OFD Münster - akt. Kurzinfo ESt 1/2007

§ 46; Veranlagung von Arbeitnehmern

1. Antragsveranlagung (§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG)

§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG regelte bisher, dass der Antrag auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung bis zum Ablauf des auf den VZ folgenden zweiten Kalenderjahres durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen ist. Durch das JStG 2008 ist die Zweijahresfrist weggefallen. Nach § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG ist diese Änderung erstmals ab dem VZ 2005 anzuwenden und in Fällen, in denen über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer am Tag der Verkündigung des JStG 2008 noch nicht bestandskräftig entschieden ist.

Aufgrund der Gesetzesänderung kann die Bearbeitung vorliegender Anträge auf Durchführung einer Veranlagung, die nach Ablauf der Zweijahresfrist eingegangen sind, wieder aufgenommen werden. Dieses gilt auch für die Bearbeitung von Rechtsbehelfen, die sich gegen einen Bescheid wenden, durch den die Durchführung einer Antragsveranlagung mit der Begründung abgelehnt worden ist, dass der Antrag erst nach Ablauf der bisherigen Zweijahresfrist eingegangen ist. Dabei bittet die OFD Folgendes zu berücksichtigen:

a) Festsetzungsverjährung

Nach Wegfall der Zweijahresfrist kann der Antrag auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt werden. Diese beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 AO) und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, für das der Antrag auf Einkommensteuerveranlagung gestellt wird (§ 170 Abs. 1 AO). Der erstmalige Antrag auf Durchführung einer Veranlagung für den VZ 2003 kann somit noch bis zum gestellt werden.

Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist in Fällen, in denen eine Einkommensteuererklärung abzugeben ist, abweichend von § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Jahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Diese Regelung betrifft ausschließlich Fälle, in denen der Steuerpflichtige aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet ist oder das Finanzamt ihn zur Abgabe der Steuererklärung aufgefordert hat. Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gilt damit nicht, wenn ohne Aufforderung durch das Finanzamt eine Steuererklärung eingereicht wird, durch die der Antrag auf Einkommensteuerveranlagung gestellt wird.

Mit Beschluss vom , BStBl 2006 II S. 820, hat der BFH dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die bisherige Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG verfassungsgemäß ist (Az. 2 BvL 56/06). Im Vorlagefall hat der Steuerpflichtige, der ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hat, die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1996 erst in 2002, also nach Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist eingereicht. Unter III Nr. 2 des Beschlusses führt der BFH aus, Steuerpflichtige, die von Amts wegen zu veranlagen seien, könnten die Durchführung einer Veranlagung noch bis zum Ablauf des auf den VZ folgenden siebten Kalenderjahres erreichen, da neben der vierjährigen Festsetzungsfrist auch die höchstens drei Jahre dauernde Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zu berücksichtigen sei. Im Gegensatz dazu könnte der Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. vor dem JStG 2008 nur innerhalb von zwei Jahren nach Ablauf des VZ gestellt werden. Diese Ungleichbehandlung halte er für nicht gerechtfertigt.

Das BVerfG wird folglich auch darüber zu entscheiden haben, ob es verfassungsgemäß ist, dass die Anlaufhemmung bei Antragsveranlagungen keine Berücksichtigung findet. Die OFD bittet daher die Entscheidung über einen erstmaligen Antrag auf Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG, der formgerecht durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung nach Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist, aber innerhalb von sieben Jahren nach Ablauf des VZ gestellt worden ist, bis zur Entscheidung des BVerfG zurückzustellen.

b) Bestandskräftige Ablehnung eines Antrags auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung

Hat das Finanzamt einen Antrag auf Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG bereits abgelehnt, weil der Antrag nach Ablauf der bisherigen Zweijahresfrist eingegangen ist, und stellt der Steuerpflichtige nach Bestandskraft des Ablehnungsbescheides einen erneuten Antrag, kann diesem nicht entsprochen werden. § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2008 regelt ausdrücklich, dass § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. des JStG 2008 für VZ vor 2005 nur anzuwenden ist, wenn über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer am Tag der Verkündigung des JStG 2008 noch nicht bestandskräftig entschieden ist.

Wird ein erneuter Antrag auf Einkommensteuerveranlagung unter Hinweis auf das o.g. Verfahren vor dem BVerfG gestellt, liegen die Voraussetzungen zur Durchbrechung der materiellen Bestandskraft des ablehnenden Verwaltungsakts gemäß §§ 172 ff AO in der Regel nicht vor. Zweifelhaft ist aber, ob der betroffene Steuerpflichtige unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides hinnehmen muss oder ob ihm – ungeachtet der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides – ein erneutes Antragsrecht einzuräumen ist. Die obersten Finanzbehörden werden diese Frage erst erörtern, wenn das BVerfG entscheidet, dass die Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen die auf Antrag veranlagt werden, gegenüber Steuerpflichtigen, die von Amts wegen veranlagt werden, verfassungswidrig ist. Die OFD bittet daher die Entscheidung über entsprechende Anträge, die innerhalb von sieben Jahren nach Ablauf des VZ gestellt werden, bis auf weiteres zurückzustellen. Der jeweilige Antrag muss allerdings formgerecht, d.h. durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung gestellt worden sein.

2. Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG

§ 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.d.F. vor dem JStG 2007 regelte, dass eine Pflichtveranlagung u.a. durchzuführen ist, wenn die Summe der steuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach §§ 13 Abs. 3 und 24a EStG mehr als 410 € beträgt.

Mit und , hat der BFH entschieden, dass die Voraussetzungen für eine Pflichtveranlagung auch dann erfüllt sind, wenn die Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfenden Einkünfte negativ ist und der Verlust 410 € übersteigt. Durch das JStG 2007 wurde § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zur Klarstellung dahingehend geändert, dass die Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Einkünfte positiv sein muss. Diese Änderung ist nach § 52 Abs. 55j EStG i.d.F. des JStG 2007 auch für Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden.

Die Gesetzesänderung wird ggf. auch bei der Entscheidung des noch anhängigen Revisionsverfahrens VI R 63/06 zu berücksichtigen sein, in dem strittig ist, ob für einen Arbeitnehmer, der die Einkommensteuererklärung 2000 erst im fünften Jahr nach Ablauf des Veranlagungszeitraums beim Finanzamt eingereicht hat, auch dann eine Pflichtveranlagung durchzuführen ist, wenn die Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfenden Einkünfte negativ ist und der Verlust 410 € übersteigt (in diesem Fall würde beim Bestehen einer Steuererklärungspflicht die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO eingreifen).

Beantragt ein Arbeitnehmer mit Verlusten aus Einkünften, die nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegen, nach Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist unter Hinweis auf die die Durchführung einer Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, ist der Antrag unter Hinweis auf den geänderten Gesetzeswortlaut und den Ablauf der Festsetzungsfrist abzulehnen.

Einsprüche gegen die Ablehnungsbescheide, die unter Hinweis auf das BFH-Verfahren VI R 63/06 oder das vor dem BVerfG anhängige Verfahren 2 BvL 56/06 eingelegt werden, ruhen nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO kraft Gesetzes.

OFD Münster v. - akt. Kurzinfo ESt 1/2007

Fundstelle(n):
FAAAC-66805