Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: BGB § 626; BGB § 241; ZPO § 322
Instanzenzug: ArbG Magdeburg 11 Ca 1432/05 vom LAG Sachsen-Anhalt 5 Sa 668/05 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten auf Gründe im Verhalten des Klägers gestützten außerordentlichen Kündigung.
Der 1962 geborene Kläger trat im Jahre 1987 als Angestellter in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Auf Grund einer tarifvertraglichen Regelung ist gegenüber dem Kläger die ordentliche Kündigung ausgeschlossen.
Mit Schreiben vom hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise zum gekündigt. Zur Begründung hatte sie vorgetragen, vom Computer des Klägers seien in der Zeit vom 16. April bis zum insgesamt 313 Minuten lang Internetseiten mit überwiegend pornografischem Inhalt aufgerufen worden. Das Arbeitsgericht hatte der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage durch Urteil vom stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hatte die Berufung der Beklagten durch Urteil vom (- 11 Sa 752/04 -) zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es liege zwar ein wichtiger Grund an sich vor, die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung scheitere aber daran, dass die Beklagte den Kläger nicht abgemahnt habe und auch abgesehen davon die Interessenabwägung zu Gunsten des Klägers ausgehe. Was die hilfsweise mit Auslauffrist ausgesprochene Kündigung betreffe, so neige das Gericht zwar zur Annahme, dass ein wichtiger Grund - einschließlich der Interessenabwägung - gegeben sei, die Kündigung sei aber wegen Verstoßes gegen personalvertretungsrechtliche Vorschriften unwirksam.
Im Prozess hatte der Kläger mit Schriftsätzen vom und vom (der Beklagten zugestellt am ) vorgetragen, er bestreite nicht den von der Beklagten behaupteten Vorgang der Einwahl des Rechners ins Internet, wohl aber bestreite er, bewusst Internetseiten mit pornografischem Inhalt aufgerufen zu haben. Die Seiten hätten sich vielmehr selbständig geöffnet. Im Berufungstermin am erklärte der Kläger:
"Ich bleibe bei meinem Vorbringen, ich habe pornografische Internetseiten nicht aufgerufen. Damit meine ich, dass ich diese Seiten nicht bewusst mit meinem Rechner angewählt habe."
Das Landesarbeitsgericht hatte - entgegen dieser Erklärung des Klägers - zugunsten der Beklagten unterstellt, der Kläger habe bewusst gehandelt.
Nach Anhörung des Personalrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am erneut außerordentlich und fristlos mit der Begründung, der Kläger habe im Berufungstermin am die Unwahrheit gesagt und damit einen versuchten Prozessbetrug begangen.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung vom sei unwirksam. Die Beklagte habe die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Einen versuchten Prozessbetrug habe er nicht begangen. Seine Erklärung vom habe den Ausgang des Vorprozesses nicht beeinflusst und im Übrigen der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedient.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom nicht aufgelöst wird, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen als Sachbearbeiter Rechtsprüfung/Hilfsmittel in der Vergütungsgruppe 6 BAT/AOK-O bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, im fraglichen Zeitraum habe der Kläger von seinem Rechner insgesamt 313 Minuten Seiten mit pornografischem Inhalt bewusst und gewollt aufgerufen. Ein technischer Defekt sei auszuschließen, ebenso ein zufälliges Einwählen. Damit habe der Kläger am zumindest einen versuchten Prozessbetrug begangen. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.
Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Abweisung der Klage.
Gründe
Die Revision ist unbegründet.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Es könne zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die vom Kläger im Berufungstermin vom abgegebene Erklärung inhaltlich unzutreffend gewesen sei. Sie habe sich im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen gehalten und sei jedenfalls objektiv ungeeignet gewesen, den Ausgang des Vorprozesses zu beeinflussen, weil es nach dem seinerzeitigen Urteil des Landesarbeitsgerichts auf die Wahrheit oder Unwahrheit der Erklärung gar nicht angekommen sei.
