Innergemeinschaftlicher Erwerb eines neuen Kfz; Steuerbefreiung nach Art. 10 des EWI-Sitzabkommens
Leitsatz
Der innergemeinschaftliche Erwerb eines neuen Kfz durch Bedienstete des EWI kann auch dann nach § 4b Nr. 3 UStG 1993 i.V.m. Art. 10 des EWI-Sitzabkommens von der Umsatzsteuer befreit sein, wenn der PKW zwar erst nach Aufnahme der Beschäftigung beim EWI erworben, aber als Übersiedlungsgut innerhalb der Frist nach dieser Bestimmung des Abkommens „eingeführt” wurde.
Gesetze: UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5UStG 1993 § 1a Abs. 1 Nr. 1UStG 1993 § 1b Abs. 1UStG 1993 § 1b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1UStG 1993 § 3 Abs. 1UStG 1993 § 3 Abs. 6 Satz 1 und 2UStG 1993 § 3d Satz 1UStG 1993 § 4b Nr. 3Richtlinie 77/388/EWG Art. 14 Abs. 1 Buchst. d und gRichtlinie 77/388/EWG Art. 28a Abs. 3Richtlinie 77/388/EWG Art. 28c Teil B Buchst. bEWI Sitzabkommen Art. 10
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der innergemeinschaftliche Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch die Kläger und Revisionskläger (Kläger) nach Art. 12 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom —Privilegienprotokoll— (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 152 vom , S. 14) oder Art. 10 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Europäischen Währungsinstitut über den Sitz des Instituts vom —EWI-Sitzabkommen— (BGBl II 1996, 654) steuerfrei ist.
Die Kläger, Eheleute und dänische Staatsangehörige, wohnten bis Anfang März 1997 in Dänemark. Nachdem der Klägerin vom Europäischen Währungsinstitut (EWI), aus dem später die Europäische Zentralbank (EZB) hervorgegangen ist, mit Schreiben vom eine Anstellung beim EWI angeboten worden war, nahm sie am ihre Tätigkeit in X —Bundesrepublik— auf. Sie wohnte zunächst provisorisch in einem vom EWI angemieteten Appartement in Y bei X, während der Kläger in Dänemark den Umzug nach X organisierte.
Am kauften die Kläger anlässlich eines Besuchs der Klägerin in Dänemark unter Verwendung ihrer zukünftigen gemeinsamen Adresse in X von einem dänischen Händler einen fabrikneuen PKW, wobei die Lieferung des PKW von dem dänischen Händler als innergemeinschaftliche Lieferung und demgemäß als von der dänischen Umsatzsteuer befreit behandelt wurde. Der PKW wurde am dem Kläger in Dänemark übergeben. Am fuhr der Kläger in dem erworbenen PKW von Dänemark zur neuen Wohnung in X.
Aufgrund der Anmeldung des PKW durch den Kläger bei der Zulassungsstelle der Stadt X übersandte diese eine Kontrollmitteilung an das Finanzamt X (FA X), das daraufhin den Kläger zur Abgabe einer Umsatzsteuererklärung zur Durchführung der Fahrzeugeinzelbesteuerung aufforderte. Daraufhin machten die Kläger geltend, dass die Klägerin Mitarbeiterin des EWI sei, so dass sie, die Kläger, gemäß Art. 12 Buchst. e des Privilegienprotokolls berechtigt gewesen seien, den PKW in die Bundesrepublik „einzuführen”, ohne deutsche Umsatzsteuer entrichten zu müssen. Auf den vom FA X erhobenen Einwand, dass nach Art. 12 Buchst. e des Privilegienprotokolls das Fahrzeug im letzten Aufenthaltsland zu den Bedingungen des Binnenmarkts hätte erworben werden müssen, trugen die Kläger vor, nicht Art. 12 Buchst. e, sondern Art. 12 Buchst. d des Privilegienprotokolls sei einschlägig; dieser stelle nicht auf einen Erwerb zu den Bedingungen des Binnenmarkts im Herkunftsland ab. Daneben beriefen sie sich auf Art. 10 des EWI-Sitzabkommens.
Dem folgte das FA X nicht, sondern erließ am einen an die Kläger gerichteten Umsatzsteuerbescheid über die Fahrzeugeinzelbesteuerung und setzte für den innergemeinschaftlichen Erwerb des PKW Umsatzsteuer fest.
Die ohne Vorverfahren erhobene Klage (Sprungklage) der Kläger, der das FA X zugestimmt hatte, wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Es vertrat in seinem Urteil die Auffassung, bei der Überführung des in Dänemark umsatzsteuerfrei erworbenen PKW nach Deutschland handele es sich um einen innergemeinschaftlichen Erwerb eines neuen Fahrzeugs (§ 1 Abs. 1 Nr. 5, § 1b i.V.m. § 1a des Umsatzsteuergesetzes 1993 —UStG 1993—), der weder nach § 4b Nr. 3 UStG 1993 noch aufgrund von internationalen Abkommen steuerfrei sei.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des Art. 12 Buchst. d des Privilegienprotokolls und des Art. 10 des EWI-Sitzabkommens. Sie machen geltend, das FG habe den innergemeinschaftlichen Erwerb der Kläger zu Unrecht als nicht von der Umsatzsteuer befreit angesehen. Die Steuerbefreiung folge unmittelbar aus Art. 12 Buchst. d des Privilegienprotokolls und Art. 10 des EWI-Sitzabkommens.
Während des Revisionsverfahrens hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) mitgeteilt, dass die Zuständigkeit im Streitfall auf ihn übergegangen sei.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung und den Umsatzsteuerbescheid des FA X vom aufzuheben. Sie regen hilfsweise an, den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) um eine Vorabentscheidung zu ersuchen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es verteidigt unter Wiederholung des bisherigen Vorbringens des FA X die angefochtene Vorentscheidung.
II.
Die Revision der Kläger ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG ist im Streitfall zwar zu Recht davon ausgegangen, dass der Erwerb des PKW durch die Kläger als innergemeinschaftlicher Erwerb in Deutschland umsatzsteuerbar ist. Der innergemeinschaftliche Erwerb ist aber —entgegen der Auffassung des FG— nach § 4b Nr. 3 UStG 1993 i.V.m. Art. 10 des EWI-Sitzabkommens von der Umsatzsteuer befreit.
1. Revisionsbeklagter ist infolge gesetzlichen Beteiligtenwechsels (vgl. , zur Veröffentlichung bestimmt, unter II.1., m.w.N.) das FA geworden, weil aufgrund von § 2 Nr. 16 der Verordnung über die Zuständigkeiten der hessischen Finanzämter vom (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Hessen I 2003, 335) die Zuständigkeit auf das FA übergegangen ist.
2. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Erwerb des PKW durch die Kläger als innergemeinschaftlicher Erwerb im Inland steuerbar ist.
a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG 1993 unterliegt der deutschen Umsatzsteuer der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt.
§ 1a Abs. 1 UStG 1993 lautet wie folgt:
„Ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt liegt vor, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Ein Gegenstand gelangt bei einer Lieferung an den Abnehmer (Erwerber) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates oder aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in die in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebiete, auch wenn der Lieferer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat;….
2. der Erwerber ist
a) ein Unternehmer, der den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt, oder
b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt, und
3. die Lieferung an den Erwerber
a) wird durch einen Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt und
b) ist nach dem Recht des Mitgliedstaates, der für die Besteuerung des Lieferers zuständig ist, nicht auf Grund der Sonderregelung für Kleinunternehmer steuerfrei.”
b) Nach § 1b Abs. 1 UStG 1993 ist auch der Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch einen Erwerber, der nicht zu den in § 1a Abs. 1 Nr. 2 genannten Personen gehört, unter den Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 Nr. 1 innergemeinschaftlicher Erwerb. Fahrzeuge im Sinne dieser Vorschrift sind u.a. motorbetriebene Landfahrzeuge mit einem Hubraum von mehr als 48 Kubikzentimetern oder einer Leistung von mehr als 7,2 Kilowatt (§ 1b Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993).
c) Der innergemeinschaftliche Erwerb wird nach § 3d Satz 1 UStG 1993 in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet. Nach § 3 Abs. 6 Satz 2 UStG 1993 ist Befördern jede Fortbewegung eines Gegenstandes. Eine Beförderung liegt auch vor, wenn der Gegenstand der Lieferung mit eigener Kraft fortbewegt wird, z.B. bei Kfz auf eigener Achse (gl.A. Abschn. 30 Abs. 2 Satz 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien —UStR— 1996/2005).
d) Ausgehend davon hat das FG zu Recht angenommen, dass im Streitfall ein steuerbarer innergemeinschaftlicher Erwerb des PKW in Deutschland bewirkt wurde, weil nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die Kläger mit dem dänischen Verkäufer des PKW vereinbart hatten, dass Bestimmungsort des PKW X war, und der PKW deshalb --wie sich aus dem Kaufvertrag, auf den das FG Bezug genommen hat, ergibt— nur mit sog. „Grenzkennzeichen” versehen wurde. Dass die Beförderung durch den Kläger vom bis zum kurzfristig unterbrochen wurde, ist insoweit unschädlich (vgl. Stadie in Rau/ Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 3d Anm. 15 und § 1a Anm. 31; siehe nunmehr auch Abschn. 42e Abs. 1 Satz 7 UStR 2002/2005 zu § 3b Abs. 3 Satz 3 UStG 1999/2005). Diese Beurteilung trägt dem Gedanken des Abschn. XVIa der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) Rechnung, dass die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat verlagert werden sollen, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt (vgl. , EMAG Handel Eder OHG, BFH/NV 2006, Beilage 3, 294, RandNrn. 30 f., 39 f.). Dies ist im Streitfall Deutschland.
e) Der Erwerb erfolgte nach dem der Lieferung zugrunde liegenden schuldrechtlichen Kaufvertrag durch beide Kläger.
3. Die Vorentscheidung war jedoch aufzuheben, weil das FG zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass § 4b Nr. 3 UStG 1993 und Art. 10 des EWI-Sitzabkommens auf den innergemeinschaftlichen Erwerb durch die Kläger nicht anzuwenden sind.
a) Nach § 4b Nr. 3 UStG 1993, Art. 28c Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist steuerfrei der innergemeinschaftliche Erwerb der Gegenstände, deren Einfuhr (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG 1993, Art. 2 Nr. 2, Art. 7 der Richtlinie 77/388/EWG) nach den für die Einfuhrumsatzsteuer geltenden Vorschriften (§ 5 UStG 1993, Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG) steuerfrei wäre.
b) Nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG ist u.a. steuerfrei:
„. d) die endgültige Einfuhr von Gegenständen, für die eine andere als im Gemeinsamen Zolltarif vorgesehene Zollbefreiung gilt. .
g) die Einfuhr von Gegenständen .
- .
- durch internationale Einrichtungen, die von den Behörden des Aufnahmelandes als solche anerkannt sind, sowie von den Mitgliedern dieser Einrichtungen, und zwar in den Grenzen und zu den Bedingungen, die in den internationalen Übereinkommen über die Gründung dieser Einrichtungen oder in den Abkommen über den Sitz festgelegt sind. .”
c) Soweit hier von Interesse, bestimmt das EWI-Sitzabkommen:
„Art. 10 Befreiung von Einfuhrabgaben für Bedienstete
Bei erstmaliger Aufnahme ihrer Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland werden Bedienstete des EWI und die in ihrem Haushalt lebenden Familienmitglieder hinsichtlich der Einfuhr von in ihrem Besitz befindlichem Übersiedlungsgut von der Zahlung von Einfuhrabgaben befreit. Das gleiche gilt für Kraftfahrzeuge, jedoch hinsichtlich deren Einfuhr aus Drittländern nur, wenn sie dort vor der Einfuhr mindestens für einen Zeitraum von sechs Monaten von dem Bediensteten benutzt worden sind. Derartige Waren sind in der Regel innerhalb von zwölf Monaten nach der ersten Einreise solcher Personen in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen; in begründeten Fällen wird diese Zeitspanne jedoch verlängert. .”
Dieses Abkommen hat Deutschland durch Art. 1 der Verordnung zum EWI-Sitzabkommen vom (BGBl II 1996, 653) in Kraft gesetzt.
d) Entgegen der Auffassung des FG liegen die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 4b Nr. 3 UStG 1993 i.V.m. Art. 10 des EWI-Sitzabkommens im Streitfall vor.
aa) Das FG hat § 4b UStG 1993, der nach deutschem Recht die Steuerbefreiung des innergemeinschaftlichen Erwerbs allgemein regelt, im Streitfall nicht für einschlägig gehalten. Hinsichtlich des Art. 10 des EWI-Sitzabkommens ist es davon ausgegangen, dass diese Vertragsbestimmung im Streitfall nicht zugunsten der Kläger anwendbar sei, weil der PKW erst nach der erstmaligen Aufnahme der Beschäftigung beim EWI am durch die Klägerin in Dänemark gekauft und in Besitz genommen worden sei. Damit handele es sich bei dem PKW nicht, wie Art. 10 des EWI-Sitzabkommens für die Befreiung von den Einfuhrabgaben voraussetze, um ein Kfz, das sich bei der erstmaligen Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin in deren Besitz befand; es sei auch nicht gerechtfertigt, Art. 10 des EWI-Sitzabkommens über seinen Wortlaut hinaus zugunsten der Kläger auszudehnen.
bb) Dies hält bereits hinsichtlich der Nichtanwendung des § 4b Nr. 3 UStG 1993 einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Steuerbefreiung des innergemeinschaftlichen Erwerbs folgt nicht unmittelbar aus dem Privilegienprotokoll oder dem EWI-Sitzabkommen. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BFH die Einfuhrumsatzsteuer eine Einfuhrabgabe (, BFH/NV 2006, 1781, unter II.2., letzter Absatz; gl.A. Witte, Zollkodex, Art. 4 Rz. 2, Stichwort „Einfuhrabgaben"; a.A. vgl. Lux/Lichtenberg in Dorsch, Zollrecht, Art. 4 ZK Rz. 27). Dies gilt jedoch nicht für die Umsatzsteuer auf innergemeinschaftliche Erwerbe, wie Art. 28c Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG belegt, den der deutsche Gesetzgeber durch § 4b Nr. 3 UStG 1993 umgesetzt hat. Nur aufgrund der Verweisung dieser Normen führt eine Befreiung von Einfuhrumsatzsteuer oder Einfuhrabgaben zu einer Steuerbefreiung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs.
cc) Soweit das FG weiter die Auffassung vertreten hat, Art. 10 Satz 1 und 2 des EWI-Sitzabkommens setzten voraus, dass sich das Kfz bereits „bei erstmaliger Aufnahme der Beschäftigung” im Besitz der Begünstigten befunden haben müsse, folgt der Senat auch dieser Beurteilung nicht. Art. 10 Satz 1 des EWI-Sitzabkommens setzt nach seinem Wortlaut lediglich voraus, dass sich das Übersiedlungsgut „bei der Einfuhr” im Besitz der Begünstigten befindet. Die Einfuhr muss innerhalb der durch Art. 10 Satz 3 des EWI-Abkommens vorgesehenen Frist von 12 Monaten nach der ersten Einreise erfolgen, ohne dass es hierfür auf den Zeitpunkt der Aufnahme der Beschäftigung ankäme. Auch für die Berechnung der Sechsmonatsfrist des Art. 10 Abs. 2 Halbsatz 2 des EWI-Sitzabkommens ist auf den Zeitpunkt der Einfuhr und nicht auf den Zeitpunkt der Aufnahme der Beschäftigung abzustellen.
4. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid war antragsgemäß aufzuheben, weil die Voraussetzungen des Art. 10 des EWI-Sitzabkommens im Streitfall vorliegen und der innergemeinschaftliche Erwerb der Kläger deshalb nach § 4b Nr. 3 UStG 1993 steuerfrei ist.
a) Die Klägerin war Bedienstete des EWI und lebte mit ihrem Ehemann, dem Kläger, in einem gemeinsamen Haushalt. Der PKW der Kläger befand sich zum Zeitpunkt der Beförderung nach Deutschland in ihrem Besitz. Die Befreiung von Einfuhrabgaben auf „Übersiedlungsgut” gilt nach Art. 10 Satz 2 Halbsatz 1 des EWI-Sitzabkommens ausdrücklich auch für Kfz.
b) Die Einschränkung des Art. 10 Satz 2 Halbsatz 2 des EWI-Sitzabkommens, der voraussetzt, dass der Bedienstete das Kfz vor der Einfuhr sechs Monate genutzt haben muss, greift —entgegen der Auffassung des FA— im Streitfall nicht ein; denn die Kläger führten den PKW nicht —was Art. 10 Satz 2 Halbsatz 2 des EWI-Sitzabkommens erfordert— aus einem Drittland (§ 1 Abs. 2a Satz 3 UStG 1993) ein, sondern beförderten ihn aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet (§ 1 Abs. 2a Satz 1 UStG 1993) nach Deutschland.
aa) Der Senat geht davon aus, dass die Vertragsparteien mit der Formulierung in Art. 10 Satz 2 des EWI-Sitzabkommens „Das gleiche gilt für Kraftfahrzeuge, jedoch hinsichtlich deren Einfuhr aus Drittländern nur, wenn ...” zum Ausdruck gebracht haben, dass sie die Einfuhr von Kfz aus Drittländern und das Verbringen von Kfz aus „Nicht-Drittländern” (dem übrigen Gemeinschaftsgebiet) in das Inland unterschiedlich behandeln wollten; das Erfordernis der vorherigen Benutzung durch den Bediensteten sollte erkennbar nur für Kfz, die aus Drittländern nach Deutschland verbracht werden, gelten. Dies trifft auf den PKW der Kläger, der aus Dänemark stammt, nicht zu.
bb) Aus der gleichzeitigen Verwendung des Begriffs „Einfuhr” in Art. 10 Satz 1 und 2 des EWI-Sitzabkommens folgt nichts anderes. Die Vertragsparteien haben zwar jedes Verbringen von Übersiedlungsgut und Kfz nach Deutschland unterschiedslos als „Einfuhr” bezeichnet, obwohl das Verbringen von Waren aus einem Drittland seit der Änderung des § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG 1993 durch das Gesetz zur Anpassung des Umsatzsteuergesetzes und anderer Rechtsvorschriften an den EG-Binnenmarkt vom (BGBl I 1992, 1548) zum Grundvoraussetzung der Einfuhr und das Verbringen von Waren aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland seither keine Einfuhr mehr ist (z.B. Husmann in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 1 Anm. 1065, 1067; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 1 Rz. 468; Weymüller in Dorsch, Zollrecht, Art. 1 Rz. 33; zur gleichen Beurteilung im Zollrecht siehe Witte, Zollkodex, Art. 1 Rz. 6 und Art. 4 Rz. 2, Stichworte „Drittland” und „Einfuhr”). Die Bezeichnung (auch) des innergemeinschaftlichen Verbringens von Übersiedlungsgut oder von Kfz als „Einfuhr”, die der Rechtslage vor dem entsprach, führt dennoch nicht zur Anwendung des Art. 10 Satz 2 Halbsatz 2 EWI-Sitzabkommen auf den Streitfall. Die im Wortlaut des Satzes 2 klar angelegte Unterscheidung nach der Herkunft des Kfz aus dem Gemeinschaftsgebiet oder aus einem Drittland darf nicht nivelliert werden. Sonst würde ihr jede praktische Wirksamkeit genommen.
c) Da die Kläger den PKW auch innerhalb der Frist des Art. 10 Satz 3 des EWI-Sitzabkommens nach Deutschland verbracht haben, wäre seine „Einfuhr” von Einfuhrabgaben befreit gewesen. Dies hätte nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFH/NV 2006, 1781, unter II.2.) unmittelbar für die Einfuhrumsatzsteuer gegolten. Über § 4b Nr. 3 UStG 1993, Art. 28c Teil B Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG führt Art. 10 des EWI-Sitzabkommens auch zur Steuerbefreiung des innergemeinschaftlichen Erwerbs.
d) Der Hinweis des FG, die Gewährung einer Steuerbefreiung führe zu einem unerwünschten „unversteuerten Endverbrauch” und zu einer Ungleichbehandlung, führt zu keiner anderen Beurteilung. Dass die Vorrechte und Befreiungen des EWI-Sitzabkommens zu einem „unversteuerten Endverbrauch” führen, haben die Vertragsparteien in Kauf genommen, wie z.B. das Recht des EWI auf „Erstattung” von Umsatzsteuer nach Art. 7 des EWI-Sitzabkommens belegt (zur Reichweite dieses Vorrechts vgl. , EZB/Deutschland, BFH/NV Beilage 2006, 156, bzgl. EZB). Was den Grundsatz der Gleichbehandlung anbetrifft, hat der EuGH ausgesprochen, dass die Bediensteten der Gemeinschaft steuerrechtlichen Sonderregeln unterliegen, die sich von anderen Arbeitnehmern unterscheiden (, Schilling, Slg. 2003, I-13389, BFH/NV 2004, Beilage 1, 4, RandNr. 29). Der EuGH legt die Vorrechte und Befreiungen der Gemeinschaft und ihrer Bediensteten weit aus, um deren praktische Wirksamkeit nicht zu gefährden (vgl. zuletzt Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl vom C-437/04, Kommission/Belgien, RandNrn. 38 ff., 42, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH).
e) Der Senat hält diese Auslegung des Art. 10 des EWI-Sitzabkommens für gemeinschaftsrechtlich zweifelsfrei, so dass er nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteile vom Rs. 283/81, C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415, Neue Juristische Wochenschrift 1983, 1257; vom C-495/03, Intermodal Transports, Slg. 2005, I-8151, BFH/NV 2006, Beilage 1, 43) von einem Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 234 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 i.V.m. Art. 117 Abs. 9 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft absehen darf.
5. Ob die Klägerin und der Kläger daneben eine Steuerbefreiung nach Art. 12 des Privilegienprotokolls mit Erfolg geltend machen könnten, bedarf keiner Entscheidung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 672
BB 2007 S. 202 Nr. 4
BFH/NV 2007 S. 368 Nr. 2
BStBl II 2007 S. 672 Nr. 14
DStRE 2007 S. 309 Nr. 5
HFR 2007 S. 374 Nr. 4
INF 2007 S. 131 Nr. 4
KÖSDI 2007 S. 15426 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15426 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 4/2007 S. 237
StB 2007 S. 44 Nr. 2
StBW 2007 S. 5 Nr. 2
UR 2007 S. 145 Nr. 4
UStB 2007 S. 64 Nr. 3
UVR 2007 S. 101 Nr. 4
VAAAC-34400