BGH Urteil v. - I ZR 161/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GeschmMG § 1 a.F.; GeschmMG § 1 Abs. 2 a.F.

Instanzenzug: LG Düsseldorf 34 O 105/03 vom OLG Düsseldorf I-20 U 34/04 vom

Tatbestand

Die Klägerin und die Beklagte zu 1 sind Wettbewerber bei der Herstellung und dem Vertrieb von Decksteinen aus Schiefer für Fassaden- und Dacheindeckungen. Der Beklagte zu 2 war Geschäftsführer der Beklagten zu 1.

Die Klägerin ist Inhaberin der am angemeldeten und am unter der Nr. 49807218 für "Fassaden- oder Dacheindeckungsplatten" eingetragenen und nachfolgend abgebildeten Geschmacksmuster

F.1 7/98

und

F.2 7/98

Die Klägerin ist weiter Inhaberin der am angemeldeten und am unter der Nr. 49808495 für "Fassaden- oder Dacheindeckungsplatten" eingetragenen und nachfolgend abgebildeten Geschmacksmuster

Flos 13.8/98

und

Flos 16.8/98

Seit Ende 1998/Anfang 1999 vertreibt die Klägerin im Inland mustergemäße Schieferplatten unter der eingetragenen Marke "WARIO".

Es gibt verschiedene Arten, ein Dach mit Schiefer einzudecken, so die Altdeutsche Deckung, die Schuppenschablonendeckung und die Bogenschnittdeckung, jeweils mit zahlreichen Varianten. Dazu werden unterschiedlich gestaltete Decksteine verwendet. Vor der Anmeldung der Muster der Klägerin gab es u.a. die sog. Schuppenschablone

(rechte Schuppe)

und die sog. Bogenschnittschablone

(Bogenschnittschablone rechts)

Bei der Bogenschnittschablone läuft eine der Seitenkanten in einem

asymmetrischen Bogen, dem sog. Bogenschnitt, aus.

Die Schuppenschablone wird seit etwa 1850, die Bogenschnittschablone seit etwa 1980 (aus Asbestzement seit 1950) verwendet. Bei der Deckung mit diesen Steinen werden für die Rechtsdeckung und die Linksdeckung unterschiedlich gestaltete Decksteine benötigt und zwar jeweils in einer auf diese Deckrichtung ausgerichteten Gestaltung. Die mustergemäßen Decksteine können dagegen wegen ihrer symmetrischen Form sowohl für die Rechts- als auch für die Linksdeckung verwendet werden.

Die Beklagten bringen Schieferplatten, die den Klagegeschmacksmustern ähnlich sind, unter der Bezeichnung "Multiform" in den Verkehr. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagten dadurch ihre Rechte aus den eingetragenen Geschmacksmustern verletzt und wettbewerbswidrig gehandelt haben. Sie hat deshalb auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Vernichtung und Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten geklagt. Vor dem Landgericht hat die Klägerin zudem Ansprüche wegen Verletzung eines international registrierten Geschmacksmusters in Spanien geltend gemacht.

Die Beklagten haben vorgetragen, die eingetragenen Muster seien am Tag ihrer Anmeldung nicht schutzfähig gewesen, da sie weder neu noch eigentümlich seien. Die von ihnen vertriebenen Decksteine seien zudem von den Decksteinen der Klägerin nicht nur in optischer, sondern auch in technischer Hinsicht vollkommen verschieden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin beantragt,

I. die Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, Schieferplatten, die nach Maßgabe nachfolgender Abbildungen folgende Gestaltungsmerkmale aufweisen:

(1) die Schieferplatte weist im Wesentlichen die Grundform eines Vierecks auf;

(2) diese Grundform ist als Quadrat (für die Deckung im Rundbogen-Format) oder als Rhombus (für die Deckung im Schablonen-Format) ausgebildet;

(3) eine der Ecken des Vierecks ist mittig als die Rundung eines kreisförmigen Segments ausgebildet (Eckabrundung);

(4) die Eckabrundung ist symmetrisch zu einer gedachten winkelhalbierenden Diagonalen angeordnet;

a) vorzugsweise für die Schablonen-Deckung

(aa)

und/oder

(bb)

und/oder

(cc)

und/oder

b) vorzugsweise für die Rundbogen-Deckung

(aa)

und/oder

(bb)

und/oder

(cc)

in Deutschland herzustellen oder herstellen zu lassen und/oder die in Deutschland hergestellten Schieferplatten zu bewerben, anzubieten oder in den Verkehr zu bringen oder bewerben, anbieten oder in den Verkehr bringen zu lassen;

hilfsweise im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in Deutschland zu bewerben, anzubieten oder in den Verkehr zu bringen oder bewerben, anbieten oder in den Verkehr bringen zu lassen;

2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die vorstehend unter Ziffer I 1 bezeichneten Handlungen seit dem begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und -zeiten, der in eigenen oder fremden Räumen gelagerten Mengen sowie - im Falle der Lieferung von Spanien nach Deutschland - der Mengen der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen, Qualitäten, Größen usw.) sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen (und ggf. Typenbezeichnungen, Qualitäten, Größen usw.) sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung (einschließlich Bemusterungen), aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, Auflagen und Stückzahlen pro Auflage pro Werbeträger, nach Verbreitungszeiten und Verbreitungsgebieten,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten rein produktbezogenen Gestehungskosten und des erzielten Gewinns;

3. die im Eigentum oder im (auch mittelbaren) Besitz der Beklagten befindlichen, vorstehend unter Ziffer I 1 bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben;

II. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu erstatten, welcher der Klägerin durch die vorstehend unter Ziffer I 1 bezeichneten, von den Beklagten seit dem begangenen Handlungen entstanden ist und/oder künftig noch entstehen wird.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Mit ihrer (vom Senat zugelassenen) Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat die Klage als unbegründet angesehen. Dazu hat es ausgeführt:

Der Klägerin stünden keine Ansprüche aus Geschmacksmusterrecht zu, weil ihre Klagegeschmacksmuster nach dem insoweit noch anzuwendenden Geschmacksmustergesetz in dessen früherer Fassung nicht schutzfähig seien. Bei der Prüfung der Schutzfähigkeit der Muster sei auf das Erscheinungsbild der einzelnen Muster, also des einzelnen Decksteins, abzustellen. Es sei bereits fraglich, ob die symmetrische Gestaltungsform der Muster im Anmeldezeitpunkt neu gewesen sei. Jedenfalls fehle es den Mustern an der erforderlichen Eigentümlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F. Die symmetrische Form der Decksteine habe gestalterisch auf der Hand gelegen. Die althergebrachten Decksteine wiesen traditionell und grundsätzlich asymmetrische Krümmungen auf, die seitlich ausgebildet seien und sich je nach Deckrichtung an der linken oder rechten Längsseite des Decksteins befänden. Dieser Bogenschnitt führe bei den einzelnen Decksteinen zu wenig ansprechenden, "gequält" wirkenden Formen, bei denen schon die zeichnerische Darstellung kompliziert sei. Das traditionelle Vorherrschen dieser in Bezug auf den einzelnen Stein ästhetisch unbefriedigenden Formen lasse sich nur dadurch erklären, dass sie als technisch notwendig angesehen worden seien, um bestimmte Verlegeergebnisse zu erreichen. Technische Erfordernisse, die sich etwa aus den Besonderheiten des Schiefergesteins ergeben haben könnten, seien aber jedenfalls seit langem entfallen. Die herkömmlichen Gestaltungen provozierten geradezu die Frage, weshalb nicht einfach symmetrische Formen wie Quadrat oder Rhombus mit jeweils einer abgerundeten Ecke verwendet würden, wie sie die Klägerin "erfunden" haben wolle. Das gelte umso mehr, wenn ein symmetrischer Deckstein auch große technische Vorteile habe, weil er sich sowohl für die Linksdeckung als auch für die Rechtsdeckung und die Deckung "nach unten" eigne. Die R. KG, die Marktführerin sei, habe zudem schon im Jahr 1986 Schieferdecksteine in Form sog. Rechteck-Schablonen angeboten. Der gestalterische Schritt von einem solchen Rechteck zum Quadrat als Sonderform des Rechtecks wie bei den Klagegeschmacksmustern sei außerordentlich gering, zumal wenn dadurch auch technische Vorteile erzielt werden könnten. Der angegriffene "Multiform"-Stein entspreche zudem in seiner Gestaltung einem im Verhältnis zu den Klagegeschmacksmustern prioritätsjüngeren Gebrauchsmuster. Habe aber für die symmetrische Gestaltung der Decksteine wegen ihrer technischen Vorzüge ein technisches Schutzrecht erlangt werden können, dann liege sie auch aus technischen Gründen ausgesprochen nahe.

Die Klägerin könne ihre Klage auch nicht auf Ansprüche aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz stützen.

II. Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klagegeschmacksmuster nicht schutzfähig seien.

1. Die Schutzfähigkeit von Geschmacksmustern, die wie die Klagegeschmacksmuster vor dem eingetragen worden sind, beurteilt sich noch nach dem Geschmacksmustergesetz in seiner vor dem Inkrafttreten des Geschmacksmusterreformgesetzes vom (BGBl. I S. 390) am geltenden Fassung (§ 66 Abs. 2 Satz 1 GeschmMG; vgl. , GRUR 2005, 600, 603 = WRP 2005, 878 - Handtuchklemmen).

2. Gegenstand der eingetragenen Muster der Klägerin ist jeweils die Gestaltung einzelner Decksteine als Fassaden- oder Dacheindeckungsplatten. Diese Gestaltungen sind geschmacksmusterfähig im Sinne des § 1 GeschmMG a.F., da sie sich auf selbständig verkehrsfähige Erzeugnisse beziehen, die bestimmt und geeignet sind, auf den Formen- und Farbensinn des Betrachters zu wirken (vgl. , GRUR 1987, 518, 519 - Kotflügel). Die betreffenden Erzeugnisse sind nicht Zwischenfabrikate, sondern Endprodukte, die gerade auch im Hinblick auf ihre besondere Gestaltung erworben werden und im Verlegeverbund mit anderen in verschiedener Weise verwendet werden können. Der Umstand, dass die Fassaden- oder Dacheindeckungsplatten nicht bereits für sich allein auf den Geschmackssinn wirken, sondern ihre eigene ästhetische Wirkung in einem Verlegeverbund entfalten sollen, steht der Musterfähigkeit nicht entgegen (vgl. dazu auch BGH GRUR 1987, 518, 519 - Kotflügel; Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 2. Aufl. 1997, § 1 Rdn. 12).

3. Die Schutzfähigkeit der Muster ist allein danach zu beurteilen, welchen ästhetischen Gehalt die hinterlegten Abbildungen erkennbar machen (vgl. , GRUR 1996, 767, 769 - Holzstühle; Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 1 Rdn. 20, jeweils m.w.N.). Auf die besonderen Verlegebilder, die durch Verlegung von mustergemäßen Decksteinen als Fassaden- oder Dacheindeckungsplatten erreicht werden können, kommt es für die Beurteilung der Schutzfähigkeit der Muster nicht an. Das entstehende Verlegebild hängt zudem nicht nur von der Form des Steins, sondern auch von der jeweiligen Art der Verlegung ab. Aus dieser ergibt sich auch, ob und gegebenenfalls in welcher Weise Teile der mustergemäßen Decksteine verdeckt werden.

4. Für die Beurteilung, ob ein Muster neu im Sinne des § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F. ist, kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob seine Form als solche - etwa als geometrische Form - schon vor dem Anmeldezeitpunkt bekannt war. Entscheidend ist vielmehr, ob und welche Gestaltungen gerade auf dem in Rede stehenden Gebiet vorhanden gewesen sind (vgl. , GRUR 1976, 261, 263 - Gemäldewand). Als vorbekannte Formen sind - entgegen der Ansicht der Revision - auch die in der Preisliste der R. KG aus dem Jahr 1986 angebotenen Decksteine für die "Spezial-Wabendeckung" und die sog. Rechteck-Schablonen zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht ist zu Recht von dem entsprechenden Vorbringen der Beklagten ausgegangen, weil es unstreitig war (vgl. BGHZ 161, 138, 141 ff.). Diese Gestaltungen weichen aber erheblich von den Gestaltungen der Klagegeschmacksmuster ab. Die Beklagten haben nicht dargetan, dass jeweils die Kombination sämtlicher für den Gesamteindruck der Klagegeschmacksmuster bestimmender Gestaltungselemente auf dem Gebiet der Fassaden- und Dacheindeckungsplatten vorbekannt gewesen ist. Die Rügen der Revisionserwiderung, wonach das Berufungsgericht zu Unrecht vorbekannte Gestaltungen nicht berücksichtigt habe, hat der Senat geprüft und als nicht durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO).

5. Die eingetragenen Muster haben entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch die erforderliche Eigentümlichkeit.

a) Ein Muster oder Modell ist eigentümlich im Sinne des § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F., wenn es in den für die ästhetische Wirkung maßgebenden Merkmalen als das Ergebnis einer eigenpersönlichen, form- oder farbenschöpferischen Tätigkeit erscheint, die über das Durchschnittskönnen eines Mustergestalters mit der Kenntnis des betreffenden Fachgebiets hinausgeht (vgl. , GRUR 1975, 81, 83 - Dreifachkombinationsschalter; Urt. v. - I ZR 68/75, GRUR 1977, 547, 549 f. - Kettenkerze; vgl. weiter Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 1 Rdn. 32; Nirk/Kurtze, Geschmacksmustergesetz, 2. Aufl., § 1 Rdn. 159). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Gestaltung ein künstlerischer Wert zugesprochen werden kann (vgl. , GRUR 2001, 503, 505 = WRP 2001, 946 - Sitz-Liegemöbel).

b) Die Prüfung der Eigentümlichkeit und ihres Grades ist - anders als die Prüfung der Neuheit - nicht durch einen Einzelvergleich des Klagemusters mit Entgegenhaltungen vorzunehmen, sondern durch einen Gesamtvergleich mit den vorbekannten Formgestaltungen (vgl. BGH GRUR 2001, 503, 505 - Sitz-Liegemöbel, m.w.N.). Nur durch einen solchen Vergleich mit der (gerade) auf dem betreffenden Gebiet geleisteten formgestalterischen Vorarbeit in ihrer Gesamtheit und in Verbindung mit den zur Verfügung stehenden freien Formen lässt sich feststellen, ob ein Muster einen schöpferischen Gehalt aufweist, wie er für den Geschmacksmusterschutz erforderlich ist, und welcher - den Schutzumfang bestimmender - Eigentümlichkeitsgrad erreicht ist (vgl. BGH GRUR 1996, 767, 769 - Holzstühle, m.w.N.). Der Gesamtvergleich muss ausgehen von der Feststellung des Gesamteindrucks des Musters und der Gestaltungsmerkmale, auf denen dieser Gesamteindruck beruht.

c) Für die Beurteilung, welchen ästhetischen Gesamteindruck ein Muster oder Modell macht und durch welche Eigenschaften dieser Gesamteindruck bestimmt wird, ist die Auffassung des für geschmackliche und ästhetische Fragen aufgeschlossenen und mit ihnen einigermaßen vertrauten Durchschnittsbetrachters maßgebend (vgl. BGH GRUR 2001, 503, 505 - Sitz-Liegemöbel, m.w.N.). Für den Vergleich des so ermittelten ästhetischen Gesamteindrucks des Musters oder Modells mit den vorbekannten Formgestaltungen kommt es jedoch nicht darauf an, welche Kenntnis ein Durchschnittsbetrachter von dem bereits vorhandenen Formenschatz besitzt. Entscheidend ist vielmehr - wie bei der Beurteilung der Frage der Neuheit des Musters oder Modells -, welche Formgestaltungen bei den inländischen Fachkreisen als bekannt anzusehen sind; denn von deren Durchschnittskönnen und Durchschnittswissen soll sich das Muster oder Modell durch seine schöpferische Eigentümlichkeit abheben (vgl. BGH GRUR 1977, 547, 550 - Kettenkerze).

d) Der Senat kann im Streitfall die Frage der Eigentümlichkeit von sich aus beurteilen, da die Klagegeschmacksmuster und der (substantiiert) entgegengehaltene Formenschatz zum unstreitigen Sachverhalt gehören (vgl. , GRUR 1998, 379, 381 = WRP 1998, 406 - Lunette, m.w.N.).

