Anforderungen an die Darlegung mangelhafter Sachverhaltsaufklärung
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der W-GmbH. Die Gesellschaft, die am ihre Tätigkeit aufgenommen hatte, wurde am in das Handelsregister des Amtsgerichts (AG) eingetragen. Im Juni 1997 wurde der Firmenname durch notariellen Vertrag in „X-GmbH” geändert. Der Firmensitz wurde verlegt. Eine Änderung der Eintragung im Handelsregister des AG erfolgte jedoch nicht. Wegen Vermögenslosigkeit wurde die W-GmbH im Dezember 2000 aus dem Handelsregister gelöscht.
Für die Jahre 1995 und 1996 gab die W-GmbH Körperschaft- und Umsatzsteuererklärungen ab. Eine Zustellung der Steuerbescheide erfolgte im September 1998 an den Kläger für die „Firma X-GmbH”. Da die W-GmbH für die Jahre 1997 und 1998 keine Steuererklärungen abgab, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) sowohl die Körperschaft- als auch die Umsatzsteuer. Die entsprechenden Steuerbescheide wurden an den Kläger für die „Firma W-GmbH” adressiert. Zahlungen erfolgten jedoch nicht. Die daraufhin eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen blieben ohne Erfolg. Mehrere Schreiben, mit denen der Kläger unter Hinweis auf eine mögliche haftungsrechtliche Inanspruchnahme nach § 69 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 34 AO aufgefordert wurde, seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 90 Abs. 1 AO nachzukommen, ließ der Kläger unbeantwortet. Mit Haftungsbescheid vom nahm das FA den Kläger für die Steuerrückstände der W-GmbH als Haftungsschuldner in Anspruch.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger gemäß § 127 AO eine Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheides allein wegen der von ihm behaupteten Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht beanspruchen könne. Das FA habe den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Trotz des in den Steuerbescheiden der Jahre 1995 und 1996 vom FA angegebenen Firmennamens „X-GmbH” sei Steuerschuldnerin die W-GmbH gewesen. Obwohl das FA von einer Änderung des Firmennamens ausgegangen sei, habe sich die Identität der juristischen Person als dem eigentlichen Steuerschuldner nicht geändert. Inhaltsadressat der Steuerbescheide sei nach dem Willen des FA stets die im Handelsregister vom AG eingetragene W-GmbH gewesen.
Der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, als er die fälligen Steueransprüche nicht erfüllt habe. Seine Haftung werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass er wie behauptet überlastet und gesundheitlich angeschlagen gewesen sei. Eine Begrenzung der Haftung nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung komme im Streitfall deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger seine —sich aus § 90 Abs. 1 und § 93 Abs. 1 AO ergebende— Mitwirkungspflicht beharrlich verletzt habe. Die mangelnde Sachaufklärung des FA beruhe allein darauf, dass der Kläger die zur vollständigen Sachverhaltsermittlung erforderlichen Tatsachen nicht beigebracht und auch im gerichtlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der W-GmbH keine Angaben gemacht habe, obwohl ihm die Unterlagen der W-GmbH vom Insolvenzverwalter Ende 2005 ausgehändigt worden seien.
Aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten des Streitfalles habe das FA sein Auswahlermessen zutreffend ausgeübt. Das FA habe den Kläger deshalb ausschließlich als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen können, weil dieser von Anfang an als Geschäftsführer der W-GmbH tätig gewesen sei. Demgegenüber habe der Mitgeschäftsführer seine Tätigkeit erst zu einem Zeitpunkt aufgenommen, zu dem der Kläger sein Amt bereits über zwei Jahre ausgeübt habe. Zudem sei für das FA aufgrund der widersprüchlichen Notarverträge nicht erkennbar gewesen, ob die W-GmbH ab dem Jahr 1997 neben dem Kläger einen weiteren Geschäftsführer gehabt habe.
Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision aus den in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Gründen. Das FG habe die nicht haltbare Ansicht vertreten, dass eine Aufhebung des angefochtenen Haftungsbescheides allein wegen der gerügten örtlichen Unzuständigkeit des FA nicht beansprucht werden könne. Dabei habe es jedoch übersehen, dass § 127 AO auf Ermessensentscheidungen nicht angewandt werden könne.
Rechtsfehlerhaft sei auch die Annahme, dass er, der Kläger, die sich aus seiner Geschäftsführerstellung ergebenden steuerlichen Pflichten schuldhaft nicht erfüllt habe. Das FA habe die streitgegenständlichen Steuerbescheide an den Geschäftsführer einer nicht existenten Firma gerichtet. Die falsche Bezeichnung des Adressaten der Steuerbescheide sei allein dem FA anzulasten. Aufgrund der unwirksamen Bekanntgabe sei die Annahme des FG falsch, dass fällige Steueransprüche nicht beglichen worden seien. Ein Fehler in der Bezeichnung des Steuerschuldners könne auch nicht durch Richtigstellung im weiteren Verfahren geheilt werden.
Rechtsfehlerhaft habe das FG angenommen, dass das FA das ihm zustehende Auswahlermessen korrekt ausgeübt habe. Denn die Dauer der Tätigkeit eines Geschäftsführers sei entgegen der Auffassung des FG schon vom Ausgangspunkt des Gesetzes her kein sachgerechtes Auswahlkriterium für die Inanspruchnahme eines Geschäftsführers. Im Streitfall seien beide Geschäftsführer jeweils allein zur Vertretung der W-GmbH berechtigt gewesen. Somit hätten beide Geschäftsführer den Haftungstatbestand des § 69 AO erfüllt. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Steuern nicht nur in dem Zeitraum entstanden bzw. fällig geworden seien, in dem der Mitgeschäftsführer noch nicht als solcher tätig geworden sei. Selbst wenn er, der Kläger, schuldhaft seine Pflicht zur Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhaltes verletzt habe, sei diese Pflichtverletzung für die Steuerverkürzung nicht ursächlich gewesen. Nach den Feststellungen des FG seien die gegen die W-GmbH eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos geblieben. Bei dieser Sachlage hätte es besonderer Feststellungen zur Kausalität der Pflichtverletzungen bedurft. Das FG hätte prüfen müssen, welche Mittel der W-GmbH zu den Fälligkeitsterminen zur Verfügung gestanden hätten.
Schließlich beruhe die Entscheidung des FG auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Verfahrensfehlerhaft habe es das FG versäumt, ihn auf die Notwendigkeit der Vorlage der ihm vom Insolvenzverwalter Ende 2005 überlassenen Unterlagen nochmals hinzuweisen.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Es ist der Ansicht, dass sie nicht den in § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO festgelegten Darlegungserfordernissen entspricht.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil der Kläger die von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt hat.
1. Für die nach § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.).
a) Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Soweit der Kläger rügt, dass das FG § 127 AO rechtsfehlerhaft auf Ermessensentscheidungen angewandt habe, bezieht sich dieses Vorbringen auf die rechtliche Würdigung des Streitfalles durch das erstinstanzliche Gericht. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen jedoch für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.).
b) Dies trifft auch auf das Vorbringen in Bezug auf die vermeintlich unwirksame Bekanntgabe der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Steuerbescheide zu. Das FG hat in der Urteilsbegründung ausführlich dargelegt, warum es die Bekanntgabe der Steuerbescheide an die W-GmbH als wirksam erachtet hat. Dieser Rechtsansicht setzt der Kläger seine eigene Rechtsauffassung entgegen, ohne jedoch eine Rechtsfrage herauszuarbeiten, die im Interesse der Allgemeinheit und der Fortbildung des Rechts einer höchstrichterlichen Klärung bedarf.
2. Soweit sich der Kläger hinsichtlich der rechtlichen Beurteilung der Ausübung des vom FA betätigten Auswahlermessens auf eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) beruft, ist die behauptete Divergenz ebenfalls nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Rügt der Beschwerdeführer eine Abweichung von Entscheidungen des BFH, so muss er nach inzwischen ständiger BFH-Rechtsprechung tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (BFH-Beschlüsse vom X B 52/03, BFH/NV 2004, 80, und vom XI B 67/00, BFH/NV 2002, 1479). Eine Darstellung und Herausarbeitung von divergierenden Rechtssätzen lässt sich der Beschwerde indes nicht entnehmen. Vielmehr beanstandet der Kläger im Kern seines Vorbringens, dass das FA die Ermessensausübung unzureichend und unter Hinweis auf nicht tragende Gesichtspunkte begründet habe. Eine Divergenz wird damit jedoch nicht in der erforderlichen Weise dargelegt.
3. Auch die Rüge der mangelnden Sachaufklärung durch das FG ist nicht in der erforderlichen Weise vorgebracht.
a) Wird geltend gemacht, das FG hätte den Sachverhalt auch ohne entsprechenden Antrag des im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesenden Prozessvertreters des Klägers von Amts wegen umfassender aufklären müssen, ist u.a. darzulegen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei der weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern eine weitere Beweiserhebung auf der Grundlage des materiellen Rechtsstandpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Senatsbeschluss vom VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493, 494, m.w.N.). Schließlich gehört zur ordnungsgemäßen Darlegung des Verfahrensfehlers mangelhafter Sachaufklärung nach ständiger Rechtsprechung auch der Vortrag, dass die nicht zureichende Aufklärung des Sachverhaltes in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. , BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727, und Senatsbeschluss vom VII B 10/03, BFH/NV 2004, 529). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust —z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde— zur Folge. Eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung kann deshalb im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen Verhandlung selbst anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte, dem die mangelhafte Sachaufklärung erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).
b) Im Streitfall war für den fachkundig vertretenen Kläger erkennbar, dass das FA und auch das FG davon ausgingen, dass zur Begleichung der Steuerschulden ausreichende Mittel vorhanden gewesen sind. Dieser Annahme ist der Kläger jedoch nicht substantiiert entgegengetreten. Der Urteilsbegründung ist zu entnehmen, dass er in der mündlichen Verhandlung zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der von ihm als Geschäftsführer vertretenen Gesellschaft geschwiegen hat. Im Verwaltungsverfahren hat er Anhörungsschreiben des FA ebenfalls unbeantwortet gelassen, so dass das FG zu Recht von einer Verletzung seiner Mitwirkungspflicht ausgegangen ist. Ausweislich des Sitzungsprotokolls hat der Kläger in der Sitzung lediglich erklärt, dass er „nichts mehr” gehabt habe; die ihm vom Insolvenzverwalter ausgehändigten Unterlagen hat er zur Glaubhaftmachung seiner Behauptung jedoch nicht vorgelegt und auch Beweisanträge nicht gestellt. Bei dieser Sachlage genügt das Vorbringen des Klägers, das FG habe prüfen müssen, ob noch ausreichende Mittel zur Begleichung der Steuerschulden zur Verfügung gestanden hätten, nicht zur Darlegung eines Verfahrensmangels.
4. Schließlich wird die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht dadurch belegt, dass der Kläger beanstandet, dass das FG ihn nicht auf die Vorlage der ihm vom Insolvenzverwalter überlassenen Unterlagen hingewiesen habe. Dem Vortrag ist nämlich nicht zu entnehmen, dass der Kläger daran gehindert worden ist, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Jederzeit hätte er von sich aus auf die Unterlagen verweisen und diese auch vorlegen können. Eine Hinweispflicht des FG bestand im Übrigen schon deshalb nicht, weil der Kläger bereits im Verwaltungsverfahren und auch im Verlauf des Klageverfahrens vom FA auf seine Mitwirkungspflicht zwecks Bestimmung des Umfangs seiner Haftung hingewiesen worden ist.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 71 Nr. 1
RAAAC-64348