Leitsatz
[1] Hatte eine Partei im Verlauf eines erstinstanzlichen Beweisaufnahmetermins im Hinblick darauf auf einen geladenen und erschienenen (Gegen-)Zeugen verzichtet, dass es nach der Art der Prozessleitung des Gerichts und nach dem bisherigen Beweisergebnis auf dessen Aussage nicht (mehr) ankam, so darf das Berufungsgericht, das die Rechts- und Beweislage anders sieht als die Vorinstanz, den betreffenden, in der Berufungserwiderung erneuerten, Beweisantritt nicht zurückweisen.
Gesetze: GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug: LG Kempten 1 HK O 1650/04 vom OLG München 14 U 352/05 vom
Gründe
I.
Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft, die sich mit der Führung von Kliniken befasst, verlangt von der Beklagten die Bezahlung des Honorars für die Führung der Geschäfte einer Klinik (W. ) der Beklagten. Zwischen den Parteien ist streitig, ob diesbezüglich ein Vertrag zwischen den Parteien oder, wie die Beklagte behauptet, ein Vertrag zwischen der Beklagten und dem Streithelfer der Klägerin - einem ihrer Vorstände - persönlich zustande gekommen ist. Das Landgericht hat die Klage unter Verneinung der Aktivlegitimation der Klägerin abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage, unter gleichzeitiger Zurückweisung einer Hilfsaufrechnung der Beklagten, stattgegeben.
II.
Die angefochtene Entscheidung beruht, wie die Beschwerde mit Recht geltend macht, auf einer Verletzung des Grundrechts auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), so dass der Senat nach § 544 Abs. 7 ZPO verfährt.
1. Das Berufungsgericht hat aufgrund einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen Vorgänge (§ 286 ZPO) angenommen, zwischen der Klägerin und der Beklagten sei (zumindest konkludent) eine Vereinbarung darüber zustande gekommen, dass die Klägerin die Geschäfte der Klinik W. führe; dass die Parteien vereinbart haben könnten, der Streithelfer solle persönlich die Geschäfte der Klinik führen, hat es für ausgeschlossen gehalten. Diese entgegen den Beanstandungen der Beschwerde für sich genommen tatrichterlich mögliche und revisionsrechtlich hinzunehmende Würdigung wäre jedoch, wie das Berufungsgericht nicht verkannt hat, möglicherweise durch eine Aussage des Zeugen C. , auf den die Beklagte sich für einen gegenteiligen Inhalt des maßgeblichen Gesprächs berufen hat, zu entkräften.
2. Die Zurückweisung dieses Beweisangebots der Beklagten für ihre Behauptung, es habe in der Besprechung vom zwischen dem Streithelfer der Klägerin und dem für die Beklagte verhandelnden Zeugen
C. Einverständnis bestanden, dass der Streithelfer die Geschäftsführung für die Betriebsstätte in W. "in Person" übernehme, durch das Berufungsgericht war verfahrensfehlerhaft, auch im Sinne eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Da der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Verlauf des Termins zur Beweisaufnahme vor dem Landgericht auf den ursprünglich benannten, aufgrund des Beweisbeschlusses des geladenen und auch erschienenen Zeugen C. verzichtet hatte, unterlag, wie das Berufungsgericht im Ansatz richtig gesehen hat, das erneute Beweisangebot in der Berufungserwiderung der Beklagten den Regeln über neues Parteivorbringen in der Berufungsinstanz. Es war also nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 zuzulassen.
b) Zwar lag der Tatbestand des § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ersichtlich nicht vor, und auch der Tatbestand der Nr. 3 dieses Absatzes ist entgegen den Beanstandungen der Beschwerde vom Berufungsgericht mit Recht abgelehnt worden. Die Begründung des Berufungsgerichts für die Verneinung des Zulassungsgrundes aus § 531 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die Beklagte trage nicht vor, dass das Erstgericht dieses Beweisangebot für unerheblich gehalten habe, lässt sich jedoch nicht halten. Die Beklagte brauchte in dieser Richtung angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nichts weiter vorzutragen. Es liegt nach dem Verfahrensablauf - insbesondere auch ausweislich der schriftlichen Begründung des nach der Beendigung der Beweisaufnahme am Schluss der Sitzung verkündeten klageabweisenden Urteils - auf der Hand, dass das Landgericht es für unerheblich gehalten hat, ob ein Zeuge die von der Beklagten behauptete Einigung zwischen dem Streithelfer der Klägerin persönlich und Herrn C. am bestätigte oder nicht. Für den Erstrichter reichte es aus, dass er - anders, als es das Berufungsgericht in seinem Berufungsurteil gesehen hat - die Version der Klägerin (das Zustandekommen eines Geschäftsversorgungsvertrages der Beklagten mit der vom Streithelfer vertretenen Klägerin) nicht für bewiesen ansah.
Die Anwendung des § 531 Abs. 1 Nr. 1 ZPO setzt allerdings nach dem Verständnis des Bundesgerichtshofs voraus, dass die betreffende - von der Berufungsinstanz dann nicht geteilte - Rechtsansicht des Erstgerichts den erstinstanzlichen Vortrag der Partei auch beeinflusst haben und (mit-)ursächlich dafür geworden sein muss, dass sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert (unter anderem Senatsurteil vom - III ZR 47/03 - NJW-RR 2004, 927, 928). Ein solcher Ursachenzusammenhang ist im Streitfall aber ohne weiteres anzunehmen. Zwar lässt sich dem Akteninhalt nicht entnehmen, dass das Landgericht nach der Vernehmung des anderen geladenen Zeugen (S. ) - die im Sinne des Vortrags der Klägerin unergiebig war - noch irgendwelche Erklärungen abgegeben hat, die den Prozessbevollmächtigten der Beklagten dazu brachten, auf den (Gegen-)Zeugen C. zu verzichten. Die prozessuale Situation - auf der Grundlage des Beweisbeschlusses des Landgerichts - war aber für die Beteiligten eindeutig: Es war abzusehen, dass ein klageabweisendes Urteil ergehen würde; auf den (Gegen-)Zeugen C. kam es nach normalem Lauf der Dinge nicht mehr an.
Hätte das Landgericht dagegen in der gegebenen Situation die Rechts- und Beweislage so gesehen wie später das Berufungsgericht, so hätte der Schwerpunkt einer erforderlichen Beweisaufnahme in dem - von der Beklagten behaupteten - Einvernehmen über einen Vertragsschluss der Beklagten mit dem Streithelfer gelegen; es wäre danach entscheidend auf die Aussage des Zeugen C. im Sinne des ursprünglichen Beweisantritts der Beklagten angekommen. Bei einer solchen Sicht der materiellen Rechtslage hätte das Landgericht, bevor der Beklagtenanwalt auf "seinen" Zeugen verzichtete, einen Hinweis nach § 139 ZPO geben müssen; auf einen solchen Hinweis hin wäre es, wie anzunehmen ist, nicht zu dem Verzicht der Beklagtenseite auf den - erschienenen - Zeugen gekommen.
Diese (hypothetische) Verknüpfung ist mithin geeignet, eine (Mit-)Ursächlichkeit der - vom Berufungsgericht angenommenen - objektiv fehlerhaften Rechtsansicht des ersten Gerichts im Sinne des Senatsurteils vom (aaO) zu begründen.
3. Durch die Ablehnung der Vernehmung des Zeugen C. ist der Beklagten zugleich das gebotene rechtliche Gehör (Art. 103 GG) im Berufungsverfahren abgeschnitten worden. Dies wird nachzuholen sein.
Das Berufungsgericht hat in dem neuen Verfahren auch Gelegenheit, sich mit den weiteren Rügen der Beschwerde - auch zu dem Erfordernis, dass der ein schwebend unwirksames Geschäft (konkludent) Genehmigende die schwebende Unwirksamkeit gekannt oder zumindest damit gerechnet haben muss - auseinanderzusetzen.
4. Infolge der Aufhebung des Endurteils vom kann auch das Ergänzungsurteil vom keinen Bestand haben, durch das die Kostenentscheidung, wonach die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe, dahin ergänzt worden ist, dass dies auch hinsichtlich der Kosten des Streithelfers der Klägerin zu gelten habe (vgl. - ZIP 1984, 1107, 1113).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 774 Nr. 11
QAAAC-41667
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja