Abgelehnte Anerkennung eines entgeltlichen Wohnungsrechts als Überraschungsentscheidung
Gesetze: FGO § 96 Abs. 2; EStG § 21
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde ist begründet; das angefochtene Urteil ist wegen Verfahrensfehlern aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG) zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Zu Recht rügen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) eine Verletzung der Pflicht des FG, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) sowie die Beteiligten zur Ergänzung ungenügender Angaben und Erklärungen anzuhalten (§ 76 Abs. 2 FGO); die erhobenen Einwände stellen sich zugleich als Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs i.S. des § 96 Abs. 2 FGO dar.
a) Nach Auffassung des FG ist die tatsächliche Durchführung des entgeltlichen Wohnungsrechts, das die Klägerin mit ihren Eltern bereits in dem Vertrag über die Übertragung des Eigentums an dem Elternhaus vereinbart hatte und das erst im Jahre 2001 gelöscht wurde, nicht glaubhaft gemacht worden, nachdem die Kläger entgegen ihrer Zusage im Erörterungstermin vor dem FG die ladungsfähige Anschrift der Mutter der Klägerin zur Durchführung einer Beweisaufnahme über deren Zahlungen nicht übermittelt hätten.
b) Dagegen wenden die Kläger zu Recht ein, dass sie von einer Beweisbedürftigkeit der streitigen Zahlungen (aufgrund des vereinbarten entgeltlichen Wohnungsrechts) im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr ausgehen mussten, nachdem sie
- im Nachgang zu dem Erörterungstermin entsprechend ihrer Zusage die ladungsfähige Anschrift ihrer Tochter sowie auch die ihres Lebensgefährten benannt, zugleich aber auf die Entbehrlichkeit einer Vernehmung der Mutter angesichts der vorgelegten schriftlichen Bestätigung über die erfolgten Zahlungen hingewiesen hatten,
- das FG in seinem Hinweisschreiben vom ohne weiteres Verlangen nach Mitteilung der Zeugenanschrift lediglich um Erläuterungen der streitigen Mietzahlungen gebeten und
- in der mündlichen Verhandlung die Notwendigkeit einer unmittelbaren Vernehmung der Mutter der Klägerin als Zeugin nicht erneut angesprochen hatte.
aa) Die Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) wie auch der Verletzung der richterlichen Hinweispflichten i.S. des § 76 Abs. 2 FGO genügt zunächst den formalen Anforderungen, weil sie die tatsächliche Durchführung der streitigen Zahlungen aufgrund der entgeltlichen Wohnrechtseinräumung als aufklärungsbedürftige Tatsache und das Ergebnis einer ggf. durchzuführenden Beweisaufnahme benennt sowie begründet, warum der Mangel aufgrund des Verhaltens des FG nicht mehr in der mündlichen Verhandlung gerügt werden konnte (vgl. Bundesfinanzhof —BFH—, Beschlüsse vom V B 25/02, BFHE 199, 85, BFH/NV 2002, 1407; vom V B 83/02, BFH/NV 2004, 676; vom X B 46/04, BFH/NV 2005, 1132; vom XI B 243/03, BFH/NV 2005, 1586; vom I B 90/05, BFH/NV 2006, 601).
bb) Die Rüge ist auch der Sache nach begründet. Nachdem die Kläger im Anschluss an den vom FG durchgeführten Erörterungstermin ihrer Zusage entsprechend die ladungsfähigen Anschriften der Tochter und ihres früheren Lebensgefährten schriftlich mitgeteilt und zugleich ihre Auffassung über die Entbehrlichkeit einer Vernehmung der Mutter der Klägerin dargelegt hatten, mussten sie nicht mehr von der Beweisbedürftigkeit der streitigen Zahlungen ausgehen, nachdem das FG
- sich ihnen gegenüber —ohne auf eine fortbestehende Notwendigkeit der ladungsfähigen Anschrift der Mutter hinzuweisen— auf die Bitte um Erläuterung der streitigen Mietzahlungen beschränkt und
- auch in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls nach Erörterung der Mietzahlungen nicht auf eine fortbestehende Beweisbedürftigkeit der streitigen Zahlungen hingewiesen hatte.
Bei dieser Sachlage hätte das FG Veranlassung sehen müssen, bei fortbestehenden Zweifeln über die tatsächliche Durchführung der Zahlungen auf die Notwendigkeit einer ergänzenden Beweisaufnahme durch die bereits von den Klägern als Zeugin benannte Mutter und infolgedessen auf die Angabe ihrer ladungsfähigen Anschrift hinzuweisen.
Die Unterlassung dieses Hinweises verletzt auch den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO). Denn ein solcher Verstoß ist insbesondere anzunehmen, wenn auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abgestellt wird, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter —wie hier aufgrund des gerichtlichen Verhaltens vor und in der mündlichen Verhandlung— nicht zu rechnen braucht (vgl. , BFHE 105, 515, BStBl II 1972, 637; vom XI R 85/93, BFHE 177, 377, BStBl II 1995, 732; Beschluss vom III B 5/98, BFH/NV 1998, 1352).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 723 Nr. 4
NAAAC-37735