Auflösung eines Arbeitsverhältnisses i.S. von § 3 Nr. 9 EStG im Falle eines Management buy out
Leitsatz
Ein bestehendes Arbeitsverhältnis wird i. S. von § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG aufgelöst, wenn im Falle eines Management buy out ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis beendet, die von ihm mit gegründete GmbH, an der er zu 50 % beteiligt ist, den Geschäftsbetrieb des Arbeitgebers fortführt und er mit dieser GmbH einen Anstellungsvertrag als Geschäftsführer abschließt. Das Dienstverhältnis als Gesellschafter-Geschäftsführer stellt rechtlich und wirtschaftlich betrachtet keine Fortsetzung des früheren Dienstverhältnisses als Angestellter dar.
Gesetze: EStG § 3 Nr. 9, EStG § 24 Nr. 1a, EStG § 34, EStG 52 Abs. 47
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit dem bei der zu einem Konzern gehörenden X-GmbH (GTI GmbH) als Obermonteur für den Bereich Elektrotechnik angestellt. Sein Aufgabengebiet umfasste im Wesentlichen die Leitung von Baustellen auf dem Gebiet der Stark- oder Schwachstromtechnik. Im Streitjahr 1999 war der Kläger nach seinen eigenen Angaben leitender Angestellter.
Die X-GmbH gewährte dem Kläger mit Vertrag vom zweckgebunden für die Gründung einer GmbH, insbesondere zur Einzahlung der Stammeinlage, ein unverzinsliches Darlehen über 25 000 DM. Das Darlehen hatte eine Laufzeit von drei Monaten und war in einer Summe zurückzuzahlen. Ein Darlehen zu vergleichbaren Bedingungen erhielt M, der ebenfalls als leitender Angestellter bei der X-GmbH tätig war. Anschließend gründeten der Kläger und M die Y-GmbH.
Mit Vertrag vom veräußerte der Arbeitgeber des Klägers, die X-GmbH, ihren Geschäftsbetrieb einschließlich des wesentlichen Anlagevermögens und sämtlicher Auftragsbestände mit Wirkung zum an die neu errichtete Y-GmbH. Der Kaufpreis betrug 1 DM. In der Präambel des Vertrags ist aufgenommen, dass die X-GmbH beabsichtige, ihre werbende Geschäftstätigkeit in Deutschland einzustellen, und zu diesem Zweck ihren Geschäftsbetrieb veräußern wolle. Der Kläger und M erklärten, dass ihnen im Zusammenhang mit dem Ausscheiden aus den Diensten der X-GmbH keinerlei Ansprüche mehr, gleich aus welchem Rechtsgrund, gegen die X-GmbH zustehen (Tz. 12.1 des Vertrags). Die X-GmbH verzichtete ausdrücklich auf die Rückzahlung der gewährten Darlehen.
Der Kläger und M beendeten zum ihre Tätigkeit bei der X-GmbH und übernahmen ab die Geschäftsführung der von ihnen gegründeten Y-GmbH. Als Vergütung für die Geschäftsführungstätigkeit des Klägers waren ein Jahresgehalt von 84 500 DM sowie eine Tantieme vereinbart. Daneben konnte er einen Firmenwagen für private Zwecke nutzen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erhöhte wegen des Verzichts der X-GmbH auf die Darlehensrückzahlung im Einkommensteuerbescheid für 1999 vom die steuerpflichtigen Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um 25 000 DM und unterwarf diese dem vollen Steuersatz.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg; die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1667 veröffentlicht.
Mit der —vom FG zugelassenen— Revision rügt der Kläger die unrichtige Anwendung der §§ 3 Nr. 9, 24 Nr. 1 Buchst. a, 34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Sein Arbeitsvertrag sei auf Veranlassung seines früheren Arbeitgebers mit seiner Zustimmung durch einen Aufhebungsvertrag aufgelöst worden. Daraufhin sei mit der Y-GmbH, also einem anderen Arbeitgeber, ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen worden. Auch wenn seine neue Tätigkeit als Geschäftsführer Ähnlichkeit mit seiner früheren Tätigkeit aufgewiesen habe, sei —wirtschaftlich betrachtet— der Arbeitsplatz nicht unverändert beibehalten worden. Die Y-GmbH sei wegen der Übernahme der Haftung für Gewährleistungsansprüche aus Verträgen der X-GmbH wirtschaftlich wesentlich schlechter gestellt gewesen als andere neu gegründete Firmen. Auch aus dem nur symbolischen Kaufpreis von 1 DM sei erkennbar, dass die X-GmbH ihr eigenes Unternehmen als risikobehaftet angesehen habe. Bei der Einkommensteuerveranlagung des Mitgesellschafters M sei der Verzicht auf die Darlehensrückzahlung als steuerfreie Abfindung anerkannt worden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1999 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahin gehend zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Freibetrages in Höhe von 16 000 DM gemäß § 3 Nr. 9 EStG sowie unter Ansatz der Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurückzuverweisen.
II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Entgegen der Rechtsansicht des FG ist von einer Auflösung des Dienstverhältnisses des Klägers auszugehen. Die Feststellungen des FG reichen jedoch nicht aus, um beurteilen zu können, ob aufgrund des vom früheren Arbeitgeber erklärten Verzichts auf die Darlehensrückzahlung die weiteren Voraussetzungen für eine steuerfreie Abfindung gemäß § 3 Nr. 9 EStG und für die Tarifermäßigung nach den §§ 24 Nr. 1 Buchst. a, 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG erfüllt sind.
1. Gemäß § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses, höchstens jedoch 16 000 DM, steuerfrei.
a) Die Auflösung des Dienstverhältnisses verlangt dessen endgültige Beendigung. Nur unter dieser Voraussetzung ist die aus sozialpolitischen Gründen gewährte Steuerbefreiung, mit der den Folgen eines Arbeitsplatzverlustes Rechnung getragen werden soll, gerechtfertigt. Im Falle des Wechsels des Arbeitgebers wird allerdings eine rein formale Betrachtung der Zielsetzung des § 3 Nr. 9 EStG nicht gerecht. Entscheidend ist vielmehr, wie die Beteiligten nach den Umständen des einzelnen Falles die Umsetzung des Arbeitnehmers ausgestaltet haben. Wird das bestehende Dienstverhältnis bei Umsetzung eines Arbeitnehmers innerhalb eines Konzerns oder anlässlich eines Betriebsübergangs zwar mit einem neuen Arbeitgeber, aber im Übrigen in Bezug auf den Arbeitsbereich, die Entlohnung und unter Wahrung des sozialen Besitzstandes im Wesentlichen unverändert fortgesetzt, so ist ein Arbeitsplatzverlust, der eine steuerfreie Abfindung rechtfertigen könnte, nicht gegeben (vgl. , BFHE 183, 532, BStBl II 1997, 666; vom XI R 1/99, BFH/NV 2000, 1195; , BFH/NV 2005, 1859; , BFH/NV 2006, 1071).
b) Dagegen wird ein bestehendes Arbeitsverhältnis i.S. von § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG aufgelöst, wenn im Falle eines Management buy out ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis beendet, die von ihm mit gegründete GmbH, an der er zu 50 v.H. beteiligt ist, den Geschäftsbetrieb des Arbeitgebers fortführt und er mit dieser GmbH einen Anstellungsvertrag als Geschäftsführer abschließt. Das Dienstverhältnis als Gesellschafter-Geschäftsführer stellt rechtlich und wirtschaftlich betrachtet keine Fortsetzung des früheren Dienstverhältnisses als Angestellter dar.
Das neu begründete Dienstverhältnis als Geschäftsführer beruht auf der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung und damit auf dem eigenen Kapitaleinsatz des aus seinem früheren Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Arbeitnehmers. Durch seine Beteiligung an der neu gegründeten GmbH trägt er ein über den Verlust des Arbeitsplatzes hinausgehendes Risiko, sein eingesetztes Kapital zu verlieren. Die Ausgestaltung seines Dienstvertrags, insbesondere auch die Festlegung seiner Bezüge kann der Gesellschafter-Geschäftsführer —im Gegensatz zu anderen Arbeitnehmern— selbst vornehmen bzw. bei Beteiligung von mehreren Gesellschaftern zumindest wesentlich mitbestimmen. Wirtschaftlich gesehen hat er damit eine wesentlich andere Stellung als ein nicht finanziell beteiligter Angestellter.
Mit der Übernahme der Geschäftsführung sind zudem besondere Rechte und Pflichten verbunden. Der Geschäftsführer ist Organ der GmbH (vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl., § 35 Rz 12 ff.). Er hat die Pflicht, die Geschäfte der Gesellschaft im Rahmen des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstandes zu führen. Nach § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) vertritt er die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. In Angelegenheiten der Gesellschaft hat er die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden; bei Verletzung seiner Obliegenheiten haftet er der Gesellschaft für den entstandenen Schaden (§ 43 Abs. 1 und 2 GmbHG). Gegenüber der Gesellschaft unterliegt er einer besonderen Treuepflicht (Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, a.a.O., § 35 Rz 38 ff.). Seine Stellung unterscheidet sich in rechtlicher Hinsicht grundlegend von der eines (leitenden) Angestellten.
2. Danach ist im Streitfall das ursprünglich zur X-GmbH bestehende Arbeitsverhältnis des Klägers aufgelöst worden. Die Aufnahme der Tätigkeit als Geschäftsführer der Y-GmbH kann nicht als Fortsetzung eines insgesamt einheitlich zu betrachtenden Dienstverhältnisses angesehen werden, selbst wenn der Kläger aufgrund seines früheren Arbeitsvertrags eine leitende Funktion ausgeübt hätte.
Ob die Voraussetzungen für eine steuerfreie Abfindung i.S. des § 3 Nr. 9 EStG vorliegen, kann aber nicht abschließend entschieden werden. Das FG hat —von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht— bisher keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob der Verzicht auf die Darlehensrückzahlung eine Abfindung darstellt, also eine Zuwendung, die der Kläger anlässlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum Ausgleich von Nachteilen aus dem Verhalten des Arbeitgebers erhalten hat (vgl. , BFHE 164, 279, BStBl II 1991, 723), und ob die Auflösung vom Arbeitgeber veranlasst worden ist (vgl. , BFHE 207, 336, BStBl II 2005, 181). Dies wird das FG nachzuholen haben.
3. Dabei wird das FG auch zu klären haben, ob mit dem Verzicht auf die Darlehensrückzahlung eine Entschädigung als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen i.S. der §§ 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2, 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gewährt werden sollte (vgl. , BFH/NV 2005, 1772).
Sollte das FG aufgrund seiner Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, dass der Verzicht eine Abfindung i.S. des § 3 Nr. 9 EStG darstellt, wären hinsichtlich des steuerpflichtigen Teils der Entschädigung die Voraussetzungen für eine Tarifermäßigung gemäß § 34 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erfüllt. Diese Vorschrift war erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden (§ 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002). Gegen die Anwendung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken; der Verzicht auf die Darlehensrückzahlung ist im Vertrag vom und damit nach der am erfolgten Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 erklärt worden (vgl. hierzu , BStBl II 2006, 887).
4. Der Kläger kann die von ihm begehrte Steuerfreiheit und Tarifbegünstigung nicht allein mit der Begründung beanspruchen, dass der Verzicht auf die Darlehensrückzahlung bei der Einkommensteuerveranlagung des Mitgesellschafters M als Abfindung i.S. des § 3 Nr. 9 EStG und als Entschädigung i.S. der §§ 24 Nr. 1 Buchst. a, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG gewertet worden ist. Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) gewährt keinen Anspruch auf eine möglicherweise fehlerhafte Rechtsanwendung (vgl. , BStBl II 2006, 615).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1473 Nr. 8
BFH/NV 2007 S. 1857 Nr. 10
GmbH-StB 2007 S. 363 Nr. 12
GmbHR 2007 S. 1169 Nr. 21
NWB-Eilnachricht Nr. 44/2007 S. 8
VAAAC-54122