Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StPO § 349 Abs. 2; EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4; AO § 370; AO § 370 Abs. 1 Nr. 2
Instanzenzug:
Gründe
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
1. Der Senat hält die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 2002 geltenden Fassung nicht für verfassungswidrig. Er schließt sich den auch für diese Norm zutreffenden Erwägungen des Bundesfinanzhofs in seiner zum Veranlagungszeitraum 1999 und zur Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ergangenen Entscheidung vom (BFHE 211, 330) an. Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG hat der Senat die Entscheidung des über die Vorschriften zum automatisierten Kontenabrufverfahren (NJW 2007, 2464) berücksichtigt.
Die vom Beschwerdeführer behauptete Verfassungswidrigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass das Kontenabrufverfahren (§ 93 Abs. 7, § 93b AO) erst mit Wirkung vom durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom (BGBl I 2928) und damit nach Tatbeendigung in Kraft gesetzt worden ist. Die vom Angeklagten nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO durch Unterlassen begangene Steuerhinterziehung wurde hier am beendet, als das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten in dem betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abschloss (st. Rspr.; BGHSt 47, 138, 145 f. m.w.N.). Maßgeblich für die Frage der Strafbarkeit des Angeklagten ist, dass die den Straftatbestand des § 370 AO ausfüllende Steuernorm des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG, aus der sich der Steueranspruch gegen den Angeklagten ergibt, schon im Jahr 1999 in Kraft getreten und im gesamten Tatzeitraum - bis heute - geltendes Recht war (§ 2 Abs. 1, Abs. 3 StGB). Geltung in diesem Sinne hat jede Vorschrift, solange sie nicht vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt worden ist (vgl. zur Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung, wenn das Bundesverfassungsgericht lediglich die Unvereinbarkeit einer Steuernorm mit dem Grundgesetz festgestellt hat: BGHSt 47, 138). Daher steht der Bestrafung des Angeklagten auch das strafrechtliche Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG, § 2 Abs. 1 StGB) nicht entgegen (a. A. Joecks wistra 2006, 401, 404; vgl. auch LG Augsburg wistra 2007, 272, 273). Dies gilt selbst dann, wenn eine temporäre Unvereinbarkeit der Steuernorm des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG mit dem Grundgesetz (vgl. BFHE 211, 330, 337) bestanden haben sollte.
Davon unabhängig ist die Frage, ob bei der nun vorzunehmenden Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der blankettausfüllenden Steuernorm für den Veranlagungszeitraum 2002 - im Hinblick auf die Beseitigung des für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 festgestellten gleichheitswidrigen strukturellen Vollzugsdefizits (BVerfGE 110, 94 zu § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG a.F.) - die rückbezügliche Anwendbarkeit des am in Kraft getretenen Kontenabrufverfahrens in den Blick genommen werden darf. Dies ist zu bejahen. Auch insoweit schließt sich der Senat der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFHE 211, 330, 336 f.) an.
2. Die Urteilsfeststellungen belegen auch den Tatvorsatz des Angeklagten. Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte, der auch seine sonstigen Einkünfte nicht erklärte, habe sich nicht in einem Irrtum über die Steuerpflichtigkeit von Spekulationsgewinnen befunden, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Der Schluss der Strafkammer, der Angeklagte habe seine Einkünfte deswegen nicht gegenüber den Finanzbehörden erklärt, weil er in keinem Fall seine Gewinne mit dem Fiskus teilen wollte, beruht auf einer tragfähigen Beweisgrundlage. Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob die Erwartung, das Bundesverfassungsgericht werde eine Steuernorm für nichtig erklären, einen strafrechtlich relevanten Irrtum darstellen kann, hat daher für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung.
Diese Frage wäre auch zu verneinen, da eine solche Erwartung weder schutzbedürftig noch schutzwürdig ist (vgl. auch Allgayer wistra 2007, 133, 134). Andernfalls würde dem Steuerpflichtigen eine Verwerfungskompetenz für Rechtsnormen eingeräumt, die nur dem Bundesverfassungsgericht zukommt (vgl. Art. 100 Abs. 1 GG). Dem Steuerpflichtigen, der Steuernormen für verfassungswidrig hält, ist zuzumuten, in seinen Steuererklärungen wahrheitsgemäße und vollständige Angaben zu machen. Er hat dann die Möglichkeit, - gegebenenfalls verbunden mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 FGO) - gegen die auf seine Angaben hin ergangenen Steuerbescheide Einspruch einzulegen sowie anschließend Klage zu erheben und dabei die Verfassungswidrigkeit der Normen geltend zu machen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2008 S. 174 Nr. 2
DStRE 2008 S. 195 Nr. 3
HFR 2008 S. 514 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 24/2008 S. 2258
wistra 2008 S. 21 Nr. 1
UAAAC-62338
1Nachschlagewerk: nein