BSG Urteil v. - B 9b SO 6/06 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GSiG § 3 Abs 2; GSiG § 2 Abs 1; GSiG § 2 Abs 3 Satz 2; BSHG § 76 Abs 1; EStG § 74

Instanzenzug: LSG Niedersachsen-Bremen L 8 SO 121/05 vom SG Hannover S 51 SO 355/05

Gründe

I

Streitig ist die Gewährung höherer Leistungen nach dem Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsgesetz <GSiG>).

Die 1982 geborene Klägerin ist dauerhaft erwerbsgemindert. Sie bezieht Waisenrente, Taschengeld aus einer Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte in Höhe von 10 Euro monatlich und Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe III. Bei ihr wurden ein Grad der Behinderung von 100 sowie ua das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung) festgestellt. Sie lebt im Haus ihrer Eltern, die vom Amtsgericht als Betreuer für sie bestellt worden sind. Mit ihrem Vater hat sie einen Mietvertrag über ein Zimmer mit Bad zu einem monatlichen Mietzins von 160 Euro abgeschlossen. Ihre Mutter erhält Kindergeld in Höhe von 154 Euro monatlich. Die Eltern leisten der Klägerin keinen Barunterhalt; sie betreuen sie und gewährleisten ua Fahrten, zB zu Ärzten oder in den Urlaub, Unterstützung bei der Freizeitgestaltung und Hilfe bei Einkäufen.

Seit dem (erstmalig durch Bescheid vom ) erhielt die Klägerin Grundsicherungsleistungen (GSi-Leistungen) von dem Beklagten. Die Leistungshöhe stellte er jeweils unter Anrechnung ihrer sonstigen Einkünften sowie des an die Mutter gezahlten Kindergeldes fest. Durch Bescheid vom regelte er die Weitergewährung der Leistungen für den Zeitraum vom 1.7. bis zum am , deren Höhe er mit monatlich 147,11 Euro errechnete; im Anschluss daran gewährte er Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Den Widerspruch der Klägerin wegen der Anrechnung des Kindergeldes wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom zurück. Zur Begründung führte er aus: Die Eltern kämen ihren Unterhaltspflichten nicht nach. Deswegen sowie unter Berücksichtigung des Gebots der Bedarfsminderung, obliege es der Klägerin, eine Abzweigung des Kindergeldes an sich zu beantragen. Wenn sie dem nicht nachkomme, verletze sie ihre Mitwirkungspflichten. Demgemäß sei ihr das Kindergeld leistungsmindernd zuzurechnen.

Einen eigenen Antrag des Beklagten auf Abzweigung des Kindergeldes lehnte die Bundesagentur für Arbeit (Familienkasse Hildesheim) durch Bescheid vom in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom bindend ab. Sie führte zur Begründung aus: Eine Verletzung der Unterhaltspflicht durch die Eltern der Klägerin, die eine Abzweigung rechtfertigen könnte, sei nicht festzustellen. Die Eltern leisteten Naturalunterhalt in Gestalt von Betreuungsleistungen, mindestens in Höhe des Kindergeldes.

Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) Hannover hat der Klage gegen die Anrechnung des Kindergeldes bei den GSi-Leistungen durch Gerichtsbescheid vom stattgegeben. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat die Berufung des Beklagten durch Urteil vom zurückgewiesen. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (<BVerwG>, Urteil vom - 5 C 25/02 - NJW 2004, 2541 = Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr 38) führt es unter anderem aus: Nach § 62 Einkommensteuergesetz (EStG) stehe das Kindergeld - abgesehen von der Ausnahme des § 1 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz - nicht dem Kind, sondern einem mit ihm nicht identischen Anspruchsberechtigten zu. Aus dem Zweck des Kindergeldes folge keine von der Auszahlung unabhängige einkommensmäßige Zuordnung. Entweder fielen wegen des Kindes in Höhe des Kindergeldes weniger Steuern an oder das Kindergeld fließe der Familie als Einkommen zu deren Förderung zu. Die zivilrechtliche Regelung bestimme allein die Anrechnung des Kindergeldes in Bezug auf den Unterhalt für das Kind. Eine vergleichbare Funktion habe die Regelungen des § 39 Abs 6 SGB VIII. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn ein Elternteil das Kindergeld dem einkommens- und vermögenslosen Kind zuwende. Dieses sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Der Gesetzgeber habe diese Wertungen mit der Einführung des SGB XII nachvollzogen. Nur bei Minderjährigen, für deren Sicherung des Lebensunterhalts das Kindergeld benötigt werde, und bei volljährigen, nicht im Haushalt der Eltern lebenden Kindern, an die das Kindergeld nachweislich weitergeleitet werde, sei es als Einkommen zu berücksichtigen. Ein durchsetzbarer Anspruch auf Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 EStG bestehe nicht, wie die bindende Entscheidung der Familienkasse gezeigt habe. Die Eltern der Klägerin leisteten Naturalunterhalt, der sozialhilferechtlich nicht als Einkommen angerechnet werden könne. Im Hinblick auf die Zuordnung des Kindergeldes als Einkommen innerhalb der Einsatzgemeinschaft dürfe dieses nicht davon abhängig gemacht werden, ob ein anderer, als derjenige, dem das Kindergeld tatsächlich zufließe, Sozialleistungen beziehe oder nicht.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend:

Kindergeld sei entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auf Leistungen des Anspruchsberechtigten nach dem GSiG anzurechnen. Das Urteil verstoße gegen § 3 Abs 2 GSiG iVm § 76 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), § 2 Abs 1 Durchführungsverordnung zu § 76 BSHG iVm der Sachbezugsverordnung. Der von den Eltern der Klägerin - unstreitig - geleistete Naturalunterhalt sei bei der Klägerin als bedarfsminderndes Einkommen iS des § 76 BSHG anzurechnen. Selbst wenn man Gewährung von Wohnung, Ernährung, Kleidung usw durch die Eltern an das Kind nicht als Sachbezüge qualifizieren wolle, so stelle der Naturalunterhalt dennoch eine dem Kind zugeflossene und damit anrechenbare zweckorientierte Leistung dar.

Nach dem Vortrag der Klägerin und den Feststellungen des LSG werde das Kindergeld zwar vorrangig für Bedarfe verwendet, die über die schlichte Lebensführung hinausgingen, jedoch nicht ausschließlich. Daraus folge, dass zumindest Teile des Kindergeldes für den Lebensunterhalt der Klägerin eingesetzt würden, sodass diese als ihr Einkommen bedarfsmindernd anzurechnen seien. Den genauen Umfang dessen hätte das Berufungsgericht ermitteln müsse, sodass es insoweit verfahrensfehlerhaft eine hinreichende Amtsermittlung unterlassen habe.

Das Urteil verstoße auch gegen § 2 Abs 1 GSiG. Die Klägerin habe bereits deswegen keinen Anspruch auf GSi-Leistungen, weil sie sich hätte selbst helfen können. Sie hätte einen Antrag auf Abzweigung nach § 74 EStG stellen können. Da sie dieses nicht getan habe, erfülle sie den Tatbestand des § 2 Abs 3 Satz 2 GSiG. Bereits aus diesem Grunde seien ihr GSi-Leistungen in Höhe des Kindergeldes zu verwehren gewesen. Der Abzweigungsantrag hätte auch Erfolg gehabt. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass die Familienkasse im vorliegenden Fall den Abzweigungsantrag des Beklagten abgelehnt habe. Diese Entscheidung sei anzuzweifeln, da die Eltern der Klägerin das Kindergeld nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts, sondern für darüber hinausgehende Bedarfe verwendeten.

Die vom Berufungsgericht aufgezeigte Ungleichbehandlung zwischen vollstationär untergebrachten und in der Familie lebenden schwerstbehinderten Kindern bestehe bereits deswegen nicht, weil das Kindergeld im Fall der familiären Betreuung nicht zur Kontaktpflege eingesetzt werden müsse. Demgegenüber sei eine Differenzierung zwischen volljährigen behinderten Kindern, an die das Kindergeld ausgezahlt werde, und denen, bei denen ein mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft lebender Elternteil das Kindergeld erhalte, sachlich nicht zu rechtfertigen. In beiden Fällen werde das Kindergeld zur Bedarfsdeckung verwendet. Die Auszahlungsmodalitäten für sich allein genommen stellten keinen sachlichen Grund dar. Schließlich treffe der Hinweis auf das Risiko einer doppelten Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen innerhalb der Einsatzgemeinschaft nicht den Kern des Problems, denn tatsächlich werde das Kindergeld nur einmal angerechnet, unabhängig davon, bei wem dieses zu erfolgen habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom und den aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen in der Entscheidung des LSG für zutreffend und führt ergänzend aus: Sinn und Zweck der GSi-Leistungen verböten es, ihr den Naturalunterhalt der Eltern als bedarfsminderndes Einkommen zuzuordnen. GSi-Leistungen seien unabhängig von Unterhaltsansprüchen zu gewähren. Dadurch solle erreicht werden, dass die nach dem GSiG Leistungsberechtigten möglichst lange innerhalb der Familie versorgt würden. Werde der Naturalunterhalt iS der Betreuungsleistung als Einkommen des Leistungsberechtigten berücksichtigt, werde der Zweck der Leistung verfehlt. Es entfalle der vom GSiG gesetzte Anreiz für die Unterhaltsverpflichteten, sich für die Familienpflege und gegen eine Heimunterbringung zu entscheiden. Naturalunterhalt, Kindergeld und Sachbezüge seien zudem nicht zwangsläufig identisch. Alle drei umfassten Komponenten, die von der jeweils anderen Leistung nicht erfasst seien. Es bestehe im Übrigen ein gravierender Unterschied zwischen Kindern, die vollstationär untergebracht seien und an die das Kindergeld ausgezahlt werde, und solchen, die weiterhin in der Familie lebten. Letztere erhielten in der Familie den notwendigen Unterhalt, der bei einer Heimunterbringung ua durch die Zahlung des Kindergeldes ersetzt werden müsse.

II

Die Revision des Beklagten ist unbegründet.

Das die Berufung des Beklagten zurückweisende Urteil des LSG ist nicht zu beanstanden. Das SG hat den Beklagten zu Recht verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 1.7. bis monatlich um 154 Euro höhere Leistungen nach dem GSiG zu gewähren.

Klagegegenstand iS des § 95 SGG ist im vorliegenden Fall der Bescheid des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom , soweit der Beklagte darin die Weitergewährung von GSi-Leistungen an die Klägerin für den Zeitraum vom 1.7. bis in der Weise geregelt hat, dass deren Höhe unter Anrechnung des an die Mutter der Klägerin gezahlten Kindergeldes als Einkommen der Leistungsberechtigten auf monatlich 147,11 Euro festgesetzt worden ist. Gegen Letzteres wendet sich die Klägerin mit Erfolg.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klagefrist eingehalten worden ist (§ 87 SGG). Zwar waren in dem Rubrum des Klageschriftsatzes zunächst nur die Eltern der Klägerin benannt; erst nach Ablauf der Klagefrist ist von ihnen klargestellt worden, den Anspruch der Klägerin als deren gesetzliche Vertreter geltend machen zu wollen. Bereits die verständige Auslegung der Klageschrift, unter Berücksichtigung der beigefügten Anlagen (streitbefangene Bescheide) ergibt jedoch, dass die Eltern der Klägerin die Klage von vornherein in deren Namen und damit innerhalb der Klagefrist, erhoben haben.

Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass bei der Berechnung der GSi-Leistungen der Klägerin das der Mutter gewährte Kindergeld nicht leistungsmindernd als ihr zuzurechnendes Einkommen zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin erfüllt nach den für den Senat bindenden - weil von dem Beklagten nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) die Grundvoraussetzungen für eine Anspruchsberechtigung nach § 1 GSiG. Sie hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, das 18. Lebensjahr vollendet und ist unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS des § 43 Abs 2 SGB VI. Zudem ist es unwahrscheinlich, dass ihre volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Unter diesen Voraussetzungen kann sie zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Antrag Leistungen nach dem GSiG erhalten, wenn sie sich ihren Grundsicherungsbedarf iS von § 3 GSiG nicht aus eigenen Mitteln beschaffen kann (vgl § 2 GSiG). Das ist nach den Feststellungen des LSG und den Berechnungen des Beklagten in dem hier angefochtenen Bescheid der Fall. Streitig ist lediglich die Berechnung der Höhe der der Klägerin zu gewährenden GSi-Leistungen.

Die Höhe der GSi-Leistungen ist ua davon abhängig, ob der Antragsteller über eigenes Einkommen verfügt. Er ist verpflichtet, dieses zur Bedarfsdeckung einzusetzen. Auf Unterhaltsansprüche gegen seine Eltern braucht er sich allerdings grundsätzlich nicht verweisen zu lassen. Nach § 2 Abs 1 Satz 3 GSiG bleiben Unterhaltsansprüche gegenüber den Eltern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen iS des § 16 SGB IV unter einem Betrag von 100.000 Euro liegt. Diese Grenze wird im vorliegenden Fall bei weitem nicht erreicht. Hieraus folgt: Die Klägerin braucht sich das Kindergeld nicht leistungsmindernd zurechnen zu lassen, wenn es sich dabei um Einkommen der Eltern und nicht um (ggf fiktives) eigenes Einkommen handelt.

Das Kindergeld ist grundsätzlich demjenigen als Einkommen zuzurechnen, an den es ausgezahlt wird, hier der kindergeldberechtigten Mutter der Klägerin; diese hat es der Klägerin nicht zugewendet (1). Die Klägerin ist auch nicht verpflichtet, das Kindergeld nach § 74 EStG an sich abzweigen zu lassen; daher ist es bei ihr nicht wegen eines unterlassenen Abzweigungsantrags fiktiv als Einkommen zu berücksichtigen (2). Ebenso wenig stellen die der Klägerin von den Eltern gewährten Naturalleistungen Einkommen iS des § 2 Abs 1 GSiG dar, das in Höhe von monatlich 154 Euro bei der Klägerin angerechnet werden könnte (3).

(1) Kindergeld ist nicht nur sozialhilferechtlich, sondern auch nach dem GSiG als Einkommen zu qualifizieren. § 3 Abs 2 GSiG regelt: Für den Einsatz von Einkommen und Vermögen gelten die Vorschriften der §§ 76 bis 88 BSHG und die dazu erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Nach § 76 Abs 1 BSHG gehören zum Einkommen im Sinne des BSHG alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Gesetz, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit gewährt werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Der erkennende Senat folgt dem BVerwG, das bisher in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen ist, dass Kindergeld sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen ist (vgl nur BVerwGE 114, 339; 94, 326, 328 mwN; 21, 208; 39, 314).

Aus der Einstufung des Kindergeldes als Einkommen folgt nicht, dass dieses stets Einkommen eines volljährigen dauerhaft erwerbsgeminderten Kindes ist, das im Haushalt der Eltern lebt, es sich dabei also um leistungsminderndes Einkommen des nach § 1 GSiG Leistungsberechtigten iS des § 3 GSiG handelt. Der Senat folgt auch insoweit der Rechtsprechung des BVerwG, wonach Einkommen grundsätzlich immer bei demjenigen bedarfsmindernd anzurechnen ist, dem es zufließt (Zuflusstheorie). Dieses ist im Falle des Kindergeldes der Kindergeldberechtigte, also im Regelfall der Elternteil, an den das Kindergeld ausgezahlt wird (vgl nur - Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr 38, und vom - 5 C 30/03 - BVerwGE 122, 128, JURIS; vgl hierzu Brühl in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 77 RdNr 48). Nur im Falle der Weiterleitung, wenn es also dem Kind tatsächlich als Geldbetrag zufließt, ist es als dessen Einkommen anzurechnen (s auch BVerwGE 32, 141; 47, 120; 60, 6). Das ist hier nach den bindenden Feststellungen des LSG nicht der Fall.

Inwieweit der Regelung des § 82 Abs 1 Satz 2 SGB XII rückwirkend eine klarstellende Bedeutung, bezogen auf die Zuordnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes nach dem BSHG, zukommen könnte, kann hier dahinstehen (vgl dazu - DÖV 2006, 78, JURIS). Die Klägerin begehrt weder Leistungen nach dem BSHG, sondern nach dem GSiG, noch ist sie minderjährig.

(2) Im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten lässt sich ein anderes Ergebnis auch nicht aus § 74 EStG herleiten. Nach § 74 Abs 1 Satz 1 EStG kann das nach § 66 Abs 1 EStG für ein Kind festgesetzte Kindergeld an das Kind ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Einen Abzweigungsantrag hat bisher - allerdings erfolglos (s Bescheid der Familienkasse vom in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom ) - nur der Beklagte, nicht die Klägerin gestellt. Aus der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit für das Kind, einen derartigen Antrag stellen zu können, folgt hier keine Rechtfertigung für die Vorgehensweise des Beklagten. Voraussetzung insoweit wäre ua, dass der Klägerin eine rechtliche Verpflichtung obläge, sich zur Minderung ihres Grundsicherungsbedarfs, durch einen Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes, anrechenbares Einkommen iS des § 76 BSHG zu verschaffen. Bereits dieses ist hier nicht der Fall.

Der Beklagte bezieht sich insoweit auf § 2 Abs 3 Satz 2 Alt 2 GSiG. Danach hat der Anspruchsberechtigte keinen Anspruch auf GSi-Leistungen, wenn er in den letzten zehn Jahren seine Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Der Senat lässt es hier dahinstehen, ob diese Voraussetzungen allein durch das Unterlassen einer derartigen Antragstellung erfüllt werden können (zur Frage der Ausfüllung der unbestimmten Rechtsbegriffe s Brühl, LPK - BSHG, 6. Aufl 2003, § 2 GSiG RdNr 3; zur gleich lautenden Neufassung in § 41 SGB XII vgl Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 1. Aufl 2005, § 41 RdNr 13; Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII/Sozialhilfe, 17. Aufl 2006, § 41 RdNr 28 ff) und inwieweit eine solche Verpflichtung ansonsten aus dem Nachrangprinzip des § 2 BSHG folgen könnte (ablehnend wegen des fehlenden Verweises auf diese Vorschrift: Brühl, LPK-BSHG, 6. Aufl, § 3 GSiG RdNr 2). Grundlage einer rechtlichen Verpflichtung, den Abzweigungsantrag zu stellen, ist in jedem Fall, dass die Abzweigungsvoraussetzungen klar zu Tage liegen. Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

Die nach § 74 EStG vorausgesetzte Unterhaltspflichtverletzung besteht nur dann, wenn sich auf der Seite des Unterhaltsberechtigten ein Unterhaltsdefizit ergibt. Hieran mangelt es. Unzweifelhaft hat die Klägerin grundsätzlich Unterhaltsansprüche iS des § 1602 BGB gegen ihre Eltern. Diese reduzieren sich jedoch durch die ihr gewährte Waisenrente und die vom Beklagten gezahlten GSi-Leistungen (vgl OLG Hamm, NJW 2004, 1604). Einen darüber hinaus gehenden, rechtlich relevanten Unterhaltsbedarf der Klägerin, der nicht durch Naturalleistungen der Eltern gedeckt wird, hat der Beklagte nicht aufgezeigt.

Dieser Umstand hat auch im Hinblick auf § 74 Abs 1 Satz 3 EStG Bedeutung. Danach kann eine Abzweigung an das Kind auch erfolgen, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Der Beklagte verweist insoweit auf den Differenzbetrag zwischen dem grundsicherungsrechtlich bewilligten Unterkunft- und Heizkostenanteil und der Höhe des zwischen der Klägerin und ihrem Vater vereinbarten Mietzinses; hier mag zwar ("auf dem Papier") eine Lücke in der Bedarfsdeckung vorliegen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass insoweit auf Seiten der Klägerin tatsächlich ein durch Abzweigung von Kindergeld auszugleichender Mangel besteht.

Es ist hier von der nahe liegenden Annahme eines "Wirtschaftens aus einem Topf" auszugehen: Danach zahlt die Klägerin die ihr gewährten Geldleistungen (einschließlich der Leistungen der Pflegeversicherung, sofern sie Pflegegeld erhält) in eine gemeinsame Kasse mit den Eltern ein. Daraus wird dann auch ihr Lebensunterhalt bestritten, folglich ihr notwendiger Bedarf gedeckt. Jede andere Sichtweise widerspricht der Lebenserfahrung. In dieser Lebenssituation wird der dauerhaft erwerbsunfähige volljährige Mensch entsprechend seinen Bedürfnissen aus diesem gemeinsamen "Topf" versorgt. Eine Unterhaltspflicht der Eltern besteht insoweit nicht, als die Klägerin Grundsicherungsleistungen erhält; sie könnte nur angenommen werden, wenn weitere Bedarfe geltend gemacht würden. Diese wären wiederum im Rahmen des § 74 EStG nur relevant, wenn sie nicht "familienintern" gedeckt würden, wofür hier gerade keine Anhaltspunkte bestehen. Daher bedurfte auch die von dem Beklagten behauptete Differenz, zwischen dem Wert der erbrachten Naturalleistungen und dem Kindergeldbetrag, keiner weiteren wertmäßigen Aufklärung durch das Berufungsgericht.

(3) Der Beklagte kann auch weder damit gehört werden, dass die Mutter der Klägerin dieser das Kindergeld praktisch zugewendet habe, weil es bei der Klägerin zur Zeit tatsächlich leistungsmindernd angerechnet wird, noch dass der von den Eltern der Klägerin erbrachte Naturalunterhalt als Einkommen der Klägerin leistungsmindernd zu berücksichtigen sei. Von Letzterem ist der Beklagte bisher offenbar selbst nicht ausgegangen. Zumindest hat er - in Kenntnis der Naturalleistungen der Eltern - diese nicht in die Berechnung der GSi-Leistungen der Klägerin einfließen lassen.

Ob Unterhaltsleistungen im Rahmen des § 3 Abs 2 GSiG als Einkommen des Anspruchsberechtigten bedarfsmindernd zu berücksichtigen sind, ist in der Literatur umstritten (bejahend Schoch, info also 2002, 205, 210, 211; Lutter, ZFSH/SGB 2003, 131; nicht bis zur endgültigen Entscheidung des GSi-Trägers: Schulte, ZFSH/SGB 2004, 195, 197; verneinend: Quambusch, ZFSH/SGB 2004, 14). Durch den Verweis in § 3 Abs 2 GSiG auf die Vorschriften der §§ 76 bis 88 BSHG könnte es zwar nahe liegen, die im Sozialhilferecht entwickelten Grundsätze der bedarfsmindernden Einkommensanrechnung von Unterhaltszahlungen der Eltern an ein volljähriges dauerhaft erwerbsgemindertes Kind, mit dem sie in einem gemeinsamen Haushalt leben, auf das GSiG zu übertragen (vgl dazu Schulte, ZFSH/SGB 2004, 195, 196 f). Der Senat braucht diese Frage hier jedoch nicht zu entscheiden.

Decken die Leistungen der Eltern in Naturalform einen Teil des vom GSiG erfassten Bedarfs im weitesten Sinne ab - hierzu gehören nach § 12 Abs 1 BSHG: Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens, einschließlich, in vertretbarem Umfang, Beziehungen zur Umwelt und Teilnahme am kulturellen Leben -, sind sie hier gleichwohl nicht als Einkommen der Klägerin zu berücksichtigen. § 3 Abs 2 GSiG sieht nur eine entsprechende Anwendung der dortigen Vorschriften des BSHG vor. Hieraus folgt, dass die Anrechnung derartiger Naturalleistungen als Einkommen des Anspruchsberechtigten nur unter Berücksichtigung der besonderen Zwecksetzung des GSiG erfolgen darf.

GSi-Leistungen sollen es dem dauerhaft Erwerbsgeminderten in erster Linie ermöglichen, trotz seiner Unfähigkeit sich selbst zu versorgen, keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Die gleichzeitige Nichtberücksichtigung von Unterhaltsansprüchen gegen die Eltern stärkt zudem - im Interesse seiner Versorgung - die Einheit der Familie, den familiären Zusammenhalt. Die Eltern sollen finanziell entlastet werden, da diese durch die Pflege und Sorge für den voll erwerbsgeminderten Menschen in aller Regel bereits in weit überdurchschnittlichem Maße belastet sind. Dieser Regelung des Unterhaltsausschlusses liegt mithin die rechtspolitische Wertung zu Grunde, für den Lebensunterhalt dieses Personenkreises habe in der Regel - vorrangig vor den eigenen Eltern - die staatliche Gemeinschaft einzustehen (vgl Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII, Komm, Stand Juni 2006, K § 43 RdNr 2). Hieraus folgt: Der Bedarf der Klägerin wird zuvörderst aus ihrem eigenen Einkommen, hier in Form von Waisenrente und GSi-Leistungen gedeckt. In dem Umfang, in dem die Eltern der Klägerin deren Lebensunterhalt aus diesen Mitteln bestreiten, können die Leistungen demnach nicht als der Klägerin zugewendete geldwerte Vorteile angesehen werden. Insoweit handelt es sich im eigentlichen Sinne nicht um Unterhaltsleistungen der Eltern an die Klägerin. Es ist von dem Bild auszugehen, dass die Klägerin - bei Zweckidentität von Naturalleistungen der Eltern und GSi-Leistungen sowie bei "Wirtschaften aus einem Topf" - mit den von ihr in den "Topf" eingebrachten GSi-Leistungen sich die Naturalleistungen der Eltern "einkauft". Den Grundsicherungsbedarf der Klägerin übersteigende Naturalleistungen der Eltern haben grundsätzlich keinen Einfluss auf Bestand und Höhe der Grundsicherung; sie sind mangels Zweckidentität nicht als Einkommen iS des § 3 Abs 2 GSiG anzusetzen (vgl Brandenburgisches - JURIS). Als Einkommen des GSi-Berechtigten zu berücksichtigen sind mithin allenfalls solche Unterhaltsleistungen, die darüber hinaus eindeutig abgrenzbar in Geld oder Geldeswert erfolgen (vgl - NJW 2005, 2873, JURIS). Dieses ist im konkreten Fall jedoch weder festgestellt noch behauptet.

Soweit bei der Klägerin im Rahmen der GSi-Leistungen eine Bedarfsunterdeckung vorhanden war, weil das Kindergeld in Höhe von 154 Euro bei ihr zu Unrecht leistungsmindernd angerechnet worden ist, und die Eltern diesen Bedarf vorübergehend aus ihrem Einkommen befriedigt haben, kann dieser Umstand nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Der Beklagte kommt hier seinen Leistungspflichten nicht nach, und dieses Defizit fangen die Eltern im Rahmen des "Wirtschaftens aus einem Topf" ab. Sie leisten an Stelle des Beklagten, jedoch nur so lange, bis dieser seinen Verpflichtungen wieder ordnungsgemäß nachkommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2007 S. 476 Nr. 4
HFR 2008 S. 74 Nr. 1
PAAAC-50881