Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 21
Instanzenzug: LG Konstanz vom
Gründe
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie erstrebt eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
II.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Am Tattag war der Angeklagte, ein syrischer Staatsangehöriger, 20 Jahre und fünf Monate alt. Am Abend des feierte er in einer Gaststätte in Villingen-Schwenningen u.a. mit dem Zeugen M. einen Geburtstag. Gegen 20.00 Uhr zog er an einem Joint. Er trank Whiskey, Wodka und Rotwein. Nach Mitternacht ließ er sich und den Zeugen M. von dem Zeugen E. zu einer Tankstelle chauffieren. Alle drei verließen das Fahrzeug und holten sich am Nachtschalter etwas zu essen und alkoholfreie Getränke. Danach standen sie am Rande der Anlage und unterhielten sich. Kurz vor 1.54 Uhr kam der damals 24-jährige B. H. - der Nebenkläger - auf sie zu. Er hatte zuvor in einer anderen Gruppe in derselben Gaststätte gezecht. Er schrie den Angeklagten, der ihm bis dahin unbekannt war, ohne jeden Anlass mit Ausdrücken wie "Arsch, kleiner Pisser, Stinker, Fixer" an und schubste ihn mehrfach weg. Obwohl der Angeklagte die beträchtliche Alkoholisierung des Nebenklägers erkannte - dieser hatte eine Blutalkoholkonzentration von etwas mehr als 2,53 Promille - stieß er gegen den Angreifer und gewann die Oberhand. Er schlug ihm so heftig mit der Faust ins Gesicht, dass dieser zu Boden ging und mit dem Hinterkopf auf einen Randstein aufschlug. Der Angeklagte trat dann mehrfach mit den Füßen, an denen er festes Schuhwerk trug, auf den Kopf, in das Gesicht und in die Bauchgegend des am Boden Liegenden ein. Seinen beiden Begleitern gelang es schließlich, den Angeklagten vom Opfer wegzuziehen. Momente später stand der Nebenkläger, der nun am Kopf blutete, auf und ging schwankend auf den Angeklagten zu. Dieser konnte sich aus der Umklammerung seiner Begleiter losreißen. Seine Wut steigerte sich. Er war jetzt entschlossen, seinen Kontrahenten zu töten. Er sprang mit dem Ruf "Ich bring Dich um" oder "Ich schlag Dich tot" auf ihn zu und streckte ihn mit mindestens einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden. Das Opfer fiel mit dem Hinterkopf mit solcher Wucht auf eine Betonplatte, dass ein Bersten des Schädels zu hören war. Es blieb bewusstlos liegen. Der Angeklagte schrie weiter mehrfach herum und wollte erneut auf den Nebenkläger eintreten, was seine beiden Begleiter unter großer Kraftanstrengung verhindern konnten.
Als der Angeklagte nach der Tat darauf hingewiesen wurde, dass die Tankstelle über eine Videoüberwachungsanlage verfüge, flüchtete er in die nähere Umgebung, bevor er festgenommen werden konnte. Die Auswertung der Videoüberwachung war allerdings unergiebig.
Das Opfer erlitt u.a. ein Schädelhirntrauma, eine Schädelfraktur mit Schädelbasisfraktur und eine Hörminderung beiderseits. Es befand sich in Lebensgefahr und konnte nur durch eine äußerst zeitnahe Notoperation gerettet werden. Sein Hörvermögen ist dauerhaft rechts um 60 % und links um 80 % vermindert.
Die dem Angeklagten entnommene Blutprobe ergab bei Rückrechnung auf die Tatzeit eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1,74 Promille. Sie wies außerdem ein positives Ergebnis hinsichtlich von Cannabinoiden auf.
2. Auf Grund dieser Feststellungen bejaht die Jugendkammer für den ersten Angriff einen Körperverletzungsvorsatz, der auch die Qualifikationsmerkmale des gefährlichen Werkzeugs (festes Schuhwerk) und der lebensgefährdenden Behandlung umfasst (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB). Sie nimmt - sachverständig beraten - an, zu Beginn der Auseinandersetzung sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf Grund eines Zusammenwirkens verschiedener Alkoholika und des Konsums von Cannabis erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Ab dem Zeitpunkt, in dem der Nebenkläger nach dem Niederschlag wieder aufstand - beim zweiten Angriff -, geht sie zwar vom Tötungsvorsatz des Angeklagten aus, gelangt aber zu der Überzeugung, dass nunmehr seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar völlig aufgehoben war (§ 20 StGB). Die Überzeugung begründet sie damit, der Angeklagte habe sich in diesen Zustand gesteigert auf Grund der durch die tätliche Auseinandersetzung eingetretenen Erregung und auf Grund der durch die Beleidigungen angestachelten Wut.
Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen, aber teilweise Erinnerungslücken geltend gemacht, was die Kammer ihm abnimmt. Sie ist davon überzeugt, das Motiv seines Handelns war Wut.
III.
1. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie ist etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen nahe liegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).
Die Kammer hätte einen Tötungsvorsatz des Angeklagten schon zu Beginn der tätlichen Auseinandersetzung in ihre Erwägungen einbeziehen müssen. Insoweit ist die Beweiswürdigung lückenhaft.
Äußerst gefährliche Gewalthandlungen legen trotz der hohen Hemmschwelle hinsichtlich der Tötung eines Menschen die Annahme von zumindest bedingtem Tötungsvorsatz nahe (st. Rspr., BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 3, 33, 38 jeweils m.w.N.). Der Täter handelt bereits dann mit bedingtem Vorsatz, wenn er den Erfolgseintritt als nur möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt und einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Das gefährliche Handeln des Angeklagten, nachdem er seinen Gegner erstmals zu Boden gestreckt hatte, nämlich das mehrfache Eintreten mit festem Schuhwerk auf den Kopf, in das Gesicht und in die Bauchgegend des wehrlosen Opfers, ist hier ein gewichtiges Beweisanzeichen für einen bedingten Tötungsvorsatz. Auch der Tatsache, dass er nicht freiwillig von seinem Opfer abließ, sondern schon im ersten Teilakt durch seine Begleiter weggezogen werden musste, kann ein hoher Indizwert für die innere Einstellung des Angeklagten gegenüber der Tötung seines Opfers zukommen. Das gewollte weitere Tun legt es nahe, dass ihm die Folgen seiner Tat - der mögliche Tod des Opfers - zumindest gleichgültig waren. Dies würde für die Annahme von bedingtem Vorsatz genügen (BGHSt 40, 304, 306; ) und war deshalb erörterungsbedürftig.
Wenn die Kammer für den ersten Teilakt eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung bejaht, so geht sie davon aus, dass die Tat in der Vorstellung des Angeklagten auf eine Lebensgefährdung "angelegt" war (BGHSt 36, 262, 265). Demnach erkannte der Angeklagte trotz seiner Wut und seiner sonstigen psychischen Verfassung - Einfluss von Alkohol und Cannabis - die Lebensgefährlichkeit seiner Tritte. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte dennoch darauf vertrauen konnte, der Nebenkläger werde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt.
2. Schon die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ist nicht frei von Rechtsfehlern.
Die Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der erfolgte Konsum von Cannabis die Wirkungen des getrunkenen Alkohols so erheblich zu einer explosiven Mischung verstärkt hat, dass zu Beginn der Begehung der Straftat der gefährlichen Körperverletzung das Steuerungsvermögen des Angeklagten erheblich vermindert gewesen sei. Dem hat sich die Kammer angeschlossen (UA S. 9). Die Ausführungen lassen besorgen, dass dem Tatrichter nicht bewusst war, dass es sich bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit "erheblich" im Sinne von § 21 StGB ist, um eine Rechtsfrage handelt, die der Tatrichter - ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen - in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (st. Rspr., BGHSt 43, 66, 77 m.w.N.). Dabei fließen normative Überlegungen ein. Dies lässt das Urteil nicht erkennen.
3. Eine nicht ausschließbare Schuldunfähigkeit des Angeklagten ab dem Zeitpunkt, in dem der Nebenkläger wieder aufstand, ist nicht tragfähig begründet. Die Ausführungen hierzu sind widersprüchlich und unklar. Die Annahme der Steigerung von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit in einen Zustand des völligen Ausschlusses ist nicht nachvollziehbar.
Nach dem festgestellten objektiven Tatgeschehen erfolgten die Beleidigungen durch das Opfer vor dem ersten Faustschlag des Angeklagten (UA S. 4). Nach der Überzeugung der Kammer geriet er dadurch in Wut, sodass die Wut das Motiv seines gesamten Handelns war (UA S. 10, 11). Weitere Beleidigungen hat das Landgericht nicht festgestellt. Somit können Beleidigungen seine Wut oder Erregung nicht weiter gesteigert haben (UA S. 9). Das gilt auch für den Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung, den die Kammer hier widersprüchlich zu den getroffenen Feststellungen heranzieht. Der Angeklagte hat sich entgegen UA S. 9 nach den Fußtritten nicht freiwillig vom Opfer zurückgezogen, sondern wurde durch seine Begleiter zurückgezogen (UA S. 4). Das Verhalten des Angeklagten legt eher einen anhaltenden Willen nahe, den Nebenkläger endgültig auszuschalten.
4. Danach war das Urteil auf die Sachrüge der Staatsanwaltschaft wegen der den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler aufzuheben. Nach den bisherigen Feststellungen liegt es nicht fern, dass es sich um ein einheitliches Tatgeschehen mit durchgängigem Tötungsvorsatz handelt. Die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit drängt sich jedenfalls unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht auf.
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten sind nicht erkennbar geworden (§ 301 StPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
HAAAC-47859
1Nachschlagewerk: nein