Leistungen einer gemeinnützigen Körperschaft weder nach § 4 UStG steuerbefreit noch nach § 12 UStG begünstigt
Instanzenzug:
Gründe
I. Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Gemeinde —juristische Person des öffentlichen Rechts (JPöR)—. Zur Durchführung einer Gartenschau gründete sie zusammen mit einem anderen Gesellschafter die X-GmbH (GmbH), die nach ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung die Voraussetzungen der §§ 52 ff. der Abgabenordnung (AO) erfüllte und als gemeinnützig anerkannt war.
Die Klägerin war zu über 50 v.H. an der GmbH beteiligt. Aufgrund umsatzsteuerrechtlicher Organschaft wurden ihr, der Klägerin, die Umsätze der GmbH zugerechnet und Vorsteuerbeträge berücksichtigt, die aus den Aufwendungen für die Einrichtung der Gartenschau auf dem überwiegend von der Klägerin gepachteten Gelände resultierten. Nach Beendigung der Gartenschau und des Pachtvertrages wurden der Klägerin die von der GmbH auf dem Pachtgelände errichteten Lärmschutzanlagen und die „Äußere Umschließung” ohne besonders vereinbartes Entgelt überlassen. Dies berücksichtigte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) im Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1993. Die Anwendung des von der Klägerin unter Hinweis auf § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG 1993 beanspruchten ermäßigten Steuersatzes lehnte das FA mit der Begründung ab, im Streitjahr seien die Eigenverbrauchstatbestände noch nicht —wie im UStG 1999— den Lieferungen oder sonstigen Leistungen gleichgestellt gewesen. Deshalb sei § 12 UStG 1993 auf vor 1999 verwirklichte Eigenverbrauchssachverhalte nicht anwendbar.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und dazu im Wesentlichen ausgeführt:
Die Voraussetzungen für den ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG 1993 lägen nicht vor.
Nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a i.V.m. Anhang H Kategorie 14 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) dürften nur Leistungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit, nicht dagegen wie im Streitfall in den Bereichen Umwelt-, Landschafts- und Denkmalschutz begünstigt werden. Die nationale Regelung sei weiter; die Klägerin könne sich daher nicht auf eine günstigere Bestimmung der Richtlinie berufen.
Die Entnahme werde nach der Richtlinie 77/388/EWG zwar einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt; dass sie eine Lieferung i.S. des Art. 12 i.V.m. Anhang H Kategorie 14 der Richtlinie 77/388/EWG darstelle, ergebe sich daraus nicht. Nur Dienstleistungen durch von Mitgliedstaaten anerkannte gemeinnützige Einrichtungen für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit fielen unter Art. 12 der Richtlinie 77/388/EWG; dass auch Lieferungen an den Hoheitsbereich von der Vorschrift erfasst sein sollten, lasse sich dem Wortlaut nicht entnehmen.
Die Leistung der begünstigten Körperschaft an sich selbst „stelle keinen unmittelbar gemeinnützigen Zweck dar"; der Zweck der Begünstigungsvorschrift liefe leer, wenn auch dafür der begünstigte Steuersatz gewährt werde.
Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Hat das FG —wie im Streitfall— seine Entscheidung auf mehrere Gründe gestützt, von denen jeder für sich allein das Entscheidungsergebnis trägt, so muss hinsichtlich jeder Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht werden und vorliegen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII B 163/03, BFH/NV 2005, 835; vom V B 172/03, BFH/NV 2004, 1677, m.w.N.). Daran fehlt es.
1. Die Klägerin macht als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend, das FG habe seine Entscheidung darauf gestützt, dass es nach den ermäßigten Steuersatz bei gemeinnützigen Einrichtungen nur für wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit gebe, die GmbH aber die Anerkennung als gemeinnützig für Zwecke des Umwelt- und Landschaftsschutzes erhalten habe. Diese das Urteil tragende Erwägung sei durch den bis dahin gegebenen Streitgegenstand nicht veranlasst und deshalb für die Klägerin überraschend gewesen.
a) Zwar verbietet der Anspruch der Beteiligten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO) dem Gericht den Erlass von „Überraschungsentscheidungen” (z.B. , BVerfGE 84, 188; BFH-Beschlüsse vom IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; vom I B 127/98, BFH/NV 1999, 1609).
Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Hinweispflichten sind jedoch von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles abhängig, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten. Die Hinweispflichten entfallen zwar auch bei fachkundig vertretenen Beteiligten nicht von vornherein (, BFH/NV 1994, 790, m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht des § 76 Abs. 2 FGO verlangen aber nicht, dass das Gericht die einzelnen für die Entscheidung erheblichen (rechtlichen oder tatsächlichen) Gesichtspunkte im Voraus andeutet (Beschluss in BFH/NV 1999, 1609). Das Unterlassen eines Hinweises stellt deshalb regelmäßig bei steuerlich beratenen und durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten —wie im Streitfall die Klägerin— keine Verletzung der Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO dar, es sei denn, es würden besondere Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel erforderten, dargelegt (BFH-Beschlüsse vom VII B 231/00, BFH/NV 2001, 1012, und vom IV B 90/03, BFH/NV 2005, 1817, jeweils m.w.N.).
Die Klägerin hatte sich selbst zur Begründung ihrer Klage im Zusammenhang mit der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung einer Entnahme auf die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit der Richtlinie 77/388/EWG berufen. Weshalb sich unter diesen Umständen für das FG ein Hinweis darauf hätte aufdrängen müssen, dass auch bei der Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG die Vorgaben der Richtlinie 77/388/EWG zu beachten sind, hat die Klägerin nicht dargelegt.
b) Für eine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) ist im Übrigen die substantiierte Darlegung erforderlich, was der Beteiligte bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können (dazu BFH-Beschlüsse vom GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802; vom III B 57/99, BFH/NV 2000, 861). Auch daran fehlt es.
2. Als Verfahrensmangel rügt die Klägerin weiter, das FG hätte die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorlegen müssen.
Nur letztinstanzlich entscheidende nationale Gerichte sind zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, wenn es um die Auslegung von Gemeinschaftsrecht geht. Deshalb liegt kein Verfahrensmangel vor, wenn ein FG, dessen Entscheidung mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden kann, Gemeinschaftsrecht auszulegen hat und sowohl von der Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH als auch von der Zulassung der Revision absieht (z.B. , BFH/NV 2004, 69).
3. Die Klägerin macht weiter als „Verfahrensmangel” geltend, „Eigenverbrauch” werde nach der Richtlinie 77/388/EWG einer Leistung gleichgestellt und dürfe —ungeachtet dessen, dass der Gesetzgeber dies erst im UStG 1999 in § 3 Abs. 1 b und Abs. 9 a UStG 1999 umgesetzt habe— auch für Zeiträume vor der Gesetzesänderung nicht anders behandelt werden als Lieferungen und sonstige Leistungen des Unternehmers.
Zu dieser Frage hatte der erkennende Senat bereits im Urteil vom V R 106/98 (BFHE 189, 205) entschieden, dass sich der Steuerpflichtige auch für Zeiträume vor Inkrafttreten der Änderung im UStG 1999 auf Art. 5 Abs. 6 Satz 1 der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann. Im Übrigen hängt die Anwendung einer Steuerbefreiungsvorschrift nach § 4 UStG oder einer Steuerermäßigung nach § 12 UStG —wie hier nach § 12 Nr. 8 Buchst. a UStG 1993— vom Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen ab. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG 1993 setzt voraus, dass mit den Leistungen ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt werden und nach Art. 12 i.V.m. Anhang H Kategorie 14 der Richtlinie 77/388/EWG dürfen nur Leistungen „für” wohltätige Zwecke und im Bereich der sozialen Sicherheit begünstigt werden. Diesen Zwecken dienen Entnahmeleistungen der hier gegebenen Art einer gemeinnützigen Körperschaft an ihre Gesellschafter nicht.
Insoweit kann offenbleiben, ob die Klägerin allein mit dem Hinweis, die Rechtslage vor Inkrafttreten der Regelung in § 3 Abs. 1 b und Abs. 9 a UStG 1999 sei mit der Richtlinie nicht vereinbar, einen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 FGO i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend dargelegt hat (zu den Darlegungserfordernissen für eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO und zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO vgl. z.B. die Nachweise zur Rechtsprechung des BFH bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32 und Rz 38 und zum Darlegungserfordernis für die Zulassung wegen Abweichung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO z.B. , BFH/NV 2005, 2025; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 42, m.w.N.). Denn eine Zulassung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil das FG seine Entscheidung auf mehrere Gründe gestützt hat, die jeder für sich das Urteil tragen. In Bezug auf die anderen Gründe hat die Klägerin —wie sich aus II.1. und II.2. ergibt— keinen Zulassungsgrund mit Erfolg geltend gemacht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
UR 2007 S. 383 Nr. 10
PAAAC-40986