§ 75 Abs. 1 Satz 1 AO bezieht sich nicht auf die Steuerfestsetzung gegenüber dem bisherigen Betriebsinhaber
Gesetze: AO § 75
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) betreibt vor dem Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren wegen der Einkommensteuerbescheide und der Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 sowie wegen steuerlicher Nebenleistungen. Über diese Klage hat das FG bisher nicht entschieden. Die Antragstellerin beantragte die Vollziehung (AdV) der genannten Bescheide auszusetzen und ihr für dieses AdV-Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen. Der Aufforderung des Berichterstatters des FG, die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei PKH (§ 117 Abs. 2 der Zivilprozessordnung —ZPO— i.V.m. § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) zu ergänzen und die entsprechenden Belege einzureichen, kam die anwaltlich vertretene Antragstellerin nicht nach.
Durch Beschlüsse vom lehnte das FG den Antrag auf Bewilligung von PKH und den AdV-Antrag ab.
Gegen den Beschluss betreffend die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH legte die durch einen Steuerbevollmächtigten vertretene Antragstellerin „Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision” ein. Sie macht geltend, das FG habe ihren Antrag auf PKH zu Unrecht abgelehnt. Die AdV-Entscheidung des FG sei fehlerhaft. Das FG habe nicht vorab über die PKH entschieden. Das FG habe es versäumt, die Antragstellerin darüber zu belehren, dass es auf ihre Vermögensverhältnisse ankomme. Es hätte sie daher erneut auffordern müssen, die für die Beurteilung der PKH erforderlichen Unterlagen einzureichen. Der AdV-Antrag sei auch zulässig gewesen, denn es habe der Antragstellerin die Vollstreckung gedroht. Hinsichtlich der angefochtenen Steuerbescheide sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Auch sei gemäß § 4 Abs. 2 der Betriebsprüfungsordnung (BpO) im Falle der Übertragung eines Unternehmens im Ganzen eine Änderung von Steuerbescheiden nur möglich, wenn diese innerhalb einer Frist von zwölf Monaten ergehen und der geänderte Bescheid dem Rechtsnachfolger zugestellt werde.
II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher zu verwerfen.
1. Die Beschwerde ist unzulässig. Denn gemäß § 128 Abs. 2 FGO können Beschlüsse im Verfahren der PKH nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
2. Der Rechtsbehelf der Antragstellerin kann auch nicht in eine außerordentliche Beschwerde umgedeutet werden. Dies folgt bereits daraus, dass eine außerordentliche Beschwerde wegen sog. greifbarer Gesetzeswidrigkeit seit dem zum erfolgten Inkrafttreten des § 133a FGO nicht mehr statthaft ist (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII B 181/05, BFHE 211, 37, BStBl II 2006, 188, und vom V S 25/05, BFH/NV 2006, 1128).
3. Ergänzend weist der erkennende Senat darauf hin, dass der Vortrag der Antragstellerin nicht aufzeigt, dass der angefochtene Beschluss fehlerhaft wäre.
a) Zwar kann es rechtsfehlerhaft sein, wenn ein FG nicht vorab über den Antrag auf PKH entscheidet, sondern sogleich eine Entscheidung in dem Verfahren trifft, auf das sich der PKH-Antrag bezieht. In einem solchen Fall kann das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verletzt sein. Danach darf einer weniger finanziell bemittelten Person im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung nicht unverhältnismäßig erschwert werden (Bundesverfassungsgericht 1. Senat, 2. Kammer, Kammerbeschluss vom 1 BvR 1281/04, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2005, 140). Ein solcher Verstoß kann aber nur in Betracht kommen, wenn der Antragsteller seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der nach § 117 Abs. 2, Abs. 4 ZPO gebotenen Weise gegenüber dem Gericht offenlegt. Geschieht dies nicht, dann kann der Antrag auf PKH schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben, weil der Antragsteller nicht dargelegt hat, dass er zum Personenkreis der weniger finanziell bemittelten Personen gehört. Auch auf diesen Gesichtspunkt hat das FG seine Entscheidung in dem PKH-Verfahren gestützt. In einem solchen Fall besteht daher kein Grund, die Entscheidung des Verfahrens, für das PKH beansprucht wird, zurückzustellen, zumal wenn es sich wie im Streitfall um ein AdV-Verfahren und damit um einen Eilfall handelt.
b) Entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin war das FG auch nicht gehalten, dieser erneut aufzugeben, die gemäß § 117 Abs. 2, Abs. 4 ZPO erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Denn bei einem anwaltlich vertretenen Antragsteller kann das Gericht davon ausgehen, dass dieser die genannten Vorschriften kennt. Erst recht muss dies gelten, wenn der Berichterstatter des FG wie im Streitfall darum gebeten hat, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu ergänzen und die entsprechenden Belege vorzulegen (vgl. auch Senatsbeschluss vom X S 15/05 (PKH), BFH/NV 2005, 2249).
c) Soweit die Antragstellerin geltend macht, das FG hätte ihrem Antrag auf PKH entsprechen müssen, weil ihre beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussicht geboten habe, trifft dies nicht zu. Ihrem Vortrag, der von ihr gestellte AdV-Antrag sei zulässig, ist aus den vom FG im AdV-Beschluss vom (1 V 276/05) genannten Gründen nicht zu folgen. Dass ein angefochtener Steuerbescheid eine Zahlungsaufforderung hinsichtlich der noch nicht getilgten Steuerschuld enthält, bedeutet nicht, dass damit dem Steuerpflichtigen ohne weiteres i.S. von § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO eine Vollstreckung drohen würde. Diese Voraussetzung ist erst dann erfüllt, wenn die Finanzbehörde mit der Vollstreckung begonnen hat oder eine solche unmittelbar bevorsteht (, BFH/NV 2002, 940).
d) Auch soweit die Antragstellerin meint, die angefochtenen Steuerbescheide hätten wegen bereits eingetretener Festsetzungsverjährung nicht ergehen dürfen, trifft dies aus den vom FG im PKH-Beschluss vom (1 K 275/05) genannten Gründen nicht zu. Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht aus § 4 Abs. 2 BpO. Diese Verwaltungsvorschrift befasst sich mit dieser Frage nicht. Auch der Anwendungserlass zur Abgabenordnung enthält in Nr. 4.2 zu § 75 der Abgabenordnung (AO 1977) keine den Steuerschuldner betreffende Aussage. Vielmehr wird dort nur zutreffend zum Ausdruck gebracht, dass ein Haftungsbescheid gegenüber dem Betriebsübernehmer ergehen kann, wenn die von dieser Vorschrift erfassten Steuern gegenüber dem Veräußerer innerhalb der Jahresfrist des § 75 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 festgesetzt worden sind. Von dieser Haftungsschuld ist aber die Steuerschuld des bisherigen Betriebsinhabers streng zu trennen. Denn diese Vorschrift enthält keinen Fall der Gesamtrechtsnachfolge (, BFHE 141, 312, BStBl II 1984, 695 zur Vorgängervorschrift des § 116 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung).
Fundstelle(n):
MAAAC-34374