Klage auf Bekanntgabe des Inhalts einer anonymen Anzeige
Leitsatz
Die Finanzbehörde hat über einen Antrag auf namentliche Benennung der Informationsperson unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 und 5 AO im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden und dabei zwischen dem durch § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO geschützten Interesse des Informanten an der Wahrung des Steuergeheimnisses und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen abzuwägen. Was hiernach für die Offenbarung des Namens des Anzeigeerstatters gilt, muss in entsprechender Weise auch für die wortgetreue Offenbarung des Inhalts der Anzeige gelten.
Gesetze: AO § 30
Instanzenzug:
Gründe
I. Am ist beim Finanzamt E ein anonymes Schreiben eingegangen, aus dem —wie dem zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bei einer nachfolgenden abgekürzten Außenprüfung vom Prüfer mitgeteilt wurde— „unter anderem hervorgeht, dass Sie und Ihre Ehefrau schon sehr lange getrennt leben sollen und auch keine Anzeichen dafür bestünden, dass die Ehe irgendwann wieder in Ordnung kommt”. Die Bitte des Klägers, ihm eine Kopie der anonymen Anzeige zukommen zu lassen, lehnte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ab. Im Laufe des sich anschließenden Verwaltungsverfahrens kam der Kläger in den Besitz einer teilweise geschwärzten Kopie des Schreibens. Damit gab er sich jedoch nicht zufrieden und verklagte das FA vor dem Finanzgericht (FG) auf Überlassung einer vollständigen ungeschwärzten Kopie des anonymen Anzeigeschreibens, hilfsweise, ihm den gesamten Inhalt schriftlich und wortgetreu bekannt zu geben.
Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die Steuergesetze sähen einen solchen Anspruch auf Auskunftserteilung nicht vor; der Kläger habe lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, die vom Gericht eingeschränkt lediglich dahingehend überprüft werden könne, ob die Behörde den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt habe, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten habe und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei. Nach diesen Grundsätzen sei im Streitfall die Entscheidung des FA nicht zu beanstanden.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, die er auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) stützt, welche auch zur Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erforderlich mache (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Die Frage, ob auch der der Steuerbehörde namentlich bekannte Anzeigeerstatter oder gar der anonyme Informant den Schutz des Steuergeheimnisses jedenfalls insoweit genießen dürfe, als es nicht um die verlangte Bekanntgabe des Namens des Anzeigeerstatters, sondern lediglich um die Bekanntgabe des Inhalts der Anzeige gehe, sei bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden. Von grundsätzlicher Bedeutung sei daher die Rechtsfrage, ob ein Anspruch des Steuerpflichtigen bestehe, den Inhalt eines der Steuerbehörde zur Kenntnis gegebenen Sachverhalts demjenigen preiszugeben, über dessen persönliche Verhältnisse Behauptungen aufgestellt worden seien. Es müsse eindeutig geklärt werden, dass ein solcher Anspruch grundsätzlich bestehe und dass es hinsichtlich der Bekanntgabe des Inhalts eines denunzierenden Schreibens auch keinen Ermessensspielraum der Steuerbehörde gebe.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger zur Prüfung gestellte Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre. Deshalb ist auch eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts nicht erforderlich.
1. Ausgangspunkt einer revisionsrechtlichen Überprüfung des Streitfalls wäre eine Bestätigung der Aussage des FG, dass weder die Steuergesetze noch sonstige Rechtsvorschriften dem Kläger ausdrücklich einen Rechtsanspruch auf Bekanntgabe des Inhalts einer anonymen Anzeige gewähren. Diesen Ausgangspunkt greift letztendlich auch die Beschwerde nicht an, wenn sie im Zuge der Begründung die aufgeworfene Frage nach einem Rechtsanspruch schließlich dahingehend verstanden haben möchte, es bedürfe der Konkretisierung durch eine Entscheidung des BFH, „unter welchen Voraussetzungen ein Ermessensspielraum nicht mehr besteht bzw. wann sich das behördliche Ermessen derart reduziert, dass ein Auskunftsanspruch des Steuerpflichtigen…besteht”.
Hieraus folgt, dass die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, nähme man sie wörtlich, nicht klärungsbedürftig wäre, weil klar feststeht, dass es den begehrten Rechtsanspruch auf Auskunftserteilung nach der Rechtsordnung nicht gibt und es daher überflüssig wäre, den BFH als Revisionsinstanz entweder zur Bestätigung einer solchen Selbstverständlichkeit oder zur Zurückweisung des vermeintlichen klägerischen Begehrens zu bemühen, es müsse eindeutig geklärt werden, dass ein solcher Anspruch grundsätzlich bestehe und dass es hinsichtlich der Bekanntgabe des Inhalts eines denunzierenden Schreibens auch keinen Ermessensspielraum der Steuerbehörde gebe. Sollte der Kläger hingegen, wozu der Senat neigt, die aufgeworfene Rechtsfrage im Sinne der in der Beschwerdebegründung gegebenen Ausführungen so verstanden wissen wollen, der BFH möge Kriterien aufstellen, unter welchen Umständen sich der Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des FA über den geltend gemachten Auskunftsanspruch hinsichtlich des Inhalts der anonymen Anzeige infolge der Reduzierung des behördlichen Ermessens auf eine einzig mögliche Entscheidung in einen Auskunftsanspruch des Klägers verdichte, so wäre diese Rechtsfrage in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Denn selbst wenn es überhaupt möglich wäre, solche Kriterien aufzustellen und der BFH einen entsprechenden Rahmen festlegen würde, wäre dies für die Frage einer Revisionszulassung im Streitfall ohne Bedeutung. Ob sich nämlich der Anspruch des Klägers auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Antrag auf Bekanntgabe des Inhalts einer anonymen Anzeige in einen positiven Anspruch auf Bekanntgabe verdichtet, hängt von der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ab, derzufolge in pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens keine andere Entscheidung als die begehrte Bekanntgabe des Inhalts der anonymen Anzeige möglich ist. Diese zunächst dem FA obliegende Ermessensentscheidung ist bereits vom FG nur eingeschränkt nach Maßgabe des § 102 Satz 1 FGO überprüfbar. Eine weitere Überprüfung durch den BFH kann mit einer auf grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage gestützten Nichtzulassungsbeschwerde, die nicht selbst konkrete Rechtsfragen gerade zur Ermessensausübung aufwirft, grundsätzlich nicht erreicht werden. Denn ob das FA sein pflichtgemäßes Ermessen in rechtmäßiger Weise dahingehend ausgeübt hat, den Schutz des Steuergeheimnisses des Informanten nicht hinter das Auskunftsbegehren des Klägers zurücktreten zu lassen, betrifft, wie das FA in seiner Beschwerdeerwiderung zutreffend ausgeführt hat, allein das individuelle Interesse des Klägers an einer richtigen Entscheidung im Streitfall, nicht aber das für eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung zu fordernde allein maßgebliche Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts. Eine Zulassung der Revision hätte daher zur Folge, dass allenfalls die richtige Rechtsanwendung im Streitfall überprüft würde. Dieses Ziel, das letztlich die Beschwerde allein verfolgt, ist aber gerade mit einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreichbar, denn auf die materielle Unrichtigkeit des erstinstanzlichen Urteils kann die Zulassung der Revision nicht gestützt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 334/03, BFH/NV 2004, 974, und vom VIII B 235/04, BFH/NV 2006, 2091, m.w.N.). Dies gilt auch insoweit, als der Kläger dem FG vorhält, es habe einen Ermessensfehlgebrauch des FA übersehen, der darin liege, dass das FA den Anzeigeerstatter nicht befragt habe, ob er der Bekanntgabe des Inhalts der Anzeige zustimme. Dieses Vorbringen ist ferner insofern widersprüchlich, als das FG ausdrücklich vom Vorliegen einer anonymen Anzeige ausgegangen ist, bei der logischerweise der Anzeigeerstatter nicht befragt werden kann.
2. Für den Zulassungsgrund einer notwendigen Rechtsfortbildung, auf den sich die Beschwerde in zweiter Linie beruft, gelten die höchstrichterlich entwickelten Grundsätze zum Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung entsprechend (vgl. , BFH/NV 2006, 2122). Allein das Fehlen einer höchstrichterlichen Entscheidung zu der Frage, ob ein (möglicher) Auskunftsanspruch des Steuerpflichtigen nicht nur den Namen des Anzeigeerstatters, sondern auch den exakten Inhalt der Anzeige umfasst, erfordert keine Rechtsfortbildung durch den BFH, zumal diese Frage im Streitfall, wie ausgeführt, weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig ist.
3. In der Sache geschieht dem Kläger im Übrigen kein Unrecht. Der Senat vertritt in nunmehr ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Finanzbehörde über einen Antrag auf namentliche Benennung der Informationsperson unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 und 5 der Abgabenordnung (AO 1977) im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden und dabei zwischen dem durch § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 geschützten Interesse des Informanten an der Wahrung des Steuergeheimnisses und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen abzuwägen hat (Senatsurteil vom VII R 88/92, BFHE 174, 197, BStBl II 1994, 552; Senatsbeschlüsse vom VII B 199/00, BFH/NV 2001, 1366, und vom VII B 123/02, BFH/NV 2003, 294). Was hiernach für die Offenbarung des Namens des Anzeigeerstatters gilt, muss in entsprechender Weise auch für die wortgetreue Offenbarung des Inhalts der Anzeige gelten. Häufig wird man nämlich aus dem Inhalt einer Anzeige, sei es aus einer bestimmten Wortwahl oder aus dem Gebrauch einzelner Formulierungen, sei es aus stilistischen oder grammatikalischen Eigenheiten, aus der Schrift oder aus der Strukturierung des gesamten Textes, mit einiger Wahrscheinlichkeit Rückschlüsse auf den Verfasser der Anzeige ziehen können. Entschiede man diese Fälle nach abweichenden Kriterien, bestünde die nicht von der Hand zu weisende Gefahr, dass durch die Bekanntgabe des Inhalts der Anzeige mittelbar ihr Urheber offenbart und damit die Rechtsprechung des Senats unterlaufen und das Steuergeheimnis gefährdet würde.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2007 S. 1517
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2007 S. 3
WAAAC-39300