Auswirkungen der nicht rechtzeitigen Auswertung eines Grundlagenbescheids auf den Folgebescheid
Gesetze: AO § 177 Abs. 3; AO § 180; AO § 182
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, ist als geschäftsleitende Holding an zahlreichen in- und ausländischen Mitunternehmerschaften und Kapitalgesellschaften beteiligt; die Beigeladenen sind ihre Gesellschafter.
Die Klägerin gewährte einer Kommanditgesellschaft italienischen Rechts (I-KG), an deren Kapital sie als Kommanditistin zu 99 v.H. beteiligt war, Darlehen. Zum belief sich die Forderung der Klägerin einschließlich aufgelaufener Zinsen auf ... DM. Ebenso standen der Klägerin gegen eine Kommanditgesellschaft französischen Rechts (F-KG), an deren Kapital sie als Kommanditistin zu 96,7 v.H. beteiligt war, Darlehens- und Zinsforderungen in Höhe von ... DM zu. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) wurde der Zinsaufwand bei den ausländischen Gesellschaften gewinnmindernd als Betriebsausgabe erfasst; die Darlehensverbindlichkeiten einschließlich der Zinsverbindlichkeiten wurden in den Bilanzen der ausländischen Gesellschaften passiviert. Die Zinseinnahmen aus den Darlehen wurden nicht im Ausland versteuert.
Die Klägerin reichte die Vermögensaufstellung auf den nach einer im Jahr 1991 ergangenen Aufforderung durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) am ein. Vom bis zum fand bei der Klägerin eine Betriebsprüfung statt, die auch die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den umfasste.
Im erstmaligen Bescheid über die Wert- und Zurechnungsfortschreibung des Einheitswerts auf den vom , mit dem der Einheitswert unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf ... DM festgestellt wurde, wurden —entsprechend der abgegebenen Vermögensaufstellung— die Beteiligungen an Mitunternehmerschaften bei der Ermittlung der Höhe des Einheitswerts nicht berücksichtigt. Dies geschah erst in einem Änderungsbescheid vom , mit dem der Einheitswert auf ... DM erhöht wurde. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am Einspruch ein, über den das FA wegen der laufenden Betriebsprüfung zunächst nicht entschied.
Nach zwei Änderungsbescheiden vom und vom , die die hier streitigen Punkte nicht berührten, erließ das FA am einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es sowohl die Ergebnisse der Betriebsprüfung als auch zwischenzeitlich für Beteiligungsgesellschaften ergangene Bescheide auswertete und den Einheitswert unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung auf ... DM erhöhte. Für Zwecke der Gewerbesteuer stellte es erstmalig einen eigenen Einheitswert in Höhe von ... DM fest. Zu den Darlehensforderungen an die Auslandsgesellschaften vertrat das FA die Auffassung, diese seien nicht durch die jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) steuerbefreit, weil sie nicht den ausländischen Betriebsstätten, sondern der Klägerin zuzurechnen seien. Es handele sich aber um Auslandsvermögen, für das den Gesellschaftern die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 1 des Vermögensteuergesetzes zustehe und das nicht der Gewerbesteuer unterliege.
Hinsichtlich der Auswertung von Grundlagenbescheiden lag in fünf Fällen mit einer Gesamtauswirkung von ... DM zulasten der Klägerin zwischen der Bekanntgabe des Feststellungsbescheids für die Beteiligungsgesellschaft und dem Ergehen des Änderungsbescheids ein längerer als der in § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO 1977) genannte Zeitraum.
Im fortgeführten Einspruchsverfahren vertrat die Klägerin die Auffassung, die Darlehens- und Zinsforderungen an die Auslandsgesellschaften seien nach den jeweiligen DBA steuerfrei. Dem Ansatz der Beteiligungen an Mitunternehmerschaften stehe der Eintritt der Feststellungsverjährung entgegen. Zudem seien die Bescheide mangels hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit nichtig. Das FA wies darauf hin, dass es die Darlehensforderungen nunmehr als Inlandsvermögen ansehe und kündigte eine entsprechende Verböserung des angefochtenen Bescheids an. Gleichwohl beließ es in der Einspruchsentscheidung vom beide Einheitswertfeststellungen der Höhe nach unverändert, stellte aber keinen ausländischen Teil am Betriebsvermögen mehr fest.
Das FG wies die Klage —nach Beiladung aller Gesellschafter der Klägerin— ab. Es vertrat die Auffassung, durch den Einspruch vom sei gemäß § 171 Abs. 3 AO 1977 in der bis zum geltenden Fassung der Eintritt der Feststellungsverjährung in vollem Umfang gehemmt worden. Die Forderungen gegen die Auslandsgesellschaften seien im Einheitswert zu erfassen, weil es sich um Wirtschaftsgüter der inländischen Klägerin handele.
Mit ihrer Revision vertritt die Klägerin weiterhin in erster Linie die Auffassung, die Bescheide seien nichtig. Daneben macht sie den Eintritt der Feststellungsverjährung geltend und wendet sich gegen die Behandlung der Darlehensforderungen als inländisches Betriebsvermögen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil, den Bescheid über die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und den Einheitswert in Abänderung des Bescheids vom auf ... DM festzustellen,
hilfsweise, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, den Einheitswert unter Änderung des Bescheids vom auf ... DM festzustellen und den für Zwecke der Gewerbesteuer festgestellten Einheitswert aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
II. Die Revision ist im Ergebnis unbegründet und nach § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ergeben zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar.
1. Der angefochtene Bescheid vom ist —ebenso wie die vorangegangenen Bescheide— wirksam. Hinsichtlich der Anforderungen an die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit von Bescheiden über die Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens und hinsichtlich der Zulässigkeit des zweistufigen Feststellungsverfahrens bei doppelstöckigen Personengesellschaften wird auf das Senatsurteil vom II R 24/05 (unter II.1.) verwiesen.
2. Die Auffassung des FG, die Regelungen über die Feststellungsfrist hätten den im Bescheid vom vorgenommenen Anpassungen der Beteiligungsansätze an die entsprechenden Grundlagenbescheide nicht entgegen gestanden, ist rechtsfehlerhaft. Denn bei Erlass des Bescheids vom kam für die Auswertung der Feststellungsbescheide, die zwischenzeitlich für die Unter-Personengesellschaften ergangen waren, keine Ablaufhemmung mehr zum Tragen (wegen der Einzelheiten vgl. Senatsurteil vom II R 59/05, unter II.5.b).
Dies hat allerdings nicht zur Folge, dass auch die bisher —vor Ablauf der Feststellungsfrist nach Maßgabe der bis dahin ergangenen ursprünglichen Grundlagenbescheide— angesetzten Werte für diese Besteuerungsgrundlagen aus der für die Klägerin vorzunehmenden Einheitswertfeststellung herauszunehmen wären (vgl. Senatsurteil vom II R 24/05, unter II.4.c).
3. Im Ergebnis stellt sich die Entscheidung des FG gleichwohl als richtig dar. Denn die verjährten Besteuerungsgrundlagen waren gemäß § 177 Abs. 2 AO 1977 beim Erlass des Änderungsbescheids vom im Wege der Saldierung zu berücksichtigen.
a) Zu den materiellen Fehlern i.S. des § 177 Abs. 3 AO 1977 gehören auch Fehler, die darin liegen, dass das FA einen Grundlagenbescheid nicht rechtzeitig ausgewertet hat und nunmehr durch die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung an einer Auswertung gehindert wird. Der Saldierungsrahmen, dessen Umfang für Zwecke der Anwendung des § 177 AO 1977 festzustellen ist, wird nicht allein durch den letzten Änderungsbescheid bestimmt. Vielmehr sind auch alle Änderungen heranzuziehen, die aufgrund der Anwendung selbständiger Korrekturvorschriften zugunsten und zulasten des Steuerpflichtigen in denjenigen Bescheiden vorgenommen worden sind, die dem letzten Änderungsbescheid vorangegangen, aber nicht formell bestandskräftig geworden sind (wegen der Begründung im Einzelnen vgl. Senatsurteil vom II R 24/05, unter II.5.).
Nach diesen Maßstäben ist in die Ermittlung des Saldierungsrahmens auch die bereits im Bescheid vom vorgenommene Korrektur hinsichtlich des Wertansatzes der Beteiligung an der R-GmbH einzubeziehen, weil dieser Bescheid infolge des laufenden Einspruchsverfahrens bis zum Erlass des nachfolgenden Änderungsbescheids vom nicht formell bestandskräftig geworden ist.
b) Vorliegend konnten im Bescheid vom sämtliche teilverjährten Besteuerungsgrundlagen angesetzt werden.
In diesem Bescheid erhöhte das FA die Feststellung gegenüber dem letzten formell bestandskräftigen Bescheid vom von ... DM auf ... DM. Der Differenzbetrag von ... DM stellt sich als Saldo aus der Anwendung zahlreicher Einzeländerungen aufgrund selbständiger Korrekturvorschriften dar, die im Umfang von ... DM zugunsten und —so jedenfalls die Auffassung des FA— im Umfang von ... DM zulasten der Klägerin wirkten. Zwar erweist sich der vom FA angenommene Brutto-Änderungsrahmen nach oben in Höhe von ... DM als zu hoch, weil in diesem Umfang wegen der eingetretenen Teilverjährung die Anwendung selbständiger Korrekturvorschriften nicht zulässig war, sondern lediglich ein materieller Fehler i.S. des § 177 AO 1977 vorlag. Weil das FA aber die Möglichkeit hatte, diesen —im Falle seiner Saldierung als feststellungserhöhenden Posten zu berücksichtigenden— Betrag in vollem Umfang mit dem zugunsten der Klägerin wirkenden Änderungsvolumen aus selbständigen Korrekturvorschriften in Höhe von ... DM zu saldieren, ist die Feststellung im Ergebnis gleichwohl zutreffend.
4. Die Darlehens- und Zinsforderungen gegen die F-KG und die I-KG gehören nach § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. a des Bewertungsgesetzes (BewG) a.F. zum gewerblichen Betrieb der Klägerin. Eine vorrangige Zuordnung zum gewerblichen Betrieb der Auslandsgesellschaften nach § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 BewG a.F. findet nicht statt, da diese Regelung nach dem Einleitungssatz des § 97 Abs. 1 Satz 1 BewG nur auf Gesellschaften mit Geschäftsleitung oder Sitz im Inland anwendbar ist, was bei der F-KG und der I-KG nicht der Fall ist. Aus diesem Grund waren für die Auslandsgesellschaften entgegen der Auffassung der Klägerin auch keine Einheitswerte festzustellen (vgl. Senatsurteil vom II R 59/05, unter II.7.).
5. Die Forderungen gegen die F-KG und die I-KG sind nicht nach § 101 Nr. 1 BewG a.F. i.V.m. den jeweils geltenden DBA aus dem Einheitswert des Betriebsvermögens der Klägerin auszuscheiden. Wegen der Einzelheiten wird auch insoweit auf das Senatsurteil vom II R 59/05 (unter II.8., 9.) verwiesen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
KÖSDI 2006 S. 15310 Nr. 11
JAAAC-28407