OFD Münster - Kurzinfo Verfahrensrecht 29/2006

Neue Entwicklungen im Bereich Massenverfahren; Änderungen durch das Jahressteuergesetz 2007

Im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen wurde über die geplanten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Erledigung von Masseneinsprüchen informiert.

Aufgrund der Vielzahl von Einsprüchen wurden die geplanten Änderungen nachträglich in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Durch die Änderung der §§ 172, 367 AO im Jahressteuergesetz 2007 (JStG 2007) ist nunmehr die Erledigung von Änderungsanträgen und Einsprüchen durch Allgemeinverfügung möglich. Darüber hinaus sieht § 367 Absatz 2a AO in der Fassung des JStG 2007 (n.F.) die Möglichkeit der Teileinspruchsentscheidung vor.

Dagegen wurde die Regelung einer Einspruchsrücknahmefiktion ebenso nicht in das Gesetz aufgenommen, wie die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Vorläufigkeit (§ 165 AO) auf sog. Mischfälle, in denen neben der Verfassungsmäßigkeit auch einfachgesetzliche Fragen zur Auslegung einer Norm streitig sind.

Das Jahressteuergesetz 2007 ist am im Bundesgesetzblatt verkündet worden (BGBl. 2006 I S. 2878). Nach Art. 20 Abs. 1 JStG 2007 sind die neuen Regelungen damit am in Kraft getreten.

• Allgemeinverfügung

Mit dem neuen Absatz 2b des § 367 AO ist dem BMF die Möglichkeit eingeräumt worden, durch Allgemeinverfügung sowohl Anträge (§ 172 Abs. 3 AO n.F.) als auch Einsprüche (§ 367 Abs. 2b AO n.F.) zurückzuweisen, die eine vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, vom Bundesverfassungsgericht oder vom Bundesfinanzhof entschiedene Rechtsfrage betreffen.

Sofern ein Einspruchsverfahren betroffen ist, hat der jeweilige Steuerpflichtige die Möglichkeit, innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe der Allgemeinverfügung Klage zu erheben. Durch diese verlängerte Klagefrist wird der Rechtsweggarantie hinreichend Rechnung getragen. Beklagter ist das jeweils zuständige FA und nicht das BMF.

Der Erlass einer Allgemeinverfügung durch das BMF steht in seinem Ermessen. Das BMF wird von der Möglichkeit einer Allgemeinverfügung nur in „Massenfällen” Gebrauch machen.

Die Allgemeinverfügung ist der Öffentlichkeit durch Veröffentlichung im Bundessteuerblatt und auf den Internetseiten des BMF bekannt zu geben (§ 367 Abs. 2b S. 3 AO n.F.). Daneben kann es angezeigt sein, die Allgemeinverfügung auch durch Pressemitteilungen und durch Aushänge in den FÄ der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie gilt am Tag nach der Herausgabe des Bundessteuerblattes als bekannt gegeben.

Für die Praxis hat dies zur Folge, dass Massenverfahren zukünftig nicht mehr einzeln aufgegriffen und abgewickelt werden müssen, sondern durch Allgemeinverfügung erledigt werden können. Dies gilt selbst dann, wenn die obergerichtliche Entscheidung bereits vor Inkrafttreten des JStG 2007 ergangen ist und die Allgemeinverfügung erst nach diesem Zeitpunkt im Bundessteuerblatt veröffentlicht wird (Beispiel: Grundsteuer; § 6 Abs. 12 EGAO n.F.).

Für das Massenverfahren „Grundsteuer” bedeutet dies, dass eingegangene Anträge bzw. Einsprüche nicht durch Einzelentscheidung erledigt werden müssen, sondern zunächst abzuwarten bleibt, ob eine Allgemeinverfügung erlassen wird.

Entsprechendes gilt für das Massenverfahren „Solidaritätszuschlag”. Insbesondere ist eine Erledigung dieser Fälle durch Aufnahme einer Vorläufigkeit in die betroffenen Steuerbescheide nicht erforderlich.

Damit für die Austragung der „Masseneinsprüche” aus der maschinellen Rechtsbehelfsliste, die nach der Bekanntgabe einer Allgemeinverfügung als erledigt gelten, kein zusätzlicher Zeitaufwand erforderlich wird, wird zur Zeit geprüft, ob es möglich ist, die Erledigung dieser Einsprüche zentral speichern zu lassen.

• Teileinspruchsentscheidung

Im Jahressteuergesetz 2007 wurde § 367 Abs. 2 AO u.a. um folgenden Absatz 2a ergänzt:

„(2a) Die Finanzbehörde kann vorab über Teile des Einspruchs entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Sie hat in dieser Entscheidung zu bestimmen, hinsichtlich welcher Teile Bestandskraft nicht eintreten soll.”

Der neue Absatz 2a ermöglicht es den FÄ, in einer förmlichen Einspruchsentscheidung zunächst nur über Teile des Einspruchs zu befinden.

Durch die Verpflichtung der Finanzverwaltung, in der Teileinspruchsentscheidung ausdrücklich zu bestimmen, hinsichtlich welcher Teil Bestandskraft nicht eintritt, wird Klarheit darüber geschaffen, inwieweit der Steuerfall „offen” bleibt.

Der Erlass einer Teileinspruchsentscheidung hat nicht zur Folge, dass stets noch eine „Endeinspruchsentscheidung” ergehen muss. Das Einspruchsverfahren kann beispielsweise auch dadurch abgeschlossen werden, dass die Finanzbehörde dem Einspruch hinsichtlich der zunächst offen gebliebenen Frage abhilft, der Steuerpflichtige seinen Einspruch zurücknimmt oder durch Allgemeinverfügung eine Einspruchsentscheidung fingiert wird.

Die teilweise Erledigung eines Einspruchs durch Teileinspruchsentscheidung bietet sich insbesondere dann an, wenn es sich um umfangreiche Einsprüche handelt, die teilweise Rechtsfragen mit Bezug zu anhängigen Verfahren aufwerfen und deshalb insoweit noch nicht entschieden werden können oder sollen, im Übrigen aber entscheidungsreif sind.

Für den Bereich der Massenverfahren sind dies solche Fälle, in denen neben der durch das jeweilige Massenverfahren betroffenen Rechtsfrage noch weitere Punkte tatsächlich oder rechtlich streitig sind. In derartigen Fällen können diese Streitpunkte im Rahmen einer Teileinspruchsentscheidung vorab erledigt werden. Diese Verfahrensweise bietet sich insbesondere in Fällen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung und/oder mit komplizierten Sachverhaltsfragen an.

Dagegen ist es grundsätzlich nicht erforderlich, in „reinen” Massenrechtsbehelfsfällen (keine sonstigen Streitpunkte) in jedem Fall den Einspruch im Übrigen nur deshalb durch Teileinspruchsentscheidung zurückzuweisen, damit der betroffene Fall aufgrund der dann eintretenden Teilbestandskraft nicht mehr vollumfänglich „offen” bleibt. Vielmehr ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, ob in solchen Fällen eine Teileinspruchsentscheidung geboten ist.

Statistisch soll der Einspruch bereits mit Ergehen der Teileinspruchsentscheidung als erledigt gelten.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten zur Teileinspruchsentscheidung, insbesondere zu der noch ausstehenden technischen Umsetzung, ergeht in Kürze eine gesonderte Kurzinformation.

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Fundstelle(n):
JAAAC-34362