BGH Beschluss v. - III ZB 107/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ZPO § 139 Abs. 1; ZPO § 139 Abs. 2; ZPO § 238 Abs. 2; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 577 Abs. 4 Satz 1; ZPO § 577 Abs. 4 Satz 3

Instanzenzug: LG Ulm 4 O 706/04 vom OLG Stuttgart 4 U 146/06 vom

Gründe

I.

Die Klägerin, eine Rechtsanwältin, macht gegen den Beklagten einen Amtshaftungsanspruch geltend. Im ersten Rechtszug vertrat sie ihr Kanzleisozius.

Das Landgericht hat die Klage mit am verkündeten und der Klägerin am zugestellten Urteil abgewiesen. Mit der Durchführung des Berufungsverfahrens hat die Klägerin einen Rechtsanwalt einer anderen Kanzlei beauftragt. Mit am eingegangenem Schriftsatz hat dieser Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist beantragt.

Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe die Berufungsschrift am verfasst und am selben Tag vor der täglichen Postabholung um 17:00 Uhr in einer Postagentur aufgegeben. Erst durch die Zustellung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses am sei offenbar geworden, dass die Berufungsschrift auf dem Postweg verloren gegangen sei. In einem späteren Schriftsatz hat er sodann ausgeführt, er habe die Berufungsbegründung am (Pfingstmontag) fertig gestellt und zur Post gegeben. Später hat er als Datum der Fertigung und Absendung des Berufungsschriftsatzes wieder den genannt. Die zwischenzeitliche Korrektur habe auf einem Irrtum beruht. Er erinnere sich genau, dass er die Berufung am ersten Arbeitstag der ersten Juliwoche (gemeint: Juniwoche) gefertigt habe. Er sei am von der Klägerin beauftragt worden. Das Auftragsschreiben sei ihm am mit der Handakte zugegangen.

Die Klägerin hat, nachdem sie ihre Vertretung wieder selbst übernommen hatte, auf Anforderung des Berufungsgerichts eine Fotokopie der ihr von ihrem früheren Prozessbevollmächtigten zugesandten Kopie der Berufungsschrift, welche auf den datiert, vorgelegt. Auf der Kopie ist der Eingangsstempel ihrer Kanzlei aufgebracht.

Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin. Eine ebenfalls erhobene Gegenvorstellung gegen den angefochtenen Beschluss ist erfolglos geblieben.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 238 Abs. 2 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es sei angesichts der Gesamtumstände der Berufung nicht davon überzeugt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die rechtzeitige Absendung der Berufung per Brief spreche. Dabei sei zunächst der widersprüchliche Vortrag zur Fertigung und zur Absendung der Berufung zu berücksichtigen. Weiterhin sei nicht nachvollziehbar, dass der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin dieser bereits am eine auf den datierende Berufung übersandt habe, obwohl er nach seinem eigenen Vortrag erst am ein entsprechendes Mandat und die dazu gehörige Handakte erhalten habe. Das Berufungsgericht ist dabei davon ausgegangen, dass der Eingangsstempel der Kanzlei der Klägerin auf der für sie bestimmten Abschrift des Berufungsschriftsatzes den als Eingangsdatum ausweist.

Zudem sei davon auszugehen, dass angesichts des zwischen den Instanzen vorgenommenen Anwaltswechsels auch der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte für die Überwachung und Einhaltung der Berufungsfrist verantwortlich gewesen sei. Die Klägerin habe nicht vorgetragen, ob und inwieweit in ihrem Büro die Einhaltung der Berufungsfrist überwacht worden sei. Der vorherige Prozessbevollmächtigte habe zudem vorgetragen, dass der an ihn übersandten Handakte keine Hinweise über einzuhaltende Fristen zu entnehmen gewesen seien.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Das Berufungsgericht hätte, wie die Beschwerde mit Recht rügt, der Klägerin vor seiner Entscheidung gemäß § 139 Abs. 1 und 2 ZPO einen Hinweis auf seine Absicht erteilen müssen, bei der Beurteilung des Wiedereinsetzungsgrundes zu ihrem Nachteil zu berücksichtigen, dass die für sie bestimmte Kopie des Berufungsschriftsatzes ihr bereits am zugegangen sei, und ihr Gelegenheit zu einer Stellungnahme hierzu geben müssen. Der am per E-Mail an die Klägerin gerichteten Bitte des Berichterstatters des Berufungsgerichts, aus ihren Akten das Original der Berufung ihres früheren Prozessbevollmächtigten zu übersenden, ist ein solcher Hinweis nicht zu entnehmen.

aa) Der vorgenannte Gesichtspunkt war in dem Verfahren vor der Entscheidung des Berufungsgerichts von keiner Seite eingeführt worden (§ 139 Abs. 2 ZPO). Insbesondere war aber ein Hinweis auch deshalb erforderlich, weil der Abdruck des Eingangsstempels der Kanzlei der Klägerin die Tagesziffer des Eingangsdatums ebenso wie die Kanzleibezeichnung sowie die Monats- und Jahresangabe nur unvollständig wiedergibt. Die Ziffer kann nicht eindeutig als "2" identifiziert werden. Vielmehr kann es sich mindestens ebenso gut um eine "7" handeln. Diese Sachverhaltsunklarheit hätte Veranlassung geben müssen, der Klägerin einen entsprechenden Hinweis und Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

bb) Wäre der Klägerin der erforderliche Hinweis rechtzeitig erteilt worden, hätte sie, wie sie es mit ihrer Gegenvorstellung gegen den angefochtenen Beschluss getan hat, die ihr zugegangene Kopie des Berufungsschriftsatzes mit dem Originalstempelabdruck sowie Probeabdrucke des verwendeten Eingangsstempels für alle zehn Ziffern vorgelegt und geltend gemacht, die auf der Schriftsatzkopie ersichtliche Ziffer sei, wie der Vergleich mit den Probeabdrucken eindeutig ergebe, eine "7".

cc) Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei der Würdigung des für den Wiedereinsetzungsgrund vorgetragenen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis als in dem angefochtenen Beschluss gekommen wäre, wenn es diesen Vortrag der Klägerin berücksichtigt hätte. In diesem Fall hätte das Berufungsgericht nicht, zumindest jedoch nicht ohne weiteres davon ausgehen können, dass ein Widerspruch zwischen den Angaben der Klägerin zu dem Eingang der Kopie der Berufungsschrift bei ihr und dem Eingang des Berufungsauftrags bei ihrem ursprünglichen zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten besteht.

b) Nicht beizutreten vermag der Senat auch der Auffassung des Berufungsgerichts, angesichts des zwischen den Instanzen vorgenommenen Anwaltswechsels sei auch der ursprüngliche Prozessbevollmächtigte zur Überwachung der Einhaltung der Berufungsfrist verantwortlich gewesen sei.

Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte, der einen Rechtsmittelanwalt mit der weiteren Prozessführung betraut, muss in eigener Verantwortung dafür Sorge tragen, dass der zweitinstanzliche Anwalt den Auftrag rechtzeitig innerhalb der laufenden Rechtsmittelfrist erhält und bestätigt (z.B. BGHZ 50, 82, 84; - BGH-Report 2002, 389, 390; - NJW 2001, 1576; - NJW 1975, 1125, 1126). Er hat weiter den rechtzeitigen Eingang dieser Bestätigung zu überwachen. Bleibt die Mandatsbestätigung des zweitinstanzlichen Rechtsanwalts aus, so muss der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Rückfrage halten ( und Urteil vom jeweils aaO). Weitergehende Pflichten treffen den erstinstanzlichen Rechtsanwalt aber nicht. Er hat allein für die Übernahme des Mandats und die sachgerechte Unterrichtung des Berufungsanwalts zu sorgen, damit dieser das Rechtsmittel fristgerecht einlegen kann. Die ordnungsgemäße weitere Ausführung des Mandats liegt hingegen außerhalb seines Verantwortungsbereichs ( und jeweils aaO). Insbesondere braucht der erstinstanzliche Rechtsanwalt nicht zu überwachen und sich nicht zu erkundigen, ob die Berufungsschrift tatsächlich rechtzeitig eingereicht ist ( aaO). Gegenteiliges ist auch dem vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Beschluss des VII. Zivilsenats des - VersR 1972, 200) nicht zu entnehmen.

c) Schließlich liegt kein Verschulden des erstinstanzlichen Rechtsanwalts darin, dass die an den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten übersandte Handakte nicht eigens Hinweise über die einzuhaltenden Fristen enthielt. Soweit die Handakte vollständig war, wovon in der Rechtsbeschwerdeinstanz mangels entgegenstehender Feststellungen auszugehen ist, ließ sich der Ablauf der Berufungsfrist aus deren Inhalt entnehmen. Da der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte das Rechtsmittelverfahren eigenverantwortlich durchzuführen hat, wozu auch die Wahrung der Rechtsmittelfrist gehört, bedarf es keines gesonderten Hinweises des erstinstanzlichen Rechtsanwalts auf das Datum des jeweiligen Fristablaufs, wenn er seine oben unter Buchstabe b dargestellten Pflichten erfüllt hat.

d) Sollte die Klägerin glaubhaft machen können, dass ihr vormaliger zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter die Berufungsschrift rechtzeitig zur Post gegeben hat, ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Übrigen auch dann zu gewähren, wenn dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten ein Verschulden bei der Beauftragung und Unterrichtung des zweitinstanzlichen Rechtsanwalts zur Last fallen würde. Eine etwaige Pflichtverletzung hätte sich jedenfalls nicht ausgewirkt. Gelingt es der Klägerin hingegen nicht, die rechtzeitige Versendung der Berufungsschrift glaubhaft zu machen, ist die Wiedereinsetzung zu versagen, gleichgültig, ob auch ein Verschulden der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vorliegt.

e) Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO Gebrauch gemacht hat.

Fundstelle(n):
YAAAC-44492

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein