BGH Beschluss v. - 2 StR 582/06

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 20; StGB § 21; StPO § 349 Abs. 2; StPO § 349 Abs. 4

Instanzenzug:

Gründe

1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Hingegen hat der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand.

2. Das Landgericht hat gegen den Angeklagten nach der Urteilsformel eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verhängt, nach den Urteilsgründen dagegen nur vier Jahre und drei Monate (UA S. 35). Die in der Urteilsformel genannte Freiheitsstrafe kann nicht bestehen bleiben. Sie wird von den Erwägungen zur Strafzumessung nicht getragen, die - für sich betrachtet - rechtsfehlerfrei sind. Worauf der Widerspruch beruht, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Es liegt keine Fallgestaltung vor, bei der ohne weiteres deutlich wird, dass der Tatrichter seine Ausführungen zur Strafzumessung in Wirklichkeit nicht auf die in den Urteilsgründen, sondern auf die in der Urteilsformel bezeichnete Strafe bezogen hat und dass diese Strafe trotz der anders lautenden Urteilsgründe dem Beratungsergebnis entspricht (vgl. BGH Beschlüsse vom - 1 StR 631/91 - und vom - 4 StR 474/91). Auf der Grundlage des Urteils lässt sich weder ausschließen, dass das Landgericht die in der Urteilsformel genannte Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten hat verhängen wollen, noch dass es die in den Urteilsgründen bezeichnete Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten für angemessen gehalten hat. Der Tatrichter muss die Strafe deshalb neu festsetzen.

3. Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus begegnet rechtlichen Bedenken.

a) Ausweislich der Urteilsfeststellungen (UA S. 5 f.) war es im Rahmen einer Inhaftierung des Angeklagten im Januar 2003 zu einem Vorfall mit einem Mitgefangenen gekommen, anschließend wurde eine hebephrene Schizophrenie festgestellt und der Angeklagte mit Neuroleptika behandelt. Im Januar 2005 kam es erneut zu auffälligem Verhalten des Angeklagten in der Haft; es wurde eine psychotische Dekompensation diagnostiziert und der Angeklagte mit Neuroleptika behandelt. Am war der Angeklagte frei von psychotischen Symptomen. Die Behandlung mit Neuroleptika wurde auch nach der Haftentlassung fortgeführt, zuletzt erhielt er am Mittwoch oder Donnerstag vor dem Tattag, einem Sonntag, ein Depotneuroleptikum.

Das Landgericht hat mit dem Sachverständigen angenommen, der Angeklagte weise eine "Persönlichkeitsstörung mit Neigung zu impulsiven-aggressiven Reaktionen und verminderter Selbststeuerung" auf, differential-diagnostisch eine "andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung" (UA S. 30). In belastenden Situationen seien psychotische Symptome aufgetreten. Bei der Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen hätten keine Hinweise auf eine akute Psychose vorgelegen. Die Persönlichkeitsstörung habe für den Angeklagten zur Folge, dass es in Stresssituationen zu psychotischen Reaktionen komme. Außerhalb von Belastungssituationen seien solche Auffälligkeiten nicht zu verzeichnen. Es liege keine grundlegende schizophrene Störung vor, allerdings die Bereitschaft zu schizophrenie-ähnlichen Reaktionen. In Situationen, in denen er frustriert werde, träten Störungen der Affekt- und Impulskontrolle auf. Die psychischen Auffälligkeiten seien der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB zuzurechnen und hätten erhebliche Auswirkungen auf die Steuerung des Verhaltens des Angeklagten. Ein völliger Ausschluss der Steuerungsfähigkeit oder eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit seien nicht festzustellen, eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt habe aber sicher vorgelegen. Infolge seines Zustandes seien von dem Angeklagten erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten.

b) Diese Feststellungen des Landgerichts vermögen die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu tragen. Ihnen kann eine die Unterbringung rechtfertigende Störung im Sinne eines länger andauernden "Zustands" (§ 63 StGB) nicht entnommen werden. Das bloße Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung reicht hierfür nicht aus. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ist nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB, sondern kann immer auch als Spielart menschlichen Wesens einzuordnen sein. Für einen so schwerwiegenden Eingriff, wie ihn die Anordnung der zeitlich nicht befristeten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, kann die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung stets nur unter engen Voraussetzungen und nur dann genügen, wenn feststeht, dass der Täter auf Grund dieser Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat. Für eine solche Annahme bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung und der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung der Schuldfähigkeit ist deshalb maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb der Straftaten zu Einschränkungen des beruflichen oder sozialen Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angesehen werden (vgl. -; BGH NStZ 2006, 154 jeweils m.w.N.).

Solche andauernden, schwerwiegenden Auswirkungen auf das Leben des Angeklagten sind hier nicht festgestellt. Vielmehr geht der Tatrichter selbst davon aus, dass sich der Angeklagte unter entsprechenden stützenden Bedingungen auch anders verhalten könne, wie der Hauptschulabschluss zeige (UA S. 30). Dass der Angeklagte kein Ausbildungsverhältnis aufnehmen konnte, lag an ausländerrechtlichen Bestimmungen. Die festgestellte Frustrationsintoleranz ist als Persönlichkeitsakzentuierung weder geeignet, eine Person in einen Zustand dauerhaft erheblich verminderter Schuldfähigkeit zu versetzen, noch rechtfertigt ihr Vorliegen die Annahme eines Zustands, der die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gebietet.

Über die Maßregelanordnung ist daher neu zu entscheiden. Bei der gegebenen Sachlage ist auszuschließen, dass beim Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat die Voraussetzungen des § 20 StGB vorlagen. Der Schuldspruch kann deshalb bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird sich aber mit der Frage auseinander zu setzen haben, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit erheblich vermindert war (§ 21 StGB). Die bisherigen Feststellungen lassen schon nicht hinreichend erkennen, ob das biologische Merkmal der "schweren anderen seelischen Abartigkeit" erfüllt ist. Ob bei Vorliegen des Merkmals die Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit erheblich ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Tatrichter zu beantworten ist. Aus den bisherigen Feststellungen wird nicht ausreichend deutlich, in welcher Weise die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten, der einige Zeit zuvor als Tatvorbereitung ein Küchenmesser im Ärmel versteckt hatte, die Tatausführung beeinflusst hat.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
JAAAC-39352

1Nachschlagewerk: nein