Bindung des BFH an die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen entfällt, wenn FG gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze verstoßen hat
Gesetze: AO § 162
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil vom 1 K 784/03
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) dargelegten Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen zum Teil der Sache nach nicht vor (unten 1.), zum Teil sind sie nicht ordnungsgemäß dargelegt worden (unten 2.).
1. Eine Zulassung der Revision wegen des Erfordernisses einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung der Rechtseinheit (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) kommt nicht in Betracht.
a) Zwar ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil u.a. dann zuzulassen, wenn das erstinstanzliche Urteil unter einem so schweren Rechtsfehler leidet, dass sein Fortbestehen das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen würde. Indes reicht auch nach der Neuregelung der Revisionszulassungsgründe durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom (BGBl I 2000, 1757) der Vortrag nicht aus, das Finanzgericht (FG) habe im konkreten Einzelfall unrichtig entschieden und dabei ggf. eine vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung übersehen oder fehlerhaft umgesetzt (Senatsbeschluss vom X B 174/03, juris, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten, auch dann nicht, wenn der BFH bei einer eigenen Subsumtion aufgrund der getroffenen Feststellungen zu einem abweichenden Auslegungsergebnis gelangen würde. Vielmehr soll mit den neu gefassten Zulassungsgründen neben den Fällen der Divergenz eine Zulassung der Revision ermöglicht werden, wenn dem FG bei der Auslegung und Anwendung des Rechts Fehler von so erheblichem Gewicht unterlaufen sind, dass sie, würden sie von einem Rechtsmittelgericht nicht korrigiert, geeignet wären, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (Senatsbeschluss vom X B 149/04, BFH/NV 2005, 1618; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 68, m.w.N.).
b) Ein schwerwiegender Fehler des finanzgerichtlichen Urteils, der die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO rechtfertigen würde, ist nicht gegeben. Einen solchen schwerwiegenden Fehler hat die Klägerin zwar durch ihren Hinweis geltend gemacht, das FG habe im angefochtenen Urteil bei der Subsumtion gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verstoßen. Den Verstoß gegen die Denkgesetze sieht die Klägerin darin, dass das FG —ihrer Meinung nach— die Wertung des Betriebsprüfers übernommen habe und davon ausgegangen sei, dass bei der Mutter der Klägerin nur eine geschäftliche Tätigkeit vorgetäuscht sei. Eine solche Unterstellung schließe dann aber zwangsläufig die Erhöhung der (nicht existenten) Nettoumsätze um 20 % aus.
Diese —dem FG unterstellte— Argumentation ist dem Urteil jedoch nicht zu entnehmen. Das FG hat zunächst ohne Rechtsverstoß klargestellt, dass die Mutter der Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit Vollkaufmann und somit buchführungspflichtig gewesen sei. Da eine ordnungsgemäße Buchführung nicht vorgelegen habe, sei eine Schätzung gerechtfertigt gewesen. Die von der Klägerin im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens vorgelegten Unterlagen konnten dem Schätzungsergebnis nicht widersprechen, da das FG von der Unrichtigkeit der Unterlagen überzeugt war. Die Gründe hierfür wurden vom FG in den Urteilsgründen nachvollziehbar und in nicht zu beanstandender Weise näher erläutert. Diese finanzgerichtliche Argumentation ist weder willkürlich noch verstößt sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze.
c) Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen durch das FG zu den tatsächlichen Feststellungen gehört, an die der BFH als Revisionsinstanz grundsätzlich gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist. Die Bindung des BFH entfällt dann, wenn das FG bei der Schätzung gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, allgemeine Erfahrungssätze oder gegen die Denkgesetze verstoßen hat (, BFHE 139, 350, BStBl II 1984, 88, m.w.N.). Die gewonnenen Schätzergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Deshalb sind alle möglichen Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Rahmen des der Finanzbehörde Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln. Auf der anderen Seite ist aber auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichten obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen. Deshalb ist es gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen, insbesondere bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen (Klein/ Rüsken, AO, 9. Aufl., § 162 Rz 36, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der Sicherheitszuschlag lässt sich dabei als eine griffweise Schätzung, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht verbuchten Umsätzen steht, charakterisieren (Senatsurteil vom X R 114/92, BFH/NV 1995, 373).
Im Streitfall hat das FG diese anerkannten Schätzungsgrundsätze beachtet. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) und ihm folgend das FG haben die von dem Betriebsprüfer ermittelten Umsätze um einen Sicherheitszuschlag in Höhe von 20 % erhöht und den daraus resultierenden Gewinn aus der Richtsatzsammlung abgeleitet. Sowohl die Höhe des Zuschlags von 20 % als auch die Ableitung des Gewinns in Anlehnung an die Richtsatzsammlung erscheinen vor dem Hintergrund der nicht ordnungsgemäßen Buchführung der Mutter der Klägerin als vertretbar und angemessen.
2. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht.
a) Eine schlüssige Darlegung eines Revisionszulassungsgrundes i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO —Divergenz der Rechtsprechung— liegt nicht vor. Die Klägerin verweist zwar auf das (BFHE 170, 511, BStBl II 1993, 594), wonach das FA und das FG bei der Schätzung ohne Einschränkung von dem Sachverhalt auszugehen haben, der nach ihrer Auffassung der Wirklichkeit am nächsten kommt. Es fehlt aber bereits an der Herausarbeitung eines bestimmten abstrakten und die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatzes aus der FG-Entscheidung, welcher von der (angeblichen) Divergenzentscheidung des BFH abweichen soll.
b) Ebenso wenig reicht das Vorbringen der Klägerin für die substantiierte Darlegung eines Revisionszulassungsgrunds i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aus, selbst wenn das Vorbringen der Klägerin so interpretiert würde, dass sie der Auffassung sei, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muss —vom hier nicht gegebenen Fall ihrer Offenkundigkeit abgesehen— schlüssig und substantiiert dargelegt werden. Dies erfordert ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist. Dazu gehört auch, dass sich der Beschwerdeführer mit der zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzt und substantiiert darlegt, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung bislang keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 32 f., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht, weil sie es unterlassen hat, eine derartige Rechtsfrage mit einem hinlänglich konkretisierten und präzisierten Inhalt zu formulieren.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 587 Nr. 4
KÖSDI 2008 S. 15932 Nr. 3
RAAAC-70384