Aussetzung des Klageverfahrens betreffend Mindestbesteuerung gemäß § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002
Gesetze: FGO § 74; EStG § 2 Abs. 3
Instanzenzug:
Gründe
I. Mit ihrer Revision macht die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung der sog. Mindestbesteuerung gemäß § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 (EStG) geltend. Die Regelung verstoße gegen ihre Grundrechte aus Art. 3 und 14 des Grundgesetzes (GG), gegen das Rückwirkungsverbot sowie gegen das Gebot der Bestimmtheit von Gesetzen, der Verhältnismäßigkeit und der Verschonung des Existenzminimums.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) beantragt, das Revisionsverfahren auszusetzen. Dem hat die Klägerin ausdrücklich widersprochen und um eine Entscheidung in der Sache gebeten.
II. Der Senat hält im Hinblick auf seinen Vorlagebeschluss vom XI R 26/04 (BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167; Az. des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— 2 BvL 59/06) eine Aussetzung des Revisionsverfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auch gegen den Willen der Klägerin für geboten.
1. Gemäß § 74 FGO kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann eine Aussetzung des Klageverfahrens entsprechend der Vorschrift des § 74 FGO auch dann geboten sein, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (BFH-Beschlüsse vom III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123; vom X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797; vom III B 73/94, BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415, und vom II R 10/03, BFH/NV 2005, 238).
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen erfüllt.
a) Dem BVerfG liegt —worauf auch die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung hingewiesen hat— unter dem Az. 2 BvL 59/06 ein Normenkontrollverfahren vor, dem der Vorlagebeschluss des erkennenden Senats in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167 zugrunde liegt. In diesem Beschluss hält der Senat u.a. die für den Streitfall entscheidungserhebliche Regelung des § 2 Abs. 3 Sätze 2 bis 8 EStG wegen Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit (Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG) für verfassungswidrig. Sollte das BVerfG entscheiden, dass die gesetzliche Regelung wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Normenklarheit verfassungswidrig ist, so hätte dies auch Auswirkungen auf den Streitfall. Die Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluss hat nach § 31 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht Gesetzeskraft und ist daher in besonderem Maße für alle Gerichte bindend.
Allein beim erkennenden Senat sind mehrere Revisionen anhängig, in denen es —wie im Streitfall— um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der sog. Mindestbesteuerung geht. Der Senat geht davon aus, dass auch den Finanzgerichten (FG) noch eine Vielzahl gleicher Fälle vorliegt. Eine Aussetzung des Verfahrens ist daher auch unter dem Gesichtspunkt des „Massenverfahrens” geboten.
b) Gesichtspunkte, die ein berechtigtes Interesse der Klägerin an einer Entscheidung zur Sache begründen könnten, bevor das BVerfG im Verfahren 2 BvL 59/06 entschieden hat, sind nicht erkennbar.
Soweit die Klägerin vorträgt, die Regelung verstoße gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot der Bestimmtheit von Gesetzen, trägt sie nichts wesentlich Neues gegenüber den Gründen in dem Senatsbeschluss in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167 vor, der seine Vorlage an das BVerfG maßgeblich auf diesen Gesichtspunkt stützt.
Der Senat hat darüber hinaus dort bereits darauf hingewiesen, dass § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG die durch Art. 3 Abs. 1 GG garantierte Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, das sog. Nettoprinzip und das Gebot der Folgerichtigkeit, den Schutzbereich des Art. 14 GG sowie den aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG abzuleitenden Schutz des Existenzminimums berührt und dass bei jeder Investition mit vorhersehbaren Verlustphasen die Verlustverrechnungsmöglichkeiten integraler Bestandteil wirtschaftlichen Kalkulierens sind (Senatsbeschluss in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167, unter B.IV.). Er hat weiter unter B.IV.4.a ee ausgeführt, dass die Regelung zudem in ein Umfeld von rechtssystematischen Brüchen eingebettet sei, was den intellektuellen Zugang zur gesetzlichen Mindestbesteuerung zusätzlich erschwere. Auch soweit die Mindeststeuerregelung aufgrund der Veranlagungszeitraum übergreifenden Wirkung der Grundrechte nach Art. 3 Abs. 1, Art. 14 GG verfassungsrechtlich zulässig sein sollte, enthalte sie Ansätze einer Schedulensteuer, mithin eine Abkehr von dem dem Einkommensteuerrecht zugrunde liegenden Prinzip einer synthetischen Steuer. Außerdem fehle es an einer Abstimmung des § 2 Abs. 3 EStG mit der gesetzlichen Regelung der Zusammenveranlagung (§ 26b EStG).
Das BVerfG hat die zur Prüfung gestellte Rechtsnorm unter jedem Gesichtspunkt auf ihre Vereinbarkeit mit dem GG zu beurteilen (, BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357, unter C.I.1.). Die von der Klägerin in ihrer Revisionsbegründung angeführten weiteren verfassungsrechtlichen Einwände gegen § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG sind in dem Senatsbeschluss in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167 bereits angesprochen. Sollte das BVerfG die Vorlage unter dem vom Senat dargelegten Gesichtspunkt der Verletzung des Grundsatzes der Normenklarheit für unbegründet erachten, so wird es auch die weiteren von der Klägerin vorgetragenen rechtlichen Gesichtspunkte prüfen.
2. Eine Kostenentscheidung ist in diesem Verfahren nicht zu treffen (vgl. , BFHE 154, 15, BStBl II 1988, 947).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 65 Nr. 1
LAAAC-64324