Erlaubnisvorbehalt für die gewerbsmäßige Kreditvergabe gegenüber Angehörigen eines Drittstaates
Leitsatz
[1] Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) hat die Erlaubnis, in Deutschland gewerbsmäßig Bankgeschäfte zu betreiben, solchen Unternehmen zu versagen, die nicht ihre Hauptverwaltung oder eine Zweigstelle in Deutschland haben. Gegen diese Bestimmung hatte eine Schweizer Gesellschaft geklagt, die vor dem Verbot durch die BAFin über ihren Internetauftritt 90 % der Kredite an in Deutschland wohnende Personen vergab. Diegewerbsmäßige Kreditvergabe steht grundsätzlich in einer Beziehung sowohl zum freien Dienstleistungsverkehr als auch zum freien Kapitalverkehr, auf den sich im Gegensatz zur Dienstleistungsfreiheit auch Angehörige aus Drittstaaten berufen können. Jedoch sei die den freien Kapitalverkehr beschränkende Wirkung nur eine zwangsläufige Folge der für die Erbringung von Dienstleistungen auferlegten Beschränkungen. Aus diesem Grund muss (jedenfalls) eine in einem Drittstaat ansässige Gesellschaft die oben beschriebene Regelung des § 33 Abs. 1 Nr. 6 KWG gegen sich gelten lassen.
Gesetze: EG Art. 234; EG Art. 49; EG Art. 56; EG Art. 58
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 49 EG, 56 EG und 58 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Klage der Fidium Finanz AG (im Folgenden: Fidium Finanz), einer Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz, gegen einen Bescheid der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: Bundesanstalt), mit dem diese Behörde ihr untersagte, in Deutschland ansässigen Kunden gewerbsmäßig Kredite zu gewähren, weil sie nicht über die nach deutschem Recht erforderliche Erlaubnis verfüge.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Die Artikel 49 EG bis 55 EG regeln den freien Dienstleistungsverkehr. Artikel 49 Absatz 1 EG verbietet Beschränkungen dieser Freiheit innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind.
4 Die Artikel 56 EG bis 60 EG betreffen den freien Kapitalverkehr. Artikel 56 Absatz 1 EG sieht vor, dass im Rahmen der Bestimmungen des Titels III Kapitel 4 "Der Kapital- und Zahlungsverkehr" des EG-Vertrags alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten sind.
5 In der Einleitung des die Überschrift "Nomenklatur für den Kapitalverkehr gemäß Artikel 1 der Richtlinie" tragenden Anhangs I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom zur Durchführung von dem durch den Vertrag von Amsterdam aufgehobenen Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5) heißt es:
"...
Der in dieser Nomenklatur genannte Kapitalverkehr umfasst:
- alle für die Durchführung des Kapitalverkehrs erforderlichen Geschäfte: Abschluss und Ausführung der Transaktion und damit zusammenhängende Transferzahlungen. ...
...
- die Kredit- oder Darlehensrückzahlungen.
Diese Nomenklatur ist keine erschöpfende Aufzählung zur Definition des Begriffs des Kapitelverkehrs; sie enthält nämlich eine Rubrik XIII - F ,Sonstiger Kapitalverkehr: Verschiedenes'. Sie ist mithin nicht im Sinne einer Einschränkung des Geltungsbereichs des in Artikel 1 dieser Richtlinie niedergelegten Grundsatzes einer vollständigen Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu verstehen."
6 Diese Nomenklatur umfasst 13 verschiedene Kategorien von Kapitalverkehr. In Rubrik VIII dieser Nomenklatur mit der Überschrift "Darlehen und Finanzkredite" sind die Darlehen und Kredite von Gebietsfremden an Gebietsansässige aufgeführt.
Nationales Recht
7 Nach § 1 Absatz 1 des Gesetzes über das Kreditwesen in seiner Fassung vom (BGBl. 1998 I, S. 2776) (Kreditwesengesetz - KWG) sind "Kreditinstitute" "Unternehmen, die Bankgeschäfte gewerbsmäßig oder in einem Umfang betreiben, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert", und "Bankgeschäfte" u. a. "die Gewährung von Gelddarlehen und Akzeptkrediten (Kreditgeschäft)".
8 § 1 Absatz la KWG definiert "Finanzdienstleistungsinstitute" als "Unternehmen, die Finanzdienstleistungen für andere gewerbsmäßig oder in einem Umfang erbringen, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert ...".
9 § 32 Absatz 1 Unterabsatz 1 KWG lautet:
"Wer im Inland gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen will, bedarf der schriftlichen Erlaubnis der Bundesanstalt; ...
..."
10 § 33 Absatz 1 Unterabsatz 1 Nummer 6 KWG sieht vor, dass die Erlaubnis zu versagen ist, wenn das Institut seine Hauptverwaltung nicht im Inland hat.
11 Nach § 53 Absatz 1 KWG gilt, wenn ein Unternehmen mit Sitz im Ausland eine Zweigstelle im Inland unterhält, die Bankgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen erbringt, die Zweigstelle als Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut.
12 § 53b Absatz 1 KWG sieht eine besondere Regelung vor, der Kreditinstitute mit Sitz in einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums unterworfen sind.
13 Nach einem Merkblatt der Bundesanstalt vom liegt ein Betreiben von Bankgeschäften oder Erbringen von Finanzdienstleistungen "im Inland" im Sinne von § 32 KWG vor, "wenn der Erbringer der Dienstleistung seinen Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat und sich im Inland zielgerichtet an den Markt wendet, um gegenüber Unternehmen und/oder Personen, die ihren Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wiederholt und geschäftsmäßig Bankgeschäfte oder Finanzdienstleistungen anzubieten".
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
14 Fidium Finanz ist eine Gesellschaft schweizerischen Rechts, die ihren Sitz und ihre Hauptverwaltung in St. Gallen (Schweiz) hat. Sie vergibt Kredite im Umfang von 2 500 oder von 3 500 Euro zu einem Effektivzins von 13,94 % p. a. an im Ausland ansässige Kunden.
15 Nach den von Fidium Finanz vorgelegten Angaben werden etwa 90 % der von ihr gewährten Kredite an in Deutschland wohnende Personen vergeben. Die in Rede stehenden Kredite seien zunächst an deutsche Staatsbürger mit Wohnsitz in Deutschland vergeben worden, die bestimmte Voraussetzungen erfüllt hätten. Später habe die Zielgruppe aus Arbeitnehmern mit Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat bestanden, die diese Voraussetzungen erfüllt hätten. Eine Schufa-Auskunft werde vor der Kreditvergabe nicht eingeholt.
16 Die betreffenden Kredite werden über einen Internetauftritt angeboten, der von der Schweiz aus verwaltet wird. Von dieser Seite können die Kunden die erforderlichen Dokumente herunterladen, um sie auszufüllen und per Post Fidium Finanz zuzusenden. Die Kredite werden auch über in Deutschland tätige Kreditvermittler angeboten. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts handeln diese weder als Vertreter noch als Bevollmächtigte von Fidium Finanz. Sie schließen Verträge für diese und erhalten eine Provision.
17 Fidium Finanz verfügt nicht über die Erlaubnis nach § 32 Absatz 1 Unterabsatz 1 KWG für das Betreiben von Bankgeschäften und die Erbringung von Finanzdienstleistungen in Deutschland. Hinsichtlich ihrer Tätigkeit in der Schweiz unterliegt sie den Rechtsvorschriften dieses Landes über Konsumentenkredite, jedoch galt nach Angaben des vorlegenden Gerichts zur Zeit der im Ausgangsverfahren maßgebenden Ereignisse das Erfordernis, eine Bewilligung nach diesen Rechtsvorschriften zu erwirken, nicht für schweizerische Unternehmen, die Kredite ausschließlich im Ausland vergeben.
18 Da die Bundesanstalt der Ansicht war, dass Fidium Finanz Bankgeschäfte "im Inland" gemäß § 32 KWG im Sinne des Merkblatts vom betreibe, teilte sie dieser mit, dass sie für ihre Tätigkeit der Kreditvergabe eine Erlaubnis einholen müsse. Fidium Finanz vertrat allerdings die Meinung, dass für ihre Tätigkeit keine Erlaubnis einer deutschen Behörde erforderlich sei, da sie keine Tätigkeit "im Inland" im Sinne des KWG, sondern vielmehr "für das Inland" in Deutschland ausübe.
