Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: BGB § 249 Abs. 1; BGB § 311 Abs. 2; VOB/A § 25 Nr. 1; VOB/A § 25 Nr. 1 Abs. 1b
Instanzenzug: LG Leipzig 13 O 3456/04 vom OLG Dresden 20 U 1873/05 vom
Tatbestand
Die Klägerin nimmt nach erfolgloser Teilnahme an einem Vergabeverfahren die beklagte Gemeinde auf Schadensersatz wegen des ihr entgangenen Gewinns in Anspruch.
Die Beklagte beabsichtigte den Neubau einer Fußgängerüberführung über eine Bundesstraße und schrieb dieses Bauvorhaben im Jahre 2003 öffentlich nach der VOB/A aus. Gegenstand der Ausschreibung und des 19 Seiten umfassenden Leistungsverzeichnisses war eine Stahlbetonbrücke; Änderungsvorschläge und isolierte Nebenangebote waren zugelassen, sollten jedoch ebenfalls nach Mengenangaben und Einzelpreisen aufgegliedert werden, auch bei einem Pauschalpreis. Ein Hauptangebot mit ausgefülltem Leistungsverzeichnis reichte nur die L. GmbH (im Folgenden: L.) ein; der Preis betrug ca. 283.600,-- €. Zusätzlich legte die L. ein als Sondervorschlag bezeichnetes Nebenangebot zum Preis von rund 167.700,-- € vor, das eine Holzbrücke auf Stahlbetonstützen nach einem "System B. " (im Folgenden: System B.) beinhaltete. Dieses Nebenangebot war mit einem sechsseitigen die Vor- und Nebenarbeiten betreffenden Positionsverzeichnis versehen, das sich an den Titeln des Leistungsverzeichnisses orientierte, für den eigentlichen Stahl-Holz-Brückenüberbau einschließlich Treppenlage indes nur eine Pauschale von 82.885,-- € vorsah. Die Klägerin gab ein isoliertes Nebenangebot ab, das ebenfalls eine Stahl-Holz-Konstruktion, jedoch nach dem grundlegend andersartigen Konstruktionsprinzip des Unternehmens S. (im Folgenden: S.) zum Gegenstand hatte und das die S. als Nachunternehmerin für den Brückenüberbau vorsah; der insgesamt nur pauschal angegebene Angebotspreis betrug rund 217.000,-- €. Die Beklagte stellte fest, das Hauptangebot der L. übersteige ihre finanziellen Mittel und sei daher für sie nicht umsetzbar. Das Nebenangebot der Klägerin sei wegen des Pauschalpreises bzw. wegen der fehlenden Angabe von Einzelpreisen und Mengenansätzen von der Wertung auszuschließen und sei auch wohl überhöht. Der Sondervorschlag der L. als das wirtschaftlich günstigere Angebot bedürfe weiterer technischer Abklärung. Auch hinsichtlich der Nebenangebote sei bei der gezeigten geringen Marktbeteiligung ein annehmbarer Preis nicht gefunden worden. Bei Akzeptanz der Holzvariante solle mit der L. die Abklärung betrieben werden. In der Folgezeit nahm die Beklagte mit der L. Verhandlungen auf, die dazu führten, dass die L. ihren Angebotspreis auf 148.589,64 € reduzierte und am den Auftrag erhielt, wobei die Vertragsparteien vereinbarten - insoweit abweichend vom ursprünglichen Sondervorschlag der L. -, dass der Brückenüberbau durch die S. als Nachunternehmer errichtet werden solle. Die L. führte den Auftrag aus und verwirklichte dabei, wie im Revisionsverfahren nicht mehr streitig ist, im Wesentlichen die von der Klägerin angebotene Konstruktion.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 43.686,-- € gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und gemäß dem Klageantrag erkannt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Landgerichts.
I. Das Berufungsgericht hat sein Urteil wie folgt begründet: Der Klägerin stehe der geltend gemachte Gewinnersatzanspruch gegen die Beklagte nach §§ 311 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo zu. Die Beklagte habe das vorvertragliche Vertrauensverhältnis der Parteien verletzt. Beide Anspruchsvoraussetzungen, dass nämlich der ausgeschriebene Auftrag tatsächlich erteilt worden sei und dass der auf Schadensersatz klagende Bieter ihn bei rechtmäßigem Abschluss des Vergabeverfahrens zwingend hätte erhalten müssen, seien zu bejahen. Der ausgeschriebene Auftrag sei erteilt worden, weil sowohl das Nebenangebot der Klägerin als auch das ursprüngliche Angebot der L. ausschreibungskonform gewesen seien. Die L. hätte aber den Auftrag zum Bau der Brücke nach dem ursprünglich nur von der Klägerin angebotenen System S. nicht erhalten dürfen, weil die L. innerhalb der Angebotsfrist ein Angebot dieses später verwirklichten Inhalts nicht abgegeben habe. Statt dessen hätte die Klägerin als einziger verbliebener Mitbieter beauftragt werden müssen. Dies setze zwar ein wertungsfähiges Angebot der Klägerin voraus, jedoch brauche nicht abschließend entschieden zu werden, ob das Angebot der Klägerin, weil es nicht die in den Bewerbungsbedingungen grundsätzlich geforderte Aufgliederung nach Mengenansätzen und Einzelpreisen habe erkennen lassen, von der Wertung hätte ausgeschlossen werden müssen. Denn jedenfalls könne sich die Beklagte nach Treu und Glauben auf etwaige formale Defizite des klägerischen Angebots nicht berufen. Sie habe sich nämlich durch diese Defizite nicht daran gehindert gesehen, im Ergebnis die von der Klägerin angebotene Brücke bauen zu lassen, nur eben nicht mit der Klägerin als Auftragnehmer. Die Beklagte habe die konstruktiven und preislichen Einzelheiten über den von ihr beauftragten Erschließungsträger, die L. und/oder die S., besorgt oder besorgen lassen. Auf dieser Basis habe die L. mehr als drei Monate nach Ablauf der Angebotsfrist und in Kenntnis des von der Klägerin kalkulierten Preises ein neues preisgünstigeres Angebot erstellt, das im Wesentlichen inhaltsgleich mit dem der Klägerin gewesen sei, und darauf dann den Auftrag erhalten. Darin liege ein eklatant vergaberechtswidriges Verhalten der Beklagten. Dieser Verstoß stehe dem Einwand der Beklagten, das klägerische Angebot hätte wegen Unvollständigkeit nicht gewertet werden dürfen, um so mehr entgegen, als das neue Angebot der L. für den Brückenüberbau, also für den wertmäßig rund 70 % ausmachenden Leistungsteil der S., wiederum nur einen nicht weiter aufgegliederten Pauschalpreis genannt und somit seinerseits den Bewerbungsbedingungen offenkundig nicht entsprochen habe. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sei es nicht mehr hinnehmbar, den Gewinnersatzanspruch der Klägerin an gegebenenfalls fehlenden Angaben in ihrem Angebot scheitern zu lassen.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den von der Klägerin geltend gemachten Ersatzanspruch als gegeben erachtet.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats entsteht durch die Teilnahme eines Bieters an der Ausschreibung eines öffentlichen Auftraggebers ein vorvertragliches Vertrauensverhältnis mit Sorgfalts- und Schutzpflichten, zu denen jedenfalls dann, wenn - wie hier - auf der Grundlage der VOB/A ausgeschrieben war, auch gehört, dass der Auftraggeber deren Vorgaben einhält. Umgekehrt darf der Bieter auf die Einhaltung dieser Regeln vertrauen; eine Verletzung dieses Vertrauens kann auf seiner Seite Ersatzansprüche auslösen. Diese Rechtsprechung, die in der Vergangenheit aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsinstitut der culpa in contrahendo hergeleitet wurde, ist jetzt auf § 311 Abs. 2 BGB zu stützen, nachdem die Haftung aus culpa in contrahendo mit dieser am in Kraft getretenen Vorschrift eine normative Grundlage erhalten hat. Der Sache nach ist an der bisherigen Rechtsprechung aber festzuhalten, weil § 311 Abs. 2 BGB an dem bisher angewandten Recht inhaltlich nichts ändern wollte.
2. Ersatz seines entgangenen Gewinns kann nach diesen Grundsätzen ein grundsätzlich ersatzberechtigter übergangener Bieter jedoch nur dann erhalten, wenn er ohne den Verstoß und bei auch ansonsten ordnungsgemäßer Vergabe den Zuschlag hätte erhalten müssen (vgl. nur Urt. v. - X ZR 30/03, VergabeR 2004, 604; v. - X ZR 115/04, VergabeR 2007, 73; Motzke/Pietzcker/Prieß, VOB, Syst V Rdn. 211 f.). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Nach dem festgestellten Sachverhalt war die Beklagte nicht gehalten, den Auftrag zum Bau der Fußgängerbrücke der Klägerin zu erteilen; damit scheidet zugleich die Feststellung aus, dass die Klägerin den Auftrag hätte erhalten müssen. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob diese Folgerung bereits deshalb zu ziehen ist, weil das Angebot der Klägerin nicht den Anforderungen der Ausschreibung zur Aufgliederung der Gebote in Nr. 4.4 der "Bewerbungsbedingungen" der Beklagten entsprach. In Nr. 4.5 hatte sich die Beklagte die Entscheidung über die Zulassung solcher Gebote vorbehalten und diese damit - anders als in § 25 Nr. 1 VOB/A vorgesehen - in ihr Ermessen gestellt, wobei hier offen bleiben kann, ob eine solche Abweichung von den Regeln der VOB/A rechtlich zulässig ist. Fehlt es daran, war das Nebenangebot der Klägerin nach der dann einzuhaltenden Vorschrift des § 25 Nr. 1 Abs. 1b VOB/A zwingend zurückzuweisen und konnte daher nicht Grundlage eines Anspruchs auf Ersatz des positiven Interesses sein. Konnte sich die Beklagte hingegen die Entscheidung über eine Zulassung auch unvollständiger Angebote vorbehalten, war diese in ihr pflichtgemäßes Ermessen gestellt, bei dessen Ausübung sie allerdings die diesem gesetzte Grenzen zu beachten hatte, wie das Berufungsgericht in seinem rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte jedoch nicht nur das Angebot der Klägerin wegen dessen formaler Fehler nicht berücksichtigt; es hat auch von dem innerhalb der Angebotsfrist eingegangenen Nebenangebot der L. keinen Gebrauch gemacht. Eine rechtliche Ungleichbehandlung der beiden Bieter ist insoweit daher im Ergebnis nicht zu erkennen; diese tritt erst im Folgenden auf, als die Beklagte - auch insoweit unter Verletzung der Vorgaben durch das Ausschreibungsrecht - in Vertragsverhandlungen allein mit der L. über einen inhaltlich von dem rechtzeitig eingereichten Angebot abweichenden Gegenstand eintrat und die Klägerin auch von diesen Verhandlungen ausschloss. Insoweit fehlt es jedoch bereits wegen ihrer mangelnden Beteiligung an einem berücksichtigungsfähigen Angebot der Klägerin, bei dem eine Rechtspflicht zum Zuschlag hätte bestehen können.
Fehler bei der Ausübung des von der Beklagten nach den Bewerbungsbedingungen in Anspruch genommenen Ermessens, von denen das Berufungsgericht im Zuge seiner weiteren Überlegungen ausgegangen ist, führen zudem im Übrigen auch nicht zwangsläufig dazu, dass unter Vernachlässigung aller weiteren für die Ermessensausübung maßgeblichen Umstände die Entscheidung in jedem Fall zugunsten des durch den Fehler betroffenen Bieters ausfallen muss. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die von der Klägerin und der L. eingereichten Nebenangebote gleichwertig waren. Das lässt angesichts der deutlichen Preisunterschiede jedenfalls nicht die Feststellung zu, dass der Zuschlag auf das Gebot der Klägerin erteilt worden wäre oder aus Rechtsgründen hätte erteilt werden müssen.
3. Da nach alledem der Klägerin kein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns zusteht, war die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts unter Aufhebung des Berufungsurteils zu bestätigen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DAAAC-50927
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein