BGH Beschluss v. - IX ZB 231/06

Leitsatz

[1] Ein Mitglied des Gläubigerausschusses hat dann Anspruch auf Aushändigung der für eine Kassenprüfung erforderlichen Unterlagen, wenn es darlegt und glaubhaft macht, dass ihm eine Kassenprüfung am Verwahrungsort der Unterlagen nicht möglich ist.

Gesetze: GesO § 15 Abs. 6; KO § 88; InsO § 69 Satz 2

Instanzenzug: AG Chemnitz N 91/93 vom LG Chemnitz 3 T 773/06 vom

Gründe

I.

Der weitere Beteiligte zu 1 (fortan: Verwalter) ist Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der G. GmbH (fortan: Schuldnerin), das am eröffnet worden ist. Der (weitere) Beteiligte zu 2 wurde am in den vorläufigen Gläubigerausschuss berufen und am zum Mitglied des Gläubigerausschusses bestellt. Mit Schreiben vom teilte der Beteiligte zu 2 dem Gesamtvollstreckungsgericht mit, er habe eine Kassenprüfung angeordnet; der Verwalter weigere sich jedoch, ihm die relevanten Unterlagen des Zeitraums ab Anordnung der Sequestration bis einschließlich 1997 herauszugeben. Der Verwalter erklärte, er habe dem Beteiligten zu 2 angeboten, die Unterlagen am Ort der Aufbewahrung einzusehen und dabei die Hilfe einer Buchhalterin der Schuldnerin in Anspruch zu nehmen. Damit, dass die Unterlagen an einen anderen Ort verbracht würden, sei er nicht einverstanden.

Der Beteiligte zu 2 hat beantragt, den Verwalter anzuweisen, ihm die Unterlagen auszuhändigen, hilfsweise ihm eine vollstreckbare Ausfertigung einer Urkunde über seine Bestellung zum Mitglied des Gläubigerausschusses zu erteilen. Mit Beschluss vom hat das Gesamtvollstreckungsgericht beide Anträge abgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2 ist zurückgewiesen worden. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte zu 2 die bisherigen Anträge weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft (vgl. , WM 2004, 490 f; v. - IX ZB 135/03, WM 2006, 778) und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Der Beteiligte zu 2 sei als Mitglied des Gläubigerausschusses verpflichtet, sich vom Gang der Geschäfte zu unterrichten, Bücher und Schriften einzusehen und den Kassenbestand zu überprüfen (§ 15 Abs. 6 GesO). Wie die Kassenprüfung zu erfolgen habe, sei in der Gesamtvollstreckungsordnung nicht geregelt. Gemäß § 1 Abs. 3 GesO gelte insoweit § 299 Abs. 1 ZPO. Nach dieser Vorschrift habe die Akteneinsicht am Verwahrungsort zu erfolgen. Dadurch werde die Kontrolle durch Mitglieder des Gläubigerausschusses nicht erschwert.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

a) Der Beteiligte zu 2, nicht das Organ "Gläubigerausschuss", ist für das Einsichtsbegehren aktivlegitimiert. Entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 6 GesO treffen die dort genannten Pflichten nicht den Gläubigerausschuss als solchen, sondern die einzelnen Ausschussmitglieder (Hess/Binz/Wienberg, GesO 4. Aufl. § 15 Rn. 67; Smid, GesO 3. Aufl. § 15 Rn. 74 ff, 76). Dies folgt zum einen aus einem Vergleich mit den entsprechenden Bestimmungen der Konkurs- und der Insolvenzordnung. Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 KO traf die Pflicht, den Verwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen, die Mitglieder des Gläubigerausschusses; gleiches gilt für § 69 InsO. Zum anderen führt eine Verletzung dieser Pflichten zur persönlichen Haftung des einzelnen Mitglieds analog § 89 KO (OLG Rostock ZInsO 2004, 814, 815; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 15 GesO Anm. 3a; vgl. auch § 89 KO, § 71 InsO). Eine Haftung setzt voraus, dass das Mitglied persönlich - nicht nur als Teil des Organs - zur Erfüllung derjenigen Pflichten in der Lage ist, aus deren Verletzung die Haftung folgt.

b) Ob der Beteiligte zu 2 die Kassenprüfung an einem von ihm zu bestimmenden Ort vornehmen darf, richtet sich danach, ob dies zur Erfüllung der ihm nach § 15 Abs. 6 GesO obliegenden Pflichten erforderlich ist. Die Vorschrift des § 299 Abs. 1 ZPO, welche das Beschwerdegericht angewandt hat, findet insoweit weder unmittelbar noch über die Verweisung des § 1 Abs. 3 GesO Anwendung. Sie regelt die Einsicht in Gerichtsakten, nicht jedoch die Durchführung einer Kassenprüfung.

c) Grundsätzlich hat die Kassenprüfung am Verwahrungsort der zu prüfenden Unterlagen zu erfolgen.

aa) Ebenso wie die Mitglieder eines nach der Konkurs- oder der Insolvenzordnung bestellten Gläubigerausschusses ist das Mitglied eines nach § 15 Abs. 6 GesO bestellten Gläubigerausschusses zur Kassenprüfung berechtigt und verpflichtet. Die Aufgaben der Gläubigerausschüsse und ihrer Mitglieder nach den drei genannten Verfahrensordnungen unterscheiden sich nur insoweit, als nach § 88 Abs. 2 Satz 2 KO eine Kassenprüfung zwingend mindestens einmal im Monat stattzufinden hatte; die Gesamtvollstreckungs- und die Insolvenzordnung enthalten dagegen keine Vorschrift über Mindestzeiträume. Dass Kassenprüfungen zu erfolgen haben, gilt jedoch für alle Fälle, in denen ein Gläubigerausschuss bestellt ist.

bb) Die Kassenprüfung darf sich nicht nur auf die Barbestände beschränken, sondern muss sich auch auf die Konten und Belege erstrecken. Nur so kann das Ausschussmitglied seiner Kontrollpflicht nachkommen. Die Prüfung der Kassenbelege und das Zählen des Bargelds würde für sich allein nur einen höchst unvollständigen Einblick in die geschäftliche Tätigkeit des Verwalter geben; mit Sinn und Zweck der Einsetzung eines Gläubigerausschusses zur Überwachung des Verwalters wäre das nicht zu vereinbaren (vgl. bereits BGHZ 49, 121, 123; 71, 253, 256). § 88 Abs. 1 Satz 2 KO ordnete an, dass die Mitglieder des Gläubigerausschusses die Bücher und Schriften des Verwalters einsehen konnten. Ähnlich heißt es in § 69 Satz 2 InsO, die Mitglieder des Gläubigerausschusses könnten die Bücher und Geschäftspapiere des Verwalters einsehen. Diese im Wesentlichen inhaltsgleichen Regelungen sind in die Vorschrift des § 15 Abs. 6 Satz 3 GesO hineinzulesen, wonach der Gläubigerausschuss (genauer: das einzelne Mitglied des Gläubigerausschusses) "Kontrollen vornehmen" kann.

cc) Der in der Konkurs- und in der Insolvenzordnung jeweils verwandte, auch für die Gesamtvollstreckung geltende Begriff der "Einsichtnahme" bedeutet, dass das Ausschussmitglied die erforderlichen Unterlagen dort einsieht, wo sie sich befinden. Eine Herausgabe oder Übersendung der Unterlagen ist von dem Begriff der Einsichtnahme nicht umfasst. Gleiches gilt für den Begriff der "Kontrolle", den die Gesamtvollstreckungsordnung verwendet. Auch eine Kontrolle erfolgt an Ort und Stelle. Auf der einen Seite ist das Ausschussmitglied so nicht auf diejenigen Unterlagen beschränkt, die der Verwalter ihm heraussuchen und übergeben lässt. Auf der anderen Seite ist die Aushändigung von Unterlagen an Dritte stets mit der Gefahr des Verlustes, der Manipulation oder der verzögerten Rückgabe verbunden. Auch dieser (abstrakten) Gefahr soll durch die Beschränkung auf eine bloße Gewährung von "Einsicht" in die Unterlagen unter Aufsicht des Gewahrsamsinhabers begegnet werden. Ein Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des Gläubigerausschusses ist damit nicht verbunden. Diesen bringt das Gesetz vielmehr den gleichen Vertrauensvorschuss entgegen wie dem Verwalter.

d) Anders ist allerdings dann zu entscheiden, wenn das Mitglied des Gläubigerausschusses darlegt und glaubhaft macht, dass es die Kasse dort, wo die Unterlagen verwahrt werden, nicht prüfen kann. Die Überwachung des Verwalters und insbesondere die Prüfung der Kasse ist eine gesetzliche Verpflichtung, der die Mitglieder des Gläubigerausschusses nachkommen müssen und für deren Verletzung sie gegebenenfalls einzustehen haben. Ist eine sinnvolle Erfüllung dieser Pflichten nur durch Übersendung der Unterlagen an einen anderen Ort als denjenigen der Aufbewahrung oder durch Herausgabe an das Ausschussmitglied gewährleistet, muss so verfahren werden. So liegt der vorliegende Fall jedoch nicht. In den Tatsacheninstanzen hat der Beteiligte zu 2 nie in Zweifel gezogen, dass die Kasse - wie vom Verwalter vorgeschlagen - vor Ort geprüft werden kann. Er hat vielmehr die Ansicht vertreten, dass er als Ausschussmitglied die Art und Weise der Prüfung bestimmen könne. Wohl deshalb hat er auch von der "Anordnung" einer Kassenprüfung gesprochen. Diese Ansicht trifft jedoch nicht zu. Das Gesetz geht vom Regelfall der "Einsichtnahme" aus, nicht von einer "Übersendung" oder "Herausgabe" der Bücher und Belege. Liegen keine besonderen Umstände vor, hat es dabei zu bleiben. In aller Regel wird es zu einer sinnvollen Verständigung zwischen dem Verwalter und dem Mitglied des Gläubigerausschusses über die äußeren Umstände der Kassenprüfung kommen.

Fundstelle(n):
DStR 2008 S. 679 Nr. 14
WM 2008 S. 258 Nr. 6
ZIP 2008 S. 124 Nr. 3
YAAAC-68034

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja