Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen - S 0622

Ruhen des Verfahrens aus zweckmäßigen Erwägungen (§ 363 Abs. 2 Satz 1 AO)

  1. Die Finanzbehörde kann das Verfahren gemäß § 363 Abs. 2 Satz 1 AO mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Als wichtige Gründe in diesem Sinne kommen beispielsweise in Betracht:

    1. die Anhängigkeit eines finanzgerichtlichen Verfahrens über die gleiche Rechtsfrage, das der Einspruchsführer selbst angestrengt hat (Identität von Einspruchsführer sowie Sach- und Rechtslage bei „Musterprozess” und Einspruch);

    2. einzelne finanzgerichtliche Verfahren über Rechtsfragen mit einer gewissen Breitenwirkung (insbesondere bei einer Häufung von Verfahren zu bestimmten Problemen).

  2. Die Anordnung des Ruhens nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO ist eine Ermessensentscheidung. Dabei sind in die Zweckmäßigkeitserwägungen die Interessen der Beteiligten (§ 359 AO), der Finanzverwaltung und der Gerichte an einem ökonomischen Verfahrensgang einzubeziehen.

    In den Fällen der Ziffer 1 Buchstabe b) ist ein Ruhen des Verfahrens nur zulässig, wenn die Oberfinanzdirektion zugestimmt oder diese Verfahrensweise in einer Verfügung oder Kurzinformation zugelassen hat. Zur Einholung der Zustimmung ist dem jeweils zuständigen Fachreferat nach vorheriger telefonischer Rücksprache – ggf. unter Beifügung der Akten – zu berichten. Die weitere Überwachung dieser ruhenden Verfahren obliegt dem Finanzamt. Eines Berichts nach Erledigung des Verfahrens bedarf es grundsätzlich nicht.

    Sind die Voraussetzungen für eine Verfahrensruhe erfüllt, sollte, bevor der Einspruch zum Ruhen gebracht wird, über Fragen, die nicht Anlass der Verfahrensruhe sind, durch Erlass einer Teil-Einspruchsentscheidung gem. § 367 Abs. 2a AO oder eines Teilabhilfebescheids vorab entschieden werden (vgl. AEAO zu § 363 Tz. 2).

  3. Das Ruhen lassen nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO setzt die Zustimmung des Einspruchsführers voraus. Diese sollte aus Gründen der Klarheit immer schriftlich oder elektronisch erteilt werden (vgl. AEAO zu § 363 Tz. 1). Die Zustimmung des Einspruchsführers sollte grundsätzlich bereits vom Fachbereich vor Abgabe des Einspruchs an die Rechtsbehelfsstelle eingeholt werden.

  4. Nach Erteilung der Zustimmung ist das Ruhen des Verfahrens mittels Vordruck Nr. 605/155 dem Einspruchsführer bzw. seinem steuerlichen Berater zu bestätigen und entsprechend im Verfügungsteil zu verfügen.

    Des Weiteren ist im Rahmen der IT-unterstützten Rechtsbehelfsverwaltung das Ruhen des Verfahrens als „neuer Stand/neue Maßnahme” einzugeben und der Ruhensgrund – ggf. auch das Aktenzeichen des finanzgerichtlichen Verfahrens – als Bemerkung zum Rechtsbehelf zu speichern.

    Im Falle personeller Rechtsbehelfsverwaltung ist das Ruhen in Spalte 10 der Rechtsbehelfsliste A zu vermerken. In Spalte 14 der Rechtsbehelfsliste („Vermerke”) ist ggf. der Ruhensgrund anzugeben.

  5. Die Bearbeiter und insbesondere die Sachgebietsleiter (bei der turnusmäßigen Prüfung der Rechtsbehelfslisten) haben regelmäßig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 363 Abs. 2 Satz 1 AO noch gegeben sind.

    Gemäß § 363 Abs. 2 Satz 4 AO ist das Einspruchsverfahren fortzusetzen, wenn der Einspruchsführer dies beantragt oder die Finanzbehörde dies dem Einspruchsführer mitteilt.

  6. Die Ablehnung eines Antrags auf Ruhen des Verfahrens oder der Widerruf der Verfahrensruhe können nicht selbständig, sondern nur mit der Klage gegen die Einspruchsentscheidung angefochten werden (§ 363 Abs. 3 AO). Die Verfügung des Finanzamts, ein Einspruchsverfahren ruhen zu lassen, kann jedoch mit dem Einspruch angefochten werden (vgl. BStBl 1990 II S. 944). Lässt das Finanzamt das Verfahren ruhen, ohne dass die Voraussetzungen des § 363 Abs. 2 Satz 1 AO vorliegen, so kommt auch eine Untätigkeitsklage nach § 46 FGO in Betracht (vgl. Tipke/Kruse, § 363 AO Tz. 32).

Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen v. - S 0622

Fundstelle(n):
AO-StB 2007 S. 152 Nr. 6
StBW 2007 S. 9 Nr. 10
BAAAC-44400