BFH Urteil v. - I R 54/06 BStBl 2018 II S. 694

Zeitliche Zuordnung von Steueranrechnungsbeträgen; Bindung des Finanzamts an eine vorausgegangene Anrechungsverfügung beim Erlass eines Abrechnungsbescheides

Leitsatz

Hat das Finanzamt eine im Jahr 1993 erfolgte Gewinnausschüttung den Einkünften des Anteilseigners aus Land- und Forstwirtschaft zugeordnet und deshalb die entsprechende Einnahme zur Hälfte im Einkommensteuerbescheid 1992 erfasst, so müssen auch die anfallenden Steueranrechnungsbeträge (Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer) zur Hälfte auf die Einkommensteuer 1992 angerechnet werden. Das gilt auch dann, wenn jene Beträge bereits vollen Umfangs auf die Einkommensteuer 1993 angerechnet worden sind.

Gesetze: EStG 1990 § 36 Abs. 2 Nrn. 2 und 3AO § 130 Abs. 1 und 2AO § 218 Abs. 2

Instanzenzug: (EFG 2006, 1716) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr (1992) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger ist Landwirt und ermittelt seinen Gewinn gemäß § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1990) durch Vermögensvergleich. Zum Betriebsvermögen seines landwirtschaftlichen Betriebs, dessen Wirtschaftsjahr jeweils am 1. Juli eines Kalenderjahres beginnt und am 30. Juni des Folgejahres endet, gehört eine Beteiligung an einer GmbH.

Die GmbH bescheinigte dem Kläger zunächst Ausschüttungen in Höhe von 115 810,94 DM, die im Mai 1992 ausgezahlt wurden. Diese Ausschüttungen wurden im ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erklärungsgemäß als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst. Die von der GmbH bescheinigten anrechenbaren Beträge (Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Kapitalertragsteuer) wurden auf die Einkommensteuer des Streitjahres angerechnet.

Im Anschluss an eine Außenprüfung rechnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Ausschüttungen den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zu. Zudem ergab die Außenprüfung Änderungen im Zusammenhang mit verdeckten Gewinnausschüttungen der GmbH an den Kläger. Daraufhin erging am ein geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem alle im Wirtschaftsjahr 1991/92 erfolgten Ausschüttungen jeweils zur Hälfte als Einnahmen aus Land- und Forstwirtschaft erfasst waren. Die anrechenbaren Steuern und Nebenabgaben wurden ebenfalls nur zur Hälfte auf die Einkommensteuer des Streitjahres angerechnet. Dies führte zu einer Verminderung der Anrechnungsbeträge um [83 384 DM ./. 73 276 DM =] 10 108 DM (Körperschaftsteuer), [2 779,46 DM ./. 2 084,60 DM =] 694,86 DM (Solidaritätszuschlag) und [37 060 DM ./. 27 795 DM =] 9 265 DM (Kapitalertragsteuer).

Im Wirtschaftsjahr 1992/93 hatte der Kläger erneut Ausschüttungen der GmbH erhalten. Diese wurden ebenfalls als Einnahmen aus Kapitalvermögen erklärt und daraufhin zunächst in vollem Umfang im Einkommensteuerbescheid 1993 erfasst. Im Anschluss an die Außenprüfung ordnete das FA sie jedoch ebenfalls den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft zu, weshalb es sie zur Hälfte in einem geänderten Steuerbescheid für das Streitjahr berücksichtigte. Die andere Hälfte der Ausschüttungen erfasste das FA im Einkommensteuerbescheid 1993; die auf die Ausschüttungen im Wirtschaftsjahr 1992/93 entfallenden Anrechnungsbeträge rechnete es jedoch weiterhin in voller Höhe auf die Einkommensteuer 1993 an.

Die Kläger legten gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr Einspruch ein und beantragten zunächst, die anrechenbaren Steuern und Nebenabgaben aus dem Wirtschaftsjahr 1991/92 in vollem Umfang auf die Einkommensteuer des Streitjahres anzurechnen. Das FA wertete den Einspruch als Antrag auf Erlass eines Abrechnungsbescheids gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) und erließ einen solchen Bescheid, in dem es dem Begehren der Kläger nicht folgte. Die Kläger fochten den Abrechnungsbescheid mit Einspruch und Klage an; im Klageverfahren beantragten sie, den Bescheid dahin zu ändern, dass die auf das Wirtschaftsjahr 1992/93 entfallenden anrechenbaren Steuern (Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer) zur Hälfte auf die Einkommensteuer des Streitjahres angerechnet würden. Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) gab der Klage durch Urteil vom   11 K 12314/02 statt; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1716 abgedruckt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des FA auf.

1. Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1990 wird auf die Einkommensteuer die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. Zu den hiernach anrechenbaren Steuern zählt u.a. die gemäß § 43 Abs. 1 EStG 1990 erhobene Kapitalertragsteuer. Ferner bestimmt § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1990, dass unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmtem Umfang die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft auf die Einkommensteuer angerechnet wird. Um die hiernach vorzunehmenden Anrechnungen geht es im Streitfall.

2. Sowohl die Körperschaftsteuer als auch die Kapitalertragsteuer können nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur insoweit auf die Einkommensteuer angerechnet werden, als sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfallen (, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362). Daraus folgt in zeitlicher Hinsicht, dass die Anrechnung auf die Steuer desjenigen Veranlagungszeitraums bezogen werden muss, in dem die entsprechenden Einkünfte im Steuerbescheid angesetzt worden sind (Senatsurteil vom I R 110/97, BFH/NV 1998, 581; Gosch in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., § 36 Rz 46, m.w.N.). Hingegen setzt speziell die Anrechnung einer Körperschaftsteuer nach der im Streitfall maßgeblichen Gesetzesfassung nicht voraus, dass die anzurechnende Steuer selbst im Einkommensteuerbescheid als Einnahme erfasst ist (vgl. dazu Senatsurteil vom I R 72/04, BFH/NV 2006, 925, m.w.N.).

3. Im Streitfall hat das FG festgestellt, dass das FA die in Rede stehenden Ausschüttungen den Einkünften des Klägers aus Land- und Forstwirtschaft zugerechnet und auf dieser Basis —der Regel des § 4a Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 EStG 1990 entsprechend— im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr die Hälfte der Ausschüttungsbeträge als Einnahmen des Klägers berücksichtigt hat. Diese Feststellung ist nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und deshalb revisionsrechtlich bindend (§ 118 Abs. 2 FGO). Die übrigen Voraussetzungen für eine Steueranrechnung, namentlich die vom Gesetz geforderten Steuerbescheinigungen der GmbH, liegen nach den bindenden Feststellungen des FG ebenfalls vor. Angesichts dessen ist, dem Verhältnis bei der Aufteilung der Einnahmen entsprechend, die Hälfte der bescheinigten Anrechnungsbeträge auf die Einkommensteuer des Streitjahres anzurechnen.

4. Der hiernach materiell-rechtlich gebotenen Anrechnung stehen die vom FA erlassenen Anrechnungsverfügungen nicht entgegen. In diesem Zusammenhang muss nicht auf die streitige Frage eingegangen werden, ob eine bestandskräftige Anrechnungsverfügung gegenüber einem nachfolgenden Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) Bindungswirkung entfalten kann (so , BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405; vom VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787, m.w.N.; einschränkend , BFHE 208, 404, BStBl II 2005, 457; verneinend , BFHE 171, 397, BStBl II 1993, 836; vom I R 123/91, BFHE 170, 573, BStBl II 1994, 147). Denn auch wenn man die Möglichkeit einer Bindungswirkung im Grundsatz bejaht, besteht eine solche jedenfalls im Streitfall nicht. Die Anrechnungsverfügung für 1993 kann —worauf die Kläger zu Recht hinweisen— schon deshalb keine verbindliche Regelung zur Anrechnung auf die Einkommensteuer des Streitjahres beinhalten, weil sie diese Frage gar nicht betrifft. Aber auch auf die —auf die ursprünglich festgesetzte Steuer bezogene— das Streitjahr betreffende Anrechnungsverfügung kann sich das FA nicht mit Erfolg berufen:

a) Bei dem Erlass eines Abrechnungsbescheids ist das FA jedenfalls dann nicht an eine vorausgegangene Anrechnungsverfügung gebunden, wenn es diese nach den hierfür geltenden Regeln beseitigen könnte. Das gilt u.a. dann, wenn die Anrechnungsverfügung rechtswidrig ist und die in § 130 AO bestimmten Voraussetzungen für ihre Rücknahme vorliegen (Senatsurteil vom I R 42/05, BFH/NV 2007, 404).

b) Im Streitfall haben die Kläger gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr Einspruch eingelegt und diesen mit Einwendungen gegen die Anrechnung begründet. Angesichts dessen hat das FA zwar zu Recht einen Abrechnungsbescheid erlassen. Zugleich verbietet es sich vor diesem Hintergrund aber, die mit dem angefochtenen Bescheid verbundene Anrechnungsverfügung als bestandskräftig und deshalb als im Abrechnungsverfahren bindend anzusehen. Selbst wenn die Bindungswirkung einer Anrechnungsverfügung im Grundsatz zu bejahen wäre, könnte Maßstab der insoweit anzustellenden Prüfung nur diejenige Verfügung sein, die an den —augenscheinlich nicht angefochtenen— ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr anschloss.

Diese Verfügung ist —zumindest aus heutiger Sicht— zum einen insoweit fehlerhaft, als sie nicht diejenigen Anrechnungsbeträge erfasst, die aus den Ausschüttungen im Wirtschaftsjahr 1992/93 resultieren und dem Streitjahr zuzuordnen sind; die vorgenommenen Anrechnungen sind insoweit um 25 869,24 DM (Körperschaftsteuer) und 6 733,94 DM (Kapitalertragsteuer) zu niedrig. Zugleich sind dort im Zusammenhang mit den Ausschüttungen im Wirtschaftsjahr 1991/92 um 10 108 DM (Körperschaftsteuer) und 9 265 DM (Kapitalertragsteuer) überhöhte Anrechnungen erfasst, wodurch der Fehler aber nicht vollständig ausgeglichen wird. Im Ergebnis ist die genannte Anrechnungsverfügung daher rechtswidrig. Deshalb hätte das FA sie, wenn sie eine bestandskraftfähige Regelung beinhalten sollte, nach § 130 Abs. 1 AO zurücknehmen dürfen.

c) Dem steht § 130 Abs. 2 AO nicht entgegen. Denn diese Vorschrift greift nicht ein, wenn es —wie im Streitfall— um die Rücknahme einer zum Nachteil des Steuerpflichtigen rechtswidrigen Anrechnungsverfügung geht. In einem solchen Fall richten sich die Voraussetzungen für die Rücknahme, wenn und soweit die Anrechnungsverfügung als Verwaltungsakt anzusehen ist, nach § 130 Abs. 1 AO (BFH-Urteil in BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405, 407 f.; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 130-133 Rz 19 AO; Seibel in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz, § 36 EStG Rz 7; Becker, Deutsche Steuer-Zeitung 1999, 933, 934 f.; ähnlich Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 130 AO Rz 11, m.w.N.). Ob im Hinblick auf die maßgebliche Anrechnungsverfügung eine der in § 130 Abs. 2 AO genannten Voraussetzungen vorliegt, muss deshalb nicht erörtert werden; selbst wenn diese Frage zu verneinen ist, hindert die Verfügung nicht den von den Klägern begehrten Ansatz der Anrechnungsbeträge im Abrechnungsverfahren. Aus demselben Grund ist § 130 Abs. 3 AO im Streitfall ohne Belang.

5. Schließlich muss auch der Hinweis der Revision auf den Grundsatz von Treu und Glauben ohne Erfolg bleiben. Zwar führt die Anrechnung der streitigen Beträge auf die Einkommensteuer des Streitjahres, nachdem dieselben Beträge bereits auf die Einkommensteuer 1993 angerechnet worden sind, im Ergebnis zu einer fehlerhaften doppelten Begünstigung der Kläger. Allein daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die Kläger nach Treu und Glauben an der Verfolgung ihres Anrechnungsanspruchs gehindert wären. Ebenso hat das FG nicht festgestellt, dass die Kläger in einer Weise auf die Anrechnung auf die Einkommensteuer 1993 hingewirkt hätten, die eine Durchsetzung dieses Anspruchs als treuwidrig erschienen ließe; dass sie in ihrer Einkommensteuererklärung 1993 die in Rede stehenden Beträge als in vollem Umfang anrechenbar bezeichnet haben, reicht dafür ebenso wenig aus wie der Umstand, dass sie während der Außenprüfung und zunächst auch im nachfolgenden Schriftwechsel das Vorgehen des FA nicht beanstandet haben. Der entscheidende Fehler liegt letztlich darin, dass im Anschluss an die Außenprüfung zwar die Ausschüttungen —abweichend von der Einkommensteuererklärung für 1993— als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft behandelt und daraufhin anteilig dem Streitjahr zugeordnet, die sich daraus ergebenden Folgerungen für das Anrechnungsverfahren aber nicht gezogen worden sind. Dieser Fehler ist auch dann, wenn das beschriebene Vorgehen —den Feststellungen des FG entsprechend— „auf einer zwischen dem FA und der Steuerberaterschaft vereinbarten Praxis” beruht, eher dem FA als den Klägern zuzurechnen. Die doppelte Begünstigung der Kläger könnte daher nur im Rahmen einer Änderung der Anrechnungsverfügung für 1993 beseitigt werden, über deren Zulässigkeit hier aber nicht zu befinden ist.

Fundstelle(n):
BStBl 2018 II Seite 694
BB 2008 S. 19 Nr. 1
BB 2008 S. 431 Nr. 9
BStBl II 2018 S. 694 Nr. 17
DB 2008 S. 165 Nr. 4
DStRE 2008 S. 279 Nr. 5
EStB 2008 S. 49 Nr. 2
FR 2008 S. 324 Nr. 7
GmbHR 2008 S. 106 Nr. 2
HFR 2008 S. 213 Nr. 3
KÖSDI 2008 S. 15847 Nr. 1
KÖSDI 2008 S. 15927 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 1/2008 S. 17
StB 2008 S. 3 Nr. 1
StBW 2008 S. 2 Nr. 2
StuB-Bilanzreport Nr. 1/2008 S. 36
VAAAC-66240