B. Dem stimmt der Senat im Ergebnis zu.
I. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung nicht auf eine Versäumung der Kündigungserklärungsfrist gestützt. Das Fehlverhalten des Klägers vollzog sich in mehreren Akten, dessen letzter am stattfand. Da die Kündigung dem Kläger am zuging, ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
II. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, es fehle an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
1. Auch ein zu Lasten des Arbeitgebers begangener versuchter Prozessbetrug ist ein Vermögensdelikt und kann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB bilden (vgl. -). Ebenso können falsche Erklärungen, die in einem Prozess abgegeben werden, an sich geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen (für den Fall einer falschen eidesstattlichen Versicherung: Senat - 2 ABR 55/04 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 55 = EzA BetrVG 2001 § 103 Nr. 5; - 2 AZR 266/87 - mit Verweis auf Senat - 2 ABR 71/85 - BB 1987, 1952). Dabei kommt es letztlich auf die strafrechtliche Einordnung nicht entscheidend an, so dass die allerdings eher zweifelhafte Frage, ob vorliegend die Voraussetzungen eines (untauglichen) Betrugsversuchs gegeben sind, offenbleiben kann (vgl. zum Betrugsversuch: - NStZ 2003, 663 mwN). Denn jedenfalls verletzt ein Arbeitnehmer vertragliche Nebenpflichten, nämlich die dem Vertragspartner geschuldete Rücksichtnahme auf dessen Interessen (§ 241 Abs. 2 BGB nF), wenn er im Rechtsstreit um eine Kündigung bewusst wahrheitswidrig vorträgt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können (vgl. - LAGReport 2005, 120).
a) Ob davon, wie das Landesarbeitsgericht offenbar meint, eine Ausnahme gemacht werden kann, wenn der Betrugsversuch in hohem Maße untauglich war, mag dahinstehen, kann aber Zweifeln unterliegen (vgl. zur strafrechtlichen Bewertung des untauglichen Versuchs: - NStZ 2007, 102).
b) Ebenso dürfte im vorliegenden Fall kaum von "Wahrnehmung berechtigter Interessen" gesprochen werden können. Immerhin handelt es sich bei dem Kündigungsvorwurf um einen vorsätzlichen Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht.
2. Der Klage muss indes schon deshalb Erfolg beschieden sein, weil der Beklagten die Geltendmachung der erhobenen Kündigungsvorwürfe wegen der Rechtskraft des Urteils im vorausgegangenen Kündigungsschutzprozess verwehrt ist.
a) Ist in einem Kündigungsrechtsstreit entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, so kann der Arbeitgeber eine erneute Kündigung nicht auf Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht hat und die in dem ersten Kündigungs-schutzprozess materiell geprüft worden sind mit dem Ergebnis, dass sie die Kündigung nicht rechtfertigen können. Der zweiten, rechtzeitig erhobenen Klage ist ohne Weiteres stattzugeben. Das Urteil in dem ersten Prozess ist in der Weise präjudiziell für das zweite Verfahren, dass eine erneute materielle - möglicherweise von dem Ergebnis des ersten Prozesses abweichende - Nachprüfung des zur Stützung der ersten Kündigung verbrauchten Kündigungsgrundes in dem zweiten Verfahren nicht erfolgen darf (grundlegend: - BAGE 74, 143; - 2 AZR 180/95 - AP KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 76 = EzA KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 84; vgl. zuletzt - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 75 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 129; - 2 AZR 485/02 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 71 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 127; KR-Friedrich 8. Aufl. § 4 KSchG Rn. 272; v. Hoyningen/Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 4 Rn. 139 ff.).
b) Auch für das Verhältnis eines Verfahrens nach § 103 BetrVG zum etwa nachfolgenden Kündigungsschutzprozess hat das Bundesarbeitsgericht eine vergleichbare, als Präklusion bezeichnete Wirkung angenommen (vgl. - 2 AZR 214/01 - BAGE 102, 190). Diese Wirkung (kritisch zur Terminologie: Deckers Die Präklusionswirkung rechtskräftiger Entscheidungen im Kündigungsschutzprozeß Diss. Köln 1999 S 26 ff.) beruht letztlich auf dem Bedürfnis, auch unabhängig vom Bestehen ausdrücklicher Präklusionsnormen und außerhalb des vom reinen Wortlaut des § 322 Abs. 1 ZPO abgesteckten Rahmens "eine bestimmte, vom objektiven Recht her gegebene (positive oder negative) Sinnbeziehung zwischen dem rechtskräftig Festgestellten und der im neuen Prozess zu prüfenden Rechtsfolge zu wahren" (vgl. Zeuner Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge Tübingen 1959 S 14). Unabhängig von Abgrenzungsfragen und terminologischen Unterschieden im Einzelnen (vgl. Nottebom Rechtskrafterstreckung präjudizieller Entscheidungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren Diss. Frankfurt am Main 2001, 64 ff., 82 ff.; MünchKommZPO-Gottwald § 322 Rn. 48 ff.; Stein/Jonas/Leipold ZPO 21. Aufl. § 322 Rn. 212) besteht weitgehend Einigkeit, dass Grund und Grenzen der Bindungswirkungen danach zu bestimmen sind, ob der nachfolgende Rechtsstreit "als inhaltliche Fortsetzung des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses" erscheint (Nottebom aaO S. 87 unter Hinweis auf Zeuner aaO; vgl. zu ähnlichen Fragen der Präklusion im Mietrecht: - NJW 1998, 374; - ZMR 2000, 459; - MDR 1978, 847; vgl. zum Ganzen auch: Kerstin Prange Materiell-rechtliche Sanktionen bei Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht durch Zeugen und Parteien Diss. Berlin 1995).
3. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Beklagte mit dem geltend gemachten Kündigungsgrund präkludiert.
a) Die Beklagte wirft dem Kläger versuchten Prozessbetrug vor. Nach ihrer Behauptung hat der Kläger wahrheitswidrig erklärt, er habe die pornografischen Dateien nicht bewusst geöffnet. Der Vorwurf beinhaltet demnach die Behauptung, der Kläger habe die pornografischen Dateien bewusst geöffnet. Ohne diesen Vorwurf ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend gesehen hat, der jetzige Kündigungsvorwurf, die Erklärung im Berufungstermin vom sei falsch gewesen und als versuchter Prozessbetrug zu werten, hinfällig. Die Behauptung, der Kläger habe die pornografischen Dateien bewusst geöffnet, ist der Kern des jetzt erhobenen Kündigungsvorwurfs. Die diesen Vorwurf bestreitende Erklärung des Klägers ist nur die - negative - prozessuale Widerspiegelung dieses Vorwurfs. Ob der Vorwurf zutrifft, müsste also, da der Kläger nach wie vor bestreitet, im vorliegenden Verfahren nachgeprüft werden. Genau dieser Vorwurf ist aber von der Beklagten als Kündigungsgrund im Vorprozess vorgetragen worden und durch Urteil des Landesarbeitsgerichts - die Richtigkeit des Vorwurfs unterstellend - rechtskräftig als in der Sache nicht ausreichend angesehen worden. Eine Nachprüfung dieses Vorwurfs würde dazu führen, dass ein Sachverhalt, von dem rechtskräftig feststeht, dass er keinen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellte, nunmehr doch zur Begründung einer Kündigung herangezogen würde.
b) Anders könnte es dann sein, wenn das rechtskräftige Urteil im Vorprozess auf einem vom Kläger hervorgerufenen Irrtum des Landesarbeitsgerichts über die Sach- oder Rechtslage beruhen würde. Selbst in solchen Fällen ist aber die Wertung der §§ 580, 581, 582 ZPO zu beachten, welche die Rechtskraft auch solcher Urteile, die aufgrund falscher Aussagen zustande gekommen sind, nur unter sehr engen Voraussetzungen und nur durch das besondere Verfahren der Restitutionsklage zu beseitigen erlauben. Eine solche Klage ist, wenn sie auf Restitutionsgründe nach § 580 Nr. 1 bis 5 ZPO gestützt wird (zB Falschaussage eines Zeugen oder einer Partei), nur zulässig, wenn deswegen eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat ergangen ist oder wenn die Einleitung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann. § 581 Abs. 1 ZPO bestimmt für diese Fälle eine Bedingung für eine Fortsetzung des Prozesses in einem Wiederaufnahmeverfahren, die an eine Vorprüfung der als Wiederaufnahmegrund behaupteten Straftat durch die dafür institutionell zuständigen Strafgerichte und Staatsanwaltschaften anknüpft ( - MDR 2007, 234; - VersR 1962, 175). Liegen die besonderen Voraussetzungen der Restitutionsklage nicht vor, so ist ein Wiederaufnahmeverfahren aus diesen Gründen von vornherein ausgeschlossen, und dem Zivilgericht ist eine eigene Beurteilung der Richtigkeit der vorgetragenen Behauptungen versagt. Auch eine auf § 826 BGB gestützte Schadensersatzklage hat in diesen Fällen keinen Erfolg ( - NJW 1964, 1672; Kerstin Prange aaO S. 103 - 105).
III. Die Kosten der erfolglos bleibenden Revision fallen der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2009 S. 279 Nr. 6
DB 2009 S. 1024 Nr. 19
NWB-Eilnachricht Nr. 21/2008 S. 1983
KAAAC-69900
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein