BGH Beschluss v. - IX ZB 160/06

Leitsatz

[1] a) Forderungen des Schuldners, die bereits entstanden sind, müssen in die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters aufgenommen werden.

b) Wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis ein Unternehmen fortführt oder der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt die Fortführung durch den Schuldner überwacht, kann nur das um die Ausgaben bereinigte Betriebsergebnis in die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters eingestellt werden.

c) Kommt neben mehreren Zuschlagstatbeständen auch ein Abschlagstatbestand in Betracht, darf das Insolvenzgericht die Summe der Zuschläge nicht pauschal um den Abschlag kürzen, wenn der für den Abschlag in Betracht kommende Umstand nicht sämtliche Zuschlagstatbestände in gleicher Weise relativiert.

Gesetze: InsVV § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b; InsVV § 3; InsVV § 10; InsVV § 11

Instanzenzug: AG Pforzheim 1 IN 188/05 vom LG Karlsruhe 11 T 177/06 vom

Gründe

I.

Der weitere Beteiligte zu 1 (fortan: Beteiligter), der zuvor beauftragt worden war, als Sachverständiger ein Gutachten zum Vorliegen eines Eröffnungsgrundes zu erstatten, wurde am zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt über das Vermögen des Schuldners bestellt, der auf Grund eines Lohnfuhrvertrages als Subunternehmer mit 18 Arbeitnehmern einen Paketzustelldienst betrieb. Während des Eröffnungsverfahrens wurde das Unternehmen fortgeführt. Am hob das Insolvenzgericht die angeordneten Sicherungsmaßnahmen auf, nachdem die antragstellende Gläubigerin den Eröffnungsantrag für erledigt erklärt hatte. Dies wurde dem Beteiligten noch am selben Tage mitgeteilt.

Dieser hat daraufhin beantragt, die Vergütung für seine Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter (einschließlich Auslagenersatz und Umsatzsteuer) auf 11.142,59 € festzusetzen. Dabei hat er den Wert des von ihm verwalteten Vermögens mit 85.162,13 € angesetzt. Dieser Betrag ergibt sich aus den für November 2005 vereinnahmten Fuhrlöhnen des Schuldners in Höhe von 56.774,75 € und der auf 28.387,38 € geschätzten Vergütung für bis zum erbrachte Transportleistungen. Neben der Regelvergütung von 25 v.H. hat der Beteiligte Zuschläge von 10 v.H. für seine Tätigkeit als Sachverständiger, 10 v.H. für die Betriebsfortführung und 5 v.H. für die weitgehend abschlussreife Vorbereitung einer Insolvenzgeldvorfinanzierung geltend gemacht. Das Amtsgericht - Insolvenzgericht - hat die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht die Vergütung auf 6.765,70 € incl. Auslagenersatz und Umsatzsteuer ermäßigt. Dagegen wendet sich der Beteiligte mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Das statthafte (§§ 7, 6, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO, § 567 Abs. 2, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) Rechtsmittel ist zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Es führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Das Landgericht hat als Berechnungsgrundlage der Vergütung des Beteiligten lediglich der Betrag von 56.774,75 € zugrunde gelegt. Die von dem Beteiligten außerdem in Ansatz gebrachten, auf die Hälfte der Einkünfte des Vormonats geschätzten Einnahmen für Transportleistungen bis zum hat es nicht berücksichtigt, weil diese bis zur Beendigung des Amtes des Beteiligten noch nicht ausbezahlt und noch nicht einmal fällig gewesen seien. Diese Auffassung wird von der Rechtsbeschwerde zu Recht beanstandet.

a) Grundlage für die Berechnung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters (§§ 10, 11 i.V.m. § 1 InsVV) ist der Wert des Vermögens, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt. Zu berücksichtigen sind solche Vermögenswerte, die zu dem gesicherten und verwalteten oder sonst für die (künftige) Masse zu reklamierenden Vermögen gehört haben (vgl. , NZI 2004, 626, 627; v. - IX ZB 230/03, NZI 2005, 557, 558). Forderungen des Schuldners gegen Dritte fallen jedenfalls dann darunter, wenn Rechte Dritter insoweit nicht ersichtlich sind. Ob der vorläufige Insolvenzverwalter die Forderungen eingezogen hat, ist nicht entscheidend (, NZI 2005, 557; v. - IX ZB 106/06, z.V.b, Rn. 15). Er muss sich auch sonst nicht besonders damit befasst haben, weil die Forderungen Teil des Vermögens und somit der "Istmasse" sind (, ZIP 2004, 1555, 1557; v. - IX ZB 230/03, NZI 2005, 557, 558).

b) Ob die Forderungen fällig sein müssen, um in die Berechnungsgrundlage aufgenommen werden zu können, hat der Bundesgerichtshof bislang noch nicht entschieden.

aa) Im vorliegenden Fall ist zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

Für den Lohnfuhrvertrag kennzeichnend ist, dass ein "bemanntes" Fahrzeug zur beliebigen Ladung und Fahrt nach Weisung des Auftraggebers zur Verfügung gestellt wird. Er wird im Allgemeinen als gemischter Vertrag mit Elementen von Miete und Dienstverschaffung eingeordnet (MünchKomm-HGB/Dubischar, § 425 a.F. Rn. 14; Ebenroth/Boujong/Joost/Gass, HGB § 407 Rn. 57). Ist der Auftragnehmer verpflichtet, den Transporterfolg herbeizuführen, wird er dadurch jedoch zum Frachtführer (Koller, Transportrecht 4. Aufl. § 407 HGB Rn. 18). Die Fracht ist - sofern nichts Besonderes vereinbart ist - bei Ablieferung des Gutes zu zahlen (§ 420 Abs. 1 Satz 1 HGB).

Nach dem vorliegenden Lohnfuhrvertrag war der als "Transportunternehmer" bezeichnete Schuldner verpflichtet, Pakete von Kunden abzuholen und zu dem jeweiligen Depot zu befördern sowie sie von dort zu den Empfängern zu verbringen (§ 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1 Satz 1). Er hatte die Abholung und Auslieferung der Pakete "sicherzustellen" (§ 1 Abs. 2). Die Vergütung des Schuldners war ausweislich der Anlage 3 zum Lohnfuhrvertrag grundsätzlich mit einem "Paketsatz" vereinbart. Die Geltung der Vertragsbedingungen für den Güterkraftverkehrs- und Logistikunternehmer war (mit gewissen Ausnahmen) abgesprochen. Der Lohnfuhrvertrag war deshalb als Frachtvertrag im Sinne von § 407 HGB einzuordnen. Gleichwohl hat das Beschwerdegericht den Lohnfuhrvertrag dahin ausgelegt, die Vergütung "für Dezember 2005" sei bei Beendigung der vorläufigen Insolvenzverwaltung noch nicht, auch nicht zur Hälfte, fällig gewesen. An diese tatrichterliche Auslegung, die von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt wird, ist der Senat gebunden.

bb) Der Senat hat für die Vergütung eines endgültigen Insolvenzverwalters ausgesprochen, in dessen Einnahmen-/Ausgabenrechnung nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b InsVV seien sämtliche die Masse belastenden Verbindlichkeiten aufzunehmen, die bis dahin entstanden seien. Auch Geschäftsvorfälle, die noch nicht zu einer Fakturierung geführt hätten, müssten erfasst werden (, z.V.b., Rn. 15). Dies muss dann entsprechend auch für Forderungen des Schuldners gelten. Jedenfalls solche Forderungen, die bereits entstanden sind, müssen in die Berechnungsgrundlage aufgenommen werden. Zu Grunde zu legen ist der - gegebenenfalls zu schätzende - Verkehrswert der Forderungen ( aaO S. 558; v. - IX ZB 127/04, NZI 2006, 235, 236; HK-InsO/Irschlinger, 4. Aufl. § 11 InsVV Rn. 7; Graeber, Vergütung in Insolvenzverfahren von A-Z 2005 Rn. 187). Dafür gibt der voraussichtliche Realisierungswert einen Anhaltspunkt (vgl. LG Heilbronn ZIP 2002, 719; FK-InsO/Lorenz, 4. Aufl. § 11 InsVV Rn. 14)

c) Im vorliegenden Fall sind die Vergütungsansprüche für die von dem Schuldner bis zum durchgeführten Transporte mit der jeweiligen Erbringung der Leistung jedenfalls entstanden. Sie zählen damit zu dem Vermögen des Schuldners und sind grundsätzlich bei der Berechnungsgrundlage der Vergütung des Beteiligten zu berücksichtigen.

d) Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass die Rechtsbeschwerde insoweit Erfolg haben muss. Wenn der Beteiligte als endgültiger Insolvenzverwalter tätig geworden wäre, müssten die Einnahmen aus der Fortführung des Schuldner-Unternehmens in eine Einnahmen-/Ausgabenrechnung eingestellt werden (, z.V.b.). Nur der um die Betriebsausgaben bereinigte Saldo gäbe die Berechnungsgrundlage für die Verwaltervergütung ab (§ 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b InsVV). Es ist zwar nicht festgestellt und nicht einmal vorgetragen, dass der Schuldner auch Betriebsausgaben gehabt hat. Indes liegt es auf der Hand, dass es solche gegeben haben muss, weil er die Transportfahrzeuge vorzuhalten und seine Angestellten zu entlohnen hatte.

Wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis ein Unternehmen fortführt oder der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt die Fortführung durch den Schuldner überwacht, ist die analoge Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 4 Satz 2 Buchst. b InsVV umstritten (ablehnend Kübler/Prütting/Eickmann/Prasser, InsO § 1 InsVV Rn. 7; befürwortend demgegenüber MünchKomm-InsO/Nowak, § 11 InsVV Rn. 6; FK-InsO/Lorenz, § 11 InsVV Rn. 15; Graeber, aaO Rn. 449; ähnlich Keller, Vergütung und Kosten im Insolvenzverrfahren 2. Aufl. Rn. 449). Sie ist indes gerechtfertigt. Da sich die Tätigkeit des das Unternehmen fortführenden "starken" vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis nicht von derjenigen eines endgültigen Insolvenzverwalters unterscheidet, kann auch für ihn nur das bereinigte Betriebsergebnis in die Berechnungsgrundlage eingestellt werden. Für den "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt kann nichts anderes gelten, weil er vergütungsrechtlich nicht besser gestellt sein kann als der "starke".

2. Das Beschwerdegericht hat zwar im Ausgangspunkt, dem Antrag des Beteiligten folgend, unter Berücksichtigung der geltend gemachten Zuschläge einen Vergütungssatz von 50 v.H. zugrunde gelegt, diesen jedoch wegen der kurzen Dauer des Eröffnungsverfahrens pauschal um ein Drittel gekürzt. Auch dies ist methodisch unzutreffend.

a) Die Beurteilung, ob und in welcher Höhe Zu- oder Abschläge auf den Regelsatz der Vergütung vorzunehmen sind, obliegt zwar in erster Linie dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann jedoch nachprüfen, ob der Tatrichter hierbei zutreffende Beurteilungsmaßstäbe angewandt hat (, NZI 2002, 509, 510; v. - IX ZB 589/02, ZIP 2004, 1555, 1557; v. - IX ZB 230/05, NZI 2007, 40, 41).

b) Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters kann in der Weise berechnet werden, dass besondere Umstände, welche die Tätigkeit erleichtern oder erschweren, unmittelbar den für den vorläufigen Insolvenzverwalter maßgeblichen Bruchteil verringern oder erhöhen (, ZIP 2004, 518, 519 f). Das Insolvenzgericht darf für jeden in Frage kommenden Zuschlags- oder Abschlagstatbestand zunächst isoliert feststellen, ob er eine Erhöhung oder Ermäßigung des Regelsatzes rechtfertigt. Es muss dies jedoch nicht, sondern darf auch sogleich eine Gesamtbetrachtung vornehmen, bei welcher freilich die Umstände, die in das Endergebnis einfließen, in einer für die Beteiligten nachvollziehbaren Weise darzulegen sind (Beschl. v. - IX ZB 127/04, NZI 2006, 235, 236; v. - IX ZB 249/04, NZI 2006, 464, 465). Eine Gesamtbetrachtung, wie das Beschwerdegericht sie vorgenommen hat, wonach verschiedene Erschwerungstatbestände sich zu mehreren Zuschlägen addieren und der so gewonnene Vergütungssatz hernach wegen eines einzigen erleichternden Umstandes insgesamt gekürzt wird, ist jedoch allenfalls dann statthaft, wenn der als Abschlag in Betracht kommende Umstand sämtliche Zuschlagstatbestände in gleicher Weise relativiert. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

aa) Hinsichtlich des Zuschlags für die Vorbereitung der Insolvenzgeldvorfinanzierung ist die Dauer des Eröffnungsverfahrens unerheblich.

bb) Dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt kann zwar ein Zuschlag auf die Vergütung gewährt werden, wenn in der Eröffnungsphase der Betrieb des Schuldners fortgeführt worden ist und sich dadurch für die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters erhebliche Erschwernisse ergeben haben (, NZI 2006, 401 f; v. - IX ZB 302/05, NZI 2007, 168, 169). Die Dauer des Eröffnungsverfahrens - und damit der Betriebsfortführung - beeinflusst jedoch unmittelbar die Höhe des Zuschlags. Die Betriebsfortführung über eine längere Zeit rechtfertigt einen höheren Zuschlag als die Fortführung von lediglich kurzer Dauer. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, der Beteiligte habe die Dauer der Betriebsfortführung bei der Bemessung des Zuschlags mit lediglich 10 v.H. bereits berücksichtigt gehabt. Ob das Beschwerdegericht diese Möglichkeit bedacht hat, lässt der angefochtene Beschluss nicht erkennen.

3. Andererseits ist die Tätigkeit als Sachverständiger überhaupt kein zuschlagsrelevanter Umstand. Insofern erhält der vorläufige Insolvenzverwalter gesondert eine Vergütung nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (§ 11 Abs. 2 InsVV).

III.

Da der Vergütungsanspruch nur einheitlich festgesetzt werden kann, ist die Beschwerdeentscheidung insgesamt aufzuheben (vgl. , ZIP 2006, 1008, 1009 m.w.N.) und die Sache zurückzuverweisen.

Die Zurückverweisung gibt dem Beteiligten Gelegenheit, seinen Antrag entsprechend den Ausführungen des Senats anzupassen. Bei seiner neuen Entscheidung wird das Beschwerdegericht das Verschlechterungsverbot zu beachten haben (vgl. dazu BGHZ 159, 122, 124).

Fundstelle(n):
BB 2007 S. 1588 Nr. 30
WM 2007 S. 1528 Nr. 32
ZIP 2007 S. 1330 Nr. 28
JAAAC-50040

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja