Erlass bzw. Erstattung von Einfuhrabgaben aus Billigkeitsgründen; schlüssige Darlegung der Verletzung der Sachaufklärungspflicht
Gesetze: ZK Art. 239
Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 4 K 39/03
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine belgische Spedition, ließ 1991 und 1992 als Hauptverpflichtete 19 externe gemeinschaftliche Versandverfahren mit 96 %igem Alkohol eröffnen. Die Sendungen sollten von dem Lager des belgischen Verkäufers an die seinerzeit in Ostdeutschland stationierten russischen Streitkräfte geliefert werden. Die Versandverfahren wurden jedoch nicht ordnungsgemäß erledigt. Die Frachtführer transportierten die Sendungen zu einem Treffpunkt in Berlin, an dem sie auch die Zollpapiere übergaben. Später übersandten sie der Klägerin die Eingangsbescheinigung, die jedoch mit einem nach Auffassung der Zollverwaltung gefälschten Stempelaufdruck des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt —HZA—) und einer gefälschten Unterschrift versehen waren. Das HZA setzte deshalb die auf die Warensendungen entfallenden Einfuhrabgaben (Zoll, Branntweinsteuer und Einfuhrumsatzsteuer) gegen die Klägerin fest. Die Steuerbescheide sind bestandskräftig.
Den Antrag der Klägerin auf Erlass/Erstattung der —zum Teil entrichteten— Einfuhrabgaben aus Billigkeitsgründen lehnte das HZA ab. Auch das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab. Das FG urteilte, dass es im Streitfall an einem besonderen, den Erlass bzw. die Erstattung aus Billigkeitsgründen rechtfertigenden Umstand i.S. des Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 (VO Nr. 1430/79) des Rates vom über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 175/1) in der Fassung der (Änderungs-)Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom (ABlEG Nr. L 286/1) fehle. Die Klägerin könne sich insbesondere nicht auf die von ihr angeführten Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) bzw. des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuG) zu Art. 13 VO Nr. 1430/79 oder Art. 239 des Zollkodex berufen, da die dort entschiedenen Fälle mit dem Streitfall nicht vergleichbar seien. So seien die Unregelmäßigkeiten im Streitfall nicht auf eine aktive Mitwirkung seitens der Zollverwaltung zurückzuführen und es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Zollverwaltung trotz entsprechender Möglichkeit die Begehung von Zuwiderhandlungen im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren nicht verhindert habe. Ebenso wenig sei ein anderes schwerwiegendes Fehlverhalten der Zollbehörden ersichtlich, welches das Vorliegen eines besonderen Umstandes begründen könnte. Es könne nicht angenommen werden, dass im Zeitpunkt der Eröffnung der Versandverfahren der Klägerin Klarheit auf Seiten der Zollbehörden über Missstände bei Alkoholtransporten an die russischen Streitkräfte bestanden habe und diese somit eine Informationspflicht gegenüber den Zollbeteiligten, die solche Transporte durchführten, gehabt hätten. Letztlich beruhe die Inanspruchnahme der Klägerin nicht auf etwaigen Unregelmäßigkeiten bei Lieferungen an die russischen Streitkräfte, sondern auf der Nichterfüllung der Pflicht, die Warensendungen der jeweiligen Bestimmungszollstelle zu gestellen. Damit habe sich aber lediglich das gewöhnliche Geschäftsrisiko der Klägerin verwirklicht, denn dass hochsteuerbare Waren der Bestimmungszollstelle nicht wieder gestellt würden, gehöre zu den mit der Tätigkeit des Hauptverpflichteten verbundenen typischen Risiken, vor denen er sich durch ausreichende Überwachung der Beteiligten und den Abschluss geeigneter Versicherungen schützen könne.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die sie auf die Zulassungsgründe der Fortbildung des Rechts und des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) stützt.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.
1. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) ist in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen; insoweit gelten die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. höchstrichterlich entwickelten Anforderungen fort (, BFH/NV 2002, 652). Auch zur Darlegung des Zulassungsgrundes des § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO sind somit substantiierte und konkrete Angaben dazu erforderlich, weshalb eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu einer bestimmten Rechtsfrage aus Gründen der Rechtsklarheit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse liegt (, BFH/NV 2003, 197).
Ob die Beschwerdebegründung diesen Darlegungsanforderungen genügt, kann offen bleiben, denn der Streitfall hängt von keiner Rechtsfrage ab, deren Klärung durch den BFH im allgemeinen Interesse liegt. So ist es insbesondere durch die Rechtsprechung des EuGH und des EuG geklärt, unter welchen Voraussetzungen das Vorliegen besonderer Umstände anzunehmen ist, die den Erlass bzw. die Erstattung von Einfuhrabgaben aus Billigkeitsgründen rechtfertigen (vgl. , EuGHE 2005, II-3885). Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat das FG im Streitfall das Vorliegen besonderer Umstände indes verneint. Soweit die Beschwerde dies für unzutreffend hält, wendet sie sich gegen die Richtigkeit der Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls durch das FG, womit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird.
Auch mit dem Beschwerdevorbringen, wonach die Rechtsprechung des EuGH und des EuG zum Erlass aus Billigkeitsgründen in der Vergangenheit immer wieder unerwartete Entscheidungen hervorgebracht habe und nicht als abschließend anzusehen sei und es deshalb nicht ausgeschlossen werden könne, dass auch der Streitfall zur Fortentwicklung dieser Rechtsprechung beitragen könne, wird keine konkrete Rechtsfrage beschrieben, deren höchstrichterliche Klärung der Streitfall erfordert.
Ob —wie es die Beschwerde meint— die Rechtsprechung des EuGH dahin zu verstehen ist, dass die aufgrund einer Pflichtverletzung entstandenen Einfuhrabgaben immer dann aus Billigkeitsgründen zu erlassen bzw. erstatten sind, wenn an der unkorrekten Abwicklung des Zollverfahrens ein Zollbeamter beteiligt war, erscheint zweifelhaft, kann aber offen bleiben. Jedenfalls lässt sich den Feststellungen des FG die Beteiligung eines Zollbeamten an der nicht ordnungsgemäßen Beendigung der Versandverfahren des Streitfalls nicht entnehmen. Anders als die Beschwerde meint, führen die Feststellungen des FG auch nicht zwingend zu dem Schluss, dass es eine solche Beteiligung gegeben haben muss. Vielmehr hat das FG in Erwägung gezogen, dass ein bestimmter ehemaliger Zollbeamter noch nach seinem Ausscheiden aus der Zollverwaltung Unterschriften auf Eingangsbescheinigungen geleistet und Stempel verwendet haben könnte, hat aber gemeint, dass —sollte es sich so zugetragen haben— diese Handlungen nicht mehr der Zollverwaltung zugerechnet werden könnten. Klärungsbedürftige Rechtsfragen ergeben sich daraus nicht.
Ebenso kann offen bleiben, ob nach der Rechtsprechung des EuGH und des EuG immer dann besondere, einen Billigkeitserlass rechtfertigende Gründe vorliegen, wenn das Entstehen der Abgaben durch Untätigkeit der Verwaltung begünstigt oder ermöglicht worden ist. Zum einen wäre damit —auch wenn die Rechtsprechung so zu verstehen sein sollte— keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dargelegt. Zum anderen hat das FG im Streitfall nicht festgestellt, dass die Umstände, die zum Entstehen der Eingangsabgaben im Streitfall geführt haben, durch die Untätigkeit der deutschen Zollverwaltung begünstigt worden sind. Vielmehr hat die Zollverwaltung die erste Suchanzeige erst nach Abschluss sämtlicher hier streitiger Versandverfahren erhalten, so dass sie die Klägerin nicht mehr über Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit den von ihr eröffneten Versandverfahren informieren konnte. Presseberichte über Unregelmäßigkeiten bei Warensendungen an die russischen Streitkräfte, die nach Ansicht der Klägerin der Zollverwaltung Anlass zu Warnhinweisen hätten geben müssen, bezogen sich nach den Feststellungen des FG nicht auf die vorschriftswidrige Abwicklung gemeinschaftlicher Versandverfahren.
2. Die schlüssige Darlegung des Verfahrensmangels einer Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) erfordert Angaben, welche Tatsachen das FG mit welchen Beweismitteln noch hätte aufklären sollen und weshalb sich dem FG eine Aufklärung unter Berücksichtigung seines —insoweit maßgeblichen— Rechtsstandpunktes hätte aufdrängen müssen, obwohl die Klägerin selbst keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat; schließlich, welches genaue Ergebnis die Beweiserhebung hätte erwarten lassen und inwiefern dieses zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom VII R 152/97, BFHE 191, 140, BStBl II 2000, 93).
Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerde nicht gerecht. Soweit die Beschwerde meint, das FG hätte klären müssen, ob die Stempelabdrucke auf den Eingangsbescheinigungen echt sind, verkennt sie, dass es nach Ansicht des FG wegen der jedenfalls eindeutig gefälschten Unterschrift auf die Echtheit der Stempelabdrucke nicht ankam. Mit ihren Ausführungen, dass diese Ansicht des FG unzutreffend sei, weil im Fall der Verwendung des Originalstempels die Beteiligung eines Zollbeamten erwiesen sei, legt die Beschwerde keinen Verfahrensmangel dar. Im Übrigen ist diese Schlussfolgerung —wie ausgeführt— nach den Feststellungen des FG auch nicht zwingend.
Soweit die Beschwerde meint, das FG hätte klären müssen, ob an der Nichterledigung der Versandverfahren Offiziere der russischen Streitkräfte beteiligt gewesen seien, fehlt es bereits an Darlegungen, welche konkreten Tatsachen das FG mit welchen Beweismitteln noch hätte aufklären sollen und welches genaue Ergebnis die Beweiserhebung hätte erwarten lassen. Nach den Feststellungen des FG gab es jedenfalls keinen Nachweis für eine Beteiligung russischer Offiziere an der Nichterledigung der Versandverfahren und auch die Beschwerde benennt keine vom FG übersehene oder übergangene Nachweismöglichkeit. Aus dem Umstand, dass —wie im Tatbestand des FG-Urteils ausgeführt— die Warensendungen nach der unterbliebenen Wiedergestellung mit unbekanntem Verbleib in den räumlichen Bereich der Streitkräfte gelangt sein sollen, lässt sich nichts herleiten. Die diesbezüglichen Ausführungen der Beschwerde bewegen sich im Bereich der Spekulation. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, inwiefern die Beteiligung russischer Offiziere zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätte führen können.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1378 Nr. 7
MAAAC-45160