Leitsatz
[1] a) § 141 Satz 1 SGB IX rechtfertigt es nicht, auf eine ansonsten gebotene Ausschreibung nur deshalb zu verzichten, weil der Vertrag mit einer anerkannten Werkstätte für behinderte Menschen abgeschlossen werden soll.
b) Der Normadressat des Diskriminierungs- und Behinderungsverbots, der zur Auswahl eines Vertragspartners eine Ausschreibung durchführen muss, ist nicht daran gehindert, soziale Belange zu berücksichtigen. Diese müssen jedoch den sich an der Ausschreibung beteiligenden Unternehmen rechtzeitig zur Kenntnis gegeben werden, damit sie die Möglichkeit haben, die Bedingungen für eine bevorzugte Berücksichtigung zu erfüllen.
Gesetze: GWB § 20 Abs. 1; SGB IX § 141
Instanzenzug: LG Kassel 12 O 4165/03 vom OLG Frankfurt/Main 11 U 10/05 (Kart) vom
Tatbestand
Die beklagte Stadt betreibt im Ö. weg in K. die Kfz-Zulassungsstelle für die Stadt und den Landkreis K. . Die Klägerin ist ein bundesweit tätiges Unternehmen der Schilderprägerbranche. Sie betreibt zahlreiche, meist in der Nähe der örtlichen Zulassungsstelle liegende Ladenlokale, in denen sie Kfz-Schilder prägt und verkauft. Sie unterhält auch im Ö. weg in K. auf der anderen Straßenseite etwa 100 m vom Eingang der Zulassungsstelle entfernt eine Niederlassung und steht dort im Wettbewerb mit anderen Schilderprägern, die ebenfalls Kfz-Schilder anbieten. Um zu diesen Anbietern zu gelangen, müssen die Kunden das Gelände der Zulassungsstelle verlassen.
Im Jahre 2002 stellte die Beklagte für einen Schilderprägebetrieb Räumlichkeiten im Gebäude der Zulassungsstelle zur Verfügung, die vom Schalter der Zulassungsstelle nur durch einen Warteraum getrennt sind. Beim Verlassen der Zulassungsstelle kommen die Kunden an diesen Räumlichkeiten vorbei. Die Beklagte vermietete diese Räume bis Ende 2007 ohne vorangegangene Ausschreibung an eine Gesellschaft, die Arbeitsplätze für schwer zu vermittelnde, insbesondere geistig, körperlich oder seelisch behinderte Personen einrichtet, bereitstellt und unterhält. Die Beklagte hält eine Ausschreibung für entbehrlich und stützt sich dabei auf ein - durch Nichtannahme der Revision () rechtskräftig gewordenes - Urteil des Berufungsgerichts aus dem Jahre 1997, das die freihändige Vergabe in einer entsprechenden Situation für sachlich gerechtfertigt erklärt hatte (OLG Frankfurt WuW/E DE-R 55). Die Klägerin sieht in dem Verhalten der Beklagten einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Diskriminierungs- und Behinderungsverbot. Sie hat geltend gemacht, die Umsätze der Niederlassung im Ö. weg seien aufgrund der neuen Schilderprägestelle im Gebäude der Niederlassung um etwa 70% gesunken, obwohl sie, die Klägerin, mit ihren Preisen um nahezu 30% unter denen des neuen Schilderprägers liege.
Die Klägerin hat in erster Linie beantragt, es der Beklagten zu untersagen, einem Schilderprägebetrieb eine im Gebäude der Zulassungsstelle gelegene Fläche ohne vorherige Ausschreibung weiterhin zu überlassen. Mit einem ersten Hilfsantrag hat sie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten begehrt. Weiter hilfsweise - und nur mit diesem Antrag ist die Streitigkeit in die Revisionsinstanz gelangt - hat sie beantragt, es der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen, die im Gebäude der Kfz-Zulassungsstelle K. , Ö. weg , gelegene Fläche ohne vorherige Ausschreibung zum Zwecke der Herstellung und des Vertriebes von Kfz-Kennzeichen entgeltlich oder unentgeltlich Dritten, insbesondere der b. GmbH, über den hinaus zu überlassen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Landgericht hat die Klage mit dem Hauptantrag abgewiesen und die hilfsweise beantragte Feststellung ausgesprochen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage auch mit dem ersten Hilfsantrag abgewiesen und das mit dem zweiten Hilfsantrag beantragte Verbot ausgesprochen.
Hiergegen richtet sich die - vom Berufungsgericht zugelassene - Revision der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
I. Das Berufungsgericht hat in der Vermietung der im Gebäude der Zulassungsstelle gelegenen Flächen an Dritte ohne vorangegangene Ausschreibung einen Verstoß gegen das für marktbeherrschende Unternehmen geltende Diskriminierungs- und Behinderungsverbot gesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Beklagte sei Normadressatin des § 20 Abs. 1 GWB, weil sie auf dem relevanten Markt der Vermietung von Gewerbeflächen, die sich für einen Schilderpräger eignen, um den bei Besuchern der Zulassungsstelle anfallenden Bedarf an Kfz-Schildern zu decken, über eine überragende Stellung verfüge. Wenn die Klägerin bei der Vermietung der in Rede stehenden Räumlichkeiten nicht berücksichtigt werde, werde sie objektiv behindert und unterschiedlich behandelt. Diese Behinderung sei unbillig und für die Ungleichbehandlung fehle ein sachlicher Grund, weil die Auswahl unter mehreren in Frage kommenden Interessenten durch eine Ausschreibung zu treffen sei. An der - seiner früheren Entscheidung zugrunde liegenden - Auffassung, der marktbeherrschende Vermieter dürfe ohne Berücksichtigung anderer Nachfrager ein Unternehmen auswählen, das eine wichtige sozialpolitische Aufgabe erfülle, könne nicht festgehalten werden.
Es bestehe auch eine Wiederholungsgefahr, nachdem die Beklagte sich bereits bei der Vermietung der Räumlichkeiten im Jahre 2002 kartellrechtswidrig verhalten habe. Die Wiederholungsgefahr entfalle nicht deswegen, weil sich die Beklagte im Jahre 2002 im Hinblick auf die erwähnte Entscheidung des OLG Frankfurt in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden habe.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Mit Recht hat das Berufungsgericht in dem Verhalten der beklagten Stadt im Jahre 2002 einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Behinderungsverbot des § 20 Abs. 1 GWB gesehen und der Klägerin einen Unterlassungsanspruch aus § 33 Abs. 1 GWB zugebilligt.
1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die beklagte Stadt als Eigentümerin der Räumlichkeiten innerhalb des Gebäudes Ö. weg über eine überragende Stellung auf dem Markt für Gewerbeflächen verfügt, die sich wegen der Nähe zur Zulassungsstelle für Kraftfahrzeuge besonders als Standort für Schilderprägebetriebe eignen. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats (, WuW/E DE-R 201, 202 - Schilderpräger im Landratsamt; Urt. v. - KZR 4/01, WuW/E DE-R 1003, 1004 - Kommunaler Schilderprägebetrieb; Urt. v. - KZR 21/04, WuW/E DE-R 1724 Tz 12 - Hinweis auf konkurrierende Schilderpräger). Die Revision erhebt insoweit auch keine Rügen.
2. Da die Beklagte Räumlichkeiten an ein anderes Unternehmen vermietet hat, handelt es sich auch um einen Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist. Der Umstand, dass die Räumlichkeiten an ein Unternehmen vermietet wurden, das - anders als die Klägerin - schwer zu vermittelnde Personen beschäftigt, vermag an der Gleichartigkeit nichts zu ändern. Dieses Tatbestandsmerkmal dient lediglich einer groben Sichtung (st. Rspr.; vgl. , WuW/E DE-R 1203, 1204 - Depotkosmetik im Internet, m.w.N.). Die Klägerin und das mit ihr im Wettbewerb stehende Unternehmen, das die Räumlichkeiten in der Zulassungsstelle von der Beklagten gemietet hat, erfüllen im Markt gleichartige Funktionen. Dies reicht für die Bejahung der Gleichartigkeit aus.
3. In der Nichtberücksichtigung der Klägerin bei der Vermietung ohne Ausschreibung liegt eine objektive Behinderung i.S. des § 20 Abs. 1 GWB. Das beanstandete Verhalten der Beklagten wirkt sich objektiv nachteilig auf die Wettbewerbsmöglichkeiten der Klägerin aus, wenn sie keine Chance erhält, im Rahmen einer Ausschreibung als Mieterin der im Gebäude der Zulassungsstelle gelegenen Räumlichkeiten ausgewählt zu werden.
4. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht die Benachteilung der Klägerin aufgrund der im Rahmen des § 20 Abs. 1 GWB vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung als unbillig angesehen hat.
a) Dabei steht nicht in Frage, dass die Beklagte bei der Vermietung der Räumlichkeiten auch Belange des Gemeinwohls berücksichtigen und Nachfrager bevorzugen darf, die in der zu betreibenden Schilderprägestelle in erster Linie schwer zu vermittelnde Personen beschäftigen. Es ist weder der öffentlichen Hand als Normadressatin des § 20 Abs. 1 GWB noch einem anderen marktbeherrschenden Unternehmen grundsätzlich verwehrt, sich bei der Auswahl mehrerer Bewerber auch von Gemeinwohlbelangen leiten zu lassen (vgl. zur Interessenabwägung bei § 20 Abs. 4 GWB BGHZ 151, 274, 280 f., 283 - Fernwärme für Börnsen). So kann es auch einer Gemeinde nicht untersagt werden, bei der Vermietung von Gewerbeflächen für einen Schilderprägebetrieb durch Auswahl eines bestimmten Mieters einen Beitrag zur Eingliederung schwer zu vermittelnder Personen in den Arbeitsprozess zu leisten.
Diese Gemeinwohlbelange dürfen aber nicht mit einem Mittel verfolgt werden, das mit der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielrichtung des Gesetzes nicht vereinbar ist (vgl. , WuW/E Verg 297 - Tariftreueerklärung II). Der Zielsetzung des Gesetzes widerspricht es, wenn die Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen dazu führen würde, dass der Wettbewerb um die zu vermietenden Gewerbeflächen vollständig und der Wettbewerb auf dem nachgelagerten Schilderprägermarkt weitgehend ausgeschlossen wäre. Die dem Gemeinwohl geschuldeten Voraussetzungen, die ein Mieter der fraglichen Gewerbeflächen erfüllen soll, müssen daher auch von anderen Interessenten erfüllt werden können und im Rahmen einer Ausschreibung offengelegt werden. Beispielsweise wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn die Beklagte bereits in der Ausschreibung darauf hinweisen würde, dass sie Interessenten in einem im Einzelnen darzulegenden Umfang bevorzugt, die sich verpflichten, in dem Schilderprägebetrieb verstärkt behinderte Menschen zu beschäftigen.
b) Die Beklagte kann sich zur Rechtfertigung ihres Verhaltens auch nicht auf die gesetzliche Bestimmung des § 141 Satz 1 SGB IX berufen, nach der Aufträge der öffentlichen Hand, die von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen ausgeführt werden können, bevorzugt diesen Werkstätten angeboten werden. Dabei kann offenbleiben, ob die jetzige Mieterin als Werkstätte für behinderte Menschen anerkannt ist.
aa) Eine unmittelbare Anwendung des § 141 Satz 1 SGB IX kommt nicht in Betracht, weil es sich bei der Vermietung der Gewerbeflächen nicht um einen Auftrag handelt. Der jetzige Mieter erbringt der Beklagten keine Leistungen; ihm wird vielmehr durch die Vermietung die Möglichkeit eröffnet, seinerseits auf dem Markt der Schilderpräger Leistungen zu erbringen.
bb) Der Bestimmung des § 141 Satz 1 SGB IX kann aber auch keine allgemeine normative Wertentscheidung entnommen werden, deren Berücksichtigung es, wenn nicht als geboten, so doch als gerechtfertigt erscheinen ließe, Gewerbeflächen der hier in Rede stehenden Art ohne Prüfung der damit verbundenen Mindereinnahmen an anerkannte Werkstätten für behinderte Menschen zu vermieten.
(1) Die Anwendung des § 141 Satz 1 SGB IX führt nicht dazu, dass die bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an sich zu berücksichtigenden Grundsätze der sparsamen und rationellen Verwendung öffentlicher Mittel vollständig in den Hintergrund treten (vgl. Pahlen in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, Sozialgesetzbuch IX, 11. Aufl., § 141 Rdn. 6). Die öffentliche Hand ist aufgrund der Bestimmung des § 141 Satz 1 SGB IX nicht genötigt, eine anerkannte Werkstatt auch dann zu bevorzugen, wenn sie einen deutlich höheren Preis verlangt als ein Unternehmen, das diese Anerkennung nicht besitzt. So sieht beispielsweise § 3 Nr. 4 der vom Bundesminister für Wirtschaft und Technologie erlassenen Richtlinien für die Berücksichtigung von Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom (BAnz. 2001, 11773), die nach § 159 Abs. 4 SGB IX bis zum Erlass von allgemeinen Verwaltungsrichtlinien nach § 141 Satz 2 SGB IX weiter anzuwenden sind, vor, dass anerkannte Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten immer dann der Zuschlag zu erteilen ist, wenn ihr Angebotspreis den des wirtschaftlichen Bieters um nicht mehr als 15 vom Hundert übersteigt. Diese Grundsätze sind mit den in den Ländern erlassenen Richtlinien im Wesentlichen identisch (vgl. Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 2. Aufl., § 141 Rdn. 7; vgl. im Einzelnen § 5 Nr. 4 lit. b und c der Bevorzugten-Richtlinien des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Technologie und Europaangelegenheiten, StAnz. Hessen Nr. 45/94, S. 3281, 3281 f.).
Die Anwendung des § 141 Satz 1 SGB IX macht daher eine Ausschreibung nicht überflüssig. Denn erst anhand des günstigsten Angebots lässt sich ermitteln, ob einer anerkannten Werkstätte für behinderte Menschen der Vorzug zu geben ist. Den Wettbewerbern verbleibt unter diesen Umständen die Möglichkeit, die Vergabeentscheidung durch günstige Angebote zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
(2) Gegen eine generelle, über den Ausgleich struktureller Nachteile hinausgehende Bevorzugung anerkannter Werkstätten für Behinderte spricht darüber hinaus folgende Erwägung: § 141 Satz 1 SGB IX betrifft nur die Aufträge der öffentlichen Hand und reguliert damit nur einen kleinen Ausschnitt des jeweiligen Angebotsmarktes. Dagegen würde die Vermietung der in Zulassungsstellen gelegenen Gewerbeflächen ausschließlich an Schilderprägebetriebe, die als Werkstätten für behinderte Menschen anerkannt sind, andere Unternehmen, die diese Anerkennung nicht aufweisen können, erheblich beeinträchtigen. Sie könnten ihre Waren und Leistungen nur auf Gewerbeflächen anbieten, die in der Nachbarschaft der Zulassungsstellen liegen, und hätten damit gegenüber den anerkannten Werkstätten einen - je nach den örtlichen Verhältnissen - nur schwer oder gar nicht auszugleichenden Nachteil. Damit wäre der Wettbewerb auf dem Markt der Schilderpräger erheblich eingeschränkt.
5. Aufgrund des beanstandeten Verhaltens der beklagten Stadt besteht auch Wiederholungsgefahr (dazu Bornkamm in Langen/Bunte, Kartellrecht, 10. Aufl., § 33 GWB Rdn. 86). Sie entfällt im Streitfall entgegen der Ansicht der Revision nicht deswegen, weil die maßgebliche Rechtsfrage erst nach der in Rede stehenden Handlung höchstrichterlich geklärt worden wäre. Etwas anderes ist auch der von der Revision angeführten Entscheidung "Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst" des I. Zivilsenats (, GRUR 1994, 443, 444 = WRP 1994, 504) nicht zu entnehmen. Der Umstand, dass die Rechtslage zum Zeitpunkt des beanstandeten Verhaltens noch nicht abschließend geklärt war, mag das Verschulden ausschließen, berührt dagegen nicht den verschuldensunabhängigen Unterlassungsanspruch und stellt im Übrigen keine Besonderheit gegenüber anderen vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fällen dar (vgl. Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl., Kap. 7 Rdn. 6; Bornkamm in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 25. Aufl., § 8 UWG Rdn. 1.42).
III. Die Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 2184 Nr. 30
CAAAC-44015
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja