Urteil ohne mündliche Verhandlung bei Verzicht nur eines Beteiligten
Gesetze: FGO § 90 Abs. 2; FGO § 115; FGO § 119 Nr. 4
Instanzenzug:
Gründe
I. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom übertrug die Mutter der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) dieser „unentgeltlich, jedoch in Anrechnung auf den künftigen Erb- und Pflichtteil am Nachlass der Mutter” ein vermietetes Haus sowie eine von der Klägerin genutzte Eigentumswohnung. Das Wohnhaus sollte mit 640 000 € und die Eigentumswohnung mit 145 000 € auf den Erb- und Pflichtteil angerechnet werden. Die Mutter verpflichtete sich außerdem, „zur endgültigen Abfindung der Pflichtteilsansprüche nach” dem bereits verstorbenen Vater, der von der Mutter allein beerbt worden war, einen Betrag von 57 284,96 € an die Klägerin zu zahlen. Schließlich erklärten die Parteien die Auflassung; die Mutter erteilte die Eintragungsbewilligungen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) veranlasste die Feststellung der Grundstückswerte durch die Lagefinanzämter, die die Werte letztendlich auf 518 500 € für das Grundstück und auf 41 000 € für die Eigentumswohnung feststellten. Sodann setzte er durch Änderungsbescheid vom nach einem Erwerb von (Grundstückswerte ./. Kosten =) 536 821 € Erbschaftsteuer in Höhe von 49 770 € gegen die Klägerin fest. Dagegen wandte sich der Betreuer der Klägerin, die krankheitsbedingt erwerbsunfähig ist, mit der Begründung, die Übertragung der Grundstücke stelle keine freigebigen Zuwendungen dar. Die Klägerin habe bis dahin von der Mutter unterhalten werden müssen (Wohnwert der Eigentumswohnung: monatlich 613,50 €; Barunterhalt: monatlich 562,42 €). Die Übertragung der Grundstücke sei erfolgt als Ausgleich für die künftig wegfallenden Unterhaltsleistungen. Außerdem sei das Grundstück zu hoch bewertet. Es habe ein Reparaturbedarf in Höhe von 167 667,01 € bestanden. Einspruch und Klage blieben jedoch insoweit ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG), das ohne mündliche Verhandlung entschied, führte mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1082 veröffentlichten Urteil aus, eine Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 12 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) scheide aus, da diese Vorschrift nur freiwillige Unterhaltsleistungen betreffe. Der Verzicht auf künftige gesetzliche Unterhaltsansprüche sei gemäß § 1614 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nichtig und könne daher keine Gegenleistung sein. Auch die Anrechnung der Grundstücke auf den künftigen Erb- und Pflichtteil nach der Mutter stelle keine Gegenleistung dar.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung wegen der Frage zu, ob sie als Schwerbehinderte „ihr Vermögen zur Zahlung von Schenkungsteuer” einzusetzen habe oder ob ihr das Vermögen zu belassen sei, um nicht der Sozialhilfe zur Last zu fallen. Außerdem sei die Frage zu entscheiden, ob die Befreiung von einer Unterhaltspflicht eine Gegenleistung darstelle. Insoweit sei auch eine Revisionsentscheidung zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, und zwar im Hinblick auf die Entscheidungen des (BFH/NV 2001, 1407) sowie vom II R 22/98 (BFHE 194, 440, BStBl II 2001, 456).
Darüber hinaus rügt die Klägerin eine Reihe von Verfahrensmängeln. Die Entscheidung des FG sei nicht mit Gründen versehen, da das FG auf einen zuvor nach summarischer Prüfung ergangenen Beschluss wegen Aussetzung der Vollziehung Bezug genommen habe. Auch habe es sich nicht mit ihrer, der Klägerin, Krankheit auseinander gesetzt. Es sei nicht wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet worden. Schließlich sei das Recht auf Gehör verletzt worden, da ihr, der Klägerin, der Schriftsatz des FA vom erst mit dem Urteil übersandt worden sei.
II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung leidet unter einem Verfahrensmangel, der zugleich einen absoluten Revisionsgrund darstellt.
Die Entscheidung des FG ist nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung ergangen. Das sei —so das FG— mit Einverständnis der Beteiligten geschehen. Dieses Einverständnis hat jedoch nicht vorgelegen. Lediglich die Klägerin hatte auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Das FA hatte mit Schriftsatz vom nur gemäß § 79a Abs. 3 und 4 FGO sein Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Vorsitzenden oder den Berichterstatter erklärt und darüber hinaus lediglich „eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid…befürwortet”. Damit war das FA nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten (§ 119 Nr. 4 FGO, vgl. , BFHE 151, 297, BStBl II 1988, 141). Den Verfahrensmangel des § 119 Nr. 4 FGO kann auch derjenige Beteiligte rügen, der —wie die Klägerin— den Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt hatte (, BFH/NV 1998, 32; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 119 FGO Rz. 322). Solange nicht auch der andere Beteiligte auf mündliche Verhandlung verzichtet, braucht der Verzichtende nicht mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu rechnen. Bei einem absoluten Revisionsgrund ist unerheblich, ob die Vorentscheidung auf dem Verfahrensmangel beruht. Die Klägerin hat den Verfahrensmangel des § 119 Nr. 4 FGO auch ausreichend gerügt.
Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung wegen dieses Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 755 Nr. 4
MAAAC-38794