OFD Frankfurt am Main - S 2270 A - 11 - St 216

Veranlagung von Steuerpflichtigen mit Steuerabzugspflichtigen Einkünften;

Veranlagung bei Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit

Bezug:

1. Allgemeines

Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.

Mit mehreren Entscheidungen vom hat der BFH u.a. zur Problematik der Antragsfrist nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG Stellung genommen und zugleich die Frage, ob die Antragsfrist verfassungsgemäß ist, dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt. Aus diesem Anlass weist die OFD auf folgende Besonderheiten hin:

2. Amtsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG (410-€uro-Grenze)

2.1 Änderung durch das JStG 2007

Nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 sind Arbeitnehmer verpflichtet, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, wenn die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 EStG und § 24a EStG, oder die positive Summe der Einkünfte und Leistungen, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, jeweils mehr als 410 € beträgt. Nach § 52 Abs. 55j EStG ist die Neufassung auch auf Veranlagungszeiträume vor 2006 anzuwenden.

Diese klarstellende Gesetzesänderung wurde auf Grund des bislang noch unveröffentlichten erforderlich. Der BFH vertrat darin die Auffassung, dass auch bei einer negativen Summe der Einkünfte von mehr als 410 € eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG von Amts wegen durchzuführen sei.

2.2 Anwendung der Regeln über den Verlustausgleich (Mindestbesteuerung – § 2 Abs. 3 EStG a. F.)

Mit (BStBl 2006 II S. 801) hat der BFH entschieden, dass die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte i.S. von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG unter Beachtung der durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführten Regeln über den Verlustausgleich in § 2 Abs. 3 EStG zu ermitteln ist. Übersteigt die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, unter Berücksichtigung der in § 2 Abs. 3 EStG vorgeschriebenen Verhältnisrechnung den Betrag von 800 DM (410 €) sind die Steuerpflichtigen demnach von Amts wegen zur Einkommensteuer zu veranlagen.

3. Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG

3.1 Verfassungsmäßigkeit der Antragsfrist (BVerfG-Vorlagen)

Arbeitnehmer werden nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nur auf Antrag zur Einkommensteuer veranlagt, wenn keine Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG durchzuführen ist. Der Antrag auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung ist durch die Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen. Diese muss nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres eingereicht sein. Im Falle der Berücksichtigung eines Verlustabzugs nach § 10d EStG beträgt die Frist nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 3 EStG drei Jahre.

Mit und (BStBl 2006 II S. 808 ff) hat der BFH dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Antragsfrist nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG in der Fassung vom ( BGBl 1992 I S. 297, gültig für die Veranlagungszeiträume 1991–1996) sowie in der Fassung vom ( BGBl 1997 I S. 821, gültig für die Veranlagungszeiträume 1997–2001) verfassungsgemäß ist. Der BFH sieht in der auf zwei Jahre begrenzten Möglichkeit von Arbeitnehmern, eine Veranlagung zu beantragen, einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Einspruchsverfahren, die gleichgelagerte Fälle betreffen, ruhen nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.

3.2 Antragsfrist als gesetzliche Ausschlussfrist

Die Antragsfrist ist eine gesetzliche Ausschlussfrist, die weder durch eine Aufforderung zur Abgabe der Einkommensteuererklärung noch durch das Ergehen eines Grundlagenbescheides verlängerbar ist.

Beispiel:

Ein Stpfl. erzielt im Veranlagungszeitraum 2003 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie Verluste aus Vermietung und Verpachtung, die gesondert und einheitlich festgestellt werden. Im Rahmen der allgemeinen Versendung von Erklärungsvordrucken werden dem Stpfl. eine ESt-Erklärung 2004 sowie eine Feststellungserklärung 2004 zugesandt. Im Februar 2007 reicht der Stpfl. die ESt-Erklärung 2004 sowie die Feststellungserklärung 2004 beim FA ein. Das FA führt daraufhin die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte (Verlust) aus Vermietung und Verpachtung durch, lehnt jedoch die Veranlagung zur ESt ab, da der erforderliche Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 EStG nicht fristgerecht gestellt worden sei. Gegen diese Ablehnung legt der Stpfl. Einspruch ein. Ist der Einspruch begründet?

Lösung:

Das FA hat zu Recht wegen Versäumung der Antragsfrist die Veranlagung zur ESt 2004 versagt. Dem steht auch nicht entgegen, dass das FA im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Feststellung einen Grundlagenbescheid erlassen hat.

§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO verpflichtet zwar die Finanzbehörde zum Erlass eines Steuerbescheides, soweit ein Grundlagenbescheid ergeht, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt. Der Bescheid über die Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ist auch ein derartiger Grundlagenbescheid. Für die ESt-Veranlagung eines Arbeitnehmers ist aber § 46 EStG als speziellere Norm vorrangig. Da auch kein Pflichtveranlagungsgrund i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG vorliegt, können die im Grundlagenbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen nicht mehr berücksichtigt werden.

In seinem Urteil vom (EFG 2002, S. 1603) geht das Hessische Finanzgericht davon aus, dass § 108 Abs. 3 AO auch für die Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG gilt. Fällt der 31.12. also auf einen Sonnabend oder Sonntag, so endet die Antragsfrist erst mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktages (2.1.). Diese Auffassung ist u.a. bedeutsam für den Veranlagungszeitraum 2004, da der auf einen Sonntag fällt, so dass eine am abgegebene Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2004 noch als fristgerecht anzusehen ist.

3.3 Erlass eines Schätzungsbescheides vor Ablauf der Antragsfrist

Bislang war ein Schätzungsbescheid, den das Finanzamt ausgehend von einer Pflichtveranlagung erlassen hatte, aufzuheben, wenn sich aus der daraufhin eingereichten Einkommensteuererklärung ergab, dass eine Antragsveranlagung vorliegt, die Antragsfrist jedoch versäumt war. An dieser Verfahrensweise kann nicht mehr festgehalten werden. Mit (BStBl 2006 II S. 912) hat der BFH entschieden, dass nach Erlass eines Einkommensteuerbescheides ein Antrag gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG für die weitere Durchführung des Veranlagungsverfahrens nicht mehr erforderlich ist.

Zur Begründung führt der BFH aus, dass der Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG lediglich verfahrensrechtlicher Natur sei und nur das Veranlagungsverfahren in Gang setzen solle. Der Antrag auf Durchführung der Veranlagung solle die Finanzbehörde zu einem Handeln veranlassen. wenn sie nicht bereits von sich aus tätig werden müsse. Habe das Finanzamt folglich ausgehend von einer Pflichtveranlagung einen Schätzungsbescheid erlassen, müsse es sich hieran festhalten lassen, da der Antrag in diesem Falle seinen Zweck, ein Veranlagungsverfahren in Gang zu setzen, nicht mehr erfüllen könne.

Beispiel:

Ein Stpfl. erzielte im Veranlagungszeitraum 2003 im Wesentlichen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie geringe Einkünfte (über 410 €) aus Vermietung und Verpachtung. Da im Dezember 2006 noch keine ESt-Erklärung für das Jahr 2004 beim FA eingegangen war, schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen und erließ am einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid. Dabei ging es von einer Pflichtveranlagung aus. Gegen diesen Bescheid legte der Stpfl. form- und fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung reichte er am die ESt-Erklärung für das Jahr 2004 ein. Darin erklärte er neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung.

Lösung:

Nach bisheriger Verwaltungsauffassung wäre der Schätzungsbescheid aufzuheben gewesen. Eine Antragsveranlagung hätte nicht mehr erfolgen können, da die zweijährige Antragsfrist vom Stpfl. versäumt wurde. Unter Anwendung der neuen BFH-Rechtsprechung muss der Steuerbescheid nunmehr geändert und die Einkommensteuer neu festgesetzt werden. Ein Antrag des Stpfl. gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist insoweit nicht mehr erforderlich, da das FA das Veranlagungsverfahren durch den Schätzungsbescheid bereits von sich aus in Gang gesetzt hat.

3.4 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei schuldlosem Fristversäumnis

Ist die Antragsfrist ohne Verschulden versäumt worden, so ist gemäß § 110 Abs. 1 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. „Ohne Verschulden” verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Verhindert kann nach ständiger BFH-Rechtsprechung auch sein, wer sich im unverschuldeten Rechtsirrtum über verfahrensrechtliche Vorschriften befand. Bezieht sich der Irrtum auf die Frist selbst oder die Form der Fristwahrung, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Irrtümer über das Wesen einer Ausschlussfrist oder über materielles Recht rechtfertigen dagegen grundsätzlich keine Wiedereinsetzung, da in diesen Fällen dem Steuerpflichtigen oder seinem Berater zugemutet werden kann, von den Verfahrensrechten in der gebotenen Form Gebrauch zu machen bzw. sich hierüber zu informieren.

Beispiel:

Der Stpfl. erzielt in den Jahren 2000–2003 neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Rechtsanwalt auch Verluste aus Kapitalvermögen. Obwohl der Stpfl. im Februar 2006 auf Anfrage des FA miteilt, im Jahr 2004 keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen zu haben, werden ihm die Erklärungsvordrucke für das Jahr 2004 übersandt. Nach einer erfolglosen Erinnerung an die Abgabe der Steuererklärung wird ihm die Festsetzung eines Zwangsgeldes angedroht, wenn die ESt-Erklärung nicht bis zum eingereicht werde. Am reicht der Stpfl. die ESt-Erklärung für das Jahr 2004 ein. Das FA lehnt seinen Antrag auf Veranlagung unter Hinweis auf die Antragsfrist ab, hiergegen legt der Stpfl. Einspruch ein und beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trägt er vor, er habe die Antragsfrist nicht gekannt und habe aufgrund des vorangegangen Verhaltens des FA auch keinen Anlass gehabt, sich über den Lauf irgendwelcher von der Finanzbehörde nicht erwähnter Fristen zu informieren. Ist dem Stpfl. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren?

Lösung:

Bislang wurde unter Hinweis auf die „Anleitung zur Einkommensteuererklärung”, die die Steuerbürger seit Jahren über die Pflicht- und Antragsveranlagungen (einschließlich Abgabefristen und deren Wirkung) informiert, ein strenger Beurteilungsmaßstab angelegt, so dass die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in der Regel abgelehnt werden musste. Mit (BStBl 2006 II S. 833) vertritt der BFH nunmehr die Auffassung, dass die allgemein gehaltenen Ausführungen in der Anleitung zur Einkommensteuererklärung durch das Verhalten des FA im Einzelfall überlagert werden können.

Dass der Stpfl. als Rechtsanwalt tätig ist, könne ihm bei der Beurteilung der Verschuldensfrage nicht zum Nachteil gereichen, da er nicht zu den auf dem Gebiet des Steuerrechts tätigen berufsmäßigen Vertretern gehöre. In die Beurteilung sei vielmehr das Verhalten des FA bis zum Ablauf der Antragsfrist einzubeziehen. Ein Verschulden des Stpfl. sei insbesondere deshalb zu verneinen, weil in der Zwangsgeldandrohung des FA als Sanktion im Falle der Nichtabgabe der Steuererklärung neben der Festsetzung des Zwangsgeldes nur auf die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen hingewiesen worden sei, nicht aber auf den Ausschluss vom Veranlagungsverfahren. Dem Stpfl. sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er die Frist nicht gekannt und sich somit ohne Verschulden im Irrtum über die Frist selbst befunden habe.

3.5 § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ist keine Rechtsgrundlage für die Änderung bereits bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide

In den Fällen, in denen über den Einkommensteueranspruch bereits durch bestandskräftigen Bescheid entschieden worden ist, vermag auch ein fristgerechter Antrag auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG keine erneute Entscheidung über diesen Anspruch herbeizuführen, da § 46 EStG keine Rechtsgrundlage für die Änderung bereits bestandskräftiger Steuerbescheide enthält, vgl. (BStBl 2006 II S. 806). Zu prüfen bleibt allerdings, ob eine Änderung nach den Vorschriften der Abgabenordnung in Betracht kommt.

OFD Frankfurt am Main v. - S 2270 A - 11 - St 216

Fundstelle(n):
QAAAC-38758