Außerordentliche Einkünfte eines Freiberuflers aus einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit
Leitsatz
Die Annahme außerordentlicher Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG setzt voraus, dass die Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten eine Progressionswirkung typischerweise erwarten lässt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit —hier eines Freiberuflers— aufgrund einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zusammengeballt zufließt.
Gesetze: EStG § 34 Abs. 2 Nr. 4
Instanzenzug: (EFG 2005, 1871) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2001) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden.
Der Kläger ist Diplom-Psychologe. Im Jahre 1993 sowie in den folgenden Jahren und auch im Streitjahr erzielte er als Psychotherapeut Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
Durchschnittlich erzielte er 90 v.H. seiner Einnahmen in den Jahren 1993 bis 2001 aus Kassenabrechnungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung.
Im Streitjahr ermittelte der Kläger in seiner Einnahmenüberschussrechnung einen Gewinn von 350 344,05 DM. Dabei erfasste er u.a. aus den laufenden Abrechnungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung für 2001 Betriebseinnahmen in Höhe von 149 278 DM sowie eine Nachzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung für die Jahre 1993 bis 1998 in Höhe von 228 258,70 DM.
Der Nachzahlung ging eine rechtliche Auseinandersetzung mit der Kassenärztlichen Vereinigung voraus. Aufgrund einer vom Landessozialgericht als zu niedrig erkannten Punktbewertung der vom Kläger erbrachten Leistungen in den Jahren 1993 bis 1998 durch die Kassenärztliche Vereinigung kam es im Jahr 2001 zu der Nachzahlung.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung begehrten die Kläger, die erhaltene Nachzahlung in Höhe von 228 259 DM als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten ermäßigt zu besteuern.
Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) nicht und behandelte die Nachzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung als laufenden Gewinn.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1871 veröffentlichten Gründen statt.
Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt,
das Urteil des aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Entgegen der vom FA vertretenen Rechtsansicht handelt es sich bei der dem Kläger im Streitjahr zugeflossenen Nachzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung in Höhe von 228 258,70 DM um eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr gültigen Fassung.
1. Nach § 34 Abs. 1 EStG sind außerordentliche Einkünfte ermäßigt zu besteuern. Außerordentliche Einkünfte sind u.a. aufgrund der Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs —RFH— (vgl. , RStBl 1940, 601, 602, und vom VI 264/41, RStBl 1942, 19, 20) und des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Einkünfte aus selbständiger Arbeit nur dann den außerordentlichen Einkünften zuzuordnen, wenn der Steuerpflichtige sich während mehrerer Jahre ausschließlich einer bestimmten Sache gewidmet und die Vergütung dafür in einem einzigen Veranlagungszeitraum erhalten hat oder wenn eine sich über mehrere Jahre erstreckende Sondertätigkeit, die von der übrigen Tätigkeit des Steuerpflichtigen ausreichend abgrenzbar ist und nicht zum regelmäßigen Gewinnbetrieb gehört, in einem einzigen Veranlagungszeitraum entlohnt wird (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 73, 236, BStBl III 1961, 354; vom IV 275/59 U, BFHE 73, 730, BStBl III 1961, 532; vom IV R 13/89, BFHE 160, 229, BStBl II 1990, 621, m.w.N.; vom I R 119/91, BFH/NV 1993, 593, und vom I R 98/92, BFH/NV 1994, 775, sowie , BFH/NV 2001, 1546). Außer in diesen Fällen liegen außerordentliche Einkünfte aus Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG auch dann vor, wenn eine einmalige Sonderzahlung für langjährige Dienste aufgrund einer arbeitnehmerähnlichen Stellung geleistet wird (, BFHE 208, 110, BStBl II 2005, 276; aus jüngerer Zeit Senatsbeschluss vom IV B 76/03, BFH/NV 2005, 1788).
b) An dieser an Sinn und Zweck der Vorschrift des § 34 EStG orientierten Auslegung hat sich insbesondere durch die grundlegende Neufassung des § 34 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz (StEntlG) 1999/2000/2002 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) nichts geändert. An die Stelle der bis zum Veranlagungszeitraum 1998 einschließlich gültigen Regelung des § 34 Abs. 3 EStG a.F. für eine „Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit” trat die Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG n.F. Mit der Neuregelung des § 34 EStG verfolgte der Gesetzgeber aus Gründen der Steuer- und Verwaltungsvereinfachung das Ziel, die bis einschließlich 1998 geltenden Differenzierungen zwischen den einzelnen Arten der außerordentlichen Einkünfte mit unterschiedlichen Entlastungsregelungen zu beseitigen (BTDrucks 14/23, S. 183 zu Nummer 33 —§ 34—). Dabei wollte der Gesetzgeber aber nicht von der bislang höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale der außerordentlichen Einkünfte und der Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit abweichen. Dies zeigt die Übernahme der Tatbestandsmerkmale „Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten” und die ausdrückliche Zuordnung zu den außerordentlichen Einkünften durch die Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG (Senatsbeschluss in BFH/NV 2005, 1788; s. weiter Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34 EStG Anm. 60 und 65; Schmidt/Seeger, EStG, 25. Aufl., § 34 Rz. 38 und 47; Sieker in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34 Rdnr. A 87 ff. und B 129 ff.; Offerhaus in Festschrift für Kruse, S. 405, S. 409; im Ergebnis auch Blümich/Lindberg, § 34 EStG Rz. 67 f. und 59 f.).
2. a) Zutreffend führt das FG aus, dass der Kläger die Nachzahlung weder dafür erhalten hat, dass er sich während mehrerer Jahre ausschließlich einer bestimmten Sache gewidmet hat, noch für eine sich über mehrere Jahre erstreckende Sondertätigkeit, die von der übrigen Tätigkeit des Klägers ausreichend abgrenzbar wäre und nicht zum regelmäßigen Gewinnbetrieb gehörte.
b) Bei der Zahlung der Kassenärztlichen Vereinigung an den Kläger handelt es sich aber auch nicht um eine einmalige Sonderzahlung für langjährige Dienste aufgrund einer arbeitnehmerähnlichen Stellung (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 208, 110, BStBl II 2005, 276, und Senatsbeschluss in BFH/NV 2005, 1788). Anders als in dem vom XI. Senat des BFH im Urteil in BFHE 208, 110, BStBl II 2005, 276 entschiedenen Ausnahmefall hatte der Kläger keine arbeitnehmerähnliche Stellung inne. Er erhielt auch keine Sonderzahlung für langjährige treue Dienste, ähnlich einer Jubiläumszuwendung.
3. a) Gleichwohl ist im Streitfall die Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG einschlägig. Sie soll bewirken, dass die steuerliche Belastung bei Einkünften, die dem Steuerpflichtigen für eine mehrjährige Tätigkeit zufließen, möglichst nicht höher ist, als wenn ihm in jedem der mehreren Jahre ein Anteil zugeflossen wäre (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 593, unter B. 3. der Gründe). Gerade deshalb setzt die Annahme außerordentlicher Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG voraus, dass die Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten eine entsprechende Progressionswirkung typischerweise erwarten lässt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn —wie im Streitfall— eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit aufgrund einer vorausgegangenen rechtlichen Auseinandersetzung zusammengeballt zufließt.
b) Eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG liegt zwar nicht schon bei einer bloßen Nachzahlung von im Vorjahr verdienten Vergütungen vor (vgl. , BFH/NV 1992, 381, und aus jüngerer Zeit vom VI R 46/99, BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289, m.w.N.; ebenso Blümich/Lindberg, § 34 EStG Rz. 64). Die Nachzahlung der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund der nicht ausreichenden Stützung der Punktwerte (dazu , BSGE 84, 235) für die Jahre 1993 bis 1998 im Jahr 2001 ist jedoch bereits deshalb „mehrjährig”, weil der Zufluss im Jahr 2001 insgesamt mehrere Jahre betrifft. Der Umstand, dass sich die zugeflossene Vergütung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten Einzeljahr zugerechnet werden können, steht der Annahme einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nicht entgegen (vgl. aus jüngerer Zeit BFH-Urteil in BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289, m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 180
BB 2007 S. 196 Nr. 4
BFH/NV 2007 S. 342 Nr. 2
BStBl II 2007 S. 180 Nr. 5
DB 2007 S. 143 Nr. 3
DStRE 2007 S. 353 Nr. 6
DStZ 2007 S. 82 Nr. 4
EStB 2007 S. 43 Nr. 2
FR 2007 S. 502 Nr. 10
HFR 2007 S. 237 Nr. 3
INF 2007 S. 168 Nr. 5
KÖSDI 2007 S. 15424 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15424 Nr. 2
NJW 2007 S. 943 Nr. 13
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2008 S. 1336
NWB-Eilnachricht Nr. 27/2007 S. 2260
NWB-Eilnachricht Nr. 3/2007 S. 161
SJ 2007 S. 6 Nr. 6
StB 2007 S. 43 Nr. 2
StBW 2007 S. 4 Nr. 2
StuB-Bilanzreport Nr. 3/2007 S. 117
YAAAC-34396