BSG Beschluss v. - B 1 KR 160/06 B

Leitsatz

Rechtslehrer sind als solche vor dem BSG nicht postulationsfähig.

Gesetze: SGG § 166 Abs 2 S 1; SGG § 166 Abs 2 S 2; SGG § 166 Abs 2 S 3; VwGO § 67 Abs 1; FGO § 62a Abs 1; ArbGG § 11 Abs 2; StPO § 138 Abs 1; ZPO § 78; GG Art 3 Abs 1

Instanzenzug: SG Berlin S 85 KR 1688/02 vom LSG Berlin-Potsdam L 9 KR 32/05 vom

Gründe

I

Die bei der beklagten Ersatzkasse krankenversicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren, 1. die Beklagte zu verurteilen, den gesetzlich vorgesehenen Datenschutz einzuhalten, 2. mittels eidesstattlicher Versicherung mitzuteilen, wem gegenüber sie Angaben über die Klägerin gemacht habe und mit welchem Inhalt mit Ausnahme der Angaben gegenüber dem Bevollmächtigten und den Schreiben an das Sozialgericht (SG) in anhängigen Verfahren, 3. alle Erklärungen zu widerrufen, die entweder unwahr sind oder gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen und 4. im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine angemessene Entschädigung für die Verletzung des Datenschutzes und die Schikanierung zu erbringen, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung durch Bezugnahme auf das SG-Urteil ua ausgeführt, die Klage sei hinsichtlich des ersten Begehrens unzulässig, da zu pauschal. Für das zweite und dritte Begehren fehle es an einer Anspruchsgrundlage. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte unrechtmäßig verhalten habe. Anspruch auf Entschädigung bestehe durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht (Beschluss vom ).

Mit ihrer Beschwerde, die die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten "in seiner Eigenschaft als Rechtslehrer a.D." eingelegt hat, wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss und trägt vor, entsprechend einer Literaturansicht (Deumeland, RV 2006, 199 mwN) sei die Prozessvertretung vor dem Bundessozialgericht (BSG) durch einen Rechtslehrer aD zulässig. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung, Divergenz und Verfahrensfehler.

II

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Denn die Beschwerde ist durch einen Prozessbevollmächtigten erhoben worden, der nicht zu den in § 166 Abs 2 SGG zugelassenen Personen zählt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSGE 1, 106, 109; 16, 281, 282 = SozR Nr 31 zu § 166; BSG SozR Nr 38 zu § 166 SGG; BSG SozR 1500 § 166 Nr 5 S 7) legt § 166 Abs 2 SGG im Rahmen des verfassungsgemäßen Vertretungszwangs vor dem BSG (§ 166 Abs 1 SGG) den Kreis der zugelassenen Prozessbevollmächtigten erschöpfend fest. Der Gesetzgeber hat diese ständige Rechtsprechung bis in die jüngste Zeit hinein (vgl Art 7 Abs 10 des Gesetzes zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom , BGBl I 358, in Kraft tretend gemäß Art 8 dieses Gesetzes am ) nicht zum Anlass genommen, dieses Grundprinzip zu ändern. Außer Rechtsanwälten (§ 166 Abs 2 Satz 3 SGG) sind danach lediglich die in § 166 Abs 2 Satz 1 und 2 SGG genannten Personen, nicht aber ehemalige oder gegenwärtige "Rechtslehrer" zur Prozessvertretung vor dem BSG zugelassen.

Das SGG folgt damit dem Grundsatz, dass die Rechtsvertretung vor deutschen Gerichten dort, wo eine Partei sich nicht selbst vertreten kann, den Rechtsanwälten als unabhängigen Organen der Rechtspflege vorbehalten ist (vgl dazu BVerwG Buchholz 310 § 67 Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO> Nr 53). Es lässt hiervon nur in eingeschränktem Umfange Ausnahmen für Verbandsvertreter im umfassenden Sinne (§ 166 Abs 2 Satz 1 und 2 SGG) zu, anknüpfend an deren historisch überkommene Beratungsfunktion (vgl zur Parallele mit § 11 Arbeitsgerichtsgesetz <ArbGG> von 1926 und 1953 bereits BSGE 1, 106, 110 mwN). Ausnahmen für die Vertretungsbefugnis im Rahmen des Vertretungszwangs vor obersten Bundesgerichten finden sich nur in einzelnen Bestimmungen anderer Prozessordnungen (vgl § 138 Abs 1 Strafprozessordnung; § 67 Abs 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung; § 22 Abs 1 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz), nicht aber in § 11 Abs 2 ArbGG, § 62a Finanzgerichtsordnung und § 78 Zivilprozessordnung. Die Ausnahmen beruhen auf besonderen Erwägungen (vgl zB BVerwG Buchholz 310 § 67 VwGO Nr 53) und sind der Verallgemeinerung nicht zugänglich (zutreffend - und hierzu Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom - 2 BvR 852/79).

Dementsprechend hat das BVerfG zB selbst die Singularzulassung der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof im Zivilprozess (vgl - BVerfGE 106, 216 = NJW 2002, 3765 = VersR 2003, 1556) oder die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) für verfassungsgemäß erachtet, die Postulationsfähigkeit eines - die Voraussetzungen für eine Zulassung als Rechtsanwalt möglicherweise erfüllenden - Prozessbevollmächtigten in Anwendung von Art 1 Nr 1 BFH-Entlastungsgesetz (BFHEntlG, Gesetz vom , BGBl I 1861 in der letzten Änderung durch das Gesetz vom , BGBl I 2442) zu verneinen, solange dieser nicht als Rechtsanwalt zugelassen ist (). Im Anschluss an diese Rechtsprechung hat auch der BFH einen emeritierten ordentlichen Professor für Betriebswirtschaftslehre nicht als postulationsfähig iS von Art 1 Nr 1 BFHEntlG angesehen (vgl ).

Die aufgezeigten Besonderheiten der unterschiedlichen Prozessordnungen rechtfertigen die divergierenden Bestimmungen zur Postulationsfähigkeit in ihnen auch in Würdigung der nur geringfügigen Auswirkungen für Beteiligte/Parteien und die in ihrer Berufsausübung Betroffenen, speziell damit auch die Nichteinbeziehung von "Rechtslehrern aD" in § 166 Abs 2 SGG, auch vor dem Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz). Für die Existenz abweichenden Gewohnheitsrechts besteht - unabhängig von der Frage, ob solches überhaupt entstehen könnte - entgegen der Ansicht der Klägerin kein Anhalt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Fundstelle(n):
XAAAC-47939