom - I ZB 100/06 - zur Veröffentlichung bestimmt).

Schließlich folgt auch aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach an dem Fach für die an das Oberlandesgericht Köln gerichteten Schriftsätze ein Hinweisschild mit den Worten "keine Fristsachen einlegen" angebracht ist, kein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts kann einer solchen Mitteilung kein Hinweis auf eine verzögerliche Zustellung der an das Oberlandesgericht Köln gerichteten Schriftsätze entnommen werden. Näher liegt es vielmehr, mit der Rechtsbeschwerde die Bedeutung dieses Hinweises darin zu finden, dass nicht schon das Einlegen von Fristsachen in dieses für das Oberlandesgericht Köln bestimmte Fach die Frist wahrt, weil es sich nicht um eine gemeinsame Briefannahmestelle beider Gerichte handelt. Wegen dieses Hinweises musste der Prozessbevollmächtigte des Klägers deswegen nicht befürchten, dass seine Berufungsbegründung - abweichend von dem vorgetragenen und eidesstattlich versicherten üblichen Ablauf des Zustelldienstes - verspätet beim Berufungsgericht eingehen würde.

c) Weil den Prozessbevollmächtigten des Klägers somit kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist trifft, ist dem Kläger die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers deswegen zu Unrecht als unzulässig verworfen und wird erneut über die rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung zu befinden haben.

Fundstelle(n):
NJW-RR 2008 S. 930 Nr. 13
PAAAC-73370

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja