BAG Urteil v. - 6 AZR 432/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 85 Abs. 2; ZPO § 233

Instanzenzug: ArbG Lübeck 1 Ca 1572/05 vom LAG Schleswig-Holstein 4 Sa 494/05 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis besteht und ob die vorsorgliche Kündigung der Beklagten dieses ggf. aufgelöst hat.

Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist dem Kläger am zugestellt worden. Nach rechtzeitiger Revisionseinlegung ist seine Revisionsbegründung vom (mit dem Vermerk "vorab per Telefax: 0361/2636-2000") per Post am beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Der Kläger hat am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und durch eidesstattliche Versicherungen seiner prozessbevollmächtigten Rechtsanwältin K und der Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten H folgenden Sachverhalt glaubhaft gemacht:

Die seit dem in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten als Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte tätige, bisher stets zuverlässige Frau H habe die Revisionsbegründung am angefertigt und außerhalb der normalen Post der Prozessbevollmächtigten vorgelegt. Diese habe nach Unterzeichnung die mündliche Anweisung gegeben, die Revisionsbegründung vorab per Fax zu schicken und anschließend in die Ausgangspost zu geben. Nach dieser Anweisung habe die Prozessbevollmächtigte die Frist im EDV-Fristenkalender gelöscht. Die Angelegenheit sei "außerhalb der normalen Fristenkontrolle" behandelt worden, weil es sich bei der Revisionsbegründung in der Sozietät durchaus um etwas Besonderes gehandelt habe. Frau H habe die Revisionsbegründung dann versehentlich in den Postausgang gelegt und nicht vorab gefaxt. Die Gründe für diese Unterlassung seien nicht mehr genau nachzuvollziehen. Wegen des Urlaubs von zwei Kolleginnen der Frau H habe es sich um eine sehr hektische Woche gehandelt. Frau H sei wohl durch einen Telefonanruf oder einen Auftrag eines anderen Rechtsanwalts abgelenkt worden.

Gründe

Die Revision des Klägers ist wegen der Versäumung der Frist für die Begründung der Revision unzulässig.

1. Gem. § 74 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG in Verb. mit § 222 Abs. 1 ZPO und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB lief die Frist für die Begründung der Revision am ab. Die Revisionsbegründung des Klägers ging erst am und damit verspätet beim Bundesarbeitsgericht ein.

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gem. § 233 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 234, 236 ZPO). Der Wiedereinsetzungsantrag ist aber nicht begründet. Die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers, das dieser sich zurechnen lassen muss (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).

a) Ein Rechtsanwalt verschuldet eine Fristversäumung, wenn sie auf der Verletzung einer ihm obliegenden Sorgfaltspflicht beruht.

aa) Der Anwalt darf das Absenden des Telefaxes einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft übertragen. Er darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, die Weisung korrekt befolgt. Es besteht keine Verpflichtung, sich über die Ausführung anschließend zu vergewissern ( - BAGE 95, 365, 369; - NJW 1997, 1930; - VersR 2000, 338). Ein Rechtsanwalt darf auch grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelweisung befolgt (vgl. - NJW-RR 2004, 1361, 1362 mwN). Der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt, der die Absendung fristwahrender Schriftsätze seinem Büropersonal überlässt, ist allerdings verpflichtet, eine hinreichende Ausgangskontrolle sicherzustellen ( - BGH Report 2007, 623, 624). Mit Rücksicht auf die Risiken beim Einsatz eines Telefaxgerätes kommt er dieser Verpflichtung nur dann nach, wenn er die Weisung erteilt, einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen und die Frist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen. Der Rechtsanwalt muss dann den Sendebericht nicht selbst überprüfen, sondern darf sich auch insoweit auf die Befolgung seiner Anweisungen verlassen ( - BAGE 95, 365, 369 f. mwN; - NJW 2006, 1519). Die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen können insbesondere in der Führung eines Fristenkalenders und der allgemeinen Anweisung bestehen, dass der Fristenkalender am Ende eines jeden Arbeitstags von einer hierfür bestimmten geeigneten Person kontrolliert wird ( - NJW 1999, 429). Übernimmt der Rechtsanwalt generell oder im Einzelfall die Ausgangskontrolle selbst, muss er ebenfalls für eine wirksame Kontrolle Sorge tragen ( - aaO).

bb) Eine besondere Vorkehrung mag ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn die Bürokraft die unmissverständliche Weisung erhält, einen Vorgang sofort auszuführen (vgl. - NJW-RR 2004, 1361, 1362). Lässt der Anwalt seiner Angestellten hingegen einen zeitlichen Spielraum zur Erledigung der aufgetragenen Arbeit, besteht die Gefahr, dass der Auftrag im Drange der sonstigen Geschäfte vergessen wird. Dieser Fehler kann auch ansonsten verlässlichen Kanzleiangestellten unterlaufen. Der Rechtsanwalt muss deshalb, wenn er nicht die sofortige Ausführung seiner Einzelweisung anordnet, durch eine allgemeine Weisung oder durch einen im Einzelfall zu erteilenden Auftrag Vorkehrungen hiergegen treffen ( - BGH Report 2007, 623, 624). Die Weisung muss dahin gehen, dass die Frist erst nach der Kontrolle des Sendeberichts gelöscht wird ( - MDR 2004, 1374).

b) Bei Anwendung des dargestellten Maßstabs trifft die Prozessbevollmächtigte des Klägers ein Verschulden. Die Prozessbevollmächtigte durfte sich nicht "außerhalb der normalen Fristenkontrolle" auf die fehlerfreie Befolgung ihrer Einzelanweisung verlassen und eine wirksame Ausgangskontrolle durch Löschung der Frist im Fristenkalender vereiteln.

aa) Die Kontrolle hinsichtlich des Ob und Wie der Übermittlung der Revisionsbegründungsschrift wurde durch die mündliche Anweisung vom nicht überflüssig. Eine mündliche Weisung des Rechtsanwalts kann, wie auch vorliegend geschehen, im Büroalltag leicht vergessen werden. Das gilt gerade für Routineangelegenheiten, die nicht zwingend sofort zu erledigen sind, und unabhängig von einer besonderen Arbeitsbelastung der Angestellten. Es entlastet die Prozessbevollmächtigte jedenfalls nicht, dass es zu der betreffenden Zeit in ihrem Büro "hektischer als sonst" zuging. Danach bestand kein Grund, den Vorgang "außerhalb der normalen Fristenkontrolle" zu erledigen. Wenn die Revisionsbegründung für die Prozessbevollmächtigte eine "Besonderheit" darstellte, rechtfertigt das nicht, auf Vorkehrungen gegen Fristversäumung wegen des Unterbleibens der rechtzeitigen Faxübermittlung zu verzichten. Zudem standen noch zwei volle Tage bis zum Fristablauf zur Verfügung, so dass eine spätere Ausgangskontrolle, sei es durch die Prozessbevollmächtigte selbst, sei es durch die Angestellte, einen guten Sinn gemacht hätte.

bb) Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat die Ausgangskontrolle selbst wahrgenommen, als sie die Revisionsbegründungsfrist im Fristenkalender gestrichen hat. Diese Kontrolle war aber unzureichend, weil der Vorgang gerade nicht erledigt war, sondern lediglich die Übermittlung durch Fax angeordnet war. Es begründet ein eigenes Verschulden der Prozessbevollmächtigten, dass sie die Frist als erledigt behandelt und dadurch eine Kontrollmöglichkeit verhindert hat (vgl. - NJW 2006, 1519). Es kommt also nicht darauf an, ob eine Anweisung bestand, die Absendung durch Ausdruck eines Sendeberichts zu überprüfen, bevor die Revisionsbegründungsfrist im Fristenkalender gelöscht werden durfte, und in welcher Weise etwaigen Schwierigkeiten oder Fehlern bei der Faxübermittlung zu begegnen war; denn die Prozessbevollmächtigte hat eine solche Anweisung jedenfalls außer Kraft gesetzt. Bei korrektem Vorgehen wäre auf Grund des Fristenkalenders noch rechtzeitig bemerkt worden, dass das Fax nicht abgesandt worden war (vgl. - VersR 1998, 607). Das Verschulden liegt also in der Löschung der Frist, ohne anderweitige Vorkehrungen zu treffen. Deshalb ist unerheblich, dass Frau H auch die Anweisung, einen Sendebericht auszudrucken und zu kontrollieren, mitsamt der Faxübermittlung hätte vergessen können.

3. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
CAAAC-57640

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein