BGH Beschluss v. - IX ZB 257/05

Leitsatz

[1] Zum Antrag auf Wiederaufnahme eines Insolvenzeröffnungsverfahrens über das Vermögen einer GmbH wegen Fehlens eines gesetzlichen Vertreters.

Gesetze: ZPO § 578; ZPO § 579 Nr. 4; InsO § 4

Instanzenzug: AG München 232 C 35061/04 vom LG München I 14 T 21189/04 vom

Gründe

I.

Der weitere Beteiligte beantragte am die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Als Geschäftsführerin der Schuldnerin war zu diesem Zeitpunkt W. im Handelsregister eingetragen. Der weitere Beteiligte war (und ist) zugleich Gesellschafter der Schuldnerin und mit den übrigen Gesellschaftern zerstritten. Er hatte Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen den Gesellschafterbeschluss über die Bestellung der W. erhoben. Die Klage hatte Erfolg. Mit Urteil vom stellte das Landgericht München I die Nichtigkeit des Beschlusses fest. Eine Nichtigkeitsklage gegen einen weiteren Gesellschafterbeschluss vom über die erneute Bestellung der W. hatte ebenfalls Erfolg (Urteil des LG München I vom ).

Am wies das Insolvenzgericht den Antrag mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab. Rechtsanwalt Wa. , ein weiterer Gesellschafter der Schuldnerin, legte eine von W. unterzeichnete Verfahrensvollmacht vor und erhob sofortige Beschwerde. Am bestellten die Gesellschafter der Schuldnerin W. und B. zu Geschäftsführerinnen. Mit Urteil des Landgerichts München I vom wurde die Nichtigkeit auch dieses Beschlusses festgestellt. Am wurde die sofortige Beschwerde der Schuldnerin als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluss wurde Rechtsanwalt Wa. zugestellt.

Bereits vor der Entscheidung über die sofortige Beschwerde, am , war ein Notgeschäftsführer bestellt worden. Dieser zeigte dem Insolvenzgericht am an, dass er am Kenntnis von dem Abweisungsbeschluss erhalten und mittlerweile Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht München eingelegt habe. Die Rechtsbeschwerde wurde an den Bundesgerichtshof weitergeleitet; nach Belehrung über Form und Frist für die Einlegung einer Rechtsbeschwerde fand ein Rechtsbeschwerdeverfahren jedoch nicht statt.

Am hat die durch den Notgeschäftsführer, einen Rechtsanwalt, vertretene Schuldnerin beim Beschwerdegericht "Nichtigkeitsklage" gegen sämtliche im Insolvenzverfahren ergangenen Beschlüsse eingereicht. Das Beschwerdegericht hat die Klage als Antrag auf Wiederaufnahme des Insolvenzverfahrens ausgelegt und diesen durch Beschluss zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihre Anträge auf Aufhebung sämtlicher Beschlüsse weiter.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 4 InsO, 591 ZPO, 6, 7, 34 Abs. 1 InsO statthaft. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Wiederaufnahme (§§ 578 ff ZPO) finden im Insolvenzverfahren nach Eintritt der Rechtskraft eines streitentscheidenden Beschlusses entsprechende Anwendung (vgl. , ZVI 2006, 117, 118). Für den Antrag auf Wiederaufnahme gelten gemäß § 4 InsO, § 585 ZPO die allgemeinen Vorschriften über das Insolvenzverfahren. Rechtsmittel sind insoweit zulässig, als sie gegen die Ausgangsentscheidung zulässig gewesen wären. Das ist hier die Entscheidung des Landgerichts über die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss über die Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind erfüllt.

In der Sache hat die Rechtsbeschwerde Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts über den Wiederaufnahmeantrag sowie der Beschlüsse des Amts- und des Landgerichts über die Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse.

1. Das Beschwerdegericht hat den Wiederaufnahmeantrag für zulässig gehalten. Die Voraussetzungen des Nichtigkeitsgrundes des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO seien jedoch nicht erfüllt, weil die Schuldnerin im Insolvenzverfahren durch die im Handelsregister eingetragene "faktische" Geschäftsführerin W. vertreten gewesen sei und durch diese rechtliches Gehör erhalten habe. Die erst später festgestellte Nichtigkeit der Bestellung könne wegen des Amtscharakters und der Eilbedürftigkeit des Insolvenzverfahrens nicht zu einer die Sachentscheidung des Insolvenzgerichts über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hindernden Prozessunfähigkeit der Schuldnerin führen.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Antrag der Schuldnerin auf Wiederaufnahme des Insolvenzverfahrens ist zulässig und begründet.

a) Der Antrag ist zulässig. In ihrer am , einem Dienstag, beim Landgericht eingegangenen "Nichtigkeitsklage" hat die Schuldnerin die Beschlüsse, welche angefochten werden sollen, bezeichnet sowie den Nichtigkeitsgrund des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO schlüssig dargelegt (§ 587 ZPO). Die Klagefrist des § 586 ZPO wurde gewahrt. Gemäß § 586 Abs. 1 ZPO (analog) sind Wiederaufnahmeanträge innerhalb einer Notfrist von einem Monat einzureichen. Die Frist ist gemäß § 586 Abs. 3 ZPO vom Zeitpunkt der Zustellung des anzufechtenden Beschlusses an die Schuldnerin zu berechnen. Eine wirksame Zustellung ist - das Vorbringen der Schuldnerin als richtig unterstellt - bisher nicht erfolgt. War die Bestellung der Geschäftsführerin W. unwirksam, konnte diese auch Rechtsanwalt Wa. nicht bevollmächtigen, zu dessen Händen der angefochtene Beschluss am zugestellt worden war. Die Nichtigkeitsklage ist ohne Rücksicht auf die Länge der seit Erlass des angefochtenen Urteils verstrichenen Zeit zulässig, wenn das Urteil weder der wieder prozessfähig gewordenen Partei noch zur Zeit ihrer Prozessunfähigkeit ihrem gesetzlichen Vertreter zugestellt worden ist (, FamRZ 1963, 131, 132).

b) Der Antrag ist auch begründet. Die Schuldnerin war im Insolvenzverfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung wird gerichtlich und außergerichtlich durch ihre Geschäftsführer vertreten (§ 35 Abs. 1 GmbHG). Die Schuldnerin hatte jedoch keinen Geschäftsführer. Alle Beschlüsse über die Bestellung der W. (und der weiteren Geschäftsführerin B. ) waren, wie rechtskräftig entschieden ist, unwirksam. Andere Geschäftsführer gab es nicht. Der frühere Geschäftsführer St. hatte sein Amt bereits am , also vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin, niedergelegt.

Ohne einen gesetzlichen Vertreter ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht prozessfähig (§§ 4 InsO, 51 Abs. 1 ZPO). Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist neben der Insolvenzfähigkeit des Schuldners (§ 11 Abs. 1 InsO) auch die Prozessfähigkeit als die Fähigkeit, selbst oder durch bestellte Vertreter Prozesshandlungen wirksam vor- und entgegen zu nehmen (OLG Dresden NJW-RR 2000, 579, 580; OLG Köln ZIP 2000, 280, 282 f). Ein Insolvenzantrag gegen einen nicht prozessfähigen Schuldner muss zurückgewiesen werden (MünchKomm-InsO/Ganter, § 4 Rn. 45; Jaeger/Gerhardt, InsO § 4 Rn. 15; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 4 Rn. 4). Ein nur "faktischer" Geschäftsführer ist nicht der gesetzliche Vertreter der GmbH.

Der Umstand, dass die Schuldnerin noch vor der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss nach § 26 InsO durch die Bestellung des Notgeschäftsführers prozessfähig geworden ist, ändert im Ergebnis nichts. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO setzt zwar voraus, dass die Partei während des gesamten Verfahrens nicht vertreten war (MünchKomm-ZPO/Braun, 2. Aufl. § 579 Rn. 11). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch erfüllt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Notgeschäftsführer erst am Kenntnis von dem Beschluss vom und von den zuvor im Rahmen des Insolvenzverfahrens ergangenen Beschlüssen und Verfügungen erlangt; er hat die Schuldnerin also zu keiner Zeit im Insolvenzverfahren vertreten.

Ob die fehlende Prozessfähigkeit nach dem noch im Wege der Rechtsbeschwerde hätte eingewandt werden können, ist für die Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag ebenfalls ohne Bedeutung. Nach § 579 Abs. 2 ZPO ist die Nichtigkeitsklage dann ausgeschlossen, wenn die Nichtigkeitsgründe gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 1 und 3 ZPO mittels eines Rechtsmittels geltend gemacht werden konnten. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass diese Einschränkung für die übrigen Nichtigkeitsgründe des § 579 Abs. 1 ZPO nicht gilt (Musielak, ZPO 5. Aufl. § 579 Rn. 11). Im hier gegebenen Fall des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO hat die betroffene Partei ein Wahlrecht, ob sie ein Rechtsmittel einlegt oder Nichtigkeitsklage erhebt (BGHZ 84, 24, 27; KG NJW-RR 1987, 1215, 1216; OLG Oldenburg NJW-RR 1989, 446, 447).

III.

1. Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat selbst eine Sachentscheidung über den Wiederaufnahmeantrag zu treffen. Der mit dem die sofortige Beschwerde gegen die Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse zurückgewiesen worden ist, ist aufzuheben. Gleiches gilt für den Beschluss des Insolvenzgerichts vom .

2. Der Antrag auf Aufhebung auch der Beschlüsse vom über die Einholung eines Gutachtens über das Vorliegen eines Insolvenzgrundes und vom über die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung bleibt hingegen ohne Erfolg. Beide Beschlüsse können nicht entsprechend §§ 578 ff ZPO Gegenstand eines Wiederaufnahmeantrags sein, weil es sich nicht um Entscheidungen handelt, welche das Insolvenzverfahren beenden oder auch nur die Rechtsbeziehungen des Schuldners zu den Gläubigern endgültig verbindlich regeln (vgl. aaO); denn Sicherungsmaßnahmen gemäß §§ 21 f InsO können auch noch nach Ablauf der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde (§ 21 Abs. 1 Satz 2 InsO) jederzeit von Amts wegen aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung entfallen sind (HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. § 21 Rn. 54). Es handelt sich auch nicht um Vorentscheidungen, die entsprechend § 583 ZPO aufgehoben werden könnten. Grundlage der Entscheidungen über die Ablehnung des Insolvenzantrags mangels Masse waren nicht die Beschlüsse über die Einholung des Gutachtens und die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, sondern allenfalls das Gutachten sowie die Stellungnahmen des vorläufigen Verwalters selbst.

3. Das Insolvenzgericht wird damit neu über den Antrag des weiteren Beteiligten auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zu befinden haben. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der materiellen Eröffnungsvoraussetzungen ist derjenige der erneuten Entscheidung, weil das Rechtsmittel sich gegen die Abweisung eines Eröffnungsantrags richtet (vgl. , WM 2006, 2086, 2087).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu


Fundstelle(n):
DStR 2007 S. 450 Nr. 10
GmbH-StB 2007 S. 44 Nr. 2
GmbHR 2007 S. 153 Nr. 3
WM 2007 S. 229 Nr. 5
ZIP 2007 S. 144 Nr. 3
WAAAC-35026

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja