BAG Urteil v. - 2 AZR 333/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BGB § 626 Abs. 2; SGB IX § 85; SGB IX § 91

Instanzenzug: ArbG Osnabrück 1 Ca 346/03 vom LAG Niedersachsen 16 Sa 225/05 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

Die Beklagte vertreibt Baustoffe. Der 1962 gebborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit 1979 bei der Beklagten beschäftigt. Zuletzt war er als Prokurist und Bereichsleiter in der Niederlassung L tätig. Seit dem ist der Kläger wegen einer schweren Krebserkrankung durchgehend arbeitsunfähig. Auf seinen Antrag stellte das Versorgungsamt am einen Grad der Behinderung von 100 fest.

In einem Gespräch am erhob die Geschäftsleitung der Beklagten gegenüber dem Kläger den Vorwurf, er habe über einen längeren Zeitraum an den Kunden G. Ware geliefert bzw. die Übergabe von Waren durch Mitarbeiter veranlasst, ohne dass diese Ware vom Kunden G. bezahlt und der Vorgang buchhalterisch erfasst worden sei. Den nächsten für den vereinbarten Gesprächstermin zur weiteren Sachverhaltsaufklärung konnte der Kläger wegen seiner Erkrankung nicht wahrnehmen. Ab dem unterzog er sich einer Rehabilitationsmaßnahme.

Mit Schreiben vom erteilte die Beklagte dem Kläger ein Hausverbot. Am kündigte sie das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Sie begründete die Kündigung mit dem dringenden Verdacht, der Kläger habe ihr durch die Herausgabe von Waren ohne ordnungsgemäße Berechnung einen erheblichen Schaden zugefügt. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage und teilte der Beklagten seine Anerkennung als Schwerbehinderter mit. Die Beklagte hielt diese Kündigung nicht weiter aufrecht. Mit Schreiben vom machte sie gegenüber dem Kläger Schadensersatzansprüche in Höhe von 112.582,07 Euro nebst Mehrwertsteuer geltend.

Am beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Mit Beschluss vom , der Beklagten am zugegangen, erteilte das Integrationsamt seine Zustimmung. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos.

Der Kläger hat sich mit seiner Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom gewandt und die Ansicht vertreten, es liege kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vor. Alle Waren, deren Auslieferung er veranlasst habe, seien ordnungsgemäß berechnet und von den Kunden bezahlt worden. Die Beklagte habe die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Seit März 2003 habe sich nichts Neues ergeben.

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - zuletzt beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom beendet worden ist.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt:

Nach Feststellung einer Inventurdifferenz in Höhe von 180.000,00 Euro zum habe sie eine Nachprüfung durch den Regionalleiter J veranlasst. Die Mitarbeiter S, A, Sc und L hätten ihm Listen ausgehändigt, auf denen Waren notiert gewesen seien, die vom Kläger an die Firmen des Großkunden G. bzw. seiner Brüder ohne Lieferschein bzw. Barverkaufsunterlagen an bestimmten Tagen ausgehändigt worden seien bzw. deren Aushändigung er veranlasst habe. Keine dieser Lieferungen sei nachträglich in den Lieferpapieren vermerkt worden. Auch seien keine Rechnungen erstellt worden, eine Bezahlung sei nicht erfolgt. Der Kläger habe im Gespräch am erklärt, es könne sein, dass an Kunden tatsächlich Ware ohne Lieferschein herausgegeben worden sei; es seien aber auch nachträglich Lieferscheine über andere als die tatsächlich gelieferten Waren erstellt und auf späteren Rechnungen ausgewiesen worden. Sie, die Beklagte, habe, um den Einlassungen des Klägers nachzugehen, mit großem Arbeitsaufwand insgesamt 12.043 Rechnungen mit noch mehr dazu gehörenden Lieferscheinen in 59 Leitzordnern überprüfen müssen. Die Untersuchungen seien Ende der 20. Kalenderwoche 2003 () abgeschlossen gewesen, nachdem der Geschäftsführer Lu in dieser Woche sämtliche einschlägigen Belege nochmals persönlich einer eingehenden Prüfung unterzogen habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der vom Senat durch Beschluss vom - 2 AZN 1039/05 - zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Gründe

Die Revision ist begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung konnte die Kündigung nicht für rechtsunwirksam erklärt und der Klage stattgegeben werden. Ob die Kündigung innerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erklärt wurde und ob sie im Übrigen rechtswirksam ist, kann auf Grund der bisher nur unzureichenden Tatsachenfeststellungen noch nicht abschließend entschieden werden. Dies führt zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine der Klage stattgebenden Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Die außerordentliche Kündigung sei bereits wegen der nicht eingehaltenen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Zwischen dem und der Kündigung vom liege ein erheblicher Zeitraum selbst dann, wenn die Beklagte nach dem abgesagten Gespräch vom berechtigt gewesen sei, noch weitere Ermittlungen durchzuführen, um eine sichere und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen zu erlangen. Es fehle an einem Vortrag von konkreten Gründen, warum der Zeuge J trotz der gebotenen Beschleunigung über zwei Monate für die weiteren Ermittlungen benötigt habe. Die Kündigungserklärungsfrist könne nur so lange gehemmt sein, wie der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstelle. Dabei hänge die Art und die zeitliche Dauer der durchzuführenden erforderlichen Ermittlungen vom konkreten Einzelfall ab. Um eine solche Bewertung vornehmen zu können, bedürfe es eines konkreten Sachvortrags der Beklagten. Der Vortrag des Arbeitgebers, er habe die maßgeblichen Tatsachen erst zu einem bestimmten Zeitpunkt in Erfahrung gebracht, genüge nicht. Er müsse vielmehr substanziiert seine Kenntniserlangung darlegen. Dazu gehörten konkrete Ausführungen, welche Tatsachen im Anschluss an das Gespräch mit dem Kläger noch hätten ermittelt werden sollen bzw. ermittelt worden seien und weshalb die Ermittlungen derart viel Zeit erfordert hätten. Der schlichte Vortrag, es sei ein erheblicher Zeit- und Arbeitsaufwand notwendig gewesen, um eine bestimmte Menge von Rechnungen und Lieferscheinen durchzusehen, reiche nicht aus. Vielmehr sei der konkrete Ablauf der Ermittlungen zu schildern und darzulegen, wie viele Personen mitgewirkt hätten, weshalb weitere Ermittlungen durch einen größeren Personenkreis nicht möglich gewesen seien, wann die Ermittlungen durch den Zeugen J abgeschlossen und wann das Ermittlungsergebnis dem Geschäftsführer Lu mitgeteilt worden sei. Dem sei die Beklagte nicht nachgekommen. Insbesondere sei die zeitliche Inanspruchnahme der beauftragten Personen nicht hinreichend dargelegt worden, zumal im Rahmen der Ermittlungen weitere Personen zur Zuarbeitung für den Zeugen J hätten eingesetzt werden müssen. Hinzu komme, dass die Beklagte bereits am eine Schadensersatzforderung geltend gemacht habe. Es sei widersprüchlich, wenn sie nunmehr behaupte, noch mitten in der Überprüfung der Rechnungen und Lieferscheine gewesen zu sein.

B. Dem folgt der Senat nicht. Die Würdigung des Berufungsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann eine Verfristung der Kündigungserklärung nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht angenommen werden.

I. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist nicht schon deshalb gewahrt, weil das Integrationsamt der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zugestimmt hat.

Nach § 85, § 91 Abs. 1 SGB IX bedarf die außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung durch das Integrationsamt. Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 91 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX). Durch die Zustimmung steht jedoch nicht zugleich fest, dass die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt ist. Die Fristen des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB und des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestehen selbständig nebeneinander und verdrängen einander nicht (Senat - 2 AZR 46/05 - AP SGB IX § 91 Nr. 6 = EzA SGB IX § 91 Nr. 3). Von den Gerichten für Arbeitssachen ist die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eigenständig zu prüfen (Senat - 2 AZR 46/05 - aaO). Das Landesarbeitsgericht hat daher zu Recht geprüft, ob die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten ist.

II. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung konnte aber die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht als versäumt und die Kündigung deshalb nicht als unwirksam angesehen werden.

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung wirksam nur innerhalb von zwei Wochen erklärt werden. Diese Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.

a) § 626 Abs. 2 BGB ist ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand (Senat - 2 AZR 57/05 - AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; - 2 AZR 852/98 - BAGE 93, 12). Ziel des § 626 Abs. 2 BGB ist es, dem - hier - betroffenen Arbeitnehmer rasch Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt.

b) Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb die Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist (Senat - 2 AZR 46/05 - AP SGB IX § 91 Nr. 6 = EzA SGB IX § 91 Nr. 3; - 2 AZR 57/05 - AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1). Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat - 2 AZR 90/93 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4; - 2 AZR 974/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne eine umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann sein Kündigungsrecht nicht verwirken. Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Es genügt nicht allein die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, dh. des "Vorfalls", der einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen soll. Bei einer vom Arbeitgeber erklärten außerordentlichen Kündigung gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer und gegen die Kündigung sprechen. Außerdem gehört es zu den vom Kündigungsberechtigten zu ergründenden maßgeblichen Umständen, mögliche Beweismittel für eine ermittelte Pflichtverletzung zu beschaffen und zu sichern (Senat - 2 AZR 57/05 - aaO; - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9).

c) Dabei sollen die zeitlichen Grenzen des § 626 Abs. 2 BGB den Arbeitgeber weder zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben noch ihn veranlassen, ohne eine genügende Prüfung des Sachverhalts oder vorhandener Beweismittel voreilig zu kündigen (Senat - 2 AZR 245/04 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; - 2 AZR 974/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89; - 2 AZR 90/93 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4). Solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an. Dies gilt nur solange, wie der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine weitere, umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der notwendigen Beweismittel verschaffen sollen (Senat - 2 AZR 386/71 - BAGE 24, 341; - 2 AZR 492/92 - BAGE 73, 42 und - 2 AZR 478/01 -AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1; - 2 AZR 245/04 -aaO; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 319). Sind die Ermittlungen jedoch abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte hinreichende Kenntnisse vom Kündigungssachverhalt und von den erforderlichen Beweismitteln, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ermittlungsmaßnahmen etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder im Ergebnis überflüssig waren. Allerdings besteht für weitere Ermittlungen kein Anlass mehr, wenn der Sachverhalt bereits geklärt oder der Gekündigte ihn sogar zugestanden hat (Senat - 2 AZR 478/01 - aaO).

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze hält das angefochtene Urteil einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Revision rügt zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe die Anforderungen an die der Beklagten obliegende Darlegungs- und Beweislast überspannt.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Kündigungsberechtigte für die Einhaltung der Ausschlussfrist darlegungs- und beweispflichtig ( - 2 AZR 359/71 - BAGE 24, 383; - 2 AZR 492/92 - BAGE 73, 42). Derjenige, der eine Kündigung aus wichtigem Grund ausspricht, muss darlegen und ggf. beweisen, dass er von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor ihrem Ausspruch erfahren hat. Diese Darlegungspflicht ist nicht bereits erfüllt, wenn der Kündigende lediglich allgemein vorträgt, er kenne die Kündigungsgründe nicht länger als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung. Er muss vielmehr die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat. Um den Zeitpunkt, in dem der Wissensstand des Kündigungsberechtigten ausreicht, bestimmen zu können, und um es dem Gekündigten zu ermöglichen, die behauptete Schilderung zu überprüfen und gegebenenfalls qualifiziert zu bestreiten, muss grundsätzlich angegeben werden, wie es zu der Aufdeckung des Kündigungsgrundes gekommen sein soll (Senat - 2 AZR 359/71 - aaO; APS/Dörner 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 169; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 386; Stahlhacke/Preis/Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 856). Hat der Kündigungsberechtigte noch Ermittlungen durchgeführt, muss er hierzu weiter darlegen, welche Tatsachenbehauptungen unklar und daher ermittlungsbedürftig waren, und welche - sei es auch nur aus damaliger Sicht - weiteren Ermittlungen er zur Klärung der Zweifel angestellt hat.

b) Im Ausgangspunkt zutreffend, hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB treffe die Beklagte. Zutreffend hat es weiter ausgeführt, die Beklagte müsse ihre Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund substanziiert darlegen und konkrete Ausführungen machen, welche Tatsachen im Anschluss an das Gespräch mit dem Kläger am noch ermittelt werden sollten bzw. ermittelt worden sind und weshalb die Ermittlungen erst am abgeschlossen waren. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte sei diesen Anforderungen nicht nachgekommen, widerspricht jedoch den dargestellten Grundsätzen.

aa) Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz vorgetragen, sie habe, nachdem das Gespräch mit dem Kläger am krankheitsbedingt nicht habe stattfinden können, dessen Einlassungen vom überprüfen müssen. Es sei nicht auszuschließen gewesen, dass Lieferscheine über andere als die tatsächlich gelieferte Ware nachträglich erstellt und auf späteren Rechnungen ausgewiesen worden seien.

Da die Beklagte gehalten war, auch den Kläger entlastende Momente zu ermitteln und zu prüfen, war sie zu diesen weiteren Aufklärungsmaßnahmen nicht nur berechtigt, sondern vielmehr sogar verpflichtet.

Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte mit Schreiben vom einen berechneten Schadensersatzanspruch gegen den Kläger geltend gemacht hat. Die Beklagte konnte, obwohl sie den Einlassungen des Klägers noch nicht nachgegangen war, bereits auf Grund der von ihren Mitarbeitern erstellten Listen einen Schaden beziffern, der durch die unberechtigte Herausgabe von Waren mutmaßlich entstanden war. Sie konnte aber noch nicht abschließend beurteilen, ob sich ihre gegen den Kläger gerichtete Vermutung tatsächlich als zutreffend herausstellen und die Rechtfertigungseinwände des Klägers unbeachtlich sein würden. Entgegen der vom Kläger in der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung durfte die Beklagte zudem ihre Ermittlungen auch im Hinblick auf einen möglichen Nachweis bezüglich der behaupteten Pflichtverletzung betreiben. Allein die Tatsache, dass die Beklagte außergerichtlich eine - möglicherweise unberechtigte - Schadensersatzforderung gegenüber dem Kläger geltend machte, spricht somit nicht entscheidend für die Annahme, die Beklagte habe bereits am eine für den Ausspruch einer Tatkündigung ausreichende abschließende Kenntnis gehabt.

bb) Die Beklagte war erst auf Grund der weiteren Überprüfungen in der Lage, den Umfang der vom Kläger begangenen Pflichtverletzungen näher zu bestimmen. Ihr Vortrag, es seien insgesamt 12.043 Rechnungen, teilweise sog. Sammelrechnungen mit mehreren Lieferscheinen, zu sichten gewesen, lässt bereits auf Grund des Umfangs der Unterlagen einen Überprüfungszeitraum von gut zwei Monaten plausibel erscheinen. Die Beklagte konnte sich insoweit nicht darauf beschränken, nur einen schlichten Datenabgleich vorzunehmen. Auf Grund der Einlassung des Klägers musste sie vielmehr recherchieren, ob und welche Lieferscheine und Rechnungen den von ihren Mitarbeitern auf den Listen festgehaltenen Waren entsprechen könnten. Da der Kläger angegeben hatte, die Rechnungen seien teilweise auch direkt den Bauherren erteilt worden, konnte sie es auch nicht bei der Überprüfung der für den Kunden G. erstellten Unterlagen belassen. Sie musste vielmehr sämtliche Kunden überprüfen, die im fraglichen Zeitraum entsprechende Lieferungen und Rechnungen erhalten hatten. Da zeitliche "Lücken" in den Aufklärungsmaßnahmen der Beklagten nicht erkennbar sind, überspannt das Landesarbeitsgericht die von der Beklagten zu erfüllende Darlegungslast, wenn es - ohne dass Anhaltspunkte ersichtlich oder vom Kläger vorgetragen wären, die Beklagte habe die Ermittlungen zögerlich oder verschleppend betrieben - verlangt, die Beklagte hätte zur zeitlichen Inanspruchnahme des Regionalleiters J und dessen Ermittlungsarbeiten noch konkreter vortragen müssen. Dem Kläger war es angesichts des Sachvortrags der Beklagten auch möglich, die behauptete Schilderung zu überprüfen und ggf. qualifiziert zu bestreiten. Einer exakten zeitlichen Angabe, wie viele Stunden der Zeuge J täglich neben seiner üblichen Tätigkeit mit den Ermittlungen verbracht hat, bedurfte es demnach nicht.

cc) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war die Beklagte im Rahmen der Ermittlungen auch nicht verpflichtet, weitere Personen zur Unterstützung des Zeugen J einzusetzen. Zu Unrecht verlangt daher das Landesarbeitsgericht eine Darlegung, weshalb weitere Ermittlungen durch einen größeren Personenkreis nicht möglich gewesen seien. Dies gilt umso mehr als die Beklagte vorgetragen hat, die Prüfung habe nicht einem "einfachen" Mitarbeiter überlassen werden sollen. Sie sei deshalb dem Regionalleiter J übertragen worden, weil ihre anderen Mitarbeiter, die für eine Untersuchung in Frage gekommen wären, einen Bezug zu den Vorfällen hatten. Sie hatten die Listen mit den angeblich vom Kläger herausgegebenen Waren erstellt. Die Entscheidung der Beklagten, deshalb den übergeordneten Regionalleiter J zur Prüfung heranzuziehen, bewegte sich im Rahmen dessen, was von einem vernünftigen Arbeitgeber verlangt werden kann. Da die Untersuchung angesichts des erheblichen Umfangs des zu prüfenden Materials mit knapp über zwei Monaten auch keine über Gebühr lange Zeit beanspruchte, kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden, sie hätte die Prüfung durch die Hinzuziehung weiterer Mitarbeiter zwingend beschleunigen müssen.

dd) Hinzu kommt, dass der Kläger angesichts des Ausspruchs der Verdachtskündigung vom und der Mitteilung der Beklagten im Zusammenhang mit dem Hausverbot vom erkennen konnte, dass die Beklagte die Vorfälle nicht auf sich beruhen lassen werde. Auch vor dem Hintergrund des Schutzzweckes des § 626 Abs. 2 BGB, dem Kündigungsempfänger möglichst frühzeitig Gewissheit zu verschaffen, ob der Kündigungsgegner einen Vorfall zum Anlass für eine fristlose Kündigung nehmen will (Senat - 2 AZR 255/04 - BAGE 114, 264; ErfK/Müller-Glöge 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 246), war die Beklagte nicht zu "hektischer Eile" und vor allem zu einem übermäßigen Personaleinsatz bei der Aufklärung des ausschließlich im Hinblick auf eine mögliche Entlastung des Klägers zu ermittelnden Sachverhaltes gehalten.

C. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Der Rechtsstreit ist vielmehr an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Ob die Kündigung wegen Versäumung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB unwirksam ist oder sie gemäß § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB iVm. § 91 Abs. 5 SGB IX rechtzeitig erklärt worden ist, bleibt einer weiteren Überprüfung durch das Landesarbeitsgericht genauso vorbehalten wie die Prüfung der Frage, ob ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.

I. Dem Senat ist eine eigene Entscheidung darüber, ob die Kündigung verspätet erfolgt ist, auf Grund der bisherigen Feststellungen nicht möglich. Der Kläger hat bestritten, dass die Beklagte überhaupt weitere Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes durchgeführt hat. Dies wird vom Landesarbeitsgericht festzustellen sein. Schon deshalb war der Rechtsstreit nach § 563 Abs. 1 ZPO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

1. Das Berufungsgericht wird der Behauptung der Beklagten, sie habe nach ihren Ermittlungen erst am die für den Kündigungsausspruch hinreichende Gewissheit hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung des Klägers besessen, nachgehen müssen. Insbesondere wird es klären müssen, bis zu welchem Zeitpunkt der Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gehemmt war und wann sie abgelaufen ist. Es wird hierzu den Vortrag der Beklagten aus der mündlichen Verhandlung, ihre Voruntersuchungen seien erst kurz vor dem Gespräch mit dem Kläger am abgeschlossen gewesen, weiter aufzuklären haben. Angesichts der Tatsache, dass zunächst keine Veranlassung bestand, die Verantwortlichkeit für die Inventurdifferenz zum beim Kläger zu suchen, spricht vieles dafür, dass die Beklagte zunächst - mit der gebotenen Zügigkeit - ihre Mitarbeiter befragen durfte, die ihr die Listen mit den angeblich vom Kläger an den Kunden G. herausgegebenen Waren aushändigten. Das Landesarbeitsgericht wird weiter aufklären müssen, ob der Geschäftsführer Lu - wie von der Beklagten vorgetragen - in der 20. Kalenderwoche die vom Regionalleiter J erarbeiteten Ermittlungsergebnisse nochmals überprüft hat. Allerdings braucht die Beklagte insoweit nicht im Einzelnen darzulegen, mit welcher "Intensität" diese Prüfung erfolgte. Es bestehen bisher keine Anhaltspunkte, dass die abschließende Sichtung der umfangreichen Unterlagen durch den Geschäftsführer Lu vorgeschoben ist. Da der Kläger als Prokurist und Bereichsleiter der Niederlassung L in einer gehobenen Position beschäftigt war, insoweit das uneingeschränkte Vertrauen der Beklagten genoss und zudem krankheitsbedingt nicht zu einer Stellungnahme in der Lage war, war der Geschäftsführer berechtigt, sich ein eigenes Bild vom Umfang der Kündigungsvorwürfe und eventueller Entlastungstatsachen zu machen.

2. Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, die Behauptung der Beklagten treffe zu, sie habe erst am die nötige Gewissheit über die für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen erlangt, wäre die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB am und damit vor Ausspruch der Kündigung am abgelaufen gewesen. Die Kündigung könnte allerdings dennoch rechtzeitig erfolgt sein, weil die Beklagte am nach §§ 85, 87 SGB IX beim Integrationsamt die Zustimmung zur fristlosen Kündigung des mit einem Grad von 100 behinderten Klägers beantragt hat. Für den Fall, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Erteilung der Zustimmung bereits abgelaufen ist, verlangt § 91 Abs. 5 SGB IX aber den unverzüglichen Ausspruch der Kündigung. Damit ist klargestellt, dass nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlussfrist zu laufen beginnt. § 91 Abs. 5 SGB IX trägt ferner dem Umstand Rechnung, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bei einem schwerbehinderten Menschen auch noch die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen (Senat - 2 AZR 255/04 -BAGE 114, 264; - 2 AZR 380/00 - BAGE 99, 358). Das Landesarbeitsgericht wird deshalb weiter überprüfen müssen, ob die Beklagte die Kündigung nach Zustimmungserteilung am mit dem Kündigungsschreiben vom unverzüglich ausgesprochen hat. Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet "unverzüglich" "ohne schuldhaftes Zögern". Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalles nicht geboten ist (RG - II 357/28 - RGZ 124, 115, 118 = JW 1929, 1457; MünchKomm/Kramer 4. Aufl. BGB § 121 Rn. 7). Da "unverzüglich" weder "sofort" bedeutet noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden ist (Müller-Wenner/Schorn SGB IX § 91 Rn. 22), kommt es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (Senat - 2 AZR 57/05 - AP BGB § 626 Nr. 204 = EzA BGB 2002 § 626 Ausschlussfrist Nr. 1; - 2 AZR 255/04 - aaO; - WM 1962, 511). Diese wird das Landesarbeitsgericht vorzunehmen haben.

II. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht konsequent - das Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB nicht geprüft. Ob ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt, kann der Senat ebenfalls nicht abschließend beurteilen.

1. Vollendete oder auch nur versuchte Eigentums- oder Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers sind grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung darzustellen, weil der Arbeitnehmer die durch den Arbeitsvertrag begründete Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers hierdurch verletzt. Diese Verpflichtung beinhaltet das Verbot, den Arbeitgeber rechtswidrig und vorsätzlich durch eine Straftat zu schädigen. Unabhängig von dem Wert des Schadens bricht der Arbeitnehmer durch die Eigentumsverletzung in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers (Senat - 2 AZR 36/03 - AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5; - 2 AZR 923/98 - BAGE 92, 184).

2. Sollte sich die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe Waren in erheblichem Umfang an den Kunden G. herausgegeben, ohne sie berechnet und buchhalterisch erfasst zu haben, als zutreffend erweisen, wird hierin ein wichtiger Grund an sich liegen. Das Landesarbeitsgericht wird daher den Behauptungen der Beklagten, die der Kläger bestritten hat, im Einzelnen nachgehen müssen. Unerheblich ist hierbei, ob der Tatbestand der veruntreuenden Unterschlagung nach § 246 Abs. 2 StGB erfüllt ist. Auf die strafrechtliche Bewertung des Verhaltens kommt es für seine kündigungsrechtliche Bedeutung nicht entscheidend an (Senat - 2 AZR 620/96 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 27; - 2 AZR 676/98 - AP BBiG § 15 Nr. 11 = EzA BBiG § 15 Nr. 13). Erschwerend zu berücksichtigen ist aber, dass die Pflichtverletzung mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des Klägers zusammenhängt, in unmittelbarem Zusammenhang mit dem konkreten Aufgabenbereich des Klägers steht und bei Gelegenheit der Arbeitsleistung verübt worden ist (vgl. Senat - 2 AZR 633/82 - AP BGB § 626 Nr. 80 = EzA BGB § 626 nF Nr. 91; - 2 AZR 292/96 - BAGE 85, 114).

Sollte der Kläger in seiner Position als Bereichsleiter der Niederlassung und Prokurist zwar keine Waren an den Kunden G. ohne Bezahlung herausgegeben bzw. deren Herausgabe veranlasst haben, sollten jedoch auf sein Betreiben andere Waren abgerechnet worden sein, als tatsächlich herausgegeben, läge auch hierin eine erhebliche arbeitsvertragliche Pflichtverletzung. Auch in diesem Fall könnte - je nach Umfang und Umständen der Fehlbuchungen - ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorliegen.

Fundstelle(n):
BB 2007 S. 2187 Nr. 40
DB 2007 S. 1540 Nr. 27
ZAAAC-47879

1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein