BFH Beschluss v. - XI B 16/07

Keine Revisionszulassung wegen Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung; Annahme einer tatsächlichen Verständigung

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 76, FGO § 96, AO § 88

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Das Vorbringen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) erfüllt nicht die sich aus § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ergebenden Anforderungen an die Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 FGO. Gemäß § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

a) Der Kläger macht keinen der vorgenannten Zulassungsgründe geltend, soweit er vorträgt, das Finanzgericht (FG) sei zu Unrecht von bestandskräftigen Steuerbescheiden ausgegangen, bzw. es wäre, selbst wenn bestandskräftige Bescheide vorliegen sollten, nicht gehindert gewesen, die sachliche Unbilligkeit der Versagung der beantragten Erlasse zu prüfen.

Das FG ist bei seiner Prüfung der Ermessensentscheidungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) alternativ auch von der Möglichkeit ausgegangen, dass die Steuerbescheide zum Zeitpunkt der Ermessensausübung noch nicht bestandskräftig waren. Es hat auch für diesen Fall keine Ermessensfehler des FA festgestellt und die Klage als unbegründet abgewiesen. Mit seinem Vorbringen wendet sich der Kläger im Grunde gegen die Sachverhaltswürdigung und tatrichterliche Überzeugungsbildung des FG bzw. gegen die Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts durch das FG und rügt damit materiell-rechtliche Mängel der Vorentscheidung. Die Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung vermag die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht zu begründen (, BFH/NV 2007, 415; vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.).

b) Der Vortrag des Klägers genügt auch nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO zur Darlegung eines Verfahrensfehlers i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

Verfahrensfehler in diesem Sinne sind Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das Gericht bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 76 ff.), z.B. ein Verstoß gegen § 76 FGO (Verletzung der Sachaufklärungspflicht) oder gegen § 96 FGO (Verletzung des rechtlichen Gehörs).

aa) Soweit der Kläger vorträgt, das FG habe ihm das rechtliche Gehör verweigert, müssen die Tatsachen genau bezeichnet werden, aus denen sich nach seiner Ansicht der behauptete Verfahrensverstoß ergibt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 48, m.w.N.).

Das FG genügt seiner Verpflichtung, den Beteiligten rechtliches Gehör im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu gewähren, in der Regel dadurch, dass es eine mündliche Verhandlung anberaumt, die Beteiligten ordnungsgemäß lädt und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt durchführt (vgl. , BFHE 126, 368, BStBl II 1979, 191, und vom III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948; , BFH/NV 2005, 1364). Das Gericht verletzt das Recht auf Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes beispielsweise, wenn die Verfahrensbeteiligten von einer Entscheidung überrascht werden, weil das Urteil auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gegründet ist, zu denen sie sich nicht geäußert haben und zu denen sich zu äußern sie nach dem vorherigen Verlauf des Verfahrens auch keine Veranlassung hatten.

Derartige Verstöße hat der Kläger nicht vorgetragen, wenn er rügt, das FG habe es unterlassen, sich überhaupt in eine Interessenabwägung zwischen dem FA und ihm, dem Kläger, einzulassen und sei zu Unrecht von einer wirksamen tatsächlichen Verständigung ausgegangen. Der Kläger rügt insoweit eine fehlerhafte Sachverhaltswürdigung und tatrichterliche Überzeugungsbildung des FG und damit materiell-rechtliche Mängel der Vorentscheidung, die eine Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Denn das FG hat den Rechtsmittelverzicht des Klägers hinsichtlich der aufgrund der tatsächlichen Verständigung erlassenen Bescheide als wirksam angesehen. Im Kern wendet sich der Kläger gegen die Beurteilung des Einspruchsverzichts. Solche Mängel rechtfertigen aber die Zulassung wegen eines Verfahrensfehlers nicht (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 76 und 82, m.w.N.).

Auf die Geltendmachung der Verletzung des rechtlichen Gehörs, kann zudem —wenn diese nicht den Gesamtinhalt des Verfahrens betrifft— verzichtet werden (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 295 der ZivilprozessordnungZPO—). Der Prozessbeteiligte verliert sein Rügerecht, wenn er nicht alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (, BFH/NV 2005, 1126). Die schlüssige Rüge, das FG habe das rechtliche Gehör verletzt, setzt daher die substantiierte Darlegung des Beschwerdeführers voraus, dass er den Mangel in der mündlichen Verhandlung gerügt habe bzw. aus welchen —von ihm nicht zu vertretenden— Gründen er an einer solchen Rüge gehindert gewesen sei und was er bei rechtzeitiger Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und dass dies die Entscheidung des FG —auf der Basis der von diesem vertretenen Rechtsauffassung— hätte beeinflussen können (vgl. , BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836). Der Kläger hat zu all dem nichts vorgetragen.

bb) Soweit der Kläger mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung sinngemäß geltend macht, das FG hätte auch unabhängig von einem entsprechenden Beweisantrag von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so wären für eine schlüssige Verfahrensrüge Ausführungen dazu erforderlich gewesen, welche Tatsachen das FG hätte aufklären müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und aus welchen Gründen sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunkts die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 53/03, BFH/NV 2004, 978; vom IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, jeweils m.w.N.; vom III B 150/04, BFH/NV 2006, 330). Derartige Ausführungen enthält die Beschwerdebegründung nicht.

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang wiederholt einen Verstoß gegen Denkgesetze rügt, zählt auch dies nach der ständigen Rechtsprechung ebenso wie Verstöße gegen anerkannte Auslegungsregeln und Erfahrungssätze zu den materiellen Rechtsfehlern, die eine Zulassung der Revision nicht eröffnen, es sei denn, der Fehler ist von erheblichem Gewicht und geeignet, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom X B 75/99, BFH/NV 2000, 1458; vom V B 152/01, BFH/NV 2002, 1600, und vom III B 63/02, BFH/NV 2003, 644). Dafür ist aber nichts vorgetragen oder anderweitig ersichtlich.

cc) Entgegen der Behauptung des Klägers hat das FG schließlich auch über den Antrag betreffend Erlass von Hinterziehungszinsen entschieden. Das Urteil ist insoweit mit Gründen versehen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 595 Nr. 4
KAAAC-71409