BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 442/06

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 1; GG Art. 14; GG Art. 20 Abs. 1; GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2

Instanzenzug: Hamburgischen OVG 1 Bf 92/05 vom 04.01.2006 VG Hamburg 16 K 2678/04 vom 16.11.2004

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Anrechnung von Einkünften aus Nebentätigkeit auf seine Unterhaltsbeihilfe.

Er war Referendar im juristischen Vorbereitungsdienst der Freien und Hansestadt Hamburg und übte zeitweilig eine genehmigte Nebentätigkeit aus. Nach entsprechender Mitteilung wurde seine Unterhaltsbeihilfe aufgrund der Einkünfte aus der Nebentätigkeit um den hälftigen, 500 € übersteigenden Betrag gemäß § 3 der Verordnung zur Regelung der Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare gekürzt.

II.

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14, Art. 20 Abs. 1 und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Als wesentliche Gründe führt er zum einen an, der Eingriff in sein Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit sei nicht gerechtfertigt, da § 3 UnterhaltsbeihilfeVO gegen Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Es werde nicht zwischen Referendaren mit oder ohne Familie und mit oder ohne Kinder unterschieden. Andere Anrechnungsvorschriften, etwa § 65 BBesG, nähmen auf Ehe und Familie Rücksicht. Diese Gedanken müssten aufgrund des Ausbildungsmonopols des Staates auch für Referendare in einem öffentlichrechtlichen Ausbildungsverhältnis gelten. Ferner sei die Regelung des § 3 UnterhaltsbeihilfeVO unverhältnismäßig, da kein anrechnungsfreier Mindestsockelbetrag der Unterhaltsbeihilfe festgelegt worden sei.

III.

Die Verfassungsbeschwerde, bei welcher es ausschließlich um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung von Nebentätigkeitseinkünften auf die Unterhaltsbeihilfe und nicht um deren Angemessenheit als solche geht, wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, weil die maßgeblichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besitzt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248>). Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Der Eingriff in das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, ist durch § 28 Abs. 2 Satz 2 HamJAO in Verbindung mit § 3 UnterhaltsbeihilfeVO gerechtfertigt.

a) Zwar kann sich der Beschwerdeführer insoweit auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen, als er einen Verstoß der Anrechnungsvorschrift gegen Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG rügt. Nach Art. 2 Abs. 1 GG kann jedermann im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen, ein seine Handlungsfreiheit beschränkendes Gesetz gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, weil es (formell oder inhaltlich) gegen einzelne Verfassungsbestimmungen verstoße (BVerfGE 6, 32 <41>; 91, 186 <200 f.>). Die Anrechnungsvorschrift des § 3 der Unterhaltsbeihilfeverordnung ist jedoch formell und materiell verfassungsgemäß.

b) Insbesondere wird durch die Statuierung einer Anrechnungspflicht unabhängig vom Familienstand des Referendars nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßen.

Zwar gilt das in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Verbot, Ehe und Familie durch staatliche Maßnahmen zu benachteiligten, auch für den Bereich der staatlichen Gewährung von Leistungen und Vorteilen (BVerfGE 82, 60 <80>). Jedoch geht die Pflicht des Staates zur Förderung der Familie nicht so weit, dass er gehalten wäre, jegliche die Familie treffende finanzielle Belastung auszugleichen (BVerfGE 75, 348 <360>; 82, 60 <81>). Auch erwachsen aus dem Förderungsgebot keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen (BVerfGE 39, 316 <326>; 82, 60 <81>; 107, 205 <213>). Ungeachtet der hiernach bestehenden Fraglichkeit der Pflicht des Staates, Referendaren einen Familienzuschlag zu gewähren (verneinend BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Oktober 1992 - 2 BvR 1318/92 -, ZBR 1993, S. 60 <61>), steht vorliegend allein die Anrechnung von Einkommen auf die Unterhaltsbeihilfe in Frage. Da der Familienzuschlag nicht Bestandteil der Unterhaltsbeihilfe ist, kann er folglich auch nicht im Rahmen der Anrechnung berücksichtigt werden, da es dem Wesen einer Anrechnung widerspricht, etwas zuzubilligen, was nicht Bestandteil des Gehalts ist, auf welches angerechnet wird. Der Verweis des Beschwerdeführers auf § 65 Abs. 1 BBesG greift nicht durch, da dort im Rahmen der Besoldung ein Familienzuschlag gewährt wird. Die Anrechnung selbst vollzieht sich auch dort unabhängig vom Familienstand.

2. Die Anrechnungsregelung ist auch im Hinblick auf den Umstand, dass der Referendar zu erheblich reduzierter oder im Einzelfall gänzlich entfallender Unterhaltsbeihilfe zur fortbestehenden Diensterbringungspflicht gehalten ist, verhältnismäßig. Insbesondere stehen der verfolgte Zweck - Haushaltskonsolidierung - und die in Kauf genommene Belastung infolge der Anrechnung anderweitiger Einkünfte nicht außer Verhältnis zueinander.

a) Wird der Referendar als Beamter auf Widerruf beschäftigt, ist anerkannt, dass das aus Art. 33 Abs. 5 GG folgende Alimentationsprinzip für diesen nicht gilt. Es gibt insbesondere keinen hergebrachten Grundsatz, Angehörige des öffentlichen Dienstes im Ausbildungsverhältnis - mögen sie auch Beamte auf Widerruf sein - zu alimentieren (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Oktober 1992 - 2 BvR 1318/92 -, ZBR 1993, S. 60). Die Bezüge der Beamten auf Widerruf stellen lediglich eine Hilfe zum Bestreiten des Lebensunterhalts während der Ausbildung dar. Diese für den Referendar als Beamten auf Widerruf entwickelten Grundsätze gelten auch, wenn dieser lediglich in ein öffentlichrechtliches Ausbildungsverhältnis eintritt. Unabhängig von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Begründung eines solchen Ausbildungsverhältnisses (vgl. die Zulässigkeit bejahend BVerfGE 39, 334 <372 f.> "Radikalenerlass"; kritisch unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 GG Lecheler, ZBR 2000, S. 325 <328 ff.>) kann aufgrund der noch größeren Distanz zum Staat auch in diesem kein Anspruch auf Alimentation bestehen. Mangels insoweit bestehender Pflicht des Staates zur Unterhaltsgewährung begegnet der Umstand der Anrechnung anderweitiger Einkünfte keinen Bedenken.

b) Die Anrechnungsregelung verstößt auch nicht gegen das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG. Dieses enthält zwar einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Angesichts seiner Weite und Unbestimmtheit lässt sich aus ihm jedoch regelmäßig kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren. Zwingend ist lediglich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft (vgl. BVerfGE 82, 60 <80>). Dem Gesetzgeber steht bei der Ausfüllung des Sozialstaatsprinzips ein weiter Gestaltungsraum zu (vgl. BVerfGE 59, 231 <263>). Durch die vorliegend angegriffene Anrechnungsregelung des § 3 UnterhaltsbeihilfeVO werden diese Mindestvoraussetzungen nicht beeinträchtigt. Diese trifft nur solche Referendare, welche neben der Unterhaltsbeihilfe noch über ein Entgelt aus anderer Tätigkeit verfügen und damit in der Gesamtbetrachtung auch nach der Anrechnung in der Lage sind, ein menschenwürdiges Dasein zu führen. Einkünfte in Höhe von 500 € werden ohne Anrechnung belassen, so dass der Einzelne hierdurch in einen Bereich vordringt, in welchem ihm eine Vermögenssumme zufällt, welche nicht den Ruf nach Schaffung staatlicher Mindestvoraussetzungen aufkommen lässt.

c) Auch der Umstand, dass die Unterhaltsbeihilfe ab einem anderweitigen monatlichen Entgelt in Höhe von 2.200 € auf Null reduziert ist, macht die Anrechnungsregelung nicht unverhältnismäßig. Hat der Referendar Einkünfte in dieser Höhe, ist die Bestreitung seines Lebensunterhalts gesichert. Unter dem Gesichtspunkt der Nichtgeltung des Alimentationsgrundsatzes ist dies unter Beachtung des aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden Gestaltungsauftrages verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Nicht Gegenstand der angegriffenen Bescheide und damit vorliegend nicht entscheidungserheblich ist die Frage der Angemessenheit der dem Referendar gewährten Unterhaltsbeihilfe als solche.

Von einer weiteren Begründung der Nichtannahmeentscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
HAAAC-61379