BFH Urteil v. - III R 37/06

Keine Korrektur eines während des Kalenderjahres ergangenen bestandskräftigen Kindergeldbescheides aufgrund geänderter Rechtauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4; EStG § 70 Abs. 4

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hat einen im Jahr 1981 geborenen Sohn, der sich seit dem in Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker befand.

Mit Bescheid vom hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes für den Sohn ab Januar 2002 auf, da dessen Einkünfte und Bezüge voraussichtlich den Jahresgrenzbetrag im Jahr 2002 von 7 188 € (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Jahr 2002 geltenden Fassung —EStG—) überschritten. Der Bescheid wurde nicht angefochten.

Am beantragte die Klägerin erneut Kindergeld für das Jahr 2002. Die Familienkasse lehnte den Antrag mit Bescheid vom ab, weil die Klägerin nicht die von der Familienkasse angeforderte Erklärung zu den Einkünften und Bezügen des Sohnes sowie die Bescheide zur Berufausbildungsbeihilfe eingereicht hatte. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse zurück.

Die während des finanzgerichtlichen Verfahrens von der Familienkasse für das Jahr 2002 ermittelten Einkünfte und Bezüge des Sohnes in Höhe von 7 691 € überschreiten nach Abzug der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1 559,41 € (vgl. , BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) nicht den Jahresgrenzbetrag. Streitig blieb danach zwischen den Beteiligten nur noch, ob der Aufhebungsbescheid vom der Festsetzung von Kindergeld für die Monate Januar bis Mai 2002 entgegensteht.

Das Finanzgericht (FG) gewährte unter Aufhebung des Bescheids vom der Klägerin für die Monate Januar 2002 bis Juli 2003 Kindergeld. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1182 veröffentlicht. Das FG führte im Wesentlichen aus, der bestandskräftige Aufhebungsbescheid vom stehe einer Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar bis Mai 2002 nicht entgegen, da der Bescheid insoweit nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben sei.

Die Familienkasse rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung des § 70 Abs. 4 EStG.

Sie beantragt, die Vorentscheidung hinsichtlich des Kindergeldes für die Monate Januar bis Mai 2002 aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt hinsichtlich des Kindergeldes für die Monate Januar bis Mai 2002 zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG kann für den Zeitraum Januar bis Mai 2002 kein Kindergeld gewährt werden, da der Bescheid, mit dem die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum aufgehoben hat, bestandskräftig geworden ist und die Voraussetzungen für eine Änderung dieses Bescheids nach § 70 Abs. 4 EStG nicht vorliegen.

1. Nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht für ein volljähriges Kind kein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von mehr als 7 188 € im Kalenderjahr (2002) hat.

2. Die Familienkasse hat mit dem Bescheid vom die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2002 aufgehoben, weil nach ihrer Berechnung die Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr 2002 den Jahresgrenzbetrag überstiegen. Da die Klägerin nicht innerhalb der Monatsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) Einspruch eingelegt hat, ist der Bescheid bestandskräftig geworden. Die darin getroffene Regelung über den Kindergeldanspruch ist bindend bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe dieses Bescheids, also bis Ende Mai 2002 (vgl. , BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88).

Die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom wird durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 nicht berührt. Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) bleiben nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruhen, grundsätzlich unberührt. Dies gilt analog, wenn das BVerfG —wie im Streitfall— lediglich die Auslegung einer Norm für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hat (Senatsurteil vom III R 13/06, BFH/NV 2006, 2204, m.w.N.).

Der Bescheid ist auch wirksam. Denn ein Bescheid, der auf einer von einer Entscheidung des BVerfG abweichenden Auslegung einer Rechtsnorm beruht, ist zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 2204, m.w.N.).

3. Der Bescheid vom ist entgegen der Auffassung des FG und der Klägerin nicht nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben, weil § 70 Abs. 4 EStG keine Aufhebung oder Änderung eines Kindergeldbescheides ermöglicht, wenn der Jahresgrenzbetrag —wie im Streitfall— allein deshalb unterschritten wird, weil sich hinsichtlich der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge des Kindes die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geändert hat (Senatsurteil vom III R 6/06, BFH/NV 2007, 338).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1483 Nr. 8
EAAAC-48511