Aufrechnung gegen Einkommensteuererstattung in der Wohlverhaltensphase
Leitsatz
Ansprüche des ehemaligen Insolvenzschuldners auf Erstattung von Einkommensteuer gehören nicht zu den in der Wohlverhaltensphase an den Treuhänder abgetretenen Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge (Anschluss an das , BGHZ 163, 391).
Gesetze: AO 1977 § 226 Abs. 1BGB § 387InsO § 287 Abs. 2InsO § 294 Abs. 1 und 3
Instanzenzug: (EFG 2005, 333) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) aus dem Veranlagungszeitraum 1995 Einkommensteuer und damit zusammenhängende Nebenforderungen schuldig. Die Forderung wurde vom FA in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin angemeldet. Das Verfahren ist im September 2002 aufgehoben worden; die Wohlverhaltensphase ist auf fünf Jahre festgesetzt worden.
Mit Steuerbescheid vom Juli 2003 ist die Klägerin —zusammen mit ihrem Ehemann— zur Einkommensteuer 2002 veranlagt worden. Dabei hat sich ein Guthaben ergeben, das das FA so aufgeteilt hat, dass auf die Klägerin ein Betrag von rd. 2 200 € entfallen ist. Zugleich erklärte das FA gegen diese Erstattungsforderung die Aufrechnung mit den bislang unbefriedigt gebliebenen Steuerschulden aus dem Veranlagungszeitraum 1995.
Auf Antrag der Klägerin ist über das Erstattungsguthaben ein Abrechnungsbescheid vom ergangen, in dem das FA das Erlöschen des Erstattungsanspruchs (aufgrund der Aufrechnung und der Auskehrung des Restbetrages an einen Drittschuldner) festgestellt hat. Hiergegen richtet sich die Klage, die das Finanzgericht (FG) durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 333 veröffentlichte Urteil abgewiesen hat.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, zu deren Begründung im Wesentlichen geltend gemacht wird, die Entscheidung des FG sei mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger nicht vereinbar. Die §§ 94 ff. und 294 der Insolvenzordnung (InsO) seien zwar nicht unmittelbar anwendbar. Der vorgenannte Grundsatz gebiete es jedoch trotz Fehlens einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, einzelnen Gläubigern die Möglichkeit zu nehmen, sich hinsichtlich ihrer Insolvenzforderungen vor Erteilung der Restschuldbefreiung in eine bessere Lage zu versetzen, als die übrigen Insolvenzgläubiger sich befinden.
Im Übrigen solle der Schuldner gerade die Möglichkeit haben, durch die Aufnahme einer Tätigkeit in der Wohlverhaltensphase sich eine neue Existenz aufzubauen, ohne dabei durch seine alten Verbindlichkeiten belastet zu sein; würde man die Aufrechnung gegen Steuererstattungsansprüche, die erst in der Wohlverhaltensphase entstehen, zulassen, sei der Sinn und Zweck der Wohlverhaltensphase vernichtet.
Das FA hebt hervor, dass unbeschadet des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger die Aufrechnung zulässig gewesen sei und mit ihr ein Vorrecht des Fiskus nicht ausgeübt werde. Auch andere Insolvenzgläubiger könnten mit während der Wohlverhaltensphase entstandenen Verbindlichkeiten gegen Altforderungen aufrechnen, wenn sich der Insolvenzschuldner auch in der Regel hüten werde, mit solchen Gläubigern neue Rechtsbeziehungen anzuknüpfen, sofern nicht, wie es beim Fiskus der Fall sei, eine „Zwangspartnerschaft” bestehe, die es aber auch gegenüber anderen Gläubigern geben könne.
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung des FA gegen einen Steuererstattungsanspruch der Klägerin, insbesondere die des § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), sind gegeben; das ist nicht strittig oder zweifelhaft und bedarf daher keiner Ausführung.
Aus dem Sinnzusammenhang der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ergibt sich allerdings, dass die Klägerin ihre pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis und an deren Stelle tretende laufende Bezüge für den fraglichen Zeitraum an einen Treuhänder gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO abgetreten hat, um nach Maßgabe des Achten Teils der Insolvenzordnung Befreiung von ihren restlichen Schulden erhalten zu können. Das FA könnte daher gemäß § 294 Abs. 3 InsO mit seiner (Gegen-)Forderung aus der Einkommensteuerfestsetzung 1995 gegen die Klägerin mangels Gegenseitigkeit von Forderung und Gegenforderung nicht aufrechnen, wenn deren (Haupt-)Forderung aus der Einkommensteuerveranlagung 2002 beziehungsweise aus der Aufteilung des dabei entstandenen Erstattungsbetrages von der von der Klägerin erklärten Abtretung ihrer „Bezüge” an einen Treuhänder erfasst wäre, es sei denn das FA wäre auch bei Fortdauer des Insolvenzverfahrens nach § 114 Abs. 2 InsO zur Aufrechnung berechtigt.
Die Forderung der Klägerin ist jedoch nicht abgetreten worden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu inzwischen entschieden (Urteil vom IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391), dass Steuererstattungsansprüche nicht zu den an den Treuhänder abgetretenen Forderungen des Schuldners auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge gehörten und die Aufrechnung gegen sie mit Ansprüchen eines Insolvenzgläubigers folglich nicht nach § 294 Abs. 3 InsO ausgeschlossen sei. Er hat sich dabei maßgeblich auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gestützt, wonach der Anspruch auf Erstattung überzahlter Lohnsteuer unbeschadet seines materiellen Ursprungs in einem Arbeitsverhältnis ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch sei, der den Charakter eines zum Arbeitslohn gehörigen Teils verloren habe, den der Arbeitgeber für die Begleichung der Lohnsteuer gemäß § 38 des Einkommensteuergesetzes einzubehalten und an das FA abzuführen hat. Der an den Steuerpflichtigen zu erstattende Betrag erlange, auch wenn er wirtschaftlich betrachtet das auf den Veranlagungszeitraum entfallende Einkommen erhöhe, nicht wieder den Charakter eines Einkommens, das dem Berechtigten aufgrund einer Arbeits- oder Dienstleistung zusteht (vgl. dazu statt aller , BFH/NV 1999, 738).
Der BGH hat in vorgenannter Entscheidung weiter erkannt und eingehend ausgeführt, dass der InsO auch sonst keine die Aufrechnungsbefugnis von Insolvenzgläubigern in der Wohlverhaltensperiode allgemein ausschließende Bestimmung zu entnehmen sei, insbesondere dieses nicht aus dem Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO hergeleitet werden könne. Eine willkürliche Privilegierung dessen, der sich vor anderen Gläubigern durch Aufrechnung befriedigen kann, liege darin nicht, weil ein solcher Gläubiger —anders als es bei einer Zwangsvollstreckung in das Vermögen des insolventen Schuldners der Fall wäre— Befriedigung nur gegen Aufgabe seiner eigenen Forderung gegen diesen erlangt.
Der erkennende Senat schließt sich den diesbezüglichen überzeugenden Erwägungen des BGH an, die im Wesentlichen der Rechtsprechung auch der FG entsprechen (vgl. , Steuer-Eildienst 2006, 613; des Schleswig-Holsteinischen , EFG 2005, 333; des , EFG 2005, 1826, und vom 11 K 1959/04 AO, EFG 2005, 251; des , EFG 2005, 331; sowie (PKH), Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2004, 1368).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 272
BB 2007 S. 202 Nr. 4
BFH/NV 2007 S. 303 Nr. 2
BStBl II 2008 S. 272 Nr. 8
DStRE 2007 S. 384 Nr. 6
HFR 2007 S. 312 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 3/2007 S. 159
SJ 2007 S. 11 Nr. 8
StB 2007 S. 47 Nr. 2
StBW 2007 S. 6 Nr. 2
StuB-Bilanzreport Nr. 9/2007 S. 364
WPg 2007 S. 172 Nr. 4
ZIP 2007 S. 347 Nr. 7
ZAAAC-34403