19 Mit Bescheid vom untersagte die Bundesanstalt Fidium Finanz u. a., das Kreditgeschäft gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, dadurch zu betreiben, dass sie an in Deutschland ansässige Kunden zielgerichtet herantritt. Fidium Finanz vertrat die Meinung, dass dieser Bescheid wie auch der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid der Bundesanstalt eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne der Artikel 56 ff. EG darstelle, und erhob daher Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main.
20 Da das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main der Ansicht ist, dass zur Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits die Auslegung von Bestimmungen des Vertrages erforderlich sei, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann sich ein Unternehmen, das in einem Staat außerhalb der Europäischen Union, hier der Schweiz, seinen Sitz hat, für die gewerbsmäßig betriebene Vergabe von Krediten an Einwohner eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, hier der Bundesrepublik Deutschland, gegenüber diesem Mitgliedstaat und gegenüber den Maßnahmen seiner Behörden oder Gerichte auf die Kapitalverkehrsfreiheit nach Artikel 56 EG berufen, oder unterfallen die Anbahnung, Gewährung und Abwicklung derartiger Finanzdienstleistungen allein der Dienstleistungsfreiheit nach Maßgabe der Artikel 49 ff. EG?
2. Kann sich ein Unternehmen mit Sitz in einem Staat außerhalb der Europäischen Union auf die Kapitalverkehrsfreiheit nach Artikel 56 EG berufen, wenn es Kredite gewerbsmäßig oder ganz überwiegend an Einwohner, die innerhalb der Europäischen Union ansässig sind, gewährt und seinen Sitz in einem Land hat, in dem es für die Aufnahme und Durchführung dieser Geschäftstätigkeit weder dem Erfordernis einer vorherigen Erlaubnis durch eine staatliche Behörde dieses Landes noch dem Erfordernis einer laufenden Überwachung seiner Geschäftstätigkeit in einer Art unterliegt, wie sie für Kreditinstitute innerhalb der Europäischen Union und hier insbesondere innerhalb der Bundesrepublik Deutschland üblich ist, oder stellt die Berufung auf die Kapitalverkehrsfreiheit in einem solchen Fall einen Rechtsmissbrauch dar?
Kann ein solches Unternehmen im Hinblick auf das Recht der Europäischen Union mit den im Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaats ansässigen Personen und Unternehmen hinsichtlich der Erlaubnispflicht gleich behandelt werden, obwohl es seinen Sitz nicht in diesem Mitgliedstaat hat und dort auch keine Zweigstelle unterhält?
3. Greift eine Regelung in die Kapitalverkehrsfreiheit nach Artikel 56 EG ein, nach der die gewerbsmäßige Gewährung von Krediten durch ein Unternehmen mit Sitz in einem Staat außerhalb der Europäischen Union an Einwohner innerhalb der Europäischen Union davon abhängig gemacht wird, dass zuvor eine Erlaubnis bei einer Behörde des betreffenden Mitgliedstaats der Europäischen Union eingeholt werden muss, in dem die Kreditnehmer ansässig sind?
Kommt es insoweit darauf an, ob die ungenehmigte gewerbsmäßige Kreditvergabe einen Straftatbestand oder nur eine Ordnungswidrigkeit darstellt?
4. Ist das unter Ziffer 3 dieses Fragenkatalogs genannte Erfordernis der vorherigen Erlaubnis durch Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b EG gerechtfertigt, insbesondere im Hinblick auf
- den Schutz der Kreditnehmer vor vertraglichen und finanziellen Verpflichtungen gegenüber Personen, die nicht zuvor auf ihre Zuverlässigkeit geprüft wurden,
- den Schutz dieses Personenkreises vor nicht ordnungsgemäß arbeitenden Unternehmen oder Personen hinsichtlich ihrer Buchhaltung, der ihnen aufgrund allgemeiner Regelungen obliegenden Beratungs- und Informationspflichten gegenüber den Kunden,
- den Schutz dieses Personenkreises vor unangemessener oder missbräuchlicher Werbung,
- die Gewährleistung einer hinreichenden finanziellen Ausstattung des kreditvergebenden Unternehmens,
- den Schutz des Kapitalmarktes vor einer unkontrollierten Vergabe von Großkrediten,
- den Schutz des Kapitalmarktes und der Gesellschaft insgesamt vor kriminellen Machenschaften, wie sie insbesondere Gegenstand der Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche oder des Terrorismus sind?
5. Ist die Ausgestaltung eines an sich gemeinschaftsrechtlich zulässigen Genehmigungserfordernisses im Sinne der Ziffer 3 dieses Fragenkatalogs von Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b EG gedeckt, wonach die Erteilung einer Erlaubnis zwingend voraussetzt, dass das Unternehmen seine Hauptverwaltung oder zumindest eine Zweigstelle in dem betreffenden Mitgliedstaat unterhält, insbesondere um
- eine Kontrolle der Geschäftsabläufe und -vorgänge durch die Organe des betreffenden Mitgliedstaats tatsächlich und effektiv, d. h. auch kurzfristig oder unvorhergesehen zu ermöglichen,
- die Geschäftsabläufe und -vorgänge anhand der im Mitgliedstaat vorhandenen oder vorzuhaltenden Unterlagen vollständig nachvollziehbar zu machen,
- auf persönlich Verantwortliche des Unternehmens im Hoheitsbereich des Mitgliedstaats Zugriff zu haben,
- die Erfüllung finanzieller Ansprüche von Kunden des Unternehmens innerhalb des Mitgliedstaats zu gewährleisten oder zumindest zu erleichtern?
21 In der mündlichen Verhandlung hat der Anwalt von Fidium Finanz dem Gerichtshof mitgeteilt, dass die zuständigen Behörden des Kantons St. Gallen dieser Gesellschaft im März 2005 eine Erlaubnis für die Vergabe von Konsumentenkrediten erteilt haben.
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
22 Das vorlegende Gericht möchte mit seinem Vorabentscheidungsersuchen wissen, ob die Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe eine Dienstleistung darstellt und unter die Artikel 49 ff. EG fällt und/oder ob sie in den Anwendungsbereich der Artikel 56 ff. EG über die Kapitalverkehrsfreiheit fällt. Für den Fall, dass unter den im Ausgangsrechtsstreit gegebenen Umständen die letztgenannten Bestimmungen anzuwenden sind, möchte es wissen, ob diese Bestimmungen einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach der es für die Ausübung dieser Tätigkeit im Inland durch ein Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat einer vorherigen Erlaubnis bedarf und diese Erlaubnis u. a. dann zu versagen ist, wenn das betreffende Unternehmen nicht seine Hauptverwaltung oder eine Zweigstelle im Inland hat (im Folgenden: streitige Regelung).
23 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die streitige Regelung für Unternehmen gilt, die ihren Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums haben. Die in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums ansässigen Kreditinstitute unterliegen nämlich nach § 53b Absatz 1 KWG einer besonderen Regelung, die nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens ist.
24 Wie aus den Randnummern 14 und 15 des vorliegenden Urteils hervorgeht, vergibt Fidium Finanz, die ihren Sitz in der Schweiz hat, gewerbsmäßig Kredite an in Deutschland wohnende Personen.
25 Im Gegensatz zu dem den freien Kapitalverkehr betreffenden Kapitel des Vertrages enthält dasjenige über den freien Dienstleistungsverkehr keine Bestimmung, wonach dessen Vorschriften Dienstleistungserbringern, die nicht in der Europäischen Union ansässige Drittstaatsangehörige sind, zugute kämen. Wie der Gerichtshof in seinem Gutachten 1/94 vom (Slg. 1994, I-5267, Randnr. 81) festgestellt hat, ist Ziel des letztgenannten Kapitels, den freien Dienstleistungsverkehr zugunsten der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Daher kann sich ein Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat nicht auf die Artikel 49 ff. EG berufen.
26 Im Übrigen war zum Zeitpunkt der im Ausgangsverfahren maßgebenden Ereignisse das am in Luxemburg unterzeichnete Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (ABl. 2002, L 114, S. 6), das u. a. darauf abzielt, die Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zu erleichtern, noch nicht in Kraft getreten.
27 Somit stellt sich die Frage nach der Abgrenzung und dem Verhältnis zwischen den Vertragsbestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr auf der einen und denen über den freien Kapitalverkehr auf der anderen Seite.
28 Hierzu ist dem Wortlaut der Artikel 49 EG und 56 EG sowie deren Platzierung in zwei verschiedenen Kapiteln des Titels III des Vertrages zu entnehmen, dass diese Bestimmungen zwar in einem engen Zusammenhang miteinander stehen, aber zur Regelung unterschiedlicher Situationen bestimmt sind und jeweils einen unterschiedlichen Anwendungsbereich haben.
29 Dies wird u. a. durch Artikel 51 Absatz 2 EG bestätigt, der zwischen den mit dem Kapitalverkehr verbundenen Dienstleistungen der Banken und Versicherungen einerseits und dem freien Kapitalverkehr andererseits unterscheidet und vorsieht, dass die Liberalisierung dieser Dienstleistungen "im Einklang mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs" durchgeführt wird.
30 Es lässt sich gewiss nicht ausschließen, dass in bestimmten speziellen Fällen eine nationale Bestimmung, die sich zugleich auf die Dienstleistungsfreiheit und auf die Kapitalverkehrsfreiheit bezieht, die Ausübung beider Freiheiten gleichzeitig behindern kann.
31 Vor dem Gericht ist die Ansicht vertreten worden, dass unter diesen Voraussetzungen im Hinblick auf den Wortlaut des Artikels 50 Absatz 1 EG die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr gegenüber denjenigen über den freien Kapitalverkehr nur subsidiär gälten.
32 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Zwar enthält die in Artikel 50 Absatz 1 EG vorgesehene Definition des Begriffes "Dienstleistungen" den Hinweis, dass es sich um Leistungen handelt, die "nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen", jedoch erfolgt dieser Hinweis auf der Ebene der Definition dieses Begriffes, ohne zwischen der Dienstleistungsfreiheit und den übrigen Grundfreiheiten einen Vorrang festzulegen. Der Begriff "Dienstleistungen" deckt nämlich die nicht von den übrigen Freiheiten erfassten Leistungen mit dem Ziel ab, keine wirtschaftliche Tätigkeit aus dem Geltungsbereich der Grundfreiheiten herausfallen zu lassen.
33 Ein solcher Vorrang kann auch nicht aus Artikel 51 Absatz 2 EG abgeleitet werden. Diese Bestimmung richtet sich namentlich an den Gemeinschaftsgesetzgeber und ist mit der potenziell unterschiedlichen Entwicklung bei der Liberalisierung der Dienstleistungen auf der einen und des Kapitalverkehrs auf der anderen Seite zu erklären.
34 Betrifft aber eine innerstaatliche Maßnahme sowohl den freien Dienstleistungsverkehr als auch den freien Kapitalverkehr, ist zu prüfen, inwieweit diese Maßnahme die Ausübung dieser Grundfreiheiten berührt und ob unter den im Ausgangsverfahren gegebenen Umständen eine von ihnen hinter die andere zurücktritt (vgl. entsprechend Urteile vom in der Rechtssache C-71/02, Karner, Slg. 2004, I-3025, Randnr. 47, und vom in der Rechtssache C-36/02, Omega, Slg. 2004, I-9609, Randnr. 27, sowie Urteil des EFTA-Gerichtshofes vom in der Sache State Management Debt Agency/Islandsbanki-FBA, E-1/00, EFTA Court Report 2000-2001, S. 8, Randnr. 32). Der Gerichtshof prüft die in Rede stehende Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser beiden Freiheiten, wenn sich herausstellt, dass unter den Umständen des Einzelfalls eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann (vgl. entsprechend Urteile vom in der Rechtssache C-275/92, Schindler, Slg. 1994, I-1039, Randnr. 22, vom in der Rechtssache C-390/99, Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I-607, Randnr. 31, Karner, Randnr. 46, Omega, Randnr. 26, und vom in der Rechtssache C-20/03, Burmanjer u. a., Slg. 2005, I-4133, Randnr. 35).
35 Auf das Vorabentscheidungsersuchen ist vor diesem Hintergrund zu antworten.
Zur ersten Frage
36 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich ein Unternehmen, das seinen Sitz in einem Drittstaat hat, für die gewerbsmäßig betriebene Vergabe von Krediten an Einwohner eines Mitgliedstaats auf die Kapitalverkehrsfreiheit nach Artikel 56 EG berufen kann, oder ob die Anbahnung, Gewährung und Abwicklung derartiger Finanzdienstleistungen allein unter die Dienstleistungsfreiheit nach den Artikeln 49 ff. EG fallen.
37 Die Bundesanstalt, die deutsche und die griechische Regierung, Irland sowie die italienische und die portugiesische Regierung sind der Ansicht, dass es sich bei der Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe um eine Dienstleistung im Sinne des Artikels 50 Absatz 1 EG handele und die Artikel 56 ff. EG unter den im Ausgangsrechtsstreit gegebenen Umständen nicht anwendbar seien. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften und Fidium Finanz vertreten die Meinung, dass die in Rede stehende Tätigkeit unter die Kapitalverkehrsfreiheit falle und dass diese Gesellschaft sich auf Artikel 56 EG berufen könne.
38 Zunächst ist festzustellen, zu welcher Grundfreiheit die Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe, wie sie von Fidium Finanz ausgeübt wird, in einer Beziehung steht.
39 Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Tätigkeit der Kreditvergabe durch ein Kreditinstitut eine Dienstleistung im Sinne des Artikels 49 EG dar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom in der Rechtssache C-484/93, Svensson und Gustavsson, Slg. 1995, I-3955, Randnr. 11, und vom in der Rechtssache C-222/95, Parodi, Slg. 1997, I-3899, Randnr. 17). Im Übrigen bezweckt die Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. L 126, S. 1) die Regelung u. a. der Tätigkeit der Kreditvergabe unter dem doppelten Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs.
40 Zwar ist Fidium Finanz kein Kreditinstitut im Sinne des Gemeinschaftsrechts, da ihre Tätigkeit nicht darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder vom Publikum entgegenzunehmen, gleichwohl handelt es sich bei ihrer Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe um eine Dienstleistung.
41 Der Vertrag enthält keine Definition des Begriffes "Kapitalverkehr". Da jedoch Artikel 56 EG im Wesentlichen den Inhalt des Artikels 1 der Richtlinie 88/361 übernommen hat und ungeachtet dessen, dass diese Richtlinie auf die Artikel 69 und 70 Absatz 1 EWG-Vertrag gestützt ist (die Artikel 67 bis 73 EWG-Vertrag sind durch die Artikel 73b EG-Vertrag bis 73g EG-Vertrag ersetzt worden, jetzt Artikel 56 EG bis 60 EG), behält die Nomenklatur für den Kapitalverkehr im Anhang zu dieser Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung ihren Hinweischarakter für die Definition des Begriffes des Kapitalverkehrs (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom in der Rechtssache C-222/97, Trummer und Mayer, Slg. 1999, I-1661, Randnr. 21, vom in den Rechtssachen C-515/99, C-519/99 bis C-524/99 und C-526/99 bis C-540/99, Reisch u. a., Slg. 2002, I-2157, Randnr. 30, und vom in der Rechtssache C-513/03, Van Hilten-van der Heijden, Slg. 2006, I-1957, Randnr. 39).
42 Die Darlehen und Kredite von Gebietsfremden an Gebietsansässige sind in der Rubrik VIII des Anhangs I der Richtlinie 88/361 genannt, die die Überschrift "Darlehen und Finanzkredite" trägt. Nach den Begriffsbestimmungen zu diesem Anhang umfasst diese Kategorie u. a. die Konsumentenkredite.
43 Folglich steht die Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe grundsätzlich in einer Beziehung sowohl zum freien Dienstleistungsverkehr im Sinne der Artikel 49 ff. EG als auch zum freien Kapitalverkehr im Sinne der Artikel 56 ff. EG.
44 Daher ist zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit die streitige Regelung die Ausübung dieser beiden Freiheiten unter den im Ausgangsverfahren gegebenen Umständen berührt und sie behindern kann.
45 Der Akte ist zu entnehmen, dass die in Rede stehende Regelung zu den deutschen Rechtsvorschriften betreffend die Aufsicht über die Unternehmen gehört, die Bankgeschäfte betreiben und Finanzdienstleistungen anbieten. Sie hat den Zweck, die Erbringung solcher Dienstleistungen zu überwachen und sie nur Unternehmen zu erlauben, die eine ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte gewährleisten. Ist dem Wirtschaftsteilnehmer der Zugang zum innerstaatlichen Markt gestattet, die Anbahnung des Darlehens erfolgt und der Darlehensvertrag unterzeichnet, wird dieser Vertrag erfüllt und der Darlehensbetrag materiell auf den Darlehensnehmer übertragen.
46 Die streitige Regelung bewirkt, dass der Zugang zum deutschen Finanzmarkt solchen Wirtschaftsteilnehmern verwehrt wird, die nicht über die nach dem KWG erforderliche Eignung verfügen. Nach ständiger Rechtsprechung sind als Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. u. a. Urteil vom in der Rechtssache C-439/99, Kommission/Italien, Slg. 2002, I-305, Randnr. 22). Wenn schon das Erfordernis einer Erlaubnis eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, ist das Erfordernis einer festen Niederlassung faktisch die Negation dieser Freiheit. Ein solches Erfordernis ist nur zulässig, wenn es nachweislich eine unerlässliche Voraussetzung für die Erreichung des verfolgten Zieles ist (vgl. u. a. Urteile Parodi, Randnr. 31, und Kommission/Italien, Randnr. 30).
47 Angesichts der in Randnummer 25 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen kann sich ein Unternehmen, das wie Fidium Finanz seinen Sitz in einem Drittstaat hat, nicht auf die Artikel 49 ff. EG berufen.
48 Was den freien Kapitalverkehr im Sinne der Artikel 56 ff. EG betrifft, so bewirkt die fragliche Regelung dadurch, dass sie Finanzdienstleistungen, die von nicht im Europäischen Wirtschaftsraum ansässigen Unternehmen angeboten werden, für die in Deutschland ansässigen Kunden weniger leicht zugänglich macht, möglicherweise, dass diese Kunden die betreffenden Dienstleistungen weniger häufig in Anspruch nehmen und dass sich somit die mit diesen Dienstleistungen zusammenhängenden grenzüberschreitenden Geldströme vermindern. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine zwangsläufige Folge der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs (vgl. in diesem Sinne Urteile Omega, Randnr. 27, und vom in der Rechtssache C-196/04, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Slg. 2006, I-0000, Randnr. 33; vgl. auch entsprechend Urteil vom in der Rechtssache C-204/90, Bachmann, Slg. 1992, I-249, Randnr. 34).
49 Es zeigt sich, dass unter den im Ausgangsverfahren gegebenen Umständen der Aspekt der Kapitalverkehrsfreiheit hinter dem der Dienstleistungsfreiheit zurücktritt. Denn da die streitige Regelung bewirkt, dass der Zugang zum deutschen Finanzmarkt für in Drittstaaten ansässige Unternehmen erschwert wird, berührt sie vorwiegend den freien Dienstleistungsverkehr. Da die den freien Kapitalverkehr beschränkenden Wirkungen dieser Regelung nur eine zwangsläufige Folge der für die Erbringung von Dienstleistungen auferlegten Beschränkungen sind, braucht die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Artikeln 56 ff. EG nicht geprüft zu werden.
50 Demnach ist auf die erste Frage zu antworten, dass eine innerstaatliche Regelung, nach der ein Mitgliedstaat für die Tätigkeit der gewerbsmäßigen Kreditvergabe im Inland durch ein in einem Drittstaat ansässiges Unternehmen eine vorherige Erlaubnis vorschreibt und diese Erlaubnis u. a. dann zu versagen ist, wenn das betreffende Unternehmen nicht seine Hauptverwaltung oder eine Zweigstelle im Inland hat, vorwiegend die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit im Sinne der Artikel 49 ff. EG berührt. Ein Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat kann sich nicht auf diese Bestimmungen berufen.
51 Angesichts der Antwort auf die erste Frage brauchen die weiteren vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen nicht beantwortet zu werden.
Kostenentscheidung:
Kosten
52 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
GAAAC-33741
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg