Verletzung der Grundrechte des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs
Gesetze: FGO § 76; FGO § 90; FGO § 103; FGO § 119 Nr. 6
Instanzenzug:
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) für ein noch durchzuführendes Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision in einem gegen ihn ergangenen Urteil des Finanzgerichts (FG). Der Antragsteller hatte in dem von ihm angestrengten FG-Prozess im Wesentlichen geltend gemacht, die ihn betreffenden (geänderten) Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 sowie die erstmalig ergangenen Einkommensteuerbescheide 2001 und 2002 seien rechtswidrig. Dies folge für die geänderten Bescheide bereits daraus, dass keine Änderungsvorschrift eingreife. Zudem sei in allen vier Bescheiden zu Unrecht die von ihm bezogene Erwerbsunfähigkeitsrente (mit dem Ertragsanteil) als sonstige Einkünfte angesetzt worden. Ferner seien die Bescheide auch insoweit zu ändern, als verschiedene Aufwendungen steuermindernd zu berücksichtigen seien. Durch Urteil vom , das dem Antragsteller am zugestellt wurde, gab das FG der Klage hinsichtlich des Streitjahres 2000 teilweise statt. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
Im Rahmen seines von ihm selbst eingereichten PKH-Antrags vom und in seinem Schreiben vom machte der Antragsteller vor allem geltend, das Urteil des FG beruhe auf mehreren Verfahrensmängeln. Insbesondere sei die Einzelrichterin nicht befugt gewesen, durch Urteil zu entscheiden. Denn er habe sie wegen Befangenheit abgelehnt. Auch habe das FG seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es seinem Antrag, die ihn betreffenden Rentenversicherungsakten beizuziehen, nicht entsprochen habe. Dies habe ihm der zuvor zuständig gewesene Einzelrichter aber in dem Erörterungstermin vom zugesichert. Nur im Hinblick auf diese Zusicherung habe er, der Antragsteller, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
In einem weiteren, am beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen Schreiben wies der Antragsteller darauf hin, das Amtsgericht (Vormundschaftsgericht) X prüfe, ob er geschäftsfähig sei. Dieses Gericht hat dem angerufenen Senat auf Anfrage mitgeteilt, dass durch den rechtskräftig gewordenen Beschluss vom die Betreuung des Antragstellers u.a. für das Führen von ihn betreffenden gerichtlichen Verfahren angeordnet und insoweit ein Betreuer bestellt worden sei, welcher in das Führen von solchen gerichtlichen Verfahren einwilligen müsse (Einwilligungsvorbehalt). Der Betreuer hat dem angerufenen Senat mitgeteilt, dass er den PKH-Antrag des Antragstellers genehmige.
II. Der Antrag wird abgelehnt. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Erfolgsaussicht.
Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Der angerufene Senat kann offenlassen, ob von dem (zunächst) nicht vertretenen Antragsteller verlangt werden kann, dass er zur Darlegung der Erfolgsaussicht seiner beabsichtigten Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb der hierfür geltenden Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO), welche vorliegend am abgelaufen ist, zumindest in laienhafter Weise einen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO oder einen absoluten Revisionsgrund (§ 119 FGO) dartun (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) muss (, BFH/NV 2006, 1123, m.w.N.). Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass die Erfolgsaussicht des beabsichtigen Rechtsmittels zusätzlich von Amts wegen anhand der Vorentscheidung und eines etwaigen Protokolls über die mündliche Verhandlung zu prüfen ist (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom X S 9/03 (PKH), BFH/NV 2004, 221), sind im Streitfall Gründe für die Zulassung der Revision gegen das vom Antragsteller beanstandete Urteil nicht ersichtlich.
a) Ein Verstoß gegen § 47 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO kann gegeben sein, wenn ein abgelehnter Richter vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs über die Streitsache durch Urteil entscheidet. Wird das Ablehnungsgesuch von den dazu berufenen Richtern rechtskräftig zurückgewiesen, ist ein solcher Verstoß unbeachtlich (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 51 Rz 85). Auch kann eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen § 124 Abs. 2 FGO regelmäßig nicht darauf gestützt werden, der (nach § 128 Abs. 2 FGO unanfechtbare) Beschluss über die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs sei fehlerhaft. Dies gilt nur dann nicht, wenn ein Verstoß gegen das Willkürverbot oder gegen ein Verfahrensgrundrecht geltend gemacht wird (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 51 Rz 56).
Ausgehend hiervon liegt der vom Antragsteller behauptete Verstoß gegen § 47 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht vor. Dies ist bereits deshalb der Fall, weil die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin im Streitfall des Antragstellers durch Urteil am und damit zu einem Zeitpunkt entschieden hat, zu dem der Antragsteller noch kein Ablehnungsgesuch eingereicht hatte. Dieses Ablehnungsgesuch ist erst am beim FG eingereicht worden. Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, dass das FG (in anderweitiger Besetzung) durch Beschluss vom den Befangenheitsantrag mit der Begründung abgelehnt hat, dieser sei unzulässig. Auch ist nicht zu beanstanden, dass an dieser Entscheidung ein Vorsitzender Richter mitgewirkt hat, den der Antragsteller in seinem am beim FG eingegangenen Befangenheitsgesuch ebenfalls abgelehnt hatte. Denn das FG hat zu Recht dieses Gesuch als offenbar unzulässig beurteilt, weil der Vorsitzende Richter mit der Streitsache des Antragstellers, welche der Einzelrichterin zugeteilt war, nicht befasst war. Bei dieser Sachlage war der abgelehnte Vorsitzende Richter nicht gehindert, an dem Beschluss vom mitzuwirken (vgl. hierzu Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 51 Rz 73).
b) Auch soweit der Antragsteller geltend macht, das FG habe es zu Unrecht abgelehnt, die ihn betreffenden Rentenakten beizuziehen, liegt kein Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor. Zwar ist ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) und gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO gegeben, wenn das FG zu Unrecht einen Beweisantrag ablehnt. Dies ist jedoch dann nicht der Fall, wenn es unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Gerichts auf die Erhebung des Beweises nicht ankommt. Insoweit ist entscheidend, dass der Antragsteller die Beiziehung der Rentenakten mit der Begründung begehrt hat, die von ihm bezogene Erwerbsunfähigkeitsrente sei mit einer Mehrbedarfsrente i.S. von § 843 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bzw. einer Schmerzensgeldrente gemäß § 847 BGB vergleichbar, welche steuerlich nicht erfasst würden (vgl. hierzu , BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121 und H 22.1 der Einkommensteuer-Hinweise —EStH— 2006). Diese Vergleichbarkeit folge daraus, dass diese Erwerbsunfähigkeitsrente auf seine Bezüge als Versorgungsempfänger angerechnet werde. Der Antragsteller hat mithin nicht die Behauptung aufgestellt, die von ihm bezogene Rente sei in tatsächlicher Hinsicht eine solche i.S. von § 843 Abs. 1 bzw. von § 847 BGB, sondern er hat lediglich die rechtliche Gleichbehandlung der von ihm bezogenen Rente mit den anderen genannten Renten verlangt (vgl. hierzu unten bei II.1.g). Auf die begehrte Beiziehung der Rentenakten kam es bei dieser Sachlage nicht an, zumal das FG nicht in Abrede gestellt hat, dass die vom Antragsteller bezogene Rente tatsächlich auf dessen Versorgungsbezüge angerechnet wird.
c) Dem steht auch nicht entgegen, dass der zunächst mit dem Rechtsstreit des Antragstellers befasste Einzelrichter nach der Behauptung des Antragstellers diesem im Erörterungstermin vom zugesichert haben soll, diese Rentenakten beizuziehen. Zwar kann eine Verletzung der Grundrechte des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs gegeben sein, wenn ein Einzelrichter einen rechtlichen Hinweis gibt und später im Urteil entgegengesetzt entscheidet, ohne die Verfahrensbeteiligten auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hinzuweisen (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1996, 3202, und , BFH/NV 2003, 1440). Dieser Grundsatz gilt indessen nur dann, wenn nach der Erteilung des rechtlichen Hinweises kein Zuständigkeitswechsel stattgefunden hat. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Änderung des Geschäftsverteilungsplans, die einen Wechsel des bisherigen Berichterstatters zur Folge hat, nicht zwecks Wahrung des rechtlichen Gehörs dazu zwingt, die Beteiligten darauf hinzuweisen, der Senat werde abweichend von dem rechtlichen Hinweis entscheiden, den der bisherige Berichterstatter erteilt hat (, BFHE 180, 396, BStBl II 1996, 523). Nichts anderes kann gelten, wenn wie im Streitfall des Antragstellers anstelle des bisherigen Einzelrichters infolge Zuständigkeitswechsels ein neuer Einzelrichter mit der Streitsache befasst wird. Denn dieser nunmehr tätige Einzelrichter hat den rechtlichen Hinweis nicht gegeben. Auch liegt in der Tatsache, dass dem Antragsteller vor Ergehen des Urteils dieser Zuständigkeitswechsel nicht mitgeteilt worden ist, keine unzulässige Überraschungsentscheidung.
d) Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang geltend macht, das Urteil beruhe deshalb auf einem Verfahrensfehler, weil das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden habe, er, der Antragsteller, aber auf eine solche nur gegenüber dem bisherigen Einzelrichter verzichtet habe, wird nicht schlüssig ein Verstoß gegen § 90 Abs. 1 und 2 FGO gerügt.
Eine Erklärung, wonach auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet wird, kann grundsätzlich nicht widerrufen werden. Abweichendes gilt nur dann, wenn sich die Prozesslage nach Abgabe dieser Erklärung wesentlich geändert hat. Der Wechsel in der Zuständigkeit des Spruchkörpers oder ein Wechsel in der Besetzung der Richterbank bewirkt eine solche wesentliche Änderung der Prozesslage aber nicht (Gräber/Koch, a.a.O., § 90 Rz 15, m.w.N. aus der Rechtsprechung).
e) Auch soweit der Antragsteller rügt, das angefochtene Urteil verletze deshalb § 103 FGO, weil die Einzelrichterin, die das Urteil gefällt hat, an der früheren Verhandlung nicht teilgenommen habe, liegt kein schlüssiger Vortrag eines Verfahrensfehlers vor. § 103 FGO will nur sicherstellen, dass die Richter, die an der (letzten) mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, identisch sind mit denjenigen, die durch Urteil über die Klage befinden (Gräber/von Groll, a.a.O., § 103 Rz 1, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Es ist deshalb ohne Belang, dass in der Streitsache des Antragstellers ein Erörterungstermin vor dem früher zuständigen Einzelrichter und nicht vor der nunmehr mit der Streitsache befassten Einzelrichterin stattgefunden hat.
f) Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen § 119 Nr. 6 FGO. Die Rüge des Antragstellers, das angefochtene Urteil sei teilweise nicht mit Gründen versehen, weil es sich nicht mit den von ihm geltend gemachten Aufwendungen befasse, insoweit nur Behauptungen aufstelle, aber nicht begründe, greift nicht durch. Ausweislich der Urteilsgründe befasst sich das Urteil im Einzelnen und mit nachvollziehbarer rechtlicher Begründung mit den geltend gemachten Aufwendungen.
g) Die Rechtssache des Antragstellers hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Es bedarf nicht der grundsätzlichen Klärung, ob eine Erwerbsunfähigkeitsrente dann in vollem Umfang nichtsteuerbares Einkommen darstellt, wenn die Rente auf die Versorgungsbezüge (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren 1999-2002 jeweils geltenden Fassung —EStG—) angerechnet wird. Es fehlt insoweit insbesondere an einer Vergleichbarkeit dieser Rente mit der sog. Mehrbedarfsrente. Der BFH hat den Zufluss einer sog. Mehrbedarfsrente, welche zum Ausgleich von schadensbedingten vermehrten Bedürfnissen geleistet wird, in seinem Urteil in BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121 deshalb als grundsätzlich in vollem Umfang nicht steuerbar beurteilt, weil der Berechtigte wirtschaftlich betrachtet lediglich „durchlaufendes Geld” erhält. Auch enthalte die Zahlung im Normalfall keinen Zinsanteil, weil der Schadensersatz regelmäßig von Anfang an als Geldrente geschuldet und nicht ein zunächst einheitlicher Anspruch nachträglich verrentet werde. Hiervon unterscheidet sich die Erwerbsunfähigkeitsrente dadurch, dass mit dem Eintritt des Versicherungsgrunds der Erwerbsunfähigkeit der Rentenanspruch entsteht, die einzelnen Rentenleistungen aber auf die Laufzeit der Rente verteilt ausbezahlt werden. Daher erfasst § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG i.V.m. § 55 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) nicht den gesamten ausbezahlten Betrag, sondern als pauschalierten Zinsanteil die Differenz zwischen dem zufließenden Betrag der Rente und dem Betrag, der sich bei gleichmäßiger Verteilung des Kapitalwerts der Rente auf ihre voraussichtliche Laufzeit ergibt. Eine Abweichung hiervon ist nicht deshalb geboten, weil diese Rente auf die Versorgungsbezüge des Antragstellers angerechnet wird. Zu der vom Antragsteller behaupteten doppelten Besteuerung der Renteneinnahmen kommt es nämlich nicht. Die Anrechnung der Rente auf die Versorgungsbezüge bewirkt, wie auch die vom Antragsteller im finanzgerichtlichen Verfahren vorgelegte Abrechnung seiner Versorgungsbezüge zeigt, dass sich der ausbezahlte Betrag seiner Versorgungsbezüge und damit zugleich seine i.S. von § 19 EStG bezogenen Einkünfte vermindern. Auch sieht das EStG hinsichtlich der Rente nicht vor, dass diese dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b EStG unterliegt.
h) Soweit der Antragsteller nach Ablauf der für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhaltenden Frist auf das seine Prozessfähigkeit betreffende Verfahren beim Amtsgericht X hingewiesen hat, ist seitens des angerufenen Senats wegen Fristablaufs nicht zu prüfen, ob dem FG in diesem Zusammenhang ein Verfahrensfehler unterlaufen sein könnte, zumal dem gegenüber dem Antragsteller ergangenen Urteil kein Hinweis darauf zu entnehmen ist, dass der Antragsteller prozessunfähig sein könnte.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 98 Nr. 1
BAAAC-63834