Leitsatz
[1] Auch unter der Geltung des reformierten Zivilprozessrechts ist es zulässig, die mit der Berufung erstrebte Abänderung des erstinstanzlichen Urteils ausschließlich mit neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln zu begründen, soweit diese in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen sind. Einer Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils bedarf es in diesem Falle nicht.
Gesetze: ZPO § 513; ZPO § 520; ZPO § 529; ZPO § 531
Instanzenzug: AG Leipzig 165 C 10882/05 vom LG Leipzig 12 S 258/06 vom
Gründe
I.
Der Kläger verlangt Räumung und Herausgabe einer an die Beklagten vermieteten Wohnung samt Pkw-Stellplatz. Den Anspruch begründet er mit seiner fristlosen - hilfsweise ordentlichen - Kündigung vom .
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen. Es hat dabei u.a. ausgeführt, der Räumungsanspruch des Klägers sei "derzeit noch nicht fällig". Das Mietverhältnis sei nicht durch die fristlose Kündigung, sondern erst durch die (hilfsweise) ordentliche Kündigung beendet worden. Damit ende das Mietverhältnis erst zum . Gegen dieses Urteil hat der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers rechtzeitig Berufung eingelegt und begründet. In seiner Begründung vom hat sich der Kläger darauf berufen, dass nunmehr sein Räumungsanspruch fällig sei.
Durch Beschluss vom hat das Landgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei nicht beschwert, da er das erstinstanzliche Urteil nicht angefochten habe. Er stütze seine Berufung ausschließlich auf die ordentliche Kündigung und dabei auf den inzwischen eingetretenen Zeitablauf.
Gegen diesen, dem Klägervertreter am zugestellten Beschluss hat der Kläger durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt am Rechtsbeschwerde eingelegt und diese nach Fristverlängerung begründet.
II.
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die angefochtene Entscheidung verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz.
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufung nicht deswegen unzulässig, weil der Kläger durch das amtsgerichtliche Urteil nicht beschwert wäre oder weil er eine derartige Beschwer nicht mit der Berufung geltend gemacht oder die Berufung nicht ausreichend begründet hätte.
Die für den unterlegenen Kläger formell zu bestimmende Beschwer ergibt sich daraus, dass das Amtsgericht den in der ersten Instanz gestellten Räumungsantrag des Klägers abgewiesen hat. Die darin liegende Beschwer hat der Kläger auch mit der Berufung geltend gemacht, indem er sein Räumungsverlangen mit der Berufungsbegründung weiterverfolgt hat. Der Zulässigkeit der Berufung steht ferner nicht entgegen, dass der Kläger das Räumungsbegehren in seiner Berufungsbegründung allein auf die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses gestützt hat. Eine Änderung (oder Erweiterung) der Klage ist darin entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zu sehen; denn schon in der ersten Instanz hat der Kläger den Räumungsanspruch auch mit der neben der fristlosen Kündigung vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung begründet. Ob die Ausführungen des Amtsgerichts zur Wirksamkeit dieser Kündigung nur ein "obiter dictum" darstellen, wie das Berufungsgericht meint, ist für die Frage der Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung.
Richtig ist allerdings, dass der Kläger die Begründung des amtsgerichtlichen Urteils in keinem Punkt angegriffen hat. Soweit das Amtsgericht die außerordentliche Kündigung für unwirksam gehalten hat, nimmt die Berufungsbegründung dies hin. Dasselbe gilt bezüglich der Auffassung des Amtsgerichts, der auf die ordentliche Kündigung gestützte Räumungsanspruch sei im Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung noch nicht fällig, die Räumungsklage daher als derzeit unbegründet abzuweisen gewesen. Damit fehlt es in der Tat an einem Angriff der Berufung gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Auch dies steht der Zulässigkeit der Berufung indessen nicht entgegen. Die mit der Berufung erstrebte Abänderung des erstinstanzlichen Urteils kann nach gefestigter Rechtsprechung auch ausschließlich mit neuen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln begründet werden; in einem solchen Fall bedarf es keiner Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils (, NJW 1997, 859, unter II 1 m.w.Nachw., zu § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F.). Daran ist, wie sich aus § 513 Abs. 1 Alt. 2, § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4, § 529 Abs. 1 ZPO ergibt, auch unter der Geltung des reformierten Zivilprozessrechts festzuhalten, allerdings mit der Einschränkung, dass neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz nur unter den engen Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen sind.
Hiernach durfte sich der Kläger zur Begründung seiner Berufung darauf beschränken, sich hinsichtlich der Wirksamkeit und des Wirkungszeitpunkts der vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung die ihm insoweit günstigen Ausführungen des amtsgerichtlichen Urteils zu eigen zu machen und ergänzend lediglich darauf abzustellen, dass die in der ersten Instanz noch verneinte Fälligkeit des Räumungsanspruch zwischenzeitlich eingetreten sei. § 531 Abs. 2 ZPO steht der Berücksichtigung dieses neuen Vorbringens nicht entgegen, da die Fälligkeit des Räumungsanspruchs nach der vom Kläger nicht angegriffenen Auffassung des Amtsgerichts erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz mit Ablauf des eingetreten ist und daher in erster Instanz nicht geltend gemacht werden konnte (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).
3. Die Sache ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 934 Nr. 13
EAAAC-44036
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja