Leitsatz
[1] Der Kommittent genügt im Falle einer Verkaufskommission seiner Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verlust von Kommissionsgut während der Verwahrungszeit des Kommissionärs eingetreten ist, wenn er darlegt und beweist, dass er die zu verkaufenden Waren dem Kommissionär übergeben hat und dieser ihm die Waren nicht mehr herausgeben kann, obwohl er die Kommission nicht ausgeführt hat.
Gesetze: HGB § 390 Abs. 1
Instanzenzug: LG Osnabrück 14 O 638/99 vom OLG Oldenburg 11 U 92/03 vom
Tatbestand
Die Beklagte betreibt in verschiedenen deutschen Städten in von ihr angemieteten Räumen unter der Bezeichnung " P. " großflächige Einzelhandelsmärkte, in denen Sonderposten aller Art angeboten werden.
Der Kläger führte ab Januar 1998 aufgrund eines Vertrags vom einen Sonderpostenmarkt der Beklagten in N. . In dem Vertrag wurden dem Kläger genaue Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise des Geschäftsbetriebs gemacht. Die Beklagte stellte dem Kläger den Namen und die Geschäftsbezeichnung, die Ladeneinrichtung sowie Know-how auf dem Gebiet des Vertriebs, des Marketings und der Werbung zur Verfügung. Der Kläger verpflichtete sich, von der Beklagten die Verkaufsware zu beziehen und andere Waren nur mit Genehmigung der Beklagten ins Sortiment zu nehmen.
In § 6 des vorformulierten Vertrags hieß es unter Nr. 4 u.a.:
"Dem Unternehmer wird von der Bestandsaufnahme zu Bestandsaufnahme ein Schwund von 2 % vom Verkaufserlös eingeräumt ... Alle Fehlmengen über 2 % vom Umsatz sind vom Unternehmer zu ersetzen. P. ist berechtigt, den Fehlbetrag bei der nächstfolgenden Provision in Abzug zu bringen."
Vor der Übernahme der Führung des Geschäfts in N. durch den Kläger wurde dort am 9. und eine Inventur vorgenommen.
Die Beklagte hat das Vertragsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom aus wichtigem Grund gekündigt.
Der Kläger hat in erster Instanz die Feststellung begehrt, dass die Kündigung vom unwirksam und die Beklagte verpflichtet ist, ihm allen aus der Kündigung entstandenen Schaden zu ersetzen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat außerdem behauptet, es sei ein erheblicher Warenschwund eingetreten. Für den Fehlbetrag habe der Kläger einzustehen. Unter Berücksichtigung weiterer Forderungen sowie unter Abzug von Provisions- und anderen Ansprüchen des Klägers hat die Beklagte einen Forderungsbetrag von 11.847,05 € nebst Zinsen errechnet, den sie mit ihrer Widerklage geltend gemacht hat.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben.
Mit seiner Berufung hat der Kläger seine Verurteilung auf die Widerklage angegriffen. Ferner hat er einen Saldo zu seinen Gunsten errechnet und von der Beklagten Zahlung von 12.863,17 € nebst Zinsen begehrt.
Das Berufungsgericht hat die Widerklage abgewiesen und die Beklagte zur Zahlung von 12.347,42 € nebst Zinsen verurteilt; die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers insgesamt zurückzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Gründe
I. Das Berufungsgericht hat nach Saldierung der gegenseitigen Forderungen einen Zahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte in Höhe von 12.347,42 € errechnet. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Erweiterung der Klage in der Berufungsinstanz sei zulässig, weil der Kläger auf diesem Wege nicht bestrittene Gegenforderungen geltend mache. Er habe unstreitig Anspruch auf Zahlung von 13.146,61 € für restliche Provisionen und andere Forderungen. Demgegenüber seien Ansprüche der Beklagten in Höhe von insgesamt 799,19 € wegen verschiedener Unkostenforderungen begründet. Weitere Ansprüche stünden der Beklagten nicht zu. Insbesondere könne sie nicht Ersatz der Inventurdifferenzen verlangen. Sie habe die Voraussetzungen eines solchen Schadensersatzanspruchs nicht hinreichend dargelegt. Dazu wäre es erforderlich gewesen, die in Verlust geratenen und beschädigten Gegenstände konkret zu bezeichnen. Dem genüge der Vortrag der Beklagten nicht, da er sich darauf beschränke, die Wertdifferenzen der Summe der Verkaufspreise der Waren anzugeben, die sich nach den einzelnen Inventuren ergeben hätten.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision der Beklagten haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen kann nicht angenommen werden, dass der Beklagten kein Anspruch auf Ersatz des Schadens zusteht, der ihr durch einen Verlust von Waren entstanden ist, die sie in die Verwahrung des Klägers gegeben hat. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Voraussetzungen eines solchen Schadensersatzanspruchs nicht ausreichend dargelegt, beruht auf einer Verkennung der Darlegungs- und Beweislast der Beklagten.
a) Bei dem Vertragsverhältnis, das durch den Vertrag zwischen den Parteien vom begründet worden ist, handelt es sich um ein Kommissions(agentur)verhältnis i.S. der §§ 383 ff. HGB (vgl. , WRP 2003, 981, 985 = NJW-RR 2003, 1056). Die Bestimmung des § 6 Nr. 4 des Vertrags über die Verantwortlichkeit für einen Warenschwund weicht von den einschlägigen dispositiven Gesetzesbestimmungen (§ 390 Abs. 1 HGB bzw. § 280 Abs. 1 BGB a.F. i.V. mit § 675 BGB a.F., § 667 BGB) zum Nachteil des Klägers ab, da sie für ihn den Nachweis eines geringeren Schadens ausschließt (vgl. BGH WRP 2003, 981, 987). Mithin hält die Regelung in § 6 Nr. 4 einer Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz nicht stand; sie ist gemäß § 9 AGB-Gesetz (nunmehr: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam. An die Stelle des § 6 Nr. 4 des Vertrags treten die genannten dispositiven Gesetzesbestimmungen (vgl. BGH WRP 2003, 981, 987).
b) Gemäß § 390 Abs. 1 HGB ist der Kommissionär für den Verlust oder die Beschädigung des in seiner Verwahrung befindlichen Gutes verantwortlich, es sei denn, der Verlust oder die Beschädigung beruht auf Umständen, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht abgewendet werden konnten. Diese Regelung ist in Abweichung von der allgemeinen Regel, dass derjenige, der eine Rechtsfolge behauptet, die Tatsachen zu beweisen hat, an die das Gesetz die Rechtsfolge knüpft, ein Anwendungsfall des Rechtsgrundsatzes, dass bei Vertragsverletzungen der Schuldner seine Schuldlosigkeit zu beweisen hat (vgl. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 282 BGB a.F.; BGHZ 3, 162, 174; 41, 151, 153). Danach hat der Kommittent (nur) darzulegen und zu beweisen, dass der Verlust oder die Beschädigung während der Verwahrungszeit eingetreten ist; der Kommissionär hat den Entlastungsbeweis zu erbringen, dass Verlust oder Beschädigung auf Umständen beruhen, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns (§ 347 Abs. 1 HGB) nicht abgewandt werden konnten (vgl. BGHZ 41, 151, 153; Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., § 390 Rdn. 1; Krüger in Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, § 390 Rdn. 5; MünchKomm.HGB/Häuser, § 390 Rdn. 18 m.w.N.).
Ein haftungsbegründender Verlust i.S. des § 390 Abs. 1 HGB liegt vor, wenn der Kommissionär nicht mehr in der Lage ist, seine Herausgabepflicht nach § 384 Abs. 2 HGB durch Aushändigung des Gutes an den Kommittenten zu erfüllen (vgl. MünchKomm.HGB/Häuser, § 390 Rdn. 7). Die Herausgabepflicht nach § 384 Abs. 2 HGB erstreckt sich bei der Verkaufskommission auch auf die dem Kommissionär zum Verkauf übergebenen, von ihm aber nicht verkauften Waren. Dies folgt aus den auf den Kommissionsvertrag als einen Geschäftsbesorgungsvertrag anwendbaren Vorschriften der §§ 667, 675 Abs. 1 BGB (vgl. Baumbach/Hopt aaO § 384 Rdn. 9; MünchKomm.HGB/Häuser, § 384 Rdn. 63; Heymann/Herrmann, HGB, 2. Aufl., § 384 Rdn. 18). Wer nach § 667 Altern. 1 BGB zur Herausgabe verpflichtet ist, trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er ihm zur Ausführung des Auftrags übergebene Gegenstände bestimmungsgemäß verwendet hat (vgl. , NJW 1997, 47, 48; Urt. v. - III ZR 290/00, NJOZ 2001, 2044, 2045; Urt. v. - III ZR 344/02, NJW-RR 2004, 121).
Hat der Kommittent im Falle einer Verkaufskommission bewiesen, dass er die zu verkaufenden Waren dem Kommissionär übergeben hat und dieser ihm die Waren nicht mehr herausgeben kann, obwohl er die Kommission nicht ausgeführt hat, so ist bewiesen, dass der Verlust während der Verwahrungszeit eingetreten ist. Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Auftragnehmer oder Kommissionär - wie im Streitfall - aus positiver Vertragsverletzung auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird (vgl. , NJW-RR 1993, 795 m.w.N.).
c) Danach kann nicht angenommen werden, die Beklagte habe den Anforderungen an ihre Darlegungs- und Beweislast nicht genügt. Es ist vielmehr (jedenfalls) ausreichend, wenn die Beklagte, wie sie angeboten hat, durch Vorlage der Inventurberichte den jeweiligen Anfangsbestand und anhand der Lieferscheine auch den Warenzugang zwischen den Inventuren darlegt und gegebenenfalls beweist. Mit der Feststellung eines mit dem Anfangsbestand zuzüglich der Neuanlieferungen nicht übereinstimmenden Endbestands ist ein Verlust von Kommissionsgut während der Verwahrungszeit i.S. des § 390 HGB hinreichend dargelegt. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, im welchem Umfang angelieferte Waren deshalb nicht mehr an die Beklagte herausgegeben werden können, weil sie im ordentlichen Geschäftsgang verkauft worden sind, liegt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht bei der Beklagten, sondern, wie ausgeführt, nach den § 390 Abs. 1, § 384 Abs. 2 HGB i.V. mit § 667 BGB, § 675 Abs. 1 BGB a.F. beim Kläger.
d) Aus den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien ergibt sich keine davon abweichende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Die Schwundklausel des § 6 Nr. 4 des Vertrags betraf nicht die Frage, wer die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen sollte, dass überhaupt eine (über 2 % hinausgehende) Fehlmenge aufgetreten ist. Es kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts daher nicht auf ihrer Unwirksamkeit beruhen, wenn dem Kläger nunmehr die Darlegung, in welchem Umfang er Waren verkauft hat, nicht mehr möglich sein sollte. Im Übrigen war der Kläger spätestens bei Vertragsbeendigung zur Herausgabe des Warenbestands verpflichtet (vgl. § 11 Nr. 2 des Vertrags) und musste bereits deshalb damit rechnen, dass ein Nachweis der Veränderungen des Warenbestands erforderlich werden konnte. Soweit die Parteien ein Kassensystem vereinbart hatten, bei dem die Waren nur in einzelnen Warengruppen, nicht aber einzeln mit den Artikelnummern erfasst wurden, folgt daraus lediglich eine Erleichterung hinsichtlich der Rechenschaftspflicht des Klägers (vgl. § 384 Abs. 2 HGB). Er ist danach - anders als sonst ein Kommissionär - nicht verpflichtet, für jede einzelne Ware nachzuweisen, dass sie noch vorhanden oder verkauft worden ist. An der oben aufgezeigten Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Warenbestands im Ganzen ändert dies jedoch nichts.
e) Auch die tatsächliche Handhabung des Vertrags führt zu keiner anderen Beurteilung. Ob es mit dem Kassensystem, das die Beklagte dem Kläger zur Verfügung gestellt hatte, nicht möglich war, etwa über Warennummern die tatsächlich verkauften Gegenstände als solche zu erfassen, ist ohne Belang. Denn dem Kläger war es bereits anhand der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen (Lieferscheine, Gutschriften, Inventurblätter, Abrechnungen der Tageseinnahmen, vgl. § 6 Nr. 5 des Vertrags) möglich zu überprüfen, ob in seinem Betrieb innerhalb eines bestimmten Zeitraums ein Warenschwund eingetreten war. Anhand dieser Unterlagen ließ sich zwar nicht feststellen, welche konkreten Waren davon betroffen waren und aus welchen Gründen dies der Fall war. Sofern die Kassenführung, die dem Kläger oblag (vgl. § 6 Nr. 5 des Vertrags), ordnungsgemäß war, war aber jedenfalls sichergestellt, dass die im ordentlichen Geschäftsgang verkauften Waren bei der Erfassung der Veränderungen des Warenbestands im Rahmen der vierteljährlichen Inventuren vollständig berücksichtigt wurden. Bei einem Warenfehlbestand, der sich anhand der dem Kläger zur Verfügung stehenden Unterlagen ermitteln ließ, handelte es sich folglich um einen in seiner Verwahrung eingetretenen Warenverlust, für den er nach § 390 Abs. 1 HGB grundsätzlich verantwortlich war. Es oblag auch nach den vertraglichen Vereinbarungen allein dem Kläger, die zur Verhinderung eines solchen in seinem Verantwortungsbereich eintretenden Warenschwunds geeigneten Maßnahmen zu treffen.
2. Für die rechtliche Beurteilung in der Revisionsinstanz ist somit davon auszugehen, dass die Beklagte ihrer Darlegungs- und Beweislast, dass der von ihr behauptete Verlust der dem Kläger übergebenen Waren i.S. des § 390 Abs. 1 Halbs. 1 HGB in dessen Verwahrung eingetreten ist, genügen kann. Feststellungen dazu, dass der Verlust auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht abgewendet werden konnten (§ 390 Abs. 1 Halbs. 2 HGB), hat das Berufungsgericht - von seinem rechtlichen Ausgangspunkt aus folgerichtig - noch nicht getroffen.
III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass bei der Feststellung des Umfangs des Warenverlusts durch einen Bestandsvergleich unter Einbeziehung der Zu- und Abgänge berücksichtigt werden kann, ob die Parteien im Zusammenhang mit den vierteljährlich durchgeführten Inventuren innerhalb ihrer laufenden Geschäftsverbindung in einer Weise abgerechnet haben, die in ihrer Wirkung einem Schuldanerkenntnis im Kontokorrent (vgl. § 355 HGB) gleichkommt (vgl. dazu , WM 1986, 50 f.). Unabhängig davon kann eine von einer Vertragspartei unterzeichnete Empfangs- oder Übernahmebestätigung die Umkehr der Beweislast oder zumindest Beweiserleichterungen für die an sich beweisbelastete Partei zur Folge haben (vgl. , NJW 1988, 204, 206). Bei den Anforderungen an die Erklärungslast der Parteien ist schließlich zu beachten, dass diese davon abhängt, wie substantiiert die jeweils andere Partei vorgetragen oder bestritten hat (vgl. , NJW 1999, 1404, 1405 m.w.N.). Das gilt, wenn wie im vorliegenden Fall ein Anspruch geltend gemacht wird, der sich als Saldo aus einer laufenden Geschäftsbeziehung ergibt, auch hinsichtlich der einzelnen Positionen, aus denen sich der Saldo errechnet (vgl. , NJW 1991, 2908). Weiter wird das Berufungsgericht in dem wiedereröffneten Berufungsrechtszug gegebenenfalls zu prüfen haben, ob sich die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erhobene Einrede der Verjährung (auch) auf die vom Kläger in der Berufungsinstanz neu eingeführten Ansprüche bezieht, wie die Revision geltend macht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2007 S. 1412 Nr. 26
DB 2007 S. 1696 Nr. 31
NJW-RR 2007 S. 1177 Nr. 17
WM 2007 S. 1381 Nr. 29
IAAAC-47944
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja