BSG Beschluss v. - B 9a V 7/06 B

Leitsatz

Zahlt ein Sozialleistungsträger nach dem Tod eines Versorgungsberechtigten weiterhin Geldleistungen auf dessen Konto bei einem Geldinstitut und werden hiervon Forderungen eines Dritten beglichen, ist das beigeladene Geldinstitut durch die Gerichtsentscheidung über den vom Versorgungsträger gegen den Dritten (§ 118 Abs 3 SGB VI) geltend gemachten Erstattungsanspruch auch dann nicht beschwert, wenn diese Klage deswegen als unzulässig abgewiesen worden ist, weil der Kläger das Nichtbestehen eines vorrangigen Erstattungsanspruchs gegen das Geldinstitut nicht dargetan habe.

Gesetze: SGB VI § 118; SGG § 54 Abs 5; SGG § 75 Abs 1; SGG § 75 Abs 2; SGG § 141; SGG § 160

Instanzenzug: SG Berlin S 43 V 30/02 vom LSG Berlin-Potsdam L 13 V 4/04 vom

Gründe

I

Streitig ist die Erstattung von Hinterbliebenenversorgungsbezügen, die vom Kläger nach dem Tode der Versorgungsberechtigten weiterhin auf deren Konto bei der Beigeladenen überwiesen worden sind.

Der Kläger zahlte über den Tod der Versorgungsberechtigten Martha W. () hinaus, für die Monate Juni bis einschließlich Oktober 1998, Geldleistungen auf das Konto der Verstorbenen bei der Beigeladenen. Während dieser Zeit wurde von diesem Konto der monatliche Mietzins weiterhin per Dauerauftrag an die Beklagte überwiesen. Beigeladene und Beklagte kamen den Erstattungsforderungen des Klägers teilweise nach. Den ungedeckten Betrag von 789,84 € machte der Kläger schlussendlich gegenüber der Beklagten gerichtlich geltend. Das Sozialgericht Berlin (SG) hat die Beklagte verurteilt, 558,51 € (nach Berichtigung durch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg <LSG>: 558,31 €) an den Kläger zu zahlen. Hinsichtlich des Restbetrags von 231,53 €, so das SG, bestehe ein vorrangiger Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene, die sich insoweit nicht auf Entreicherung berufen könne, da sie mit der Gutschrift auf das im Soll stehende Konto eigene Forderungen gegenüber der Kontoinhaberin durch Verrechnung befriedigt habe. Das LSG hat die vom SG zugelassenen Berufungen von Beklagter und Beigeladener durch Urteil vom zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Beklagte sei als Empfängerin von Geldleistungen iS des § 118 Abs 4 Satz 1 Alt 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) grundsätzlich zur Rückzahlung derselben an den Kläger verpflichtet. Der über den Betrag von 558,31 € hinausgehenden Leistungsklage gegen die Beklagte fehle jedoch das Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger nicht dargelegt habe, dass kein vorrangiger Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene nach § 118 Abs 3 Satz 2 SGB VI bestehe. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung, insbesondere des 4. und 9. Senats des Bundessozialgerichts (BSG), könne die Beigeladene sich nicht mit Erfolg auf Entreicherung berufen.

Die Revision hat das LSG nicht zugelassen. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde zum BSG macht die Beigeladene eine grundsätzlich Bedeutung der Rechtssache sowie Divergenz zu der Entscheidung des 9. Senats des (BSGE 83, 176 = SozR 3-2600 § 118 Nr 4) geltend.

II

Die Beschwerde ist nicht begründet. Die behaupteten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat eine Rechtssache, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl dazu BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; SozR 1500 § 160a Nr 13, 39). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie für den zu entscheidenden Rechtsstreit rechtserheblich ist (vgl BFHE 105, 335, 336). Es muss die konkrete Möglichkeit bestehen, dass das Revisionsgericht sie im vorgelegten Rechtsfall in sachlicher Hinsicht wird entscheiden können. Das hier nicht der Fall.

Die Beigeladene hat folgende Frage aufgeworfen:

Lassen anderweitige Verfügungen iS des § 118 Abs 3 Satz 3 Halbsatz 1 SGB VI den Rücküberweisungsanspruch unberührt, soweit sich das Konto im Zeitpunkt bei Gutschrift der sozialen Geldleistung im Soll befunden hat?

Diese Frage ist im Revisionsverfahren aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht klärungsfähig. Die Beigeladene ist durch das Urteil des LSG nicht beschwert.

Streitgegenstand des Gerichtsverfahrens ist der von dem Kläger im Rahmen einer Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) geltend gemachte Erstattungsanspruch gegen die Beklagte. Diesem hat das LSG teilweise stattgegeben. Im Übrigen hat es die Klage wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig angesehen, weil der Kläger nicht dargelegt habe, dass ein vorrangiger Erstattungsanspruch gegen die Beigeladene iS des § 118 Abs 3 Satz 2 SGB VI nicht bestehe bzw schon rechtskräftig abgelehnt worden sei. Der Kläger sei in Höhe von 231,53 € auf einen solchen zu verweisen, da die Beigeladene sich insoweit nicht mit Erfolg auf Entreicherung berufen könne. Das LSG hat damit nicht rechtlich verbindlich über das Bestehen eines Anspruchs des Klägers gegen die Beigeladene entschieden.

Grundsätzlich können zwar auch Beigeladene, unabhängig von den Hauptbeteiligten des Rechtsstreits, Rechtsmittel gegen Urteile einlegen. Die (formelle) Rechtskraftwirkung des Urteils erstreckt sich nach § 141 Abs 1 SGG auf sämtliche Beteiligte des Verfahrens. Eine Beschwer liegt für einen Beigeladenen jedoch nur dann vor, wenn er durch die Entscheidung der Vorinstanz materiell belastet wird. Dieses setzt voraus, dass der Beigeladene geltend machen kann, auf Grund der Bindungswirkung des angefochtenen Urteils nach § 141 SGG unmittelbar in seinen subjektiven Rechten beeinträchtigt zu sein. Hieran mangelt es dann, wenn sich eine mögliche Belastung nur aus der Begründung der Entscheidung ergibt, nicht jedoch von deren Rechtskraft erfasst wird. So liegt der Fall hier.

Die Deutsche Postbank AG ist durch nach § 75 SGG zum Verfahren beigeladen worden, weil, so das SG, eine Entscheidung ihr und der Beklagten gegenüber nur einheitlich ergehen könne; denn nach der Systematik des § 118 SGB VI gehe der Anspruch gegen die Beigeladene aus § 118 Abs 3 SGB VI dem Anspruch gegen Dritte aus § 118 Abs 4 SGB VI vor. Entsprechend diesem materiell-rechtlichen Nachrang der Forderung des Klägers gegen die Beklagte haben SG und LSG auch tenoriert. Sie haben der Klage insoweit in Höhe von 558,31 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Aus den zur Auslegung des Tenors heranzuziehenden Entscheidungsgründen des LSG ergibt sich, dass die Klageabweisung ausschließlich verfahrensrechtliche Gründe (mangelndes Rechtsschutzbedürfnis) hat. Es liegt insoweit ein Prozess- und kein Sachurteil vor. Über den Anspruch des Klägers gegen die Beklagte in Höhe von 231,53 € ist mithin noch keine der Rechtskraft fähige, materiell-rechtliche Entscheidung getroffen worden.

Ebenso wenig vermag die Entscheidung insoweit eine nachteilige Bindungswirkung für die Beigeladene zu entfalten (vgl hierzu , juris). Soweit in den Entscheidungsgründen ausgeführt wird, der weitere Anspruch des Klägers gegen die Beklagte scheitere daran, dass die Erstattungsforderung gegenüber der Beigeladenen vorrangig geltend zu machen sei, handelt es sich um rechtliche Erwägungen im Rahmen der Begründung der Entscheidung, die jedoch nicht in Rechtskraft erwachsen sind. Die Ausführungen des LSG zur materiellen Rechtslage im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen dienen ersichtlich nur zur Verdeutlichung, wie schwierig es nach Auffassung des LSG ist, ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für seine den Betrag von 558,31 € übersteigende Leistungsklage gegen die Beklagte darzutun. Eine die Beigeladene rechtlich belastende Beurteilung ist damit nicht verbunden (vgl dazu allg BSGE 39, 14, 18 = SozR 3640 § 4 Nr 1; BSGE 35, 228, 231 = SozR Nr 15 zu § 160 SGG; BSGE 47, 241, 244 = SozR 4100 § 134 Nr 11).

Zwar ist der Anspruch gegen die Beigeladene materiell-rechtlich vorrangig zu prüfen, sodass dieser im Gerichtsverfahren zumindest Gelegenheit zur Äußerung iS des § 75 Abs 1 SGG zu geben war. Gleichwohl war in dem der Beschwerde zu Grunde liegenden Rechtsstreit eine Entscheidung über deren Erstattungspflicht nicht zu treffen, sodass auch kein Fall der notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG gegeben ist (vgl , juris). Der Kläger hat eine derartige Forderung gegen die Beigeladene auch nicht anhängig gemacht; im Berufungsverfahren hat er lediglich die Verurteilung der Beklagten begehrt.

Da vom Kläger hier nur eine echte Leistungsklage erhoben und lediglich die Beklagte in Anspruch genommen worden ist (§ 118 Abs 4 SGB VI damaliger Fassung sah keine Entscheidung durch Verwaltungsakt vor), besteht auch nicht die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen. Ebenso wenig präjudiziert die Entscheidung des LSG den Ausgang eines zukünftigen Rechtsstreits des Klägers gegen die Beigeladene. Sollte der Kläger die hier Beigeladene nunmehr auf Erstattung von 231,53 € verklagen, könnte diese ihre Argumente erneut vorbringen, ohne dass dem die Rechtskraft des vorliegenden Urteils entgegen stünde. Käme der Kläger darin nicht zum Erfolg, wäre dem Begehren der Beigeladenen in vollem Umfang Rechnung getragen. Der Kläger wäre wiederum nicht gehindert, den Anspruch daraufhin erneut gegenüber der Beklagten gerichtlich geltend zu machen. Die Rechtskraft der hier angegriffenen Entscheidung stünde dem nicht entgegen, da insoweit lediglich ein Prozessurteil vorliegt.

Auch soweit die Beigeladene Divergenz zu der Entscheidung des 9. Senats des (BSGE 83, 176 = SozR 3-2600 § 118 Nr 4) rügt, gilt nichts anderes. Die Divergenzrevision ist lediglich ein besonderer Fall der Grundsatzrevision (vgl BFHE 119, 380; 148, 436; BSG in SozR 1500 § 160 Nr 28; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, RdNr 155). Es kann daher auf die vorherigen Ausführungen Bezug genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 1 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Gerichtskostengesetz.

Fundstelle(n):
KAAAC-45849