Leitsatz
1. Unterhält ein Alleinstehender, der am Beschäftigungsort wohnt, an einem anderen Ort einen eigenen Hausstand, besteht mit zunehmender Dauer besonderer Anlass zu prüfen, wo sich sein Lebensmittelpunkt befindet.
2. Unterkunftskosten am Beschäftigungsort sind notwendig i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG, wenn sie den Durchschnittsmietzins einer 60 qm-Wohnung am Beschäftigungsort nicht überschreiten.
Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Sätze 1 und 2EStG § 12 Nr. 1 Satz 1EStG § 32a Abs. 1 Nr. 1SGB II SGB II § 22
Instanzenzug: (EFG 2006, 1750) (Verfahrensverlauf)
Gründe
I.
Die unverheiratete Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist in F nichtselbständig tätig. Sie bewohnt eine 1999 von ihr erworbene, 57 qm große Eigentumswohnung in L; außerdem hat sie nach eigenen Angaben einen eigenen Hausstand in G. Im Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 beantragte die Klägerin, Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung zu berücksichtigen. Hierzu reichte sie eine Kostenaufstellung über 8 781 € für die eigene Zweitwohnung in L ein. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erkannte Aufwendungen für die Wohnung lediglich in Höhe von 7 200 € an, weil notwendig und angemessen nur Aufwendungen für eine Zweitwohnung mit 60 qm Größe und einem Mietpreis von 10 €/qm monatlich seien.
Die Klage, mit der die Klägerin weiterhin die Berücksichtigung des von ihr angesetzten Betrages begehrte, hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, das Gesetz beschränke die Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung auf das Notwendige. Wohne der Arbeitnehmer am Beschäftigungsort in einer eigenen Eigentumswohnung, seien die Aufwendungen dafür nur insoweit notwendig, als sie die üblichen Kosten einer Mietwohnung nicht überstiegen. Als Vergleichsmaßstab sei eine nach Lage, Größe und Ausstattung für die Verhältnisse des Steuerpflichtigen angemessene Wohnung am Beschäftigungsort heranzuziehen. Danach sei die vom FA vorgenommene Berechnung nicht zu beanstanden. Eine Wohnungsgröße von 60 qm sei für einen Einpersonenhaushalt angemessen. Auch gegen den Ansatz eines Mietzinses von 10 €/qm sei nichts einzuwenden. Der auf die Wohnung der Klägerin umgerechnete Mietpreis von 10,53 €/qm entspreche einem anhand von Daten des FA erstellten Mietspiegel. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1750 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, das finanzgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die von der Klägerin geltend gemachten Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Das FG ist hierbei ebenso wie die Beteiligten davon ausgegangen, dass eine doppelte Haushaltsführung vorliege. Das finanzgerichtliche Urteil enthält jedoch in tatsächlicher Hinsicht keine ausreichenden Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO, die eine revisionsgerichtliche Überprüfung ermöglichen, ob die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung dem Grunde nach erfüllt sind.
a) Notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, sind gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach Nr. 5 Satz 2 der Vorschrift vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Auch ein alleinstehender Arbeitnehmer kann einen doppelten Haushalt führen (, BFHE 175, 430, BStBl II 1995, 180, unter 6.; vom VI R 170/99, BFHE 203, 386, BStBl II 2004, 16).
Nach dem Gesetz ist zwischen dem Wohnen in einer Zweitwohnung am Beschäftigungsort und dem Unterhalten eines eigenen Hausstandes außerhalb dieses Ortes zu unterscheiden. Mit dem „Hausstand” ist der Ersthaushalt (Hauptwohnung) umschrieben, an dem sich der Arbeitnehmer —abgesehen von den Zeiten der Arbeitstätigkeit und ggf. Urlaubsfahrten— regelmäßig aufhält, den er fortwährend nutzt und von dem aus er sein Privatleben führt, d.h. wo er seinen Lebensmittelpunkt hat. Das Vorhalten einer Wohnung außerhalb des Beschäftigungsortes für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu werten.
b) Ob die außerhalb des Beschäftigungsorts belegene Wohnung des Arbeitnehmers als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2001, 1111; vom VI R 82/02, BFHE 207, 292, BStBl II 2005, 98). Bei nicht verheirateten Arbeitnehmern spricht, je länger die Auswärtstätigkeit dauert, immer mehr dafür, dass die eigentliche Haushaltsführung und auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen an den Beschäftigungsort verlegt wurden und die Heimatwohnung nur noch für Besuchszwecke vorgehalten wird (vgl. , BFH/NV 2000, 949). Eine besondere Prüfung, ob der Lebensmittelpunkt gewechselt hat, ist daher angezeigt. Indizien können sein, wie oft und wie lange sich der Arbeitnehmer in der einen und der anderen Wohnung aufhält, wie beide Wohnungen ausgestattet und wie groß sie sind. Von Bedeutung sind auch die Dauer des Aufenthalts am Beschäftigungsort, die Entfernung beider Wohnungen sowie die Zahl der Heimfahrten. Erhebliches Gewicht hat ferner der Umstand, zu welchem Wohnort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen (Urteil in BFH/NV 2001, 1111).
c) Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Obwohl nach den vorstehenden Erwägungen Anlass dazu bestand, hat das FG —wie bereits das FA— nicht geprüft, ob sich der Lebensmittelpunkt der ledigen Klägerin weiterhin an ihrem Wohnsitz in G befand. Da zum Unterhalten eines eigenen Hausstands gehört, dass dieser der Lebensmittelpunkt des Arbeitnehmers geblieben ist, sind hierzu tatsächliche Feststellungen erforderlich, bevor auf die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen eingegangen werden kann.
2. Falls das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass eine doppelte Haushaltsführung dem Grunde nach zu bejahen ist, wird es hinsichtlich der Höhe der abziehbaren Werbungskosten folgendes zu berücksichtigen haben:
a) Während Aufwendungen für den Haushalt des Steuerpflichtigen grundsätzlich nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG abgegolten und nach § 12 Nr. 1 Satz 1 EStG nicht abziehbar sind, weist § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG —wenn die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung gegeben sind— die Kosten für das Wohnen am Beschäftigungsort dem Grunde nach dem betrieblich oder beruflich veranlassten Mehraufwand zu. Als Unterkunftskosten am Beschäftigungsort sind auch im Falle des Wohnens in einer eigenen Wohnung grundsätzlich die tatsächlich angefallenen Aufwendungen anzusetzen. Die Ermittlung fiktiver (Miet-)Kosten ist nur dann geboten, wenn die tatsächlichen Kosten so hoch sind, dass es sich nicht mehr um „notwendige” Mehraufwendungen für die Unterkunft i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG handelt (vgl. , BFHE 191, 552, BStBl II 2000, 474).
b) Die Beschränkung der Mehraufwendungen auf das Notwendige begrenzt den Abzug auf das nach objektiven Maßstäben zur Zweckverfolgung Erforderliche. Zwar sind betrieblich oder beruflich veranlasste Aufwendungen grundsätzlich unabhängig davon, ob sie notwendig, angemessen, üblich oder zweckmäßig sind, in voller Höhe als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar (vgl. , BFHE 188, 374, BStBl II 1999, 828, m.w.N.). Wenn ihr Abzug aber durch das Gesetz auf das Notwendige begrenzt ist, bestimmt sich dieser nicht nach den subjektiven Vorstellungen des Steuerpflichtigen, sondern nach objektiven Maßstäben.
c) Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH und der überwiegenden Auffassung der Finanzgerichte und der Literatur, den notwendigen Mehraufwand auf den angemessenen Bedarf zu beschränken. Der BFH hat bisher allerdings nicht entschieden, welche Angemessenheitsgrenze für den Wohnbedarf der doppelten Haushaltsführung besteht (vgl. , BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; vom IX R 55/01, BFHE 202, 15, BStBl II 2003, 627; vom VI R 228/80, BFHE 137, 564, BStBl II 1983, 467, unter 6. der Gründe; vom VI R 126/78, BFHE 127, 393, BStBl II 1979, 473; , juris; des , EFG 1997, 1108; des , EFG 1983, 444; von Beckerath in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 9 Rz 275; Bergkemper in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 490; Blümich/Thürmer, § 9 EStG Rz 387; von Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz G 105 ff.; Claßen in Lademann, EStG, § 9 EStG Rz 101; Schmidt/Drenseck, EStG, 26. Aufl., § 9 Rz 157; Söhn, Steuer und Wirtschaft 1983, 193).
d) Da im Rahmen der doppelten Haushaltsführung nur die zu den Wohnungsaufwendungen am Lebensmittelpunkt hinzukommenden Wohnkosten abziehbar sind, hat sich das Merkmal „notwendig” am Abzugszweck —Berücksichtigung des zusätzlichen Wohnbedarfs am Beschäftigungsort— zu orientieren, also daran, welcher Wohnungszuschnitt für einen Steuerpflichtigen als Einzelperson erforderlich ist, der von dort seiner Arbeit nachgeht, aber an einem anderen Ort, an dem sich auch sein Lebensmittelpunkt befindet, seinen Haupthausstand beibehalten hat (vgl. in BFHE 207, 292, BStBl II 2005, 98, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom VI B 25/05, BFH/NV 2005, 1560; vom VI B 160/03, BFH/NV 2005, 39).
aa) Im Hinblick auf die von Beschäftigungsort zu Beschäftigungsort erheblich schwankenden Wohnkosten sieht der Senat eine betragsmäßige feste Obergrenze nicht als sachgerecht an, sondern hält Mehraufwendungen für notwendig, soweit sie sich für eine Wohnung mit einer Wohnfläche bis zu 60 qm bei einem ortsüblichen Mietzins je qm für eine nach Lage und Ausstattung durchschnittliche Wohnung (Durchschnittsmietzins) ergeben. Hierbei wird der für die Wohnung am Lebensmittelpunkt anerkannte sozialhilferechtliche Bedarf im Hinblick auf die Finanzierung der Wohnung durch eigene Berufstätigkeit angehoben, da die sozialrechtlichen Vorgaben lediglich einer existenziellen Versorgung dienen.
Der sozialhilferechtlich anerkannte Mindestbedarf für Unterkunft und Wohnen einer Person liegt nach der sozialrechtlichen Rechtsprechung, Literatur und Praxis zum gegenwärtigen § 22 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) und zur zuvor geltenden Rechtslage nach § 12, § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und der RegelsatzVO bei einer Wohnung, die eine Fläche zwischen 45 qm und 50 qm aufweist und nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt (vgl. B 7b AS 18/06 R, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte —FEVS— 58, 271; 5 C 8.04, Neue Juristische Wochenschrift 2005, 310; vom 5 C 11.93, BVerwGE 97, 110, Die öffentliche Verwaltung 1995, 602, jeweils m.w.N.). Auch wenn mit der Wohnung am Beschäftigungsort nicht alle Funktionen einer Wohnung am Lebensmittelpunkt wahrgenommen werden, erscheint es angemessen, die Bezugsgrößen Wohnfläche und Ausstattung wie oben beschrieben anzuheben.
bb) Die bestimmenden Merkmale Wohnfläche und ortsüblicher Durchschnittsmietzins haben zur Folge, dass die Grenze des Notwendigen einerseits —zum Beispiel bei einer Luxuswohnung— bereits bei einer Wohnfläche unter 60 qm überschritten, andererseits —zum Beispiel bei tatsächlichen Quadratmeterkosten unter dem Ortsüblichen— bei einer Wohnfläche über 60 qm noch eingehalten sein kann. Dies gestattet es dem Steuerpflichtigen, bei der Wohnungswahl eigene Prioritäten zu setzen, beispielsweise indem er bei der Wohnungsgröße Abstriche macht, aber einen höheren Standard wählt und umgekehrt. Die Grenze des Notwendigen bestimmt sich damit ähnlich wie der angemessene Wohnbedarf in der Rechtsprechung des BSG, wenn es der sog. Produkttheorie folgend auf das in der Wohnungsmiete zum Ausdruck kommende Produkt aus angemessener Wohnfläche und Wohnungsstandard abstellt, um nicht ohne sachlichen Grund die Wohnungswahl zu beschränken (vgl. Urteil des BSG in FEVS 58, 271).
cc) Die vorgenommene Typisierung des Tatbestandsmerkmals „notwendig” dient der einfacheren Handhabung in steuerlichen Massenverfahren. Derartige Quantifizierungen durch höchstrichterliche Rechtsprechung finden sich nicht nur im Steuerrecht, wenn etwa Obergrenzen für aus eigenbetrieblichem Interesse erfolgte Zuwendungen (vgl. , BFHE 167, 542, BStBl II 1992, 655, m.w.N.) oder Grenzen für angemessene Gewinnverteilungen in Familienpersonengesellschaften (vgl. , BFHE 193, 292, BStBl II 2001, 299) bestimmt wurden, sondern auch in anderen Rechtsgebieten, insbesondere im Sozialrecht (vgl. BFH-Urteile in BFHE 167, 542, BStBl II 1992, 655, m.w.N.; vom VI R 151/99, BFHE 211, 321, BStBl II 2006, 439, und VI R 151/00, BFHE 211, 325, BStBl II 2006, 442; Küttner/Thomas, Personalbuch 2007, Stichwort Pauschbeträge, Rz 17). In Übereinstimmung hiermit wurde bereits in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung eine Wohnflächengrenze von 60 qm als Bestimmungsmerkmal für den Begriff des Notwendigen herangezogen (vgl. , juris; des , EFG 1997, 1108; des , juris).
dd) Sofern das FG daher im 2. Rechtsgang das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung dem Grunde nach bejaht, wird es Feststellungen zum ortsüblichen Durchschnittsmietzins zu treffen und auf dieser Grundlage den im Rahmen der doppelten Haushaltsführung für Wohnaufwand höchsten abziehbaren Betrag zu ermitteln haben.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 820
BB 2007 S. 1995 Nr. 37
BFH/NV 2007 S. 1996 Nr. 10
BStBl II 2007 S. 820 Nr. 17
DStR 2007 S. 1568 Nr. 36
DStRE 2007 S. 1212 Nr. 18
DStZ 2007 S. 647 Nr. 20
EStB 2007 S. 365 Nr. 10
EStB 2007 S. 365 Nr. 10
FR 2008 S. 40 Nr. 1
GStB 2007 S. 38 Nr. 10
HFR 2007 S. 1103 Nr. 11
KÖSDI 2007 S. 15733 Nr. 10
NWB-Eilnachricht Nr. 36/2007 S. 3113
StB 2007 S. 362 Nr. 10
StBW 2007 S. 3 Nr. 19
StBp. 2007 S. 317 Nr. 10
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2007 S. 674
MAAAC-53704