e) Der ästhetische Gesamteindruck der Muster wird maßgeblich durch das Zusammenspiel von zwei Gestaltungselementen geprägt. Zum einen weisen die Steine die Grundform eines gleichseitigen Vierecks (in Form eines Rhombus bzw. Quadrats) auf, dessen eine Ecke abgerundet ist (sog. Eckabrundung). Zum anderen bilden diese Eckabrundungen den Ausschnitt eines Kreisbogens. Die Rundung verläuft dementsprechend symmetrisch zu einer gedachten eckhalbierenden Diagonalen (sog. symmetrische Eckabrundung). Die Kombination dieser Elemente verleiht dem Gesamtbild der Decksteine jeweils einen symmetrisch-gleichförmigen und damit harmonischen Eindruck.

f) Der Gesamtvergleich der Muster mit den vorbekannten Decksteingestaltungen ergibt, dass der von Symmetrie geprägte Gesamteindruck der Muster eigentümlich ist. Die vorbekannten Decksteine weisen jeweils nur einzelne der Merkmale auf, die für den Gesamteindruck der Muster prägend sind. Sie haben, soweit sie nicht einfach die Form eines Quadrats oder Rhombus haben, durchweg gerade kein symmetrisches und zugleich ausgewogenes Erscheinungsbild. Dies gilt nicht nur für herkömmliche Decksteine wie die sog. Bogenschnittschablone, sondern auch für die in der Preisliste der R. KG aus dem Jahr 1986 angebotenen Decksteine. Die "Spezial-Wabendeckung", der eine quadratische Grundform zugrunde liegt, weist keine Eckabrundung auf, sondern nur eine "abgeschnittene" Ecke. Die beiden sog. Rechteck-Schablonen haben zwar (rechts bzw. links) eine Eckabrundung, aber die Form eines Rechtecks. Ihre Eckabrundung ist dementsprechend nicht symmetrisch zu einer winkelhalbierenden Diagonale ausgerichtet. Die Rechteck-Schablonen vermitteln daher nicht den symmetrischen und ausgewogenen Eindruck der Klagegeschmacksmuster.

g) Der Umstand, dass die Gestaltung der Muster mit technischen Vorteilen verbunden ist, hindert nicht, den Mustern Eigentümlichkeit beizumessen. Die Schutzfähigkeit nach § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F. ist nur ausgeschlossen, soweit es sich um Formgestaltungen handelt, die objektiv ausschließlich technisch bedingt sind. Der Geschmacksmusterfähigkeit steht bei einem Gebrauchszwecken dienenden Erzeugnis nicht entgegen, dass seine Gestaltung in dem maßgeblichen Merkmal zugleich oder sogar in erster Linie dem Gebrauchszweck dient und ihn fördert, der ästhetische Gehalt demnach in die ihrem Zweck gemäß gestaltete Gebrauchsform eingegangen ist (vgl. , GRUR 1981, 269, 271 - Haushaltsschneidemaschine II, mit Anm. Gerstenberg; BGH GRUR 2005, 600, 603 - Handtuchklemmen, m.w.N.).

Die mustergemäßen Decksteine weisen gegenüber Decksteinen mit anderen Formen unstreitig den Vorteil der vielseitigen Verwendbarkeit auf. So werden z.B. bei der sog. Bogenschnittdeckung für die Rechtsdeckung und die Linksdeckung eines Daches zwei verschiedene Decksteine benötigt, rechte Decksteine mit dem Bogenschnitt an der linken Längsseite und linke Decksteine mit dem Bogenschnitt an der rechten Längsseite. Mustergemäße Decksteine können demgegenüber sowohl für die Rechtsdeckung als auch für die Linksdeckung und die Deckung "nach unten" verwendet werden. Diesen technischen Vorteil besitzen jedoch neben Decksteinen in der Form eines Quadrats oder Rhombus unstreitig auch Decksteine für die sog. Wabendeckung. Dies sind Decksteine mit einer quadratischen Grundform, bei der eine der vier Ecken unter einem Winkel von etwa 45° zu den angrenzenden Kanten abgeschnitten ist. Die mustergemäßen Decksteine besitzen allerdings den weiteren Vorteil, dass mit ihnen - wie mit den sog. Bogenschnittformen - ein Verlegebild erreicht werden kann, das sich durch eine geschwungene, "wellige" Linienführung auszeichnet. Dies ist aber kein technischer, sondern ein ästhetischer Vorteil beim Einsatz der mustergemäßen Decksteine.

h) Aus der Sicht des für geschmackliche und ästhetische Fragen aufgeschlossenen und damit einigermaßen vertrauten Durchschnittsbetrachters weisen die Muster der Klägerin im Vergleich zu den auf dem Gebiet der Fassaden- und Dacheindeckungsplatten vorbekannten Formen einen deutlich abweichenden Gesamteindruck auf. Bei nicht nur oberflächlicher Betrachtung fällt im Vergleich zu den vorbekannten Formen der symmetrisch-gleichförmige und damit harmonische Eindruck auf. Ein Durchschnittsbetrachter ohne Kenntnisse von dem besonderen Sachgebiet hätte allerdings kaum erkannt, dass diese Formen für Fassaden- und Dacheindeckungsplatten zur Zeit der Anmeldung ungewöhnlich waren. Dies ist jedoch für die Beurteilung der Eigentümlichkeit ohne Bedeutung, da es dabei - wie oben unter c) dargelegt - nicht auf die Kenntnis des Durchschnittsbetrachters von dem bereits vorhandenen Formenschatz ankommt.

i) Die Muster der Klägerin haben auch die notwendige Gestaltungshöhe. Dagegen spricht - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht, dass die Muster jeweils geometrische Formen verwenden, die als solche vorbekannt waren. Entscheidend ist vielmehr, dass die Gestaltung der Muster für die Verwendung bei Fassaden- und Dacheindeckungsplatten im Gesamtvergleich mit den vorbekannten Decksteingestaltungen das Durchschnittskönnen eines Mustergestalters auf diesem Gebiet in schutzbegründender Weise übersteigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei der Gestaltung von Decksteinen funktionsbedingt (u.a. mit Rücksicht auf eine größtmögliche Materialausbeute und die Fachregel des Dachdeckerhandwerks) ein verhältnismäßig enger Gestaltungsspielraum besteht. Der Mustergestalter hat durch eine vom Herkömmlichen abweichende ästhetische Gestaltung der Decksteine die Aufgabe gelöst, mit einem vielseitig verwendbaren Stein Verlegebilder zu erzielen, die den vorbekannten Deckbildern mit einer "welligen" Linienführung entsprechen.

Die geometrischen Formen der angegriffenen Muster hat deren Gestalter nicht geschaffen; es handelt sich um vorbekannte Formen. Seine gestalterische Leistung liegt in der Wahl dieser Formen als sinnvolle Formen von Fassaden- und Dacheindeckungsplatten in der Beurteilung, dass auch solche symmetrisch-gleichförmigen Decksteine fachgerecht verlegt werden können. Bei einer solchen Nutzung schlichter geometrischer Formen dürfen allerdings die Anforderungen an die Gestaltungshöhe nicht zu niedrig angesetzt werden (vgl. dazu auch BGH GRUR 1975, 81, 83 - Dreifachkombinationsschalter). Im vorliegenden Fall ist jedoch eine gestalterische Leistung gegeben, die das Durchschnittskönnen eines Mustergestalters auf dem betreffenden Gebiet in einem für den Geschmacksmusterschutz hinreichenden Maß übersteigt, wie bereits daraus ersichtlich ist, dass die technische Möglichkeit zur mustergemäßen Gestaltung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts schon seit den fünfziger Jahren gegeben war, aber vor den angegriffenen Mustern nicht benutzt worden ist (vgl. dazu auch Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein aaO § 1 Rdn. 44). Selbst die in der Preisliste der R. KG aus dem Jahr 1986 angebotenen Decksteine für die "Spezial-Wabendeckung" und die sog. Rechteck-Schablonen hatten keinen Anlass gegeben, Decksteine in dieser Form zu schaffen.

III. Auf die Revision der Klägerin ist danach das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird nunmehr über die umstrittene Frage, ob der Nachbildungstatbestand gegeben ist, zu entscheiden haben.

Fundstelle(n):
JAAAC-66069

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein