Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 85 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
Instanzenzug: LG Berlin 9 O 341/06 vom KG Berlin 16 U 22/07 vom
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde. Das Landgericht hat die Zwangsvollstreckungsgegenklage abgewiesen. Mit einem einen Tag nach Ablauf der Berufungsfrist bei dem Kammergericht eingegangenen Schriftsatz, der zudem von einem nicht postulationsfähigen Rechtsanwalt unterschrieben ist, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Nach Hinweis auf das Fristversäumnis hat sie erneut Berufung eingelegt und beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, die erfahrene und ansonsten stets zuverlässig arbeitende Angestellte S. habe den Berufungsschriftsatz versehentlich auf den die Sache bearbeitenden, aber am Kammergericht nicht zugelassenen Rechtsanwalt S. ausgefertigt, der ihn auch unterschrieben habe. Der Schriftsatz sei am letzten Tag der Frist postfertig gemacht und die Frist im Fristenbuch gelöscht worden. Vor Abgang der Post habe die Angestellte ihren Fehler bemerkt und sich an den am Kammergericht zugelassenen Rechtsanwalt W. gewandt, der ihr die Einzelanweisung erteilt habe, den Schriftsatz unverzüglich erneut auszufertigen, ihm zur Unterschrift vorzulegen und gegen den falsch ausgefertigten auszutauschen. Zur Neuausfertigung und Unterzeichnung sei es auch gekommen. Die Angestellte habe den Schriftsatz sodann in eine Mappe mit dem Aufkleber "FA" (für Fristablauf) und mit dem Vermerk "Bitte unbedingt gegen den anderen Schriftsatz an das Kammergericht austauschen" gelegt. Sie habe indes vergessen, die Mappe in den Postraum zu bringen, so dass es zu einem Austausch nicht mehr gekommen sei.
Das Kammergericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Das Berufungsgericht meint, die Fristversäumung beruhe auf einem der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Anwaltsverschulden. Zwar habe Rechtsanwalt W. der mit der Sache betrauten Angestellten eine konkrete Einzelweisung erteilt. Darauf, dass diese ausgeführt werde, habe er grundsätzlich auch vertrauen dürfen. Betreffe die Anweisung - wie hier - jedoch einen so wichtigen Vorgang wie die Wahrung der Rechtsmittelfrist, so seien in der Kanzlei grundsätzlich ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass die Anweisung in Vergessenheit gerate und die Frist dadurch versäumt werde. Daran habe es gefehlt. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, dass die Angestellte angewiesen worden sei, den Vorgang bis zum Austausch der Schriftsätze sogleich auszuführen. Auch sei sie gerade nicht (jedenfalls nicht ausdrücklich) angewiesen worden, den Austausch der Schriftsätze persönlich vorzunehmen. Denn anderenfalls habe sie den Aufkleber "Bitte unbedingt gegen den anderen Schriftsatz an das Kammergericht austauschen" nicht fertigen müssen. Die Anweisung sei nach allem nicht konkret oder klar gewesen.
III.
Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, da es an einem Zulassungsgrund (§ 574 Abs. 2 ZPO) fehlt.
Die Rechtsbeschwerde macht, unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), allein eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend. Solche Rechtsverletzungen liegen jedoch nicht vor.
1. Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes ist verletzt, wenn die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um im Falle der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, überspannt werden und der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (vgl. BVerfGE 41, 323, 326; 41, 332, 334 ff.; NJW-RR 2002, 1007; Senat, BGHZ 151, 221, 227; Beschl. v. , V ZB 44/03, NJW-RR 2004, 785). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht gegen diese Grundsätze nicht verstoßen. Die Entscheidung fügt sich vielmehr in die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung ein.
a) Das Berufungsgericht geht von dem Grundsatz aus, dass sich ein Rechtsanwalt auf die Befolgung der einer zuverlässigen Angestellten erteilten Einzelanweisung verlassen darf und nicht verpflichtet ist, sich anschließend über die Ausführung zu vergewissern (, NJW 2004, 688, 689; Beschl. v. , VI ZB 10/04, NJW-RR 2004, 1361, 1362; Beschl. v. , XII ZB 103/06, NJW-RR 2007, 127, 128; Beschl. v. , III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430, 1431). Es berücksichtigt zutreffend ferner, dass dies nur gilt, wenn die Einzelanweisung klar und präzise gefasst ist, da nur dann möglichen Fehlern entgegengewirkt werden kann (Senat, Beschl. v. , V ZB 57/99, NJW-RR 2001, 209). Und es übersieht auch nicht, dass eine Einzelanweisung nicht stets organisatorische Vorkehrungen gegen eine Fristversäumnis entbehrlich macht. So ist es, wenn sich eine Einzelanweisung in die Kanzleiorganisation einfügt und daraus nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten und geeignet sind, einer Fristversäumnis entgegenzuwirken. In solch einem Fall, etwa wenn die Weisung nur die Art der Übermittlung betrifft, kommt es auf die Kanzleiorganisation im übrigen an und können Organisationsfehler im Falle der darauf beruhenden Fristversäumnis einer Wiedereinsetzung entgegen stehen (Senat, Beschl. v. , V ZB 28/03, NJW 2004, 367; , AnwBl 2007, 236, 237).
b) Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Anwalts nicht. Es hat vielmehr zu Recht der besonderen Situation Bedeutung beigemessen, in der der Fehler, dessen Behebung der Anwalt durch Einzelweisung zu erreichen suchte, entdeckt wurde.
Als die Angestellte bemerkte, dass der Berufungsschriftsatz von einem am Kammergericht nicht postulationsfähigen Anwalt unterschrieben war, hielt die allgemeine Kanzleiorganisation - jedenfalls ist dazu nichts vorgetragen - keine Sicherung mehr bereit. Der Schriftsatz befand sich im Postausgangsbereich, die Frist im Fristenbuch war gelöscht. Der Gefahr der Fristversäumung konnte nur noch dadurch begegnet werden, dass der Anwalt entweder selbst den Schriftsatz austauschte oder durch eine präzise Einzelanweisung sicherstellte, dass dies durch sein Personal geschah. Dass das Berufungsgericht eine solche präzise Weisung vermisst, ist nicht zu beanstanden.
Dabei kann dahin stehen, ob die Weisung hinreichend deutlich erkennen ließ, dass die Anordnungen unverzüglich umzusetzen waren (vgl. zu diesem Erfordernis , NJW-RR 2004, 1361, 1362; Beschl. v. , III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430, 1431). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ging die Einzelweisung dahin, den Schriftsatz nochmals "unverzüglich" auszufertigen, zur Unterschrift vorzulegen und gegen den fehlerhaften Schriftsatz auszutauschen. Das lässt immerhin auch die Annahme zu, dass alle Maßnahmen unverzüglich zu treffen waren.
Unpräzise ist die Weisung aber insoweit, als sie nicht erkennen ließ und von der Angestellten S. so auch nicht aufgefasst worden ist, dass sie selbst alle zur Behebung des Fehlers erforderlichen Arbeiten auszuführen, insbesondere daher auch den Austausch der Schriftsätze vorzunehmen hatte. Die Fertigung eines neuen Schriftsatzes und dessen Unterzeichnung durch den postulationsfähigen Anwalt nutzte nichts, wenn nicht auch die Absendung sicher gestellt war. Das war sie aber gerade nicht, da jede weitere Kontrolle angesichts der im Fristenbuch schon gelöschten Frist unterblieb. Angesichts dessen waren die von der Angestellten getroffenen Vorkehrungen, den Schriftsatz in eine Mappe zu legen und mit der Aufschrift zu versehen, dass der Schriftsatz auszutauschen sei, gut gemeint, aber völlig unzureichend. Dass die Angestellte damit bewusst und für den Anwalt unvorhersehbar gegen die ihr erteilte Weisung verstieß, macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend und ist auch fernliegend. Es wird vielmehr deutlich, dass sie annahm, im Sinne der insoweit also ganz unpräzisen Weisung zu handeln. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang auch zu Recht berücksichtigt, dass für den Anwalt in erhöhtem Maße Veranlassung für eine sehr viel genauere Anordnung bestand. Die von ihm mit der Sache betraute Angestellte hatte nämlich an diesem Tage, ihrem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub, bereits zuvor fehleranfällig gearbeitet. Angesichts dessen bestanden für den Anwalt besondere Sorgfaltsanforderungen. Diesen ist er nicht gerecht geworden.
2. Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Verletzung von Art. 103 GG steht allein im Zusammenhang mit der Rüge, das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes sei verletzt. Ein darüber hinausgehender Vorwurf, es sei Vortrag zu einzelnen Punkten übergangen worden, wird nicht erhoben.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
UAAAC-68057
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein