BFH Urteil v. - I R 18/05

Steuerpflicht von Technischen Fachkräften i.S.d. Art. 73 NATOTrStatZAbk

Gesetze: EStG § 1 Abs. 1; AO § 8

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Kläger und Revisionskläger (Kläger) in den Streitjahren 1997 bis 1999 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sind.

Die Kläger sind US-amerikanische Staatsbürger und seit 1982 miteinander verheiratet. Der Kläger wurde 1944 in X (Nordrhein-Westfalen) geboren, lebte bis 1962 in Deutschland, wanderte in die USA aus und trat 1963 in die US Air Force (USAF) ein. 1966 nahm er unter Verzicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1973 wurde er erstmals zu einer Air-Force-Basis in Deutschland versetzt. Er kehrte 1981 für ein Jahr in die USA zurück, wurde wieder nach Deutschland versetzt, arbeitete von 1986 an für vier Jahre in den USA, wurde schließlich im November 1990 erneut nach Deutschland versetzt und dort im Februar 1993 aus dem Militärdienst entlassen. Von Mai 1993 an war der Kläger in Deutschland für verschiedene US-amerikanische Vertragsunternehmen der USAF im Bereich Computersimulationen nichtselbständig tätig. Die Klägerin arbeitete bis Februar 1996 als Sozialarbeiterin im „US Government Service”. Zu den (deutschen) Eltern des Klägers bestand zunächst nur spärlicher Kontakt, der sich intensivierte, nachdem die Eltern in die Nähe der Kläger gezogen waren. Die gemeinsame Tochter der Kläger lebte zusammen mit ihrem Ehemann und zwei Kindern in den USA.

Von 1991 an lebten die Kläger jeweils in angemieteten Wohnungen außerhalb des Militärstützpunkts X. 1995 erwarben sie an ihrem damaligen Wohnort ein Grundstück, auf dem sie ein eingeschossiges Wohnhaus errichten wollten. Da sich diese Planung nicht verwirklichen ließ, erwarben die Kläger ein zweites Grundstück und verkauften das erste Grundstück. Im Juli 1999 unterzeichneten sie für das zweite Grundstück einen Werkvertrag über die Errichtung eines Hauses. Das Bauprojekt wurde jedoch ebenfalls nicht verwirklicht und das Grundstück im Dezember 1999 veräußert.

Auf einen Hinweis der zuständigen NATO-Prüfstelle hin forderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) den Kläger im Oktober 1999 auf, für die Jahre 1997 und 1998 Einkommensteuererklärungen abzugeben. Der Kläger legte dagegen Einspruch ein und kam der Aufforderung nicht nach. Im Mai 2000 forderte das FA beide Kläger zur Abgabe von Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1997 bis 1999 auf. Die Kläger kamen auch dieser Aufforderung nicht nach. Das FA schätzte daraufhin im September 2000 die Einkünfte der Kläger für die Streitjahre und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide, die unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt wurden.

Mit dem dagegen gerichteten Einspruch trugen die Kläger (u.a.) vor, der Kläger sei als „technical expert” und „non resident” eingestuft worden; darauf beruhe auch sein letzter Arbeitsvertrag. Für den Kauf und Verkauf der beiden Grundstücke seien allein wirtschaftliche Gründe maßgebend gewesen. Sie hätten Geld investieren und ein Einfamilienhaus bauen wollen, in dem sie während der Beschäftigungsdauer des Klägers in Deutschland hätten leben können. Es sei aber nicht beabsichtigt gewesen, den Lebensmittelpunkt von den USA nach Deutschland zu verlegen. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz entschied durch Urteil vom 1 K 2841/01, dass die Kläger in den Streitjahren unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen seien; denn sie hätten im Inland ihren Wohnsitz gehabt und über keinen weiteren Wohnsitz im Ausland verfügt. Auch den Lebensmittelpunkt hätten die Kläger ins Inland verlagert. Das ergebe sich vor allem daraus, dass sie sich während der Streitjahre durchgängig in Deutschland aufgehalten und hier eine gemeinsame Familienwohnung genutzt hätten. Auf Art. 73 Satz 1 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom —NATOTrStatZAbk— (BGBl II 1961, 1218) i.V.m. Art. X Abs. 1 Satz 1 des Abkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom —NATOTrStat— (BGBl II 1961, 1190) könnten sich die Kläger nicht berufen; denn die Erstreckung der Privilegien des Truppenstatuts auf sog. technische Fachkräfte sei für Personen mit Wohnsitz im Bundesgebiet ausgeschlossen.

Mit der Revision machen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts geltend.

Die Kläger beantragen, das vorinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide über Einkommensteuer 1997 bis 1999 einschließlich der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Dessen bisherige Feststellungen lassen eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht zu.

1. Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 der AbgabenordnungAO 1977—). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Wohnung der Kläger diese Voraussetzungen erfüllt.

2. Gemäß Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat gelten jedoch die Zeitabschnitte, in denen sich ein Mitglied einer Truppe oder eines zivilen Gefolges des Entsendestaates nur in dieser Eigenschaft in der Bundesrepublik aufhält, nicht als Zeiten des Aufenthalts oder Wohnsitzes i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG. Entsprechend dem Wortlaut der Bestimmung greift diese Fiktion dann nicht ein, wenn sich eine Person auch aus anderen Gründen im Inland aufhält. Ein solcher Grund kann beispielsweise die Eheschließung mit einem in der Bundesrepublik wohnhaften und berufstätigen Ehepartner sein; zwingend ist dies allerdings nicht (vgl. dazu Senatsurteil vom I R 47/04, BFH/NV 2006, 663, m.w.N.).

Für sog. technische Fachkräfte, deren Dienste eine Truppe benötigt und die im Bundesgebiet ausschließlich für diese Truppe als Berater in technischen Fragen oder zwecks Aufstellung, Bedienung oder Wartung von Ausrüstungsgegenständen arbeiten, ist in Art. 73 Satz 1 NATOTrStatZAbk geregelt, dass sie wie Mitglieder des zivilen Gefolges angesehen und behandelt werden sollen.

3. Die Anwendung der vorstehend genannten Vorschriften des NATOTrStat und des NATOTrStatZAbk wird entgegen der Annahme des FG nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Kläger im Inland einen Wohnsitz i.S. des § 8 AO 1977 gehabt haben. Vielmehr setzen jene Vorschriften gerade voraus, dass die darin genannten Personen ihren Wohnsitz bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

a) Das ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut des Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat, der ausdrücklich daran anknüpft, dass „die Verpflichtung zur Leistung einer Steuer vom Aufenthalt oder Wohnsitz” abhängt. Für das Einkommensteuerrecht begründet § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG eine solche Abhängigkeit. Dementsprechend kommt eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach dieser Bestimmung ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland von vornherein nicht in Betracht, ohne dass es insoweit eines Rückgriffs auf Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat und Art. 73 Satz 1 NATOTrStatZAbk bedürfte. Das bedeutet aber, dass die letztgenannten Regelungen, folgte man der Auffassung des FG, keinen Anwendungsbereich hätten und damit gegenstandslos wären. Zudem ist es gerade der Sinn und Zweck der genannten Bestimmungen, zu verhindern, dass Mitglieder der betroffenen Streitkräfte sowie des zivilen Gefolges und ebenso technische Fachkräfte, die wegen ihrer dienstlichen Tätigkeit außerhalb des Heimatstaates tätig sind und in dem jeweiligen Aufnahmestaat einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt begründen, dort der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht unterworfen werden (vgl. auch —bezogen auf Art. 2 Abs. 3 des Abkommens über die steuerliche Behandlung der Streitkräfte und ihrer Mitglieder, BGBl II 1955, 469— , BFHE 100, 102, BStBl II 1970, 869, 870; ferner: Kutscher/Grewe, Bonner Vertrag und Zusatzvereinbarungen, Anm. III zu Art. 2 des Steuerabkommens zu Art. 33 des Truppenvertrags; App, Deutsche Steuer-Zeitung 1984, 89, 90).

b) Aus diesem Grund kann sich eine entsprechende Einschränkung auch nicht aus Art. 73 Satz 2 Buchst. d NATOTrStatZAbk ergeben. Zwar gilt nach dieser Bestimmung die Verweisung in Satz 1 nicht für Personen, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Doch sollen damit nur solche technischen Fachkräfte von der Privilegierung des Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat ausgenommen werden, die bereits vor Aufnahme ihrer Tätigkeit einen Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet haben und wegen dieses Umstandes (bereits) unbeschränkt steuerpflichtig sind (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2006, 663, unter II.2.d). Davon gehen offensichtlich auch übereinstimmend die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten von Amerika aus (vgl. deutsch-amerikanische Vereinbarung vom über die Auslegung und Anwendung des Art. 73 NATOTrStatZAbk und des Außer-Kraft-Tretens der Vorgängervereinbarung vom (BStBl I 1998, 881, 883, unter 2.b; ferner: Feuerstein/Michel, Der Betrieb —DB— 1993, 1211, 1214). Mitglieder der Streitkräfte, die —wie der Kläger— nach Beendigung ihres aktiven Dienstes eine Tätigkeit als technische Fachkraft aufnehmen, fallen daher regelmäßig nicht unter Art. 73 Satz 2 Buchst. d NATOTrStatZAbk. Sie mögen zwar über einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland verfügen, sind jedoch, soweit sie bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Militärdienst die Voraussetzungen des Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat erfüllt haben, nicht unbeschränkt steuerpflichtig gewesen (sog. „Anschlussprivilegierung"; vgl. hierzu auch die deutsch-amerikanische Vereinbarung vom zu Art. 73 NATOTrStatZAbk, unter 2.c).

c) Das vorinstanzliche Urteil ist aufzuheben, weil das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist.

4. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG wird im zweiten Rechtsgang prüfen müssen, ob sich der Kläger in den Streitjahren nur in seiner Eigenschaft als technische Fachkraft im Inland aufgehalten hat. Dabei geht der erkennende Senat davon aus, dass sich Mitglieder einer Truppe, eines zivilen Gefolges oder technische Fachkräfte immer dann „nur in dieser Eigenschaft” i.S. von Art. X Abs. 1 Satz 1 NATOTrStat im Inland aufgehalten haben, wenn nach den gesamten Lebensumständen erkennbar ist, dass die betreffende Person in dem maßgeblichen Zeitraum fest entschlossen war, nach Beendigung ihres Dienstes in den Ausgangsstaat oder in ihren Heimatstaat zurückzukehren (Senatsurteil in BFH/NV 2006, 663). Abzustellen ist dabei auf die Lebensumstände aus der Sicht des jeweiligen Besteuerungszeitraums, nicht auf das spätere Verhalten des Betreffenden, das allenfalls als Indiz herangezogen werden kann. Die Beweislast trifft in diesem Punkt den Steuerpflichtigen.

Auf die vom FG aufgeworfene Frage, wo sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Kläger in den Streitjahren befunden hat, kommt es insoweit nicht an. Dass die Kläger außerhalb des Kasernengeländes gewohnt haben, ist für sich betrachtet ebenfalls nicht entscheidend.

Fundstelle(n):
HFR 2007 S. 437 Nr. 5
JAAAC-35133