Leitsatz
[1] Eine sofortige Beschwerde gegen die Anordnung einer vorläufigen Postsperre wird nach deren Aufhebung unzulässig.
Gesetze: InsO § 6; InsO § 21 Abs. 2 Nr. 4; GG Art. 10 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4
Instanzenzug: AG Göttingen 74 IN 132/04 vom LG Göttingen 10 T 126/04 vom
Gründe
I.
Mit Beschluss vom hat das Insolvenzgericht nach Anhörung des Schuldners eine vorläufige Postsperre nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO angeordnet, weil der Schuldner keine Auskünfte erteilt habe und nicht zu einem Anhörungstermin erschienen sei. Der am eingelegten sofortigen Beschwerde hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom nicht abgeholfen. Mit Beschluss vom hat das Insolvenzgericht die Postsperre aufgehoben, weil der Schuldner nunmehr Auskunft erteilt habe. Auf gerichtlichen Hinweis hin hat der Schuldner erklärt, die organisatorischen Folgen der Postsperre seien noch nicht beseitigt. "Für den Fall einer kurzfristig eintretenden Erledigung" hat er beantragt festzustellen, dass die Anordnung rechtswidrig gewesen sei. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seine bisherigen Anträge weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 7, 21 Abs. 1 Satz 2 InsO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.
1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis des Schuldners. Es liege ein Fall verfahrensrechtlicher Überholung vor. Der Beschwerdegrund habe sich erledigt, so dass der Beschwerdeführer durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht mehr besser gestellt werden könnte. Die Rechtsbeschwerde vertritt demgegenüber die Ansicht, eine Postsperre stelle einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht des Schuldners aus Art. 10 Abs. 1 GG dar. Bei tief greifenden Grundrechtsverletzungen gebe es ein rechtlich geschütztes Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der fraglichen Maßnahme feststellen zu lassen.
2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist richtig.
a) Die sofortige Beschwerde setzt wie jedes andere Rechtsmittel auch eine Beschwer des Rechtsmittelführers voraus. Diese muss im Zeitpunkt der Entscheidung noch gegeben sein. Ihr Wegfall macht das Rechtsmittel unzulässig (z.B. , NJW-RR 2004, 1365). Im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts war die Anordnung der vorläufigen Postsperre bereits aufgehoben worden.
b) Ein Verfahren, in dem die Rechtswidrigkeit einer bereits erledigten vorläufigen Postsperre festgestellt werden kann, sehen weder die Zivilprozessordnung noch die Insolvenzordnung vor. Auch von Verfassungs wegen ist die Zulassung eines Fortsetzungsfeststellungsantrags in einem derartigen Fall nicht geboten.
aa) Nach ständiger Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. BVerfGE 104, 220, 221 f; 110, 77, 85) widerspricht es dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht, die Rechtsschutzgewährung von einem vorhandenen und fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen. Ein Rechtsschutzinteresse ist zu bejahen, so lange der Rechtsschutzsuchende gegenwärtig betroffen ist und mit seinem Rechtsmittel ein konkretes praktisches Ziel erreichen kann. Dass die Gerichte über diesen Zeitpunkt hinaus für Auskünfte über die Rechtslage in Anspruch genommen werden können, gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dagegen nicht.
bb) Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist, etwa dann, wenn das gerichtliche Verfahren dazu dient, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen (BVerfGE 96, 27, 40). Darüber hinaus kommt ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe in Betracht. Hierunter fallen insbesondere solche Eingriffe, die unter Richtervorbehalt stehen und nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt sind, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung vorgegebenen Instanz kaum erlangen kann (BVerfGE 104, 220, 232 ff). Auch der Bundesgerichtshof hat in Bezug auf eine dem Gesetz fremde, in das Grundrecht des Betroffenen auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) eingreifende Maßnahme, gegen die eine gerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig zu erlangen war, einen Fortsetzungsfeststellungsantrag zugelassen (BGHZ 158, 212 ff).
cc) Die vorläufige Postsperre nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO greift in das durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Briefgeheimnis ein. Beschränkungen dieses Grundrechts dürfen nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 GG). Die Vorschrift des § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO ist ein solches Gesetz (§ 102 InsO). Gegen die Anordnung einer Sicherungsmaßnahme nach § 21 InsO steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu (§ 21 Abs. 1 Satz 2 InsO). Eine vorläufige Postsperre wird nicht typischerweise gegenstandslos, ehe eine Entscheidung des Beschwerdegerichts eingeholt werden kann. Die vorläufige Postsperre gehört zu den Sicherungsmaßnahmen, die bis zur Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners verhindern sollen. Sie erledigt sich regelmäßig nicht nach wenigen Tagen, so dass ausreichend Zeit besteht, ihre Anordnung gerichtlich überprüfen zu lassen (OLG Köln ZIP 2000, 1221, 1223). Auch im vorliegenden Fall ist jedenfalls ein Nichtabhilfebeschluss ergangen. Die Erledigung ist deshalb eingetreten, weil der Schuldner im Rahmen seiner Anhörung vor dem Insolvenzgericht schließlich Auskunft erteilt hat. Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 4, § 99 Abs. 3 Satz 2 InsO ist die vorläufige Postsperre aufzuheben, soweit ihre Voraussetzungen fortfallen.
dd) Bei dem besonders schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person hält das Bundesverfassungsgericht ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag unabhängig davon für gegeben, ob die Gerichte bei typischem Ablauf des Verfahrens rechtzeitig eine Entscheidung treffen können (BVerfGE 104, 220, 234; , zit. nach juris). Im vorliegenden Fall geht es um einen Eingriff in das unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehende Briefgeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG, der sich in dem von § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO vorgegebenen Rahmen hielt. Die Postsperre ist von einem Richter während des vorläufigen Insolvenzverfahrens gegen einen Schuldner angeordnet worden, der weder gegenüber dem vorläufigen Insolvenzverwalter noch gegenüber dem Insolvenzgericht die Auskünfte erteilt hat, die zur Entscheidung über den Insolvenzantrag erforderlich waren (vgl. § 20 InsO).
III.
Der Antrag des Schuldners auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Rechtsbeschwerde war abzuweisen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Endergebnis keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 Satz 1 ZPO).
1. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist, wie sich aus Wortlaut und Zweck des § 114 Satz 1 ZPO ergibt, entscheidend auf den voraussichtlichen Erfolg in der Sache selbst und nicht auf einen davon losgelösten Erfolg des Rechtsmittels zu sehen. Prozesskostenhilfe ist deshalb dem Rechtsmittelführer nicht immer schon dann zu bewilligen, wenn die angefochtene Entscheidung formell keinen Bestand haben kann, das materielle Ergebnis sich nach einer Zurückverweisung jedoch voraussichtlich nicht ändern wird. Der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht wie dem Bemittelten zu gewähren, gebietet lediglich, ihn einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Eine vernünftig denkende Prozesspartei wird dann, wenn sie ihr Ziel aller Voraussicht nach nicht erreichen kann, einen Verfahrensfehler nicht zum Anlass nehmen, Kosten der Rechtsmittelinstanz sowie weitere Verfahrenskosten entstehen zu lassen, die sie im Ergebnis doch selbst tragen muss (vgl. , NJW 1994, 1160).
2. Die Erfolgsaussicht der Rechtsbeschwerde hing von der bisher höchstrichterlich nicht entschiedenen Frage ab, ob die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen die Anordnung einer Postsperre nach deren Aufhebung zulässig bleibt oder infolge prozessualer Überholung unzulässig wird. Eine schwierige Rechtsfrage darf nicht in Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens im Prozesskostenhilfeverfahren abschließend entschieden werden. Im vorliegenden Fall war der Fortsetzungsfeststellungsantrag jedoch auch unbegründet. Die Postsperre nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Schuldner die Arbeit eines vorläufigen Insolvenzverwalters behindert oder unzureichende Angaben über seine Vermögensverhältnisse macht (Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 21 Rn. 34; HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. § 21 Rn. 12 m.w.Nachw.). Diese Voraussetzungen waren im Zeitpunkt der Anordnung der Postsperre offensichtlich erfüllt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW-RR 2007 S. 193 Nr. 3
WM 2006 S. 2329 Nr. 49
ZIP 2006 S. 2233 Nr. 48
YAAAC-27388
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja