Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Nichterhebung eines angebotenen Zeugenbeweises; Übergehen eines Beweisantrags
Gesetze: FGO § 76, FGO § 81 Abs. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116
Instanzenzug: GE
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt in der Stadt A ein in unmittelbarer Nähe zu Wohnhäusern errichtetes Lager. Die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke —u.a. der Grundstückseigentümer R— sahen sich durch erhebliche, auch nächtliche Lärmbelästigungen bedingt durch das Be- und Entladen der LKW in ihren Wohnbedürfnissen stark beeinträchtigt. Nachdem das Umweltamt 1999 den nächtlichen Ladebetrieb untersagt hatte, erklärte sich die Klägerin bereit, das Grundstück eines der Nachbarn anzukaufen. Daraufhin forderten auch die anderen Grundstückseigentümer von der Klägerin, gestützt auf eine Lärmmessung des Umweltamts der Stadt A, eine Einschränkung des Betriebs des Zentrallagers und im Fall ihrer „Umsiedlung” einen Ersatz der damit verbundenen Unannehmlichkeiten und Kosten.
Die Klägerin erwarb schließlich auch von R mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom dessen mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück zu einem „Kaufpreis” von . €. Ferner verpflichtete sich die Klägerin unter Hinweis darauf, dass R in der Vergangenheit Beschwerden gegen ihren Betrieb erhoben hatte, an R „zur Beendigung der Auseinandersetzungen” als Schadensersatz einen einmaligen Betrag von . € zu zahlen. Mit diesem Betrag sollten „sämtliche materiellen und immateriellen Ansprüche des Verkäufers, bekannt oder nicht bekannt, einschließlich der Kosten für einen Umzug endgültig erledigt” sein. R verpflichtete sich ferner, unverzüglich nach Vertragsabschluss alle notwendigen gerichtlichen und außergerichtlichen streitbeendenden Erklärungen abzugeben. Durch weitere Grundstückskaufverträge vom 19. November bzw. erwarb die Klägerin auch die Grundstücke von weiteren zwei Grundstücksanliegern, wobei sich die Klägerin ebenfalls zu einer Schadensersatzzahlung verpflichtete.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) setzte gegen die Klägerin durch Bescheide vom Grunderwerbsteuer unter Einbeziehung der Schadensersatzleistungen in die Bemessungsgrundlage fest. Die Einsprüche, mit denen die Klägerin die Bemessung der Grunderwerbsteuer allein nach den vereinbarten Grundstückskaufpreisen begehrte und geltend machte, die Schadensersatzleistungen seien allein durch die Immissionsbelästigungen der Grundstücksverkäufer bedingt und stünden in keinem kausalen Zusammenhang mit dem Erwerb der Grundstücke, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Klagen ab und führte aus, die Klägerin habe den jeweils vereinbarten Gesamtbetrag als Entgelt für die Veräußerung der Grundstücke gewährt. Es könne nicht festgestellt werden, dass ein Teil des von der Klägerin gezahlten Schadensersatzes für eine andere Leistung aufgewendet worden sei als für die Verpflichtung, das Eigentum am Grundstück zu verschaffen. Der Vortrag der Klägerin, es sei im Vorfeld der Vertragsverhandlungen über Schadensersatzleistungen aufgrund der in der Vergangenheit erlittenen Lärmbelästigung zwischen den Vertragsparteien gesprochen worden, könne als wahr unterstellt werden. Etwaige Ansprüche der Verkäufer auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld seien jedenfalls von diesen weder konkret beziffert noch anwaltlich oder gerichtlich geltend gemacht worden. Auch die Klägerin sei trotz gerichtlicher Aufforderung nicht in der Lage gewesen, die Schadensersatzansprüche wenigstens in etwa zu beziffern. Mangels objektiver Anhaltspunkte habe auch kein Anlass bestanden, einen auf etwaige Schadensersatzleistungen entfallenden Teilbetrag griffweise zu schätzen.
Mit ihrer Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin die Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend. Sie rügt u.a., dass der Beweisantritt zu der Frage, ob im Vorfeld der Kaufverträge über Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche der Grundstückseigentümer und deren Abgeltung gesprochen worden ist, übergangen worden sei.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt, da die Vorentscheidung auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) beruht, zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG gemäß § 116 Abs. 6 FGO.
1. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) ist in zulässiger Form erhoben. Wird geltend gemacht, das FG habe zu Unrecht einen Beweisantrag übergangen, und hat das FG —wie im Streitfall— im Urteil begründet, warum es von der Erhebung des beantragten Beweises abgesehen hat, genügt bereits die schlichte Rüge der Nichtbefolgung des Beweisantritts den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom XI B 58/02, BFH/NV 2003, 787; vom IV B 51/05, BFH/NV 2007, 1089). Ergibt sich, wie im Streitfall, aus dem Sitzungsprotokoll der (letzten) mündlichen Verhandlung, dass der Beweisantrag ausdrücklich gestellt wurde, sind weitere Ausführungen zur Rüge der Nichterhebung des angebotenen Beweises entbehrlich (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1089; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 67).
2. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Das FG hat § 76 Abs. 1 FGO dadurch verletzt, dass es dem Beweisantritt der Klägerin nicht gefolgt und den Zeugen R nicht vernommen hat.
a) Das FG hat gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die erforderlichen Beweise zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO). Ein von den Verfahrensbeteiligten ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Entscheidungen vom VI B 124/06, BFH/NV 2007, 956; vom VI R 71/99, BFH/NV 2006, 753; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 26, jeweils m.w.N.).
b) Nach diesen Grundsätzen musste das FG den angebotenen Zeugenbeweis erheben. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem FG hatte die Klägerin die Vernehmung des R zu der Frage beantragt, ob im Vorfeld der Kaufverträge über Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche der Grundstückseigentümer und deren Abgeltung gesprochen worden ist. Diese Vernehmung des Zeugen R hat das FG zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, es unterstelle als wahr, dass im Vorfeld der Vertragsverhandlungen über Schadensersatzleistungen aufgrund der in der Vergangenheit erlittenen Lärmbelästigung zwischen den Parteien gesprochen worden sei. Eine solche Wahr-Unterstellung ersetzt jedoch die Vernehmung des R nicht, da es im Streitfall auch auf den näheren Inhalt solcher Gespräche —wenn sie denn stattgefunden haben— ankommt.
Denn das FG hat angenommen, dass es für die Annahme nicht kausal mit dem Grundstückserwerb zusammenhängender Leistungen „weiterer objektiver Anhaltspunkte” bedürfe. Es ist im Weiteren zu der Überzeugung gelangt, dass keine objektiven Anhaltspunkte dafür bestünden, ein Teilbetrag sei auf „Schadensersatz, Schmerzensgeld etc.” entfallen, sowie dass ein entsprechender Betrag von den Grundstückseigentümern „weder konkret beziffert noch anwaltlich oder gerichtlich geltend gemacht worden” sei und die Vertragsparteien bei Abschluss des Kaufvertrags keine „konkrete Entschädigung für etwaige Ansprüche der Vergangenheit aus der Lärmbelästigung vor Augen” gehabt hätten. Derartige —vom FG vermisste— objektive Anhaltspunkte, und zwar sowohl für das Bestehen von Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen der Verkäufer als auch für deren Absicht, solche Ansprüche gegenüber der Klägerin geltend zu machen, hätten sich jedoch aus den im Vorfeld der Grundstückskaufverträge zwischen R und der Klägerin geführten Gesprächen ergeben können. Demgemäß wäre ein solcher Gesprächsinhalt auf der Grundlage der Rechtsauffassung des FG entscheidungserheblich gewesen. Sollte das FG von einer Vernehmung des R mit der Erwägung abgesehen haben, seine Beurteilung könne sich in keinem Fall durch die Vernehmung des R ändern, so wäre dies eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung (dazu z.B. , BFH/NV 1995, 717; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 26, m.w.N.).
3. Das FG wird im zweiten Rechtsgang das Beweisergebnis unter Berücksichtigung der Vorgeschichte und der näheren Begleitumstände, unter denen es zum Abschluss der Grundstückskaufverträge gekommen ist, zu würdigen haben. In die Gesamtwürdigung nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO wird die schriftliche Erklärung des R gegenüber dem FA vom einzubeziehen sein, wonach R nicht mit Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen an die Klägerin herangetreten ist und die Initiative zur Aufteilung des von der Klägerin für den Grundstückserwerb zu zahlenden Betrags in einen Kaufpreis und eine „Schadensersatzzahlung” von der Klägerin ausging. Dies indiziert, soweit nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Geltendmachung von Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen durch die Verkäufer nicht festgestellt werden kann, eine von derartigen Ansprüchen unbeeinflusste Kaufpreisbildung mit der Folge, dass neben dem Kaufpreis auch die vereinbarten „Schadensersatzzahlungen” zur grunderwerbsteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage gehören.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 2118 Nr. 11
BFH/NV 2007 S. 2118 Nr. 11
NAAAC-58361