BFH Urteil v. - III R 3/07

Keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbescheides wegen geänderter Rechtsauffassung

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4; EStG § 70 Abs. 4

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erhielt für seinen im Jahr 1980 geborenen Sohn ab Kindergeld. Der Sohn befand sich vom bis in Ausbildung zum Fachinformatiker.

Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für den Sohn ab Januar 2004 ab, da dessen Einkünfte und Bezüge voraussichtlich den Jahresgrenzbetrag im Jahr 2004 von 7 680 € (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des EinkommensteuergesetzesEStG— in der für das Jahr 2004 geltenden Fassung) überschritten. Die Familienkasse ging dabei von Einkünften des Sohnes aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 8 102,03 € aus (Einnahmen in Höhe von 10 295,50 € abzüglich Werbungskosten in Höhe von 2 193,47 €). Der Bescheid wurde nicht angefochten.

Mit der „Erklärung zu den Einkünften und Bezügen eines über 18 Jahre alten Kindes” vom erklärten der Kläger und sein Sohn für das Jahr 2004 —nach Abzug des Arbeitnehmeranteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 2 152,58 €— Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 8 271,42 € und Werbungskosten in Höhe von 2 000 €. Die Familienkasse ermittelte daraufhin Einkünfte in Höhe von 6 284,42 € (Einnahmen von 10 424 € abzüglich der Werbungskosten von 1 987 € und der Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung von 2 152,58 €). Mit Bescheid vom setzte die Familienkasse daraufhin Kindergeld für Juli 2004 bis Juli 2005 fest. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse, dem Kläger für die Monate Januar bis Juni 2004 Kindergeld zu gewähren. Es führte im Wesentlichen aus, der bestandskräftige Bescheid vom stehe einer Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum nicht entgegen, da der Bescheid nach § 70 Abs. 4 EStG zu korrigieren sei. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 776 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 70 Abs. 4 EStG.

Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG kann für die Monate Januar bis Juni 2004 kein Kindergeld gewährt werden, da der Bescheid, mit welchem die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2004 aufgehoben hat, bestandskräftig geworden ist und die Voraussetzungen für eine Aufhebung dieses Bescheids nach § 70 Abs. 4 EStG nicht vorliegen.

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht für ein volljähriges Kind kein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von mehr als 7 680 € im Kalenderjahr (2004) hat.

2. Die Familienkasse hat mit dem Bescheid vom die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2004 aufgehoben, weil nach ihrer Berechnung die Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr 2004 den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Da der Kläger nicht innerhalb der Monatsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) Einspruch eingelegt hat, ist der Bescheid bestandskräftig geworden. Die darin getroffene Regelung über den Kindergeldanspruch ist bindend bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe dieses Bescheids, also bis Ende Juni 2004 (vgl. , BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88).

Die Bestandskraft des Bescheids vom wird durch den (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) nicht berührt. Das BVerfG hatte dort entschieden, die Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen des Kindes in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, grundsätzlich unberührt. Dies gilt analog, wenn das BVerfG —wie im Streitfall— lediglich die Auslegung einer Norm für unvereinbar mit dem GG erklärt hat (Senatsurteil vom III R 13/06, BFH/NV 2006, 2204, m.w.N.).

Der Bescheid ist auch wirksam. Denn ein Bescheid, der auf einer von einer Entscheidung des BVerfG abweichenden Auslegung einer Rechtsnorm beruht, ist zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204, m.w.N.).

3. Der Bescheid vom ist entgegen der Auffassung des FG nicht nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben. § 70 Abs. 4 EStG ist nicht anwendbar, wenn der Jahresgrenzbetrag —wie im Streitfall— allein deshalb unterschritten wird, weil sich hinsichtlich der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge des Kindes die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geändert hat. § 70 Abs. 4 EStG ermöglicht nur dann die Aufhebung oder Änderung eines Kindergeldbescheids, wenn sich nach Ablauf des Kalenderjahrs von der Prognose der Familienkasse abweichende tatsächliche Änderungen hinsichtlich des Betrags der Einkünfte und Bezüge ergeben haben (Senatsurteil vom III R 6/06, BFH/NV 2007, 338).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1645 Nr. 9
LAAAC